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Als EU-Mitglied ist Finnland dafür bekannt, dass es die Regeln einhält und fest zum nordischen Club der Staaten gehört, die sich bei der europäischen Solidarität zurückhalten wollen. Es unterstützt eine strenge Wirtschaftspolitik, so auch die Sparpolitik nach den Eurokrisen vor fast zehn Jahren. Als eins der Mitglieder der „Neuen Hanseatischen Liga“, die auch Dänemark, Estland, Irland, Litauen, Lettland, die Niederlande und Schweden umfasst, war Finnland Teil des „strengen Nordens“, der oft als direkter Gegensatz zum „entspannten Süden“ der EU gesehen wurde.

Seit dem Wahlsieg der Sozialdemokraten im April 2019 – dem ersten sozialdemokratischen Sieg seit zwei Jahrzehnten – steht die Ausrichtung des Landes innerhalb der EU-Blöcke allerdings in Frage. Wird die neue Koalitionsregierung, zu der auch die Zentrumspartei der bisherigen Ministerpräsidentin gehört, weiterhin mit der Hanseatischen Gruppe zusammenarbeiten oder sich nun eher an den anderen sozialdemokratischen Regierungen der EU ausrichten?

Durch die Corona-Krise wurde die gesamte Union auf ihre Einheit und ihre Fähigkeit, unter enormem Druck Entscheidungen zu treffen, getestet. So sah sich die finnische Regierung unter anderem dazu gezwungen, zu Themen wie Solidarität, neuen Finanzierungsmechanismen und der Vergemeinschaftung von Schulden Stellung zu beziehen. Diese Diskussion ist in keiner Regierung leicht, aber in einer Koalition aus fünf Parteien, die von der gemäßigt rechten Schwedischen Volkspartei bis zum Linksbündnis reichen und teilweise die strikten Positionen der früheren Regierung vertreten haben, ist Geschick nötig, um zu gemeinsamen Entschlüssen zu kommen.

Ihren Platz und ihre Stellung innerhalb der Union hat die neue Regierung erstmals während der finnischen EU-Präsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte von 2019 gefunden. Am klarsten wurde die schrittweise Abkehr von der Hanseatischen Liga vielleicht von Europaministerin Tytti Tuppurainen bei ihrer Rede auf dem Europa-Forum ausgedrückt, wo sie sagte: „Finnlands Europapolitik beinhaltet keine ausschließliche Verpflichtung gegenüber der Hanseatischen Liga oder einem anderen Block; stattdessen arbeiten wir mit allen zusammen und fördern die Einheit der EU.“

Diese veränderte Position geht sicherlich auch auf die Wahlniederlage der Sozialdemokraten im Jahr 2015 zurück. Während der Finanz- und Eurokrisen war die Sozialdemokratische Partei SDP ein Juniorpartner der Mitte-Rechts-Regierung unter der Leitung der Nationalen Koalitionspartei. Damals war sie dafür bekannt, für die Teilnahme an den griechischen und spanischen Rettungspaketen Sicherheiten zu fordern. Nach der Niederlage bei den Wahlen von 2015 begann die SDP einen großen Erneuerungsprozess, in dessen Rahmen sie ihre Prinzipien geändert und ein völlig neues politisches Programm aufgestellt hat.

Generell werden Solidarmaßnahmen unterstützt, aber es werden auch klar definierte Programme mit Fristen, Bedingungen und eindeutigen Grenzen der Verantwortlichkeit der einzelnen Mitgliedstaaten gefordert.

Diese neue politische Grundlage manifestierte sich auch im Wahlprogramm von 2019 und im Koalitionsvertrag der Regierung. Die Partei hat eine klaren Schwenk nach links gemacht und auch zu ihrem Engagement für das europäische Projekt zurückgefunden – das sie in den 1990ern gezeigt hat, als sie Finnland nach dem Zusammenbruch der benachbarten Sowjetunion in die EU führte. Die Veränderung innerhalb der Partei wird auch durch die Wahl der jetzigen Ministerpräsidentin Sanna Marin verdeutlicht, die eine junge Internationalistin ist und lange Zeit die Hoffnungsträgerin des linken Parteiflügels war.

Ebenso wird dieser Wandel dadurch sichtbar, wie die Regierung auf die EU-Coronapolitik reagiert hat. Die neuen – französischen und deutschen – Vorschläge zum Wiederaufbaufonds und der darauf folgende Vorschlag der EU-Kommission wurden von der Regierung offen begrüßt, auch wenn über eine detaillierte Antwort offensichtlich noch entschieden werden muss.

Die Reaktion der politischen Linken und der Gewerkschaften war alles in allem positiv. Der Gewerkschaftsbund SAK unterstützt den Wiederaufbaufonds und betont die Notwendigkeit stärkerer Solidarität für die Genesung der europäischen Wirtschaft. Die Alternative dazu wäre verheerend.

Die SDP unterstützt zwar die Erholungspläne, aber nicht alle der bereits vorgeschlagenen Mechanismen zur Vergemeinschaftung von Solidarität und Schulden, insbesondere nicht die Corona-Bonds. Man könnte sagen, dass die stärksten Veränderungen bis jetzt auf der rhetorischen Ebene stattfinden und noch nicht bei den Entscheidungen. Die Partei und ihre Führung haben deutlich betont, alle Vorschläge offen untersuchen zu wollen, und damit hat sie ihren grundsätzlicheren Widerstand gegen mehr Solidarität aufgegeben.

Ein wichtiger Punkt für die finnischen Sozialdemokraten ist, welche Bedingungen gestellt werden sollen. Generell werden Solidarmaßnahmen immer mehr unterstützt, aber es werden auch klar definierte Programme mit Fristen, Bedingungen und eindeutigen Grenzen der Verantwortlichkeit der einzelnen Mitgliedstaaten gefordert. Demnach ist die Voraussetzung für jedes gemeinsame Handeln, dass Bedingungen erfüllt werden.

Mit der Solidarität – und der wirtschaftlichen Unterstützung – müssen auch die Bedingungen stärker werden, damit sich alle Mitglieder auf eine gemeinsame Politik und klare Regeln einigen können. Aber auch die Regeln selbst werden immer häufiger in Frage gestellt – beispielsweise die aktuellen Defizit- und Schuldenregeln. Strengere Bedingungen würden wiederum eine weitere Demokratisierung und stärkere Transparenz des EU-Entscheidungsfindungsprozesses erfordern – etwas, das in normalen Zeiten sehr schwer erreichbar war.

Die SDP unterstützt zwar die Erholungspläne, aber nicht alle der bereits vorgeschlagenen Mechanismen zur Vergemeinschaftung von Solidarität und Schulden, insbesondere nicht die Corona-Bonds.

So wird innerhalb der SDP gefordert, auch die Reaktion auf die Corona-Krise davon abhängig zu machen, dass Rechtsstaatlichkeit und Demokratie gefördert und Steuervermeidung verhindert wird. Diese Prinzipien müssen demnach auch für Finanzierungsmechanismen gelten, also auch für Zahlungen oder Kredite an Staaten, kleine und mittlere Unternehmen sowie andere Firmen. Und diese Position wird offensichtlich nicht von allen Mitgliedstaaten gleichermaßen unterstützt.

Außerdem werden Stimmen laut, die Krisenreaktion auf bestimmte Sektoren oder Verwendungszwecke zu begrenzen. Die Unterstützung sollte sich nur auf Bereiche erstrecken, die tatsächlich von der Pandemie betroffen sind – wie das Gesundheitswesen, den Arbeitsmarkt und kleine Unternehmen – oder auf Sektoren, die Wohlstand, Gleichheit und Zusammenhalt fördern, sowie die Digitalisierung, die Forschung und die Ziele des Europäischen Grünen Deals.

Längerfristig müssen die EU und ihre Mitgliedstaaten in der Lage sein, ihre eigene Wirtschaftspolitik weiterhin glaubwürdig und nachhaltig zu gestalten, und dies bedeutet für viele Sozialdemokraten in Finnland, dass die nationale Steuerbelastung verringert wird.

Finnland hat das klare Ziel geäußert, nicht nur die Vertrauenswürdigkeit und Einheit der EU zu fördern, sondern auch ihre Fähigkeit, unter außergewöhnlichen Umständen zu funktionieren. Also verpflichten sich das Land und die Regierung, die Fähigkeit zur Entscheidungsfindung und die Solidarität zu verbessern. Aber dies ist im Land kein allgemeiner Konsens, und sogar innerhalb der Regierung und der SDP besteht über manche der Details keine Einigkeit.

Die größte Oppositionspartei im Land ist die populistische Partei der Wahren Finnen, die zur Polarisierung neigt und die Debatte in eine euroskeptischere Richtung lenkt. Die nationale Diskussion ist stark gespalten, und trotz der Gemeinsamkeiten innerhalb der Koalition gibt es manche, die die veränderte Einstellung nur schwer akzeptieren können. Die Zentrumspartei als Koalitionspartner hat auf den Wiederaufbauplan nicht gerade ermutigend reagiert, also stehen auch der Koalition selbst schwierige Verhandlungen bevor.

Damit die Sozialdemokraten und Sanna Marin ihre neue nationale EU-Politik erfolgreich durchsetzen können, muss also noch viel getan werden. Dabei könnte es helfen, dass die aktuelle Regierung die größten Zustimmungswerte in der finnischen Geschichte vorweisen kann. Vielleicht spielt dabei der Effekt des Zusammenhalts in Krisenzeiten eine Rolle, aber zumindest macht es die Entscheidungsfindung in Corona-Zeiten etwas einfacher.

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff