Mitten in einer Krise der Sozialdemokratie in Europa erfreut sich die portugiesische Regierung breiter Anerkennung. Entgegen dem allgemeinen Rechtstrend in der Politik hat sie sich zu einem positiven Beispiel für eine Mitte-Links-Regierung entwickelt. Die sozialistische Minderheitsregierung unter Ministerpräsident António Costa konnte für eine durch und durch sozialdemokratisch zu bezeichnende Politik, die an frühere sozialistische Regierungen 1995 bis 2002 und 2005 bis 2011 anknüpft, die Unterstützung der dogmatischen Portugiesischen Kommunistischen Partei (PCP) und des Linksblocks gewinnen.

In ihrem Text The Portuguese Government Solution vertritt die portugiesische Politikwissenschaftlerin Ana Rita Ferreira die These, es handle sich möglicherweise „um eine Art ‚vierten Weg‘ der sozialdemokratischen Politik, der sich enger an der traditionellen ideologischen Linie“ vor dem Dritten Weg orientiere.

Interessant ist das derzeitige Bündnis deshalb, weil es den „Fluch“ aus vier Jahrzehnten unüberbrückbarer Differenzen innerhalb der Linken beendet hat. Die Sozialistische Partei (PS) war infolge dieser Differenzen nach rechts gedriftet, die radikale Linke in einer Sackgasse der Ohnmacht und lärmender Selbstgerechtigkeit steckengeblieben. Dank der neuen konstruktiven Beziehung zwischen Sozialisten, Kommunisten und Linksblock kann die PS eine kohärente Mitte-Links-Strategie verfolgen und verbindet die politischen Initiativen der radikalen Linken mit einer gehörigen Dosis Pragmatismus.

Die Partner setzten gemeinsam alles daran, die schweren Schäden, die die Troika mit ihren Sparmaßnahmen verursacht hatte, zu beheben und Portugal wieder auf den Kurs der modernen Volkswirtschaften und Sozialstaaten Europas zu bringen.

Die Partner setzten gemeinsam alles daran, die schweren Schäden, die die Troika mit ihren Sparmaßnahmen verursacht hatte, zu beheben und Portugal wieder auf den Kurs der modernen Volkswirtschaften und Sozialstaaten Europas zu bringen. Der wechselseitige Lernprozess, in dem die sehr unterschiedlichen Kräfte voneinander profitieren, fördert innovative Debatten, die allerdings ausgeprägter in der PS und im Linksblock stattfinden als in der PCP, die in ihrem ideologischen Dogmatismus verharrt und sich jedem „Wandel durch Annäherung“ verweigert.

Nach Jahrzehnten des Antagonismus und mangelnder Kooperation haben sich die Sozialisten und ihre linken Partner ein breites Handlungsfeld für mögliche gemeinsame Initiativen erschlossen. Zu nennen sind hier in erster Linie die Konsolidierung und Erneuerung des Sozialstaats, aber auch die Entwicklung eines sozioökonomischen Entwicklungsmodells.

Die Sozialisten betreiben seit langem federführend den Aufbau und die Fortentwicklung des portugiesischen Sozialstaats (Rentensystem, Bildung, Gesundheit). So führten sie 1996 die Sozialhilfe ein, 2005 die Solidarische Rentenaufstockung für Ältere. Linksblock und PCP sind für die Fortentwicklung dieses Erbes natürliche Verbündete, und mit ihrer Unterstützung hat Costas Regierung zügig die Sozialmaßnahmen wiedereingeführt, die unter der Troika beschnitten worden waren. Weitere Maßnahmen sind notwendig, etwa im krisengeschüttelten Gesundheitswesen, und eine der wichtigsten Aufgaben der PS, des Linksblocks und der PCP wird es sein, bei der Lösung der vielen anstehenden Probleme die Haushaltsdisziplin nicht aus den Augen zu lassen.

Eine weitere wichtige Aufgabe für das Linksbündnis ist die Weiterentwicklung eines sozioökonomischen Entwicklungsmodells, das Wachstum und nachhaltige Arbeitsplätze schafft. Die sozialistische Regierung unter Premierminister António Guterres (1995 bis 2002) legte das Fundament für den Übergang von einer technologisch schwach entwickelten Volkswirtschaft zu einer Wissensgesellschaft, der sich in den letzten beiden Jahrzehnten in Portugal vollzog.

Die sozialistische Partei hat von dem Bündnis stark profitiert. Seit Januar 2017 liegt ihre Zustimmung in der Bevölkerung bei etwa 40 Prozent.

Zu den wichtigsten Leistungen in diesem Bereich zählt die 1995 eingeleitete umfassende Reform des Bildungs- und Wissenschaftssektors. International wurde besonders die Initiative „Neue Chancen“ für eine verbesserte Qualifikation der portugiesischen Arbeitnehmerschaft (2007 bis 2011) gelobt, die in der Wirtschaft einen Modernisierungsschub auslöste. Die historischen Errungenschaften sozialistischer Regierungen und die aktuelle Politik bilden eine gute Grundlage für die Debatte über die weitere sozioökonomische Entwicklung mit den linken Partnern.

Für eine Fortsetzung der Kooperation der linken Parteien und das Einläuten einer neuen Ära progressiver Regierungspolitik in Portugal gibt es mithin genügend Gründe, und wenn man die Programme der drei Partner realistisch prüft, ergeben sich in diversen Politikbereichen auch genügend Gemeinsamkeiten. Die Frage lautet nun: Begreifen die beteiligten Parteien, dass eine Fortsetzung des gemeinsamen Projekts in ihrem jeweiligen Interesse ist, und rechtfertigt die Qualität des Projekts für sie Zugeständnisse an die Partner?

Die sozialistische Partei hat von dem Bündnis stark profitiert. Seit Januar 2017 liegt ihre Zustimmung in der Bevölkerung bei etwa 40 Prozent, und in den Kommunalwahlen im Oktober gelang der Partei ein historischer Wahlsieg. In dieser für sie komfortablen Situation könnte sie versucht sein, ihre Position der Stärke auszuspielen und einen Bruch mit den linken Partnern zu riskieren.

Objektive Gründe sprechen dagegen, dass diese Zentrifugalkräfte überhandnehmen. Insbesondere sind das die beträchtlichen Erfolge der Regierung mit Unterstützung des Linksblocks und der PCP sowie die Stärke des Bündnisses ungeachtet wiederholter Versuche rechter Kräfte, es zu spalten. Hinzu kommt die Person des Premierministers: Costa hat schon oft erfolgreich Allianzen geschmiedet, sei es als Minister für Parlamentsangelegenheiten (1995 bis 1999) oder als Bürgermeister von Lissabon, wo er in einer breiten Koalition das Wahlergebnis der Sozialisten von 30 Prozent im Jahr 2007 auf 40 Prozent 2009 verbessern und im Jahr 2013 schließlich die absolute Mehrheit holen konnte.

Wie Daniel Finn in seiner sehr kenntnisreichen und fundierten, wenn auch einseitigen Analyse der Erfolgsgeschichte der neuen linken Allianz in Portugal durchaus richtig darlegt, haben „sich Linksblock und PCP einen Weg zwischen ideologischer Abgeschlossenheit und politischer Neutralisierung erschlossen“. Das überrascht besonders im Fall der Kommunisten, die auf eine starke Tradition der dogmatischen Abkapselung zurückblicken und deshalb das Experiment der Kooperation am ehesten abbrechen könnten, um dem Risiko ideologischer Kontaminierung aus dem Weg zu gehen. Der Linksblock dagegen hat seine sozialen Wurzeln im gebildeten städtischen Milieu und kultiviert eine offenere Debatte und einen modernen Politikstil. Der Block könnte innerhalb der portugiesischen Linken durchaus dazu beitragen, ein klar definiertes gemeinsames Projekt zu formulieren und umzusetzen.

Im Umfeld künftiger politischer und wirtschaftlicher Unsicherheit wird das portugiesische Experiment einer Linksregierung nur eine Chance haben, wenn es seitens der EU weiter entsprechend unterstützt wird.

Eine Fortführung des Linksbündnisses nach der nächsten Wahl wird wohl, wenn überhaupt, nur mit dem Linksblock möglich sein. Rechnerisch könnte das eine realistische Option sein, denn Umfragen zufolge können Sozialisten und Linksblock gemeinsam auf etwa 50 Prozent der Stimmen kommen. Trotz aller Beschränkungen durch die Wirtschafts- und Haushaltslage eröffnet sich so eine große Chance, die gleichzeitig eine gewaltige Herausforderung darstellt.

Die kürzlich eröffnete Debatte über die Reform des Arbeitsrechts wäre der erste wichtige Prüfstein für das Gelingen eines solchen spannenden Projekts. Die Kommunistische Partei verfügt auf diesem Gebiet zwar über erhebliches Wissen und eine Vielzahl von Aktivisten, wird diese Ressourcen aber wohl eher dazu nutzen, sich selbst als den wahren Vertreter der Arbeiterklasse zu positionieren, als dazu, sie in die Gemeinschaftslösung einer vereinten Linken einzubringen.

Der Linksblock hat dagegen in diesem Bereich weniger Kompetenz und einen geringeren Organisationsgrad vorzuweisen und befindet sich daher gegenüber der PS in einer schwachen Verhandlungsposition. Dass in verschiedenen Regierungsbereichen kompetentes und erfahrenes Personal fehlt, ist wohl das größte Handikap für eine künftige Rolle als einziger Partner der Sozialisten. Insofern könnte der mögliche Rückzug der PCP aus dem Bündnis nach der nächsten Wahl die Zukunft des Projektes gefährden.

Nicht zuletzt ist da aber auch noch Europa. Der Erfolg der sozialistischen Regierung in Portugal war nur möglich, weil sie sich den nötigen Spielraum verschaffen konnte, um sich Schritt für Schritt aus dem Sparkurs herauszuarbeiten, dem sie durch die strengen europäischen Finanzregeln unterworfen ist. Dass die offene Rebellion Griechenlands auf ganzer Linie scheiterte, machte allen Kräften innerhalb der portugiesischen Linken deutlich, dass eine Alternative nur unter Einhaltung der Regeln möglich war. Nach anfänglichem Misstrauen belohnten die europäischen Institutionen diesen Kurs mit größerer Toleranz, und im Dezember 2017 wurde der portugiesische Finanzminister Mário Centeno zum Vorsitzenden der Eurogruppe gewählt.

Im Umfeld künftiger politischer und wirtschaftlicher Unsicherheit wird das portugiesische Experiment einer Linksregierung nur eine Chance haben, wenn es seitens der EU weiter entsprechend unterstützt wird. Der Eintritt der Sozialdemokraten in die deutsche Bundesregierung hat in Portugal die Hoffnungen darauf verstärkt.