Seit Februar 2021 führt der frühere EZB-Präsident Mario Draghi eine Regierung, in der fast alle italienischen Parteien vertreten sind: von der rechtspopulistischen Lega und Silvio Berlusconis Forza Italia über die Protestbewegung der Fünf Sterne bis hin zu der gemäßigt linken Partito Democratico (PD) und der kleinen radikal linken Liste Liberi e Uguali (Freie und Gleiche). Als nennenswerte Oppositionskraft steht dieser Regierung alleine die postfaschistische Partei Fratelli d’Italia (Brüder Italiens) gegenüber.

Zustande kam diese Regierung als Notstands- und als Negativkoalition: Sie verdankt ihre Existenz der Tatsache, dass das Gros der Parteien angesichts der Pandemie sowie der Tatsache, dass Italien mit der Umsetzung des 191 Milliarden Euro schweren Next-Generation-EU-Programms befasst ist, eine Fast-All-Parteien-Regierung einem vorzeitigen Wahlgang vorzog. Einige Parteien verspürten zudem sicherlich auch mit Blick auf die aktuellen Umfragewerte Furcht vor Neuwahlen. Es liegt auf der Hand, dass diese Notstandsregierung eine reine Übergangslösung ist, die ihr Ende spätestens mit den regulär im Februar 2023 stattfindenden nächsten Wahlen finden wird.

Kein anderes westeuropäisches Land verfügt über eine so starke populistische Rechte wie Italien. Vorreiter dieser Entwicklung war zweifellos Silvio Berlusconi, der mit seiner Forza Italia zwischen 1994 und 2018 das politische Segment rechts der Mitte dominierte und den Populismus im Land hoffähig machte. Seine Variante des Populismus war weniger durch Fremdenfeindlichkeit und scharfen Nationalismus als durch Schönwetter-Versprechen wie „eine Million neue Arbeitsplätze“ oder „weniger Steuern für alle“ geprägt.

Verlassen konnte sich Berlusconi in all diesen Jahren auf zwei Juniorpartner: einerseits die Lega Nord, die aggressiv die Interessen der reichen Nordregionen gegen den Zentralstaat und den Süden vertrat, andererseits die politischen Erben des italienischen Faschismus, die auf Nationalismus und Law and Order setzten. Noch bei den Wahlen 2013 dominierte Berlusconis Liste mit knapp 22 Prozent, doch die Wahlen 2018 brachten eine Umkehrung der Kräfteverhältnisse im rechten Lager. Die Lega schnellte auf 17 Prozent hoch, Forza Italia brach auf nur noch 14 Prozent ein.

Kein anderes westeuropäisches Land verfügt über eine so starke populistische Rechte wie Italien.

Vor allem der Aufstieg der Lega verdankte sich einer radikalen Wende der Partei unter ihrem neuen Chef Matteo Salvini: statt regionalistisch gab sie sich nun ultra-nationalistisch („Italiener zuerst!“) und setzte auf aggressive Kampagnen gegen die als „Invasion“ gebrandmarkte Immigration ebenso wie gegen die EU und den Euro. Ähnlich positionierte sich auch die Fratelli d’Italia. Italien hatte in den Jahren tiefer ökonomischer und sozialer Krise den Übergang von Berlusconis Schönwetter- zu einem aggressiven Schlechtwetter-Populismus erlebt.

Vor allem Salvini nutzte dann das Jahr seiner Regierungsbeteiligung 2018-2019, um als Innenminister mit übertrieben harten Maßnahmen gegen Immigration („geschlossene Häfen“) seine Beliebtheit zu steigern. Dies trug ihm einen weiteren Popularitätszuwachs ein und bescherte der Lega bei den Wahlen zum Europäischen Parlament 2019 sensationelle 34 Prozent, während die Fratelli d’Italia auf 6,4 Prozent anstieg.

Bis heute konnten diese beiden rechtspopulistischen Parteien in der Summe ihre Stärke halten. Daran haben weder die Tatsache, dass die Regierung Conte II (eine Koalition aus Fünf Sterne und PD) das Land in der Summe gut durch die Pandemie steuerte, noch die Aussicht, dass Italien von der EU in den nächsten Jahren Wiederaufbauhilfen von 191 Milliarden Euro erhalten wird, etwas geändert.

Neu ist allein das Kräfteverhältnis zwischen Lega und Fratelli d’Italia. Schon seit 2019 erlebten die „Brüder Italiens“ unter ihrer jungen und populären Anführerin Giorgia Meloni einen kontinuierlichen Aufstieg. Dieser wurde verstärkt, als Salvinis Lega sich im Februar 2021 entschloss, die Regierung Draghi mitzutragen, während Melonis Partei in der Opposition verharrte und diese Rolle nun monopolisieren kann. Mittlerweile liegen beide Parteien mit je 20 Prozent in den Meinungsumfragen gleichauf.

Bei aller Konkurrenz zwischen ihnen darf als ausgemacht gelten, dass sie bei den nächstens nationalen Wahlen spätestens 2023 wieder in einer Allianz antreten werden, zu der auch Berlusconis auf sieben bis acht Prozent abgerutschte Forza Italia gehören wird. Immer wieder gibt es gar Überlegungen einer Fusion von Lega und Forza Italia. Und insbesondere Berlusconi hätte wenig Skrupel seine Forza an Salvinis Lega zu verkaufen, wenn ihn dieser im Gegenzug zum nächsten italienischen Präsidenten im Frühjahr 2022 machte. Auf jeden Fall läuft Italien das konkrete Risiko, in Zukunft von ultranationalistischen Kräften regiert zu werden, deren Ansprechpartner in Europa Orban, Kaczyński, Le Pen oder Wilders heißen.

Die Kraft, die zweifellos die politische Landschaft Italiens in den letzten zehn Jahren durcheinandergewürfelt hat wie keine andere, ist die Fünf-Sterne-Bewegung (M5M). Erst im Jahr 2009 gegründet, setzte die Bewegung unter ihrem charismatischen Anführer Beppe Grillo vor allem auf scharfe Kritik an der „politischen Kaste“ der traditionellen Parteien und auf das Versprechen einer direkten Demokratie auch in der eigenen Bewegung, die vor allem online organisiert werden sollte. Schon bei den Wahlen 2013 erreichten die Fünf Sterne 25 Prozent, um dann 2018 mit fast 33 Prozent zur stärksten Kraft zu werden und mit 225 der 630 Abgeordneten sowie 111 der 315 Senatorinnen und Senatoren auch die größten Fraktionen zu bilden.

Auf jeden Fall läuft Italien das konkrete Risiko, in Zukunft von ultranationalistischen Kräften regiert zu werden.

In den folgenden zwei Jahren koalierte die Bewegung erst mit der rechtspopulistischen Lega, dann mit der gemäßigt linken PD. „Weder rechts noch links“ wollte die Bewegung seit ihrer Gründung sein, und es war ihr gelungen, Wählerinnen und Wähler aus allen politischen Lagern zu gewinnen. Doch im Übergang von der Opposition zur Regierung stieß diese Logik an ihre Grenzen, und das M5S zahlte einen hohen Preis. In den Meinungsumfragen rutschte es schnell ab und rangiert heute nur noch zwischen 15 und 17 Prozent. Zugleich verlor es 94 seiner 336 Parlamentarier durch Austritte und Ausschlüsse in alle politischen Richtungen – von links bis rechtsaußen.

Hatte die Protestbewegung in der Opposition aus ihrer Gegnerschaft gegen die „alte“ Politik einen enormen Aufschwung erlebt, so zeigte sich in der Regierung ihre doppelte Schwäche: Sie verfügte weder über einen inneren Kompass noch über eine transparente Organisationsstruktur. Sie predigte Basisdemokratie – und dennoch agierte Beppe Grillo faktisch immer wieder als diktatorischer Anführer.

Diese Schwäche sollte nach dem Scheitern der Regierung Conte im Februar 2021 überwunden werden. Conte selbst – bisher nicht zum M5S gehörend – sollte neuer Vorsitzender werden und die Bewegung faktisch in eine Partei verwandeln. Zugleich wollten die Fünf Sterne sich mit einem geschärften ökologisch-sozialen Profil als Kraft der linken Mitte aufstellen. Hierzu gehörte auch die Bildung einer stabilen Allianz mit der PD als Gegengewicht zur italienischen Rechten.

Nicht wegen inhaltlicher Differenzen, sondern allein aufgrund der Machtfrage kam es dann jedoch im Juni 2021 zu einem Zusammenstoß zwischen Beppe Grillo und Giuseppe Conte, der das M5S an den Rand der Spaltung brachte: Conte reklamierte die alleinige Zuständigkeit für die Führung der Bewegung, während Grillo weiterhin als „Garant“ eine zentrale Rolle in ihren Entscheidungen spielen wollte. Am Ende konnte die Spaltung vorerst abgewendet werden und Conte sich weitgehend durchsetzen. Doch es wird sich erst noch zeigen müssen, ob der Kompromiss auch im Alltag trägt. Hieran hängt nicht zuletzt, ob sich eine gegen die starke Rechte konkurrenzfähige Parteienallianz links der Mitte herausbilden kann.

Viel Dynamik und so manche Verwerfung gab es auch bei der Partito Democratico. Nach der Wahlniederlage Renzis 2018, bei der die PD mit 18,7 Prozent ein historisch schlechtes Ergebnis eingefahren hatte, gönnte sich die Partei ein einjähriges Interregnum, bevor mit Nicolà Zingaretti im März 2019 ein neuer Parteivorsitzender per Urwahl gewählt wurde. Zingaretti versuchte die zerstrittene PD zu einen, zu modernisieren und inhaltlich etwas weiter nach links zu verschieben. Für den organisatorischen und programmatischen Konsolidierungskurs bliebt jedoch kaum Zeit, da im Spätsommer 2019 der Wechsel von der Oppositionsbank auf die Regierungsbank erfolgte. Statt die Neuausrichtung der PD voranzutreiben, galt es nun, mit den ungeliebten M5S ein einigermaßen funktionierendes Regierungsbündnis zu schmieden und zugleich die Abspaltung von Matteo Renzis neuer Partei Italia Viva zu verkraften.

Die Regierung Conte II, die ursprünglich getragen war von dem Bestreben, Matteo Salvini den Weg in den Regierungssitz Palazzo Chigi zu versperren, hatte alsbald ihre eigentliche Bewährungsprobe mit dem Ausbruch der Coronapandemie zu bestehen. Mit großer Entschlossenheit und insbesondere auch hoher Geschlossenheit führte die Regierung Conte II das Land durch die Krise 2020 und erfreute sich sehr hoher Zustimmungsraten seitens der Bevölkerung. Das schlug sich allerdings nicht in einer größeren Zustimmung zu den sie tragenden Parteien nieder.

Als zum Jahresende 2020 Matteo Renzi aus eher persönlichen denn aus inhaltlichen Gründen begann, am Stuhl von Conte zu sägen, war es insbesondere Zingaretti, der sich – am Ende vergeblich – massiv für Conte einsetzte. Zingarettis Agieren war getragen von der Überlegung, dass es lediglich durch ein strategisches Bündnis der PD mit dem M5S möglich sei, den Durchmarsch der rechten und rechtspopulistischen Parteien in Italien aufzuhalten. Dieser Kurs stieß auf den Widerstand einer kleineren, aber meinungsstarken innerparteilichen Strömung, die mit ihren Querschüssen erreichte, dass Zingaretti im Frühjahr 2021 entnervt das Handtuch warf.

Das angestrebte Bündnis zwischen PD und M5S ist ein überaus fragiles und störanfälliges.

Neuer Parteivorsitzender wurde der ehemalige Ministerpräsident Enrico Letta, der 2014 recht rüde von Matteo Renzi aus dem Amt gedrängt worden war. Kaum ins Amt gewählt, wechselte er die Führungsspitzen in Partei und Parlamentsfraktionen aus. Den von Zingaretti begonnen Kurs der Profilschärfung und der strategischen Annäherung an die M5S setzte er jedoch konsequent fort.

Ob dies auch die gewünschten Früchte tragen wird, hängt stark davon ab, ob die Transformation der M5S von einer populistischen Bewegung zu einer bündnisfähigen Partei gelingt. Wichtiger Test dafür werden die anstehenden Kommunalwahlen im kommenden Herbst sein. In wichtigen Städten wie Rom oder Turin ist es allerdings nicht gelungen, sich auf gemeinsam getragene Kandidatinnen und Kandidaten zu verständigen. Fest steht: Das angestrebte Bündnis zwischen PD und M5S ist ein überaus fragiles und störanfälliges.

Die italienische Parteienlandschaft ist von einer hohen Dynamik geprägt, wie wir sie aus keiner anderen westeuropäischen Demokratie kennen. Offen ist, ob die Transformation der Fünf Sterne von einer populistischen Bewegung zu einer echten Partei gelingt und ein strategisches Bündnis zwischen PD und M5S gebildet werden kann. Ebenso unklar ist, ob im rechten Lager der Höhenflug von Giorgia Mellonis postfaschistischen Fratelli d’Italia Salvinis Lega, die momentan versucht, Regierungs- und Oppositionspartei in einem zu sein, weiter in die Defensive drängen wird.

Der Profilierungswettbewerb wird sich intensivieren; nicht zuletzt, weil im September das sogenannte „weiße Semester“ anbrechen wird: Sechs Monate vor der Wahl des Staatspräsidenten im Frühjahr 2022 dürfen keine Parlamentswahlen mehr durchgeführt werden. Dies wird die Koalitionsdisziplin der Regierungsparteien deutlich verringern und die Bereitschaft, das eigene Profil zu schärfen, stark erhöhen. Wie lange es Draghi gelingen wird, alle widerstrebenden Parteien einigermaßen konstruktiv unter seiner Regierung zusammenzuhalten, ist eine offene Frage.