Es waren markige Worte nach dem Triumph: „Wir werden über die Zukunft unseres großartigen Heimatlandes nachdenken, über die Zukunft unserer Kinder. Wenn wir danach handeln, sind wir mit Sicherheit zum Erfolg verdammt!“ Wladimir Putin ließ sich bei seiner Rede nach der Wahl zum Präsidenten am 18. März 2018 feiern. Danach erlebte Russland sehr unterschiedliche Ereignisse. Im selben Jahr waren viele russische Metropolen erfolgreiche Austragungsorte der Fußball-Weltmeisterschaft. 2020 entließ Putin seinen treuesten Schützling, Premierminister Dmitri Medwedew. Danach kam es zu umfangreichen Verfassungsänderungen, die es ihm überhaupt erst ermöglichten, 2024 erneut Präsident zu werden.
Parallel zeigte sich zunehmend die dunkle Seite des neuen Russlands. In denselben sechs Jahren begann der russische Staat, unabhängige Journalisten und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens fleißig mit dem Stempel „ausländischer Agent“ zu brandmarken. Auf dieser Liste stehen heute mehr als 300 Personen, die nach einem neuen Gesetz nicht einmal mehr mit Werbetreibenden zusammenarbeiten dürfen. Putins wichtigster politischer Gegner Alexej Nawalny wurde im August 2020 vom russischen Geheimdienst mit dem Nervengift Nowitschok vergiftet. Nach einer Behandlung in Deutschland und seiner Rückkehr im Januar 2021 wurde er wegen fiktiver Kriminalfälle inhaftiert.
Doch das war noch nicht das wichtigste und blutigste Ereignis in Putins vergangener Amtszeit. Der 24. Februar 2022 wurde zum geschichtlichen Ereignis, als der Kremlchef eine umfassende Militärinvasion in die benachbarte Ukraine startete. Hunderttausende Menschen sind in diesem Krieg inzwischen gestorben, ein Ende ist nicht in Sicht.
Zu diesem Kurs und dem Krieg war die aktuelle Wiederwahl Putins eine Art Referendum.
Zu diesem Kurs und dem Krieg war die aktuelle Wiederwahl Putins eine Art Referendum. Es sollte die Invasion in der Ukraine legitimieren und zeigen, dass die russische Bevölkerung dieses verrückte Abenteuer unterstützt. Dabei haben die Behörden alles getan, um Überraschungen zu vermeiden. Einen Monat vor der Wahl starb unvermittelt Nawalny – der die Russen aktiv dazu gedrängt hatte, zur Wahl zu gehen und gegen Putin zu stimmen –, versteckt in einer abgelegenen Strafkolonie im arktischen Norden. Alle unabhängigen Kandidaten, die den Krieg und das Staatsoberhaupt kritisierten, wurden nicht zum Urnengang zugelassen.
Darüber hinaus fand die Präsidentschaftswahl erstmals dreitägig statt. Dies vereinfachte etwaige Betrugsversuche der Behörden erheblich. In 29 Regionen wurde zudem eine elektronische Stimmabgabe eingeführt, die zuvor erstmals bei der Parlamentswahl 2021 getestet wurde und bereits Fragen zum Auszählungsergebnis aufwarf. Oppositionskandidaten, die damals in den Wahllokalen gewonnen hatten, verloren nach der Addition der Ergebnisse der elektronischen Stimmen.
Bei der diesjährigen Wahl wurde das „richtige“ Ergebnis mit Druck erzielt. Behörden, Staatsfirmen und Privatunternehmen wurde am ersten Wahltag, einem Arbeitstag, befohlen, ihre Mitarbeiter in die Wahllokale zu schicken. Darüber hinaus war am Arbeitsplatz eine elektronische Stimmabgabe möglich. Zwecks Erreichung einer hohen Wahlbeteiligung boten die Behörden den Wählerinnen und Wählern zusätzlich zahlreiche Prämien an, von Eintrittskarten für Vergnügungsparks bis hin zu Restaurantbesuchen. In den besetzten Gebieten der Ukraine wurde das russische Staatsoberhaupt ebenfalls gewählt, buchstäblich mit vorgehaltener Waffe. In jedem Wahllokal waren bewaffnete Soldaten im Einsatz.
Einen Schatten auf der Inszenierung gab es nur am letzten Wahltag.
Einen Schatten auf der Inszenierung gab es nur am letzten Wahltag, dem 17. März. Dem Aufruf der russischen Exilopposition folgend, stellten sich um Punkt 12 Uhr zahlreiche Russinnen und Russen in kilometerlange Schlangen vor die Wahllokale, um für andere Kandidaten als Putin zu stimmen oder den Stimmzettel ungültig zu machen. Angesichts der völligen Undurchsichtigkeit der Stimmauszählung ist es schwierig zu beurteilen, wie stark diese Aktionen das Wahlergebnis beeinflussten. Es ist überhaupt kaum möglich zu sagen, wie viele Stimmen ungültig abgegeben wurden oder für andere Kandidaten als Putin. In jedem Fall wurde Putins Legitimität mit dem Wahlverlauf ein schwerer Schlag versetzt.
Die Behörden waren offenbar überzeugt, dass die Antikriegsstimmung in Russland sehr groß ist. An Nawalnys Grab versammelten sich mehr Menschen als bei jeder Kundgebung zur Unterstützung des Krieges. Erst zwei Monate zuvor, im Januar des russischen Winters, hatten sich lange Warteschlangen gebildet, um für die Präsidentschaftskandidatur des Kriegsgegners Boris Nadeschdin zu unterschreiben – der Kreml verhinderte daraufhin seine Registrierung.
Nominell gibt es laut der Zentralen Wahlkommission nun den angestrebten Zuwachs. 77 statt wie beim letzten Mal 67 Prozent Wahlbeteiligung, 87 statt 77 Prozent Stimmenanteil für Putin. Die russische Staatspropaganda deutet das enthusiastisch als Einheit der Russinnen und Russen um ihren Anführer. „Ich weine selten. Aber als ich diese Worte hörte, brach ich tatsächlich in Tränen aus. Die Wimperntusche verlief. Ich habe noch nie so eine Freude und so einen Stolz empfunden. (…) Mit ängstlicher, fast religiöser Beklommenheit, mit stockendem Atem warte ich nun jeden Tag auf die Wiederholung dieser Gefühle: Wenn alle russischen Länder zu Russland zurückkehren, so wie die Krim vor zehn Jahren zurückgekehrt ist.“ So drückte Margarita Simonjan, Chefredakteurin des russischen Auslands-Propagandasenders RT, ihre Gefühle in den Sozialen Netzwerken aus.
Der Krim-Konsens wurde 2022 auf den Kopf gestellt.
Er klingt hier an, der sogenannte Krim-Konsens, den der Kreml 2014 nach der Annexion der Krim der russischen Gesellschaft vorschlug: Die Erweiterung des Territoriums und die Stärkung der Souveränität als Ausgleich für eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage, beginnend mit einer Abwertung des Rubels und einem Rückgang der Reallöhne. Doch dieser Konsens wurde 2022 auf den Kopf gestellt. Während es vor der Invasion möglich war, relativ ruhig seinen Angelegenheiten nachzugehen und private Vorlieben unpolitisch auszuleben, ist es nun erforderlich, der Staatsideologie die Treue zu schwören und den Krieg zu unterstützen. Das aussagekräftigste Beispiel ist eine Party russischer Prominenter in einem Moskauer Nachtclub im Dezember 2023. Die Feier, bei der viele der Gäste fast „nackt“ waren, fand in patriotischen Kreisen große Resonanz. Alle Teilnehmer sahen sich danach gezwungen, den Krieg öffentlich zu unterstützen, in die von Russland besetzten Gebiete zu reisen, für Putin zu stimmen und das in den Sozialen Netzwerken zu verkünden.
Was die Beziehungen zur Außenwelt angeht, geht der Blick Putins ausnahmsweise einmal nicht zurück, vor allem nicht in Richtung der westlichen Länder. Das aktuelle Wahlverfahren hält sich nicht mehr an grundlegende westliche Standards. Putin sieht sich als Anführer der antiwestlichen Welt und des Globalen Südens, seine wichtigsten Verbündeten – China, Iran, Nordkorea oder Syrien – haben nichts mit Demokratie am Hut.
Auf die eine oder andere Weise wird das zentrale Thema für Russland in den nächsten sechs Jahren der Krieg in der Ukraine bleiben. Eigentlich ist dieser Putins größter Misserfolg in seiner gesamten politischen Karriere – und das gilt es zu korrigieren. Die Russinnen und Russen müssen unpopuläre Wirtschaftsmaßnahmen erwarten, es gilt, den „Gürtel enger zu schnallen“. Beim Übergang zu einer Kriegswirtschaft und einer neuen Mobilisierungswelle wird es nicht bleiben. Sollte Putin seine Ziele dennoch in den kommenden sechs Jahren nicht erreichen: 2030 wird er die Möglichkeit haben, sich mit der aktuellen Selbstverständlichkeit wiederwählen zu lassen.