Private Militärunternehmen sind wichtige Akteure an der Front des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine, und das, obwohl sie offiziell gar nicht existieren. Am 13. Juni übernahm Wladimir Putin bei einem Treffen mit Kriegskorrespondenten die persönliche Verantwortung für eine scharfe Wende in der Staatspolitik in den Beziehungen zu privaten Militärunternehmen. Er erklärte: „Das Verteidigungsministerium schließt nun Verträge mit allen ab, die weiterhin im Gebiet einer militärischen Sonderoperation dienen wollen. Nur so können soziale Garantien gewährleistet werden, denn wenn es keinen Vertrag mit dem Staat gibt, wenn es keinen Vertrag mit dem Verteidigungsministerium gibt, gibt es keine Rechtsgrundlage für soziale Garantien des Staates. Wir müssen es tun, und zwar so schnell wie möglich.“

Damit gab er eine eindeutige Antwort auf die mangelnde Bereitschaft von Jewgeni Prigoschin, Chef des größten und berühmtesten privaten Sicherheits- und Militärunternehmens (PMC) Wagner, einen solchen Vertrag mit dem Verteidigungsministerium zu unterzeichnen. Am 11. Juni hatte der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu ein Dekret unterzeichnet, das alle „Freiwilligenabteilungen“ verpflichtet, bis zum 1. Juli einen Vertrag mit dem Verteidigungsministerium abzuschließen. Dies wurde sofort unterstützt von Vertretern der tschetschenischen Abteilungen unter der Führung von „Kadyrows rechter Hand“, einem Abgeordneten der Staatsduma, Adam Delimchanow. Prigoschin antwortete darauf, dass er „keine Verträge mit Schoigu unterzeichnen“ werde.

Die Statusfrage der PMCs und ihrer schwierigen Beziehung zum Verteidigungsministerium köchelt bereits seit mindestens Dezember. Seit Beginn des Krieges sind die drei größten Gruppen im Kampfgebiet präsent. Die bekannteste davon ist Wagner, welche als Angriffseinheit eingesetzt wurde. Ebenfalls verfügt sie jedoch auch über Hilfseinheiten (Artillerie, Luftfahrt, Militärpolizei) nach den Standards einer motorisierten Schützendivision. Wagner ist es gelungen, die ukrainischen Verteidigungsanlagen bei Popasna und dann bei Bachmut und Soledar – in den Gebieten nördlich und nordwestlich von Donezk – zu durchdringen.

Die zweite Gruppe ist ein Konglomerat tschetschenischer Abteilungen mit dem Status von Divisionen der russischen Garde des Verteidigungsministeriums und das PMC „Spezialeinheitsabteilung Akhmat“. Diese operierten hauptsächlich im nahen Hinterland und verrichteten dort die Arbeit der Militärpolizei und der „Schutzabteilungen“ zur Abschreckung von Deserteuren. Manchmal waren sie jedoch auch an der Erstürmung von Städten beteiligt.

Die Statusfrage der PMCs und ihrer schwierigen Beziehung zum Verteidigungsministerium köchelt bereits seit mindestens Dezember.

Drittens gibt es noch das PMC „Redut“ und einige andere ähnliche Einheiten, die ursprünglich von staatlichen Unternehmen zum Schutz ihrer Einrichtungen im Ausland gegründet und finanziert wurden. Im russisch-ukrainischen Krieg erfüllen sie hauptsächlich lokale Aufgaben. Die Zahl der Unternehmen und die Anzahl der in ihren Reihen kämpfenden Soldaten wuchsen ständig und schnell.

Im Sommer 2022 erhielt Prigoschin die einmalige Gelegenheit, russische Gefangene mittels kurzfristiger Verträge für Wagner zu rekrutieren. Zehntausende von ihnen beteiligten sich an den Angriffen auf Soledar und Bachmut. Die überwiegende Mehrheit starb. Wagner brauchte sehr lange, um diese Städte zu erobern (etwa neun Monate) und verbrauchte dafür nicht nur viele Menschenleben, sondern auch sehr viel Munition. Seit Dezember begann das Verteidigungsministerium, einen „Hunger auf Granaten“ zu verspüren und das Angebot an Wagner zu reduzieren.

Prigoschin reagierte mit öffentlichen Wutanfällen, die von dem von ihm kontrollierten Medienimperium und vielen Kriegsbloggern verbreitet wurden. Infolgedessen begann Prigoschin, den unpopulären Verteidigungsminister Sergej Schoigu und den Generalstabschef Waleri Gerassimow direkt für das Ausbleiben seiner eigenen Erfolge verantwortlich zu machen. Damit gewann er im Lager der Kriegsbefürworter deutlich an politischem Gewicht. Darüber hinaus erhielt er nach einer weiteren Welle Kritik – meist unter Verwendung von Schimpfwörtern und homophobem Vokabular – eine weitere große Portion Munition.

Anfang Mai begann dies offensichtlich auch Putin zu irritieren, zumal der wütende Prigoschin in einer seiner Reden am 9. Mai bereits unmissverständlich auch den Präsidenten kritisiert hatte. Er sprach vom „glücklichen Großvater“, der sitzt und denkt, dass an der Front alles in Ordnung sei. In der modernen russischen Elite hat nur eine Person den Spitznamen „Großvater“ oder besser gesagt „Bunker-Großvater“: Wladimir Putin.

Dieses Geschehen verdeutlicht den Grad der Zersetzung der russischen Truppen an der Front.

Solche Reden brachten ihn in Konflikt mit Kadyrow, der zuvor freundschaftliche Beziehungen zu Prigoschin gepflegt hatte. Am 14. Mai wandte sich der Führer Tschetscheniens direkt an die Wagner-Kämpfer mit dem Appell, die Gruppe zu verlassen. Und obwohl der Konflikt formell beigelegt wurde, haben die tschetschenischen Kämpfer, die sich als so etwas wie Putins Spezialeinheit zur Bekämpfung innerer Feinde verstehen, offenbar begonnen, ihre Gegner im Wagner-PMC zu sehen.

In den folgenden Wochen eroberte Wagner die letzten bedeutenden Gebiete von Bachmut, die noch unter der Kontrolle der Streitkräfte der Ukraine gestanden hatten, und begann am 1. Juni mit dem Abzug seiner stark angeschlagenen und von etwa 35 000 auf etwa 4 000 Kämpfer reduzierten Gruppierung aus der Stadt. Gleichzeitig geriet eine Gruppe von Kämpfern der 72. Brigade der russischen Armee in einen bewaffneten Konflikt mit ihnen. Sie verminten die Ausfahrtsrouten der Wagner-Gruppe und traten mit ihnen in die Schlacht. Der Brigadekommandeur Roman Venevitin, der die Gruppe anführte, wurde von Wagner gefangen genommen und musste noch am selben Tag vor laufender Kamera den Vorfall bereuen. Zwei Tage später gab er ein ausführliches Interview, in dem er sagte, die Wagner-Kämpfer hätten seiner Einheit militärische Ausrüstung gestohlen, darunter auch Panzer. Darüber hinaus sollen sie seine Kämpfer als Sklaven genommen und gefoltert haben.

Und schließlich sagte Prigoschin während der erfolglosen Kämpfe russischer Aufständischer in der russischen Grenzregion zur Ukraine Belgorod, dass Wagner aus eigener Initiative von seinen Stützpunkten aus in diese Region gelangen könnte. Das wäre zweifellos ein Verstoß gegen die militärische Disziplin. Am 10. und 12. Juni trafen tschetschenische Abteilungen unter der Führung von Delimchanow im Süden der Region Belgorod ein, um die Grenze zu schützen – anstelle der ungebetenen Wagner-Kämpfer.

Dieses Geschehen verdeutlicht den Grad der Zersetzung der russischen Truppen an der Front und erinnert an die Zeit des Endes des Ersten Weltkrieges und des Beginns des Bürgerkrieges im Russischen Reich. Dies steht in krassem Gegensatz zur Ideologie der „Wiederherstellung der Ordnung“ und der Souveränität staatlicher Machtinstitutionen, auf denen das Putin-Regime fast ein Vierteljahrhundert lang aufgebaut war.

Prigoschin erhielt immer wieder Signale, dass Putin mit ihm unzufrieden ist.

Prigoschin erhielt immer wieder Signale, dass Putin mit ihm unzufrieden ist, die meisten davon öffentlich. Er verlor den Zugang zu Putin selbst und zur Führung des Verteidigungsministeriums (mit der er in der Vergangenheit häufig kommuniziert hatte). Anfang Mai ist den Bundesfernsehsendern untersagt worden, Prigoschin und sein PMC Wagner zu erwähnen, obwohl sie zuvor zu den wichtigsten Nachrichtenmachern über den Krieg gehört hatten. Nach der Einnahme Bachmuts weigerte sich Putin, Kämpfer von Wagner zu belohnen, obwohl es in der Russischen Föderation für weitaus geringere Erfolge Auszeichnungen gibt. Dann folgte das Dekret Shoigus. Es ist ein direkter Eingriff in das Geschäft der Wagner-Gruppe, die bisher eine Position außerhalb der Kontrolle offizieller staatlicher Strukturen innehatte.

Wenn Prigoschin nicht mit Schoigu und Putin übereinstimmt, kann Wagner natürlich entwaffnet und aufgelöst werden. Diese Aufgabe könnte höchstwahrscheinlich von tschetschenischen Einheiten übernommen werden. Vor dem Hintergrund der anhaltenden Gegenoffensive der ukrainischen Armee verfügen die russischen Streitkräfte jedoch derzeit schlicht nicht über ausreichend kampfbereite Reserven für eine solche Aktion. Es scheint jedoch, als habe Prigoschin keine andere Wahl, als Schoigus Forderungen nachzukommen, die durch Putins Worte untermauert werden. Seit dem 13. Juni ist Prigoschins öffentliche Tätigkeit – bis auf wenige Ausnahmen – fast zum Erliegen gekommen.

Der Vertrag mit dem Verteidigungsministerium hat seine Vor- und seine Nachteile für die Kämpfer, die sogenannten „Freiwilligen“-Teams. Einerseits „versklavt“ er diejenigen, die sich für die Anstellung in einer Privatarmee entschieden haben, in der Erwartung, dass der Vertrag mit Wagner und anderen ähnlichen Einheiten zeitlich begrenzt ist. Doch das Verteidigungsministerium entlässt derzeit keine Personen, deren Vertrag ausgelaufen ist. Außerdem wird es nur ungern zugelassen, dass Soldaten während ihres Urlaubs nach Hause gehen. Denn nach dem Rückzug der Reserve im vergangenen Frühjahr wollten nur wenige aus dem Urlaub wieder an die Front zurückkehren.

Nach der Einnahme Bachmuts weigerte sich Putin, Kämpfer von Wagner zu belohnen.

Andererseits garantiert ein solcher Kontrakt Sozialleistungen, einschließlich des Zugangs zum System der militärmedizinischen Einrichtungen und einer Rente. Obwohl in Wirklichkeit nicht alle Kriegsbeteiligten diese Vorteile erhalten, wie Putin bei einem Gespräch mit Kriegsberichterstattern am 13. Juni zugab.

Verträge mit dem Verteidigungsministerium haben jedoch nicht nur für die Soldaten der PMCs Auswirkungen. Sie integrieren die Privatarmeen in das System der Armeeführung und bietet dieser eine bessere Kontrolle. Somit wird die Möglichkeit des „Manövrierens“ zwischen den verschiedenen Fronten und zwischen den verschiedenen Machtblöcken in den politischen Strukturen sowie dem Militär ausgeschlossen.

Prigoschin muss sich nun entweder unterordnen, oder auf die erzwungene Entwaffnung seiner Truppen warten. Es ist nicht ausgeschlossen, dass er – wenn er sich entschieden widersetzt – „liquidiert“ wird. Ein Schicksal, das bereits mehrere „Feldkommandanten“ in den Volksrepubliken Donezk und Lugansk getroffen hat, die sich nicht in das System integrieren wollten.