Am 6. Juni 2023 brach die Staumauer des Wasserkraftwerks Kachowka. Die Zerstörung des Dammes wirft ein Schlaglicht auf die großflächige Umweltzerstörung, die der Krieg seit seinem Beginn in der Ukraine verursacht. Der russische Angriffskrieg hat die ukrainischen Ökosysteme schwer geschädigt. Ein umfangreicher Wiederaufbau ist dringend erforderlich und dieser sollte nachhaltig gestaltet werden.

Die unkontrollierte Entleerung des Staubeckens hat dramatische Folgen für Bevölkerung und Umwelt in den umliegenden Regionen der Ukraine. Binnen weniger Stunden mussten tausende Einwohner aus den in Frontnähe gelegenen Ufergebieten evakuiert werden. Durch die toxische Mischung verwesender Tierkadaver sowie giftiger Substanzen drohen Ausbrüche von Seuchen wie Cholera und Typhus. Um die humanitären Ausmaße der Katastrophe einzudämmen, leitete die WHO ein Sofortprogramm ein. Gleichzeitig trockneten oberhalb der Staumauer weite Teile des Kachowka-Reservoirs aus. Die Trinkwasserversorgung der umliegenden Regionen ist immer noch teilweise unterbrochen.

Mindestens 150 Tonnen Maschinenöl spülte die Zerstörung des Wasserkraftwerkes in den Unterlauf des Flusses. Darüber hinaus besteht die Sorge, dass der Dammbruch auch Toxine an die Oberfläche bringt oder flussabwärts anschwemmt, die sich zuvor infolge jahrzehntelanger intensiver Agrarnutzung und der Tschernobyl-Katastrophe im Gewässergrund des Stausees abgelagert hatten.

Doch nicht nur ökologisch ist die Zerstörung des Staudamms eine Katastrophe. Auch die ökonomischen Grundlagen der Ukraine sind betroffen. So ist die Landwirtschaft in den ertragreichen, teilweise russisch besetzten, Schwarzerderegionen gefährdet. Auch die kühlwasserabhängige Industrie ist betroffen. So legte der ukrainische Stahlkonzern ArcelorMittal nach der Zerstörung bereits ein Stahlwerk in Krywyj Rih still. Überdies hat die Flutwelle Landminen mitgerissen, die nun undokumentiert über die Mündungsregion verstreut sind und eine erhebliche und langfristige Gefährdung darstellen. Dies wird auf lange Zeit eine touristische Nutzung der regionalen Fluss- und Küstengebieten erschweren.

Nicht nur in der Ukraine könnte diese Katastrophe einen langfristigen Schaden anrichten.

Nicht nur in der Ukraine könnte diese Katastrophe einen langfristigen Schaden anrichten. Benachbarte Länder könnten von einem potenziellen Schaden durch eine Kernschmelze in Folge eines Zusammenbruchs der Wasserkühlung von Europas größtem Atomkraftwerk in Saporischschja betroffen sein. Diese speist sich aus einem Kühlbecken, welches wiederum aus dem Kachowka-Reservoir versorgt wurde. Da dieses Reservoir nun ausgetrocknet ist, fließt aus ihm kein neues Wasser in das Kühlwasserbecken. Nach Angaben des Generaldirektors der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA, Rafael Mariano Grossi, reicht dieses nur noch für einige Monate, an neuen Kühlmöglichkeiten werde gegenwärtig gearbeitet. Im Juli warnte der ukrainische Präsident Selenskyj außerdem, dass Russland einen nuklearen Zwischenfall im Atomkraftwerk provozieren könne.

Die durch den Dammbruch verursachten Schäden spiegeln im Brennglas wieder, was Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler seit Kriegsbeginn beobachten: Der russische Angriffskrieg hat vielfältige verheerende Auswirkungen auf die lokale Umwelt in der Ukraine, beispielsweise auf ihre Wassersysteme und Biodiversität.

Der durch die Zerstörungen erforderliche aufwändige und langwierige Rekonstruktionsprozess hat bereits begonnen. Im Juli 2022 legte der Nationale Wiederaufbaurat der Ukraine den National Recovery Plan  vor, der 15 nationale Programme zum Wiederaufbau beschreibt. Die Wiederherstellung einer sauberen und sicheren Umwelt wird in diesem Plan an dritter Stelle als eines von vier „strategischen Imperativen“ hervorgehoben und mit einem Finanzbedarf von 20 Milliarden US-Dollar beziffert. Diese hervorgehobene Stellung ist ein konsequenter Schritt, da die ökologischen Komponenten des Wiederaufbaus nicht als schmückendes Beiwerk, sondern als eine strategische Investition in die Zukunftsfähigkeit der Ukraine verstanden werden sollten.

Doch der ökologische Wiederaufbau der Ukraine wird nicht einfach. Damit dieser so wünschenswerte Erfolg gelingt, müssen mehrere Herausforderungen bewältigt werden. Zunächst ist absehbar, dass der Faktor Zeit eine Rolle spielen wird. Dem Wunsch eines möglichst schnellen Wiederaufbaus stehen die Anforderungen gut geplanter und effektiv verwalteter Verfahren gegenüber. Einige Rekonstruktionsmaßnahmen laufen bereits, beispielsweise im zu Beginn des Krieges umkämpften Ort Irpin, nordwestlich von Kiew. Andere Maßnahmen, wie etwa das vollständige Räumen der ausgedehnten Minenfelder oder die Beseitigung anderer Kampfmittel aus Frontbereichen können erst begonnen werden, wenn vor Ort nicht mehr gekämpft wird. Für weitergehende Maßnahmen zur Wiederherstellung der Ökosysteme oder zur demokratisch-partizipativen Umsetzung von Projekten zum Umwelt- und Klimaschutz wären zudem Verfahren zur Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern sinnvoll, da gelungene Beteiligungsformate die langfristigen Erfolgschancen solcher Maßnahmen erhöhen. All diese Verfahren benötigen jedoch Zeit.

Eine zweite Herausforderung besteht in der Zielstellung. Es scheint Einigkeit darüber zu bestehen, dass eine Wiederherstellung des Status Quo der ukrainischen Ökosysteme nicht ausreicht. Erstens sind die Ökosysteme durch erhebliche Altlasten aus sowjetischer Zeit geprägt. Zweitens wird der Klimawandel wahrscheinlich Niederschlagsmengen und Durchschnittstemperaturen in der Ukraine so weit verändern, dass eine Anpassung der vorhandenen Naturräume geboten erscheint. Folgerichtig ist daher auch, dass der Wiederaufbau der Ukraine als ökologische Transformation konzipiert wird. Diesem ambitionierten Ansinnen stehen jedoch andere Ziele gegenüber: So sind durch den Krieg ebenfalls viele tausende Häuser beschädigt oder gar zerstört worden. Die schnelle Wiederherstellung dieses Wohnraums ist, auch angesichts der harschen Winter, dringend geboten.

Es sollte vermieden werden, dass sich die Ukraine zwischen einem Wiederaufbau und einer grünen Transformation entscheiden muss.

Ein weiteres Beispiel ist die schwer getroffene ukrainische Landwirtschaft. Schätzungen der Welternährungsorganisation FAO beziffern die Schäden in diesem Bereich auf über sechs Milliarden US-Dollar. Die Wiederherstellung dieser wesentlichen Einkommensquelle des ukrainischen Staatshaushaltes ist ebenfalls wichtig und dringend. Es sollte vermieden werden, dass sich die Ukraine zwischen einem Wiederaufbau und einer grünen Transformation entscheiden muss. Die internationalen Geldgeber können dazu beitragen, indem sie eine umfangreiche, aber klar auf Nachhaltigkeitsziele ausgerichtete, finanzielle Unterstützung bereitstellen und die administrative Umsetzung flexibel und zügig begleiten.

Eine solche Unterstützung erfordert auch, dass die bereitgestellten Mittel sinnvoll und effektiv eingesetzt werden. Vor Kriegsbeginn erschwerte nicht zuletzt die erhebliche Korruption die Erreichung von Politikzielen. Davon war, zum Beispiel, auch die nachhaltige Bewirtschaftung ukrainischen Wälder betroffen. Entsprechend tragen die Stärkung von Governance-Strukturen und Korruptionsbekämpfung auch dazu bei, eine effektive Umweltpolitik zu ermöglichen.

Schließlich wird auch der Zielkonflikt zwischen Klima- und Umweltschutz eine Rolle spielen. Die bereits erwähnten 20 Milliarden US-Dollar, die die Ukraine für den Umweltschutz eingeplant hat, werden im National Recovery Plan  der Ukraine um 130 Milliarden US-Dollar für den Umbau des Energiesystems ergänzt. Diese Investitionen sind im Sinne der klimapolitischen Zielsetzung des Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen und der Europäischen Union sehr zu begrüßen. Allerdings sind die Konflikte, die zwischen Maßnahmen zum Klima- und zum Umweltschutz auftreten können, gut dokumentiert. Eine kluge politische Steuerung ist erforderlich, um diese beiden – eigentlich zusammengehörenden – Politikziele gleichzeitig zu verfolgen.

Der russische Angriffskrieg hat in der Ukraine viele tausende Menschenleben gefordert und schwere Verwüstungen an den lokalen Ökosystemen verursacht. Es ist gut, dass die Ukraine gemeinsam mit ihren internationalen Partnern bereits jetzt an einem Wiederaufbau arbeitet. Es ist außerdem sehr zu begrüßen, dass dieser Wiederaufbau dezidiert ökologische Ziele verfolgt. Bei der Umsetzung der ambitionierten Pläne gilt es jedoch, verschiedenste Herausforderungen zu meistern. Verfahren zur Bürgerbeteiligung sollten genug Zeit eingeräumt werden. Ein nachhaltiger Wiederaufbau des Wohnungs- und Landwirtschaftssektors sollte durch eine ausreichende und klar zugeschnittene Förderung erleichtert werden. Zur effektiven und effizienten Nutzung der Mittel sind weitere Governance-Reformen erforderlich. Schließlich müssen Wege gefunden werden, um mit Zielkonflikten zwischen dem Umwelt- und Klimaschutz umzugehen.