Zum zweiten Mal haben die tschechischen Bürger ihr Staatsoberhaupt in zwei Wahlgängen im Januar direkt gewählt. Amtsinhaber Miloš Zeman, der sich vor fünf Jahren mit einem deutlichen Vorsprung gegen den liberal-konservativen ehemaligen Außenminister Karel Schwarzenberg durchgesetzt hatte, gewann die Stichwahl gegen seinen Herausforderer Jiří Drahoš, Chemiker und ehemaliger Vorsitzender der Akademie der Wissenschaften. Erwartet worden war ein enges Rennen, und tatsächlich erreichte Zeman mit 51,38 Prozent nur eine knappe Mehrheit. Die Wahlbeteiligung lag mit gut 66 Prozent höher als bei den Stichwahlen vor fünf Jahren. Die Mobilisierung der circa 10 Prozent Wähler und Wählerinnen, die bis kurz vor den Wahlen unentschlossen geblieben waren, gab den Ausschlag für die Bestätigung Zemans in seinem Amt.
Das Ergebnis macht deutlich, wie gespalten das Land ist: Auf der einen Seite eine aus dem ländlichen und den Industriegebieten stammende Bevölkerungsschicht mit einem eher niedrigen Bildungsabschluss, die Angst vor einer ungewissen Zukunft in einer zunehmend globalisierten und digitalisierten Welt hat und in Zeman einen starken Mann sieht, der ihnen Schutz verspricht. Auf der anderen Seite die eher im Dienstleistungssektor beschäftigte, besser ausgebildete urbane Bevölkerung. Diese schämt sich für die regelmäßigen verbalen Entgleisungen ihres alkoholkranken Staatspräsidenten, lehnt dessen Nähe zu Russland und China ab, wünscht sich einen engeren Anschluss an das westliche Europa sowie starke demokratische Strukturen mit einer entsprechenden Debattenkultur. Dass sich im ersten Wahlgang neben Zeman unter den neun angetretenen Kandidaten (eine Frau war nicht dabei) Jiří Drahoš mit Abstand als Herausforderer für die Stichwahlen durchsetzen würde, war keine Überraschung. Dabei stellte der eher konservative und blasse Drahoš, der für eine engere Bindung Tschechiens an die EU und die Nato wirbt, für seine Wähler in erster Linie lediglich den Gegenkandidaten zu Zeman und weniger eine echte Alternative dar.
Zemans Kampagne ging auf und spiegelt das Ergebnis seiner Amtsführung in den vergangenen Jahren wider: er polarisiert. Die „Bösen“ sind die Flüchtlinge, die es in Tschechien nicht gibt, aber vor denen er warnt und die er in unmittelbare Verbindung mit Terroristen und einer EU bringt, der er wenig Positives abgewinnen kann und die er im Zweifelsfall verantwortlich macht für jede Art von Bedrohung. Seine Botschaft auf den vielen Wahlplakaten war einfach: „Stoppt Immigranten und Drahoš! Das Land gehört uns“. Das Spiel mit der Angst seiner Landsleute trifft bei seiner Klientel einen empfindlichen Nerv. Zwar ist Tschechien zurzeit das Land mit der geringsten Arbeitslosigkeit in der EU, aber versprochen hatte man sich von einer Mitgliedschaft in der EU ein schnelleres wirtschaftliches Aufholen. Dass Angst nicht hilft und den gewünschten Schutz ein starker, handlungsfähiger und gestaltungswilliger Staat bieten sollte, ist in dieser noch relativ jungen Demokratie nicht durchgängig verankert. Das gilt auch für die geopolitische Rolle eines vereinten und wertebasierten Europas in einer globalisierten Welt. Ein erheblicher Teil der Bevölkerung – das zeigte der Ausgang der Parlamentswahlen im Oktober – hofft, man könne den komplexen Herausforderungen ausweichen, indem man Schutz in einem nationalen Rückzug findet. Dass Zeman die weitere Mitgliedschaft Tschechiens in der Nato und der EU am liebsten in Referenden entscheiden lassen würde, die Beziehungen zu Russland und China vertieft hat und jüngst bei der rechtsradikalen Partei SPD als Ehrengast aufgetreten ist, scheint diese Bürger wenig zu irritieren.
Ein erheblicher Teil der Bevölkerung hofft, man könne den komplexen Herausforderungen ausweichen, indem man Schutz in einem nationalen Rückzug findet.
Die Wahl des Präsidenten stand gleichzeitig vor dem Hintergrund einer schwierigen Regierungsbildung in Tschechien. Zeman hatte schon vor den Wahlen offen dem Wahlsieger Andrej Babiš das Vertrauen ausgesprochen und ihn zum Ministerpräsidenten ernannt, obwohl gegen diesen strafrechtliche Vorwürfe wegen Missbrauch von EU-Subventionen bestehen. Dagegen hatte Drahoš angekündigt, Babiš nicht als Ministerpräsidenten zu akzeptieren, solange diese Vorwürfe nicht ausgeräumt seien. Die Vertrauensabstimmung im Parlament Mitte Januar hat Babiš erwartungsgemäß verloren; er und seine Regierung sind daraufhin zwar verfassungskonform zurückgetreten, aber bleiben geschäftsführend im Amt. Mit der Gewissheit, dass Zeman Präsident bleibt, kann sich Babiš jetzt Zeit lassen mit der Aufstellung einer neuen Regierung. Das hat Zeman versprochen. De facto aber leitet Babiš bereits das Regierungsgeschäft und hat unverholen geäußert, dass dies ganz in seinem Sinne sei, weil eine Minderheitsregierung ihn nicht zwinge, Kompromisse zu suchen. Da das Parlament die Immunität für Babiš und ANO-Vizechef Jaroslav Faltýnek aufgehoben hat, laufen gleichzeitig Ermittlungen gegen diese beiden Spitzenpolitiker. Zeman sitzt jetzt an einem wichtigen Hebel und gefällt sich in dieser Rolle. Er wird daher alles dran setzen, um seinen Einfluss zu maximieren. Kritiker warnen bereits vor einem Zerfall des politischen Systems in Tschechien und einer stark interessengeleiteten Politik.
Ungewiss ist auch, wohin die tschechischen Sozialdemokraten (ČSSD) steuern, die bei den Parlamentswahlen desaströs als stärkste Kraft abgewählt wurden und mit 7,3 Prozent nur noch auf den sechsten Platz kamen. Mit einem Verlust von 13 Prozentpunkten und Zweidrittel der Mandate war dies das historisch schlechteste Ergebnis für die Partei. Der nach dem Rücktritt von Bohuslav Sobotka im Juni kommissarisch eingesetzte damalige Innenminister Milan Chovanec als neuer Parteivorsitzender ist ein Hardliner in Sachen Abwehr von Bedrohungen durch Waffenbesitz. Aus seiner Nähe zu Zeman machte er am Abend der Präsidentschaftswahlen keinen Hehl und war, zusammen mit dem Vorsitzenden der rechtsextremen SPD (Tomio Okamura), unter den Gästen bei Zemans Veranstaltung zum Wahlausgang. Dies führte zu Kritik von Parteigenossen, die aber ebenfalls überwiegend für Zeman gestimmt haben. Chovanec hat seine Ankündigung, bei den anstehenden Wahlen zum Parteivorstand nicht wieder kandidieren zu wollen, direkt nach dem Sieg von Zeman korrigiert.
Kritiker warnen bereits vor einem Zerfall des politischen Systems in Tschechien und einer stark interessengeleiteten Politik.
Vieles deutet darauf hin, dass der „Zeman-Flügel“ innerhalb der ČSSD im künftigen Parteivorstand eine wichtige Rolle spielen wird. Das hat auch eine Auswirkung auf die Entscheidung, wie man sich in der zukünftigen Regierungskonstellation aufstellen will. Nach wie vor lehnt die ČSSD, wie auch die anderen etablierten Parteien, es ab mit einem Premierminister zu koalieren, der strafrechtlich verfolgt wird. Aber möglich wäre, dass die Partei unter einem neuen Vorsitzenden einknickt, oder Andrej Babiš verzichtet schließlich doch auf den Posten des Regierungschefs. Offen wird daher über eine Regierungskoalition zwischen ANO und ČSSD spekuliert mit Tolerierung durch die kommunistische Partei. Als Koalitionspartner – so die Hoffnung vieler Sozialdemokraten – könnten sie eher an Bedeutung zurückgewinnen, als in der Opposition.
Quo vadis also? Babiš selbst hat nicht vor, Tschechien von der EU weg zu führen. Er hat angekündigt, mehr Präsenz zu zeigen auf dem internationalen Parkett und sich daher auch beim Wirtschaftsforum in Davos blicken lassen. Aber umso stärker er für die Bildung einer Regierung auf die Unterstützung Zemans beziehungsweise der Kommunisten und der rechtsextremen SPD angewiesen sein wird, desto eher wird er Kompromisse machen müssen. Inwieweit er in den europafeindlichen Kanon der Regierungen in Polen und Ungarn einstimmen wird beziehungsweise demokratische Strukturen in seinem Land zurückfährt – wie beispielsweise die Pressefreiheit – bleibt abzuwarten. Ganz sicher jedenfalls wird Tschechien kein echtes Gegengewicht zu diesen beiden Staaten in der Visegrád-Region sein. Das wurde auf dem Treffen der Regierungschefs dieser V4-Staaten im Januar deutlich: In der dort veröffentlichten Erklärung heißt es, dass sie sich gegen die Vorschläge für mehr Integration der EU wenden und das Recht der Mitgliedstaaten fordern, „innenpolitische Reformen innerhalb ihrer Kompetenzen durchzuführen“.