Wie reagiert die russische Bevölkerung auf den Einsatz russischer Luftstreitkräfte in Syrien?
Nach eineinhalb Jahren militaristischer Hysterie und imperialistischer Propaganda sehen die Bürger Russlands den militärischen Einsatz in Syrien positiv. Es scheint, als ließen sich die Chefs der russischen TV-Sender von dem Orwell-Roman 1984 leiten. In diesem Roman führt das totalitäre Ozeanien ununterbrochen Krieg: mal gegen Eurasien, mal gegen Ostasien. Ist die Bevölkerung müde von einem Krieg, wird ihr der andere serviert. So auch jetzt: Russland geht von einem Krieg gegen die „faschistische“ Ukraine auf einen Krieg gegen den „faschistischen“ IS über. Die russischen Militärpropagandisten handeln momentan nach den Mustern, die die Amerikaner für den ersten Krieg im Persischen Golf entwickelt haben.
Vor 25 Jahren hat die Welt das revolutionierte Kriegsgeschäft vor Augen gehalten bekommen: Flügelraketen starten hunderte Kilometer entfernt vom Ziel und treffen bis auf den Meter präzise den feindlichen Stab. Sattelitenbilder machen die Bombardements zu einem Computerspiel. Der russische Durchschnittsbürger mag es, bei einem siegesreichen Krieg von seiner Fernsehcouch aus mitzumachen. Doch alle Meinungsumfragen belegen, dass die Russen einen umfassenden Militäreinsatz mit hohen Opferzahlen entschieden ablehnen. Der Kreml kennt diese Grenzen. Ein Beweis dafür ist der im August letzten Jahres abgebrochene Angriff russischer Truppen auf Mariupol: Zwar war der Einsatz war ein Erfolg, die Fortsetzung hätte aber zu schwere Verluste versprochen. Es besteht kein Zweifel, dass das Afghanistan-Syndrom, also die Angst vor umfassenden Militäreinsätzen im Ausland, sowohl bei den russischen Eliten als auch bei den meisten Bürgern verbreitet ist.
Welches Ziel verfolgt Russland in Syrien?
Es gibt mehrere Ziele. Das Hauptziel formulierte Wladimir Putin kürzlich in einem Interview: die „Stabilisierung des Regimes“. Assad zu retten, ist für den russischen Präsidenten von prinzipieller Bedeutung. Aus seiner Rede in der UN-Vollversammlung kann man schlussfolgern, dass auch ein autoritärer Anführer in seinen Augen legitim ist – und das Volk kein Recht hat, diesen zu stürzen. Jegliche „Farbrevolutionen“ seien nach Putins Meinung die Folge von einer Verschwörung externer Kräfte – dem State Department der USA, der CIA oder dem MI-6. Der brutale Mord an Gaddafi hat den russischen Präsidenten außerordentlich stark geprägt. Jeder, der Putins Reaktion auf den Tod von Gaddafi gesehen hat, konnte sehen, wie tief getroffen er war. Es war offensichtlich, dass er dasselbe Szenario für sich im Kopf abspielt.
Ein weiteres strategisches Ziel Russlands ist die Überwindung der internationalen Isolation, zu der die Krim-Annexion und der hybride Krieg in Donbass geführt haben. Der Kreml setzt auf die Idee einer antiterroristischen Koalition und will damit wieder respektables Mitglied der internationalen Staatengemeinschaft werden. Es ist klar, dass dieser Plan nicht in Erfüllung gegangen ist. Die einzige Errungenschaft war das Treffen mit Barak Obama, welches notwendig war, um Unfälle bei Einsätzen in der Luft zu verhindern. Auf weiteren Kontakt mit dem Kreml ist der Westen nicht eingegangen.
Könnte Russland seine Interessen in Syrien weiter durchsetzen, wenn Assad die Bühne verlässt?
Die Frage ist, ob Russland, sprich der heutige Kreml, sonstige Interessen neben der Assad-Unterstützung hat. Man spricht zum Beispiel über die Bekämpfung von Terroristen, die aus Russland nach Syrien kommen. Es ist aber offensichtlich, dass ein Sieg zur Rückkehr von Extremisten nach Russland führen würde. Ein weiteres Thema ist der Marine-Versorgungsstützpunkt in Tartus. Doch der Wert dieses Stützpunktes ist gering, besonders in Anbetracht des hohen Preises eines Militäreinsatzes, hinsichtlich des finanziellen Aufwandes und eines eventuellen blutigen Dauerkrieges. Wertvoll für Russland sind die Waffenlieferungen an die syrische Armee. Es ist durchaus fraglich, ob die gelieferten Waffen bezahlt werden, sogar in der jetzigen Situation, wenn Assad an der Macht ist. Die Irak-Erfahrung zeigt allerdings, dass die seit Sowjetzeiten etablierten Beziehungen mit Eliten sogar nach einem Machtwechsel fortbestehen. Ich vermute trotzdem, dass Putin sein Interesse an der Syrien-Frage mit der Abdankung von Assad verlieren würde.
USA, Türkei, Frankreich und Russland – all diese Staaten fliegen Luftangriffe auf Syrien. Wohin führt das? Wird es nur beim Luftkrieg bleiben?
Die Erfahrung der letzten 20 Jahre zeigt, dass Luftschläge die effizientesten und einfachsten Kriegshandlungen sind. Hochentwickelte Staaten kontrollieren zu hundert Prozent den Luftraum. Moderne Aufklärungs- und Ortungssysteme ermöglichen es, unterschiedliche Ziele aufzuspüren, zu zerstören und somit Versorgungssysteme auszuschalten. Es ist aber offensichtlich, dass durch Luftstreitkräfte allein das Territorium nicht gesichert werden kann. Und wenn so ein Gefechtsziel formuliert wird, dann ist der Bodeneinsatz unausweichlich. Dafür ist eine Bodentruppe von mindestens 150.000 Mann erforderlich. Doch nicht einmal bei dieser Truppenzahl kann der Erfolg von so einer Operation garantiert werden. Denken Sie bloß an die Misserfolge der westlichen Koalition in Afghanistan und dem Irak. Man muss zugeben, dass es in den letzten 50 Jahren fast keine Beispiele einer erfolgreichen Bekämpfung von semi-militärischen Truppen durch eine reguläre Armee gegeben hat. Ein Paradoxon des 21. Jahrhunderts besteht darin, und das ist den Politikern leider nicht bewusst, dass nicht einmal militärische Überlegenheit allen Sicherheitsherausforderungen gerecht werden kann.
Millionen von Menschen fliehen vor dem Syrienkrieg. Wie schaut man in Russland auf die Flüchtlingskrise? Macht sich Russland Sorgen um dieses Problem?
Momentan sorgt sich Russland kaum. Für die wenigen Flüchtlinge, die zu uns kommen, ist Russland nur ein Transitland. Seien wir ehrlich: Die russische Gesetzgebung sieht, im Gegensatz zur deutschen oder schwedischen, überhaupt keine Rechte für Flüchtlinge vor. Sogar die Russen, die aus ehemaligen Sowjetrepubliken kommen und in Russland eingebürgert werden wollen, haben riesige Schwierigkeiten damit. Die Asylbewerber aus dem Nahen Osten wären dann mit noch größeren Schwierigkeiten konfrontiert. Die Flüchtlinge wissen, was sie in Russland erwartet, deshalb ist mein Land auch nicht oben auf ihrer Prioritätenliste. Die Situation kann sich aber dramatisch ändern, wenn sich die Lage in Zentralasien zuspitzt und es zu Bürgerkriegen in den ehemaligen Sowjetrepubliken kommt, was durchaus möglich ist, wenn die Taliban in Afghanistan die Macht ergreifen. Die Russland-Kasachstan-Grenze ist viel länger als die Grenze zu China – sie existiert aber nur auf dem Papier. Beim schlimmsten Szenario können Tausende von Flüchtlingen in die Grenzregion Orenburg kommen. Der Kreml hat 2011 die schnelle Einsatztruppe im Rahmen der Organisation des Vertrages für kollektive Sicherheit (OVKS) ins Leben gerufen, um auf solche Konflikte in der frühen Phase reagieren zu können.





11 Leserbriefe
die bösen Russen (die, die an der Macht sind).
Seriöse Analysten beurteilen die Lage um Europa herum realistisch.
Europa (Gesamt: Ost und West) haben ein vitales Interesse an stabilen Staaten im Nahosten. Wozu die Entfernung (...) von Gaddafi und Hussein geführt hat sehen wir jetzt: Chaos. Der Jemen ist der nächste fallling state und Syrien hat nur noch Assad, der um Damaskus herum herrscht: dorthin flüchten viele Syrer, weil schlicht und ergreifend dort noch so etwas wie ein Staat besteht. Assad zu beseitigen heißt das Chaos vergrößern - leider. Deshalb ist die Erhaltung der syrischen Regierung (Assad) alternativlos. Das ist keine Frage der Moral sondern ein Gebot der Vernunft.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat sich der Einflußbereich der NATO - ob es entsprechende persönliche Absprachen gab oder nicht ist dabei verhältnismäßig egal - bis an die Grenzen der füheren SU ausgedehnt, wobei RUS dem nur mehr oder weniger taten- und wirkungslos zusehen konnte.
Die mögliche Ausgangsfront rückte wieder ganz dicht an die eigene Grenze heran.
Die RUS konventionellen Streitkräfte waren chronisch unterfinanziert, wurden massiv reduziert und durch Umstrukturierungen bis an die Grenze der Einsatzunfähigkeit heruntergewirtschaftet.
Die wenigen verfügbaren Mittel flossen in die Modernisierung der Atom-Streitkräfte (neue Uboote, neue Raketen), um in dieser strategischen Feld mit der einzigen verbliebenen Supermacht, den USA, auf Augeshöhe mithalten zu können.
Der Verhandlungspartner für RUS, auch in Sicherheitsfragen, war immer die USA, von Supermacht zu Supermacht. So ließ RUS das NATO-Programm "Partnership for Peace" auch schnell links liegen, weil es vermutlich glaubte, dort nie eine den USA vergleichbare Position einnehmen zu können. Zudem machten die NATO-entkoppelten Militärkampagnen der USA bald klar, dass die NATO als entscheidender Global Player nicht mehr geeignet war.
Die USA dehnten ihre Einfluß- und Interessenssphäre weiter ungeniert aus und ließen nach meiner Einschätzung keine Gelegenheit ungenutzt, die RUS Interessensspäre auszuhöhlen.
Nach der wirtschaftlichen Konsolidierung und der Rekonstruktion der konventionellen Streitkräfte hat RUS u.a. in Georgien gezeigt, dass es bereit ist, diese für den Schutz seiner Interessen einzusetzen. Mit der Verlegung von Truppen aus Afghanistan in den Irak zum Sturz von Hussein haben die USA ihre militärischen Möglichkeiten überdehnt. Sie haben den Taliban in AFG die Möglichkeit gegeben, sich zu reorganisieren, ohne im Irak stabile Strukturen schaffen zu können.
Die USA und auch die NATO standen der Besetzung der Krim und den Kämpfen in der Ost-Ukraine damit hilf- und tatenlos gegenüber, eine militärische Option, die sonst immer ganz schnell nicht ausgeschlossen wird, wurde von entscheidender Stelle auch nur im Ansatz erwähnt.
Von daher ist es nicht verwunderlich, dass RUS den Spieß jetzt umdreht und die Machtposition der USA erodiert. Zumal ich die Einschätzung von Herrn Goltz nicht teile, dass Tartus ein völlig unbedeutender Stürzpunkt ist.
Sevastopol gehört nebe Murmansk und Wladivostock zu den drei wesentlichen RUS Flottenstützpunkten. Von Sevastopol aus ist Tartus relativ schnell erreichbar. Weil die Passage für Kriegsschiffe durch den Bosperus völkerrechtlich nur eingeschränkt möglich ist, ist die schnelle Verlegung größerer Verbände in des Mittelmeer und zurück logistisch problematisch. Zudem wird der Zugang zum Schwarzen Meer durch die NATO-Mitglieder Türkei und Griechenland kontrolliert. Die Abstützung der Versorgung auf Tartus kann mindestens zwei Zielsetzungen ermöglichen:
Erstens: Aufbau einer lange aufrecht zu erhaltenen Flottenpräsenz im Mittelmeer, das derzeit von Einheiten der NATO und EU intensiv genutzt wird und das als Einsatzgebiet der schnell aufwuchsfähigen 6. US-Flotte vorgesehen ist.
Zweitens: Verlegung in den Bereich Indischer Ozean. Dabei sind die vielen Anti-Piraterieeinsätze eher untergeordnet. Aus marinestrategischen Überlegungen ist es aber durchaus plausibel, hier einen Stützpunkt aufzubauen, nachdem FRA, GBR/USA und CHN in diesem Bereich bereits über Stützpunkte verfügen oder solche planen.
Die Aufrüstung der Flotten IND und CHN sowie ungelöste territoriale Konflikte im Südostasiatsichen Bereich macht es interessant, maritime Kräfte sowohl östlich wie auch westlich der Konflikzone abstützen zu können.
Ich bin davon überzeugt, dass die RUS Strategie nicht nur die Landkarte, sondern spätestens seit Admiral Gorshkov auch den Globus kennt. Sevastopol und Tartus dürften in der Maritimen Strategie eine so bedeutende Rolle spielen, dass RUS einen Verlust um fast jeden Preis verhindern wird.
Und wenn man damit auch noch gegen die USA stichel und dem Westen sein Versagen vorführen kann, um so besser.
Daher bin ich davon überzeugt, dass es in Syrien keinen Machtwechsel geben wird.
Ich teile auch die weiter oben geäußerte Ansicht, dass ein Machtwechsel die Region weiter destabilisieren wird, womit niemandem geholfen wäre.
Würden wir hier ein Wachstum und eine Entwicklung haben, wie sie derzeit in Russland abgeht, hätten wir weniger Sorgen. Wir sollten schleunigst das Großmachtgehabe einiger westlicher Staaten und zuerst das eigene ablegen und die UNO-Charta respektieren, die vorschreibt, sich nicht in innere Angelegenheiten anderer Staaten einzumischen.
Wir sind ja noch nicht einmal fähig, das Flüchtlingsproblem anzugehen, sondern administrieren typisch Deutsch den Mangel!
Und wenn ich vor Wochen in einem Beitrag schrieb, die EU werde an der Flüchtlingsfrage zerbrechen, dafür einigen Widerspruch erntete, brauchte es nur wenige Wochen, um meine Annahme leider Wirklichkeit werden zu lassen. Es ist nur noch ein Trauerspiel!