Die Präsidentschaftswahlen in Frankreich 2022 werfen ihre Schatten voraus. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung (70 Prozent) möchte ein Duell zwischen Präsident Macron und Marine le Pen unbedingt vermeiden. Sämtliche Wahlumfragen allerdings deuten genau darauf hin. Einzig Xavier Bertrand, konservativer Regionalpräsident der nordfranzösischen Region Hauts-de-France, könnte es derzeit außer den beiden in die zweite Runde schaffen.
Im linken Lager hat bisher nur Jean-Luc Mélénchon als Vorsitzender der linksextremen Partei La France Insoumise (LFI) offiziell seine Kandidatur erklärt. Doch weder er noch andere Protagonisten der Linken scheinen in der Lage zu sein, das Steuer noch herumzureißen. Anne Hidalgo, die Bürgermeisterin von Paris, wird wahrscheinlich von den Sozialisten aufgestellt; Yannick Jadot von den Grünen. Doch keiner der drei erhält bisher mehr als 10 Prozent in den Umfragen. Um die zweite Runde zu erreichen, bräuchte es jedoch mindestens 20 Prozent.
Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung möchte ein Duell zwischen Präsident Macron und Marine le Pen unbedingt vermeiden.
Noch 2012 unter Präsident François Hollande dominierte die Linke das Parlament. Neun Jahre später wirkt es, als hätte sie sich komplett aufgelöst. Wie konnte es soweit kommen? Wieviel Hoffnung gibt es, dass sie demnächst trotzdem eine Rolle spielt?
Betrachten wir zunächst einmal den Zusammenbruch 2017. Nach den verlorenen Kommunalwahlen von 2014 stimmte die Stammwählerschaft der Sozialistischen Partei bei den Präsidentschaftswahlen teils für den Anführer der extremen Linken, Jean-Luc Mélenchon, und teils für Emmanuel Macron. Ohne diese Stimmen wäre Macron nicht gewählt worden. Viele sahen in ihm den Erben eines angestaubten Sozialismus, der nun die Modernisierung einläuten würde. 47 Prozent der Wählerinnen und Wähler, die 2012 noch bei François Hollande ihr Kreuz gemacht hatten, wählten Macron in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl. Bei den anschließenden Parlamentswahlen sah es nicht besser aus: Mit nur etwa dreißig gewählten Abgeordneten war die Sozialistische Partei zu Beginn der laufenden fünfjährigen Wahlperiode ausgeblutet. Viele sagten ihr bereits den endgültigen Niedergang voraus.
Den Umfragen zufolge sind die Wählerinnen und Wähler der Sozialistischen Partei seither nicht dauerhaft zurückgekehrt. So gelang es den Grünen, sich bei den Europawahlen 2019 als ernsthafte Konkurrenz im linken Lager zu behaupten – bei Europawahlen hatten sie schon zuvor gut abgeschnitten. Doch die Kommunalwahlen im Frühjahr 2020 brachten den Sozialisten überraschenderweise einen Erfolg. Während Präsident Macrons Partei LREM (Die Republik in Bewegung) eine Niederlage erlitt, konnten die Sozialisten sich dank ihrer soliden Verankerung in den Städten und Gemeinden behaupten.
Viele sahen in Macron den Erben eines angestaubten Sozialismus, der nun die Modernisierung einläuten würde.
So eroberten sie Nancy sowie – zusammen mit der grünen Partei EELV – Marseille und Bordeaux. In großen Städten wie Lille, Paris, Brest, und Montpellier konnte sie die Rathäuser halten. Dieser Erfolg kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie kein verständliches, glaubwürdiges und ambitioniertes Gesellschaftsprojekt vorweisen können. Auch eine starke Identifikationsfigur fehlt. Für die Direktwahlen zur Präsidentschaft ist eine solche aber unerlässlich.
In einem Frankreich am Rande des Nervenzusammenbruchs, innerlich zerrissen über Themen wie Sicherheit, Laizismus, Europa, Arbeitslosigkeit und die Vermögensverteilung, verkörpert die Linke inzwischen das gallische Dorf. Sie ist nicht mehr in der Lage, klare und von der Bevölkerung akzeptierte Prinzipien vorzugeben.
Zwischen EELV und PS wäre eine gemeinsame Kandidatur wohl noch denkbar. Beide Parteien sind sich darüber im Klaren, dass sie im Alleingang nicht siegen werden. Doch ein Schulterschluss mit der linken LFI ist wesentlich schwieriger. Das liegt zunächst einmal an der Person ihres Anführers Jean-Luc Mélenchon. Er hegt noch immer Rachegelüste gegenüber seinen früheren Weggefährten in der Sozialistischen Partei. Auch inhaltlich sind die Differenzen groß, so wenn es um den Laizismus und das Verhältnis zum Islam geht – einem in Frankreich generell hochexplosiven Thema. Auch in Wirtschaftsfragen, bei denen sich Mélenchon an der südamerikanischen Linken orientiert, oder bei der Ausgestaltung der internationalen Beziehungen sind die Unterschiede enorm.
Würde die Linke sich auf Augenhöhe mit dem rechten Lager befinden, könnten diese unterschiedlichen Strömungen einander sinnvoll ergänzen. Angesichts ihrer derzeitigen Lage aber wirkt jede Abspaltung zerstörerisch. Es empfiehlt sich für alle, einen kleinen Schritt auf den anderen zuzugehen. Die für den Juni anstehenden Regionalwahlen lassen allerdings erahnen, dass es auf dem Weg in die Zukunft noch tiefe Gräben zu überwinden gilt.
Nur in wenigen Regionen zeichnet sich eine Einigung zwischen den linken Parteien schon für die erste Runde ab. Stattdessen setzt jeder darauf, ein besseres Ergebnis als der andere zu erzielen, um ihm anschließend mit dem Hinweis auf die drohende Bedeutungslosigkeit die eigenen Bedingungen aufzwingen zu können.
Dass die Linke 2015 ihre traditionelle Hochburg Hauts-de-France verloren hat, zwingt sie dort zu einer Allianz gegen den Rassemblement National und gegen Xavier Bertrand, der bei den Wahlen 2022 ein ernstzunehmender Gegner sein wird. Wie das funktioniert, bleibt abzuwarten. Es dürfte Auswirkungen auf die künftige Strategie des linken Lagers haben.
Von einer umfassenden gesellschaftlichen Vision der französischen Linken ist derzeit wenig zu hören.
Dann wäre da noch die Wahl eines Kandidaten. Braucht man eine Vorwahl? Diesen Weg schlägt die Partei EELV ein. Für Yannick Jadot, ihren einstigen Spitzenkandidaten bei den Europawahlen, könnte es das Aus bedeuten. Die französischen Grünen pflegen ihre Anführer im Namen einer kollektiven Vision der Macht zu opfern, die mit den französischen Institutionen unvereinbar ist. Es gibt jedoch auch schon Stimmen, die vor dieser Falle warnen.
Von einer umfassenden gesellschaftlichen Vision der französischen Linken ist derzeit wenig zu hören. Die Covid-Krise bietet ihr zwar die Möglichkeit, soziale Themen zu betonen und läßt den Keynesianismus wiederaufleben, aber derweil spaltet sie sich weiter. Es scheint, als müsse sie erst ganz unten ankommen, bevor ein Retter in Erscheinung treten kann. Die französische Kultur ist geprägt von der Vorstellung eines großen Retters. Bisher scheint es unmöglich, diese Idee mit einem kollektiven Projekt zu vereinen.