G20

„What ever it takes“: Diese drei (entscheidenden) Worte Mario Draghis aus der Eurokrise 2012 bemühten auch die Mitglieder der G20 auf ihrem Treffen Ende März, auf dem sie versprachen, alles Notwendige zu tun, um die Pandemie und die negativen ökonomischen Folgen zu überwinden. Nur: Die globale Bazooka haben die 20 stärksten Volkswirtschaften der Welt noch nicht auf den Tisch gepackt. Bisher fehlt es weitgehend an konkreten Verpflichtungen, aber auch an politischer Führung. In der globalen Finanzkrise 2008/2009 hat sich die Zusammenarbeit innerhalb der G20 ausgezahlt. Die Gruppe hat es damals geschafft, mit einer koordinierten Politik ein sicheres Fundament unter die taumelnde Weltwirtschaft zu legen. Zehn Jahre später, die durch Misstrauen zwischen den Staaten, durch Machtpolitik zu Lasten internationaler Organisationen und Handels- und Technologiekonflikte geprägt waren, scheinen nun die Beziehungen innerhalb der G20 selbst in Zeiten größter Not nicht mehr flexibel genug zu sein, um gemeinsam reagieren zu können.

So wurden die von den G20 angekündigten fünf Billionen Euro, die sie in die Weltwirtschaft investieren wollen, bereits durch die nationalen Maßnahmen einzelner Länder erreicht. Diese summierten sich Mitte April auf 5,4 Billionen US-Dollar, circa 8 Prozent des BIP der G20, wobei der Großteil auf die etablierten Industrieländer entfällt. China hält sich im Vergleich zur Finanzkrise bisher stark zurück, und bei den anderen Schwellenländern sind die Spielräume für fiskalische Maßnahmen aufgrund der massiven Kapitalflucht seit Beginn der Krise und der Verschuldung sehr eng. Hier liegt auch der Knackpunkt bei den Auseinandersetzungen innerhalb der G20: Wie soll den Schwellen- und Entwicklungsländern geholfen werden, die nicht über die eigenen Ressourcen verfügen, die Krise zu überwinden?

Die Beziehungen innerhalb der G20 scheinen selbst in Zeiten größter Not nicht mehr flexibel genug zu sein, um gemeinsam reagieren zu können.

Unter dem Druck des IWF haben sich die G20 Mitte April dazu durchgerungen, 77 Ländern bis Ende 2020 ein Schuldenmoratorium zu gewähren und die Zins- und Tilgungszahlungen einzufrieren. Das ist sicherlich ein Erfolg, lässt es doch das dringend benötigte Geld kurzfristig in den Ländern. Zudem haben zum ersten Mal auch Staaten wie China und Indien, die nicht dem Pariser Club von staatlichen Gläubigern angehören, einem Moratorium zugestimmt. Wenn es jedoch nicht zu einer umfassenden Schuldenstreichung kommt, dann ist die Schuldenkrise nicht behoben, sondern nur verschoben. Besonders umstritten ist der Punkt, ob der IWF seine Reservewährung (Sonderziehungsrechte) neu ausgeben darf, um damit effizient den Liquiditätsengpässen in einigen Ländern zu begegnen. Bisher sperren sich vor allem die USA gegen das Vorhaben, weil sie fürchten, dass Teheran und Peking davon profitieren könnten.

Auch bei der unmittelbaren gesundheitspolitischen Krisenbekämpfung gibt es einen starken Kontrast etwa zur Ebola-Krise 2014, wo die G20 noch gemeinsam auf den Ausbruch in Westafrika reagiert haben. Zwar sieht der G20-Aktionsplan zu Covid-19 vor, dass internationale Organisationen die Mitglieder unterstützen sollen, sowohl um die gesundheitspolitischen Ziele zu erreichen, als auch um die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Dennoch blockierten die USA ein separates Kommuniqué der G20-Gesundheitsminister, das sich für eine Unterstützung der WHO aussprach. Auch hier liegt der Grund in den wachsenden Rivalitäten zwischen China und den USA, die der Weltgesundheitsorganisation eine zu große Nähe zu Peking vorwerfen.

Die G20 wurden für eine robuste multilaterale Antwort genau in solchen Krisenzeiten geschaffen. Im Moment ist das Forum jedoch weniger als die Summe seiner Teile. Sie ähneln eher der G-Zero-Welt (Ian Bremmer), in der keiner mehr fähig oder willens ist, die Führung zu übernehmen. Das wird sich in wenigen Wochen und kurz vor den US-Wahlen nicht substanziell ändern lassen. Dennoch sollten Deutschland in der EU-Ratspräsidentschaft und die europäischen Länder um Italien, das im Dezember den Vorsitz der G20 übernimmt, ein klares Signal aussenden, dass sie auch in der G20 die Restbestände des Multilateralismus verteidigen und die Organisationen schützen werden, die es braucht, um die Folgen der Pandemie zu meistern.

Jochen Steinhilber, FES Berlin

Vereinte Nationen

Die Corona-Pandemie macht einmal mehr deutlich, wie sehr eine vernetzte Welt ein globales Krisenmanagement benötigt. Die Vereinten Nationen hätten das Potenzial dazu. Im Laufe der letzten 75 Jahre wurden sie zu einem Ort der globalen Normensetzung; sie haben wichtige Ideen und Initiativen vorangetrieben. Die Kapazitäten für die Operationalisierung gleichwohl sind beschränkt, während die Erwartungen an die Organisation hoch sind. Zum Vergleich: Das UN-Kernbudget entspricht ungefähr dem Haushalt der Stadt Stuttgart.

Ein großes Manko in den 75 Jahren der Vereinten Nationen – der Mangel an einer globalen Öffentlichkeit mit einem Bewusstsein für die Vernetztheit der Welt – wirkt sich gerade jetzt besonders deutlich aus: Maßnahmen der UN werden wenig wahrgenommen, die lokale und nationale Ebene steht für fast alle Bürgerinnen und Bürger im Vordergrund. An diesem Tatbestand kann die UN in New York wenig ändern – es wäre Aufgabe der Nationalstaaten, ihrer Regierungen und Parteien, der Zivilgesellschaft, Medien und Öffentlichkeit.

Aktuell sind auch die Vereinten Nationen in New York vom shutdown unmittelbar betroffen, der „Bienenkorb“ in New York ist verwaist und tagt ausschließlich virtuell. In ihrem am 23. April vorgestellten Programm A UN framework for the immediate socio-economic response to Covid-19 deklarieren die Vereinten Nationen den emergency modus. Sie identifizierten fünf Arbeitsbereiche für die Bekämpfung der Pandemie und ihrer Folgen. Ein bedeutender Teil der Mittel zur Umsetzung der Nachhaltigen Entwicklungsziele soll dafür zur Verfügung gestellt werden.

Die Generalversammlung hat am 20. April einstimmig eine Resolution zur Kooperation im Bereich der Ausstattung mit Impfmitteln, Tests und Schutzequipment verabschiedet und diese als Global Public Goods deklariert. Generalsekretär António Guterres forderte am 23. März die Welt auf, während der Pandemie einen globalen Waffenstillstand einzuhalten. Zudem wurden zwei Covid-19 Fonds zur Unterstützung der humanitären Hilfe und des sozioökonomischen Wiederaufbaus aufgelegt. Der UN- Sicherheitsrat wird sich am 30. April mit der Frage beschäftigen, ob Covid-19 als eine Bedrohung von Frieden und Sicherheit einzustufen ist – und damit in die Zuständigkeit des Sicherheitsrates fällt.

Die Vereinten Nationen können als Mitgliedsorganisation und diplomatische Plattform nur so stark sein wie der politische Wille der Mitgliedsstaaten.

Andere UN-Organisationen und Programme haben empirische Analysen zu den Folgen von Covid-19 erarbeitet. Sie machen einmal mehr deutlich, dass eine Pandemie kein „Gleichmacher“ ist, sondern bestehende Ungleichheiten innerhalb von Staaten und zwischen Staaten massiv verstärkt werden – wenn nicht dezidiert gegengesteuert wird. Generalsekretär Guterres drängt darauf, bei allen Konsolidierungsmaßnahmen die Menschenrechte zu stärken und integrierte Antworten auf allen Krisenebenen – Gesundheit, Wirtschaft/Finanzen und Klima – zu finden. Die 2030-Agenda bietet dafür den normativen Rahmen.

Die Vereinten Nationen können als Mitgliedsorganisation und diplomatische Plattform nur so stark sein wie der politische Wille der Mitgliedsstaaten. Auch wenn die UN-Charta mit „We the peoples“ beginnt, sind es Nationalstaaten, die die Basis dieser multilateralen Organisation bilden und diese stärken oder schwächen können. Seit einigen Jahren wächst die Zahl der Staaten, die den Zusammenhang zwischen nationalstaatlichem Patriotismus und internationaler Solidarität im 21. Jahrhundert nicht erkennen.

In Zeiten starker geopolitischer und -ökonomischer Spannungen ist es nicht einfach, in den Modus der pragmatischen Zusammenarbeit zu wechseln. Ein koordiniertes Vorgehen bedarf des politischen Willens auf globaler Ebene – auch hier sind die Nationalstaaten in ihrem eigenen Interesse gefragt. Die 2019 gegründete Alliance for Multilateralism, aber auch Zusammenschlüsse progressiver zivilgesellschaftlicher Kräfte wie die Progressive Alliance, sind wichtige Akteure auf diesem Spielfeld. Um die Wirksamkeit der UN als einzigem wirklich globalen und universellen Akteur zu erhöhen, kommt es außerdem auf die aktive Zusammenarbeit mit regionalen und plurilateralen Organisationen und Akteuren (wie EU, AU, ASEAN und bspw. den G20) an. Eine bessere Verzahnung zwischen der UN in New York und den internationalen Finanzinstitutionen wie IWF und Weltbank in Washington könnte beide Organisationen stärken und die Wirksamkeit der Post-Pandemie-Programme erhöhen.

Luise Rürup, FES New York

IWF

Schon im letzten Jahr äußerte sich der IWF besorgt über Warnzeichen eines möglichen Zusammenbruchs der Finanzmärkte. Im Zentrum stand die schwindelerregende Anhäufung von Unternehmensschulden zur Übernahme finanzieller Risiken. Außerdem, so warnte der IWF, liege das Risiko nicht nur im privaten, sondern auch im öffentlichen Sektor. Die öffentlichen Schuldenquoten befanden sich auf einem historischen Hoch. Die Abhängigkeit der ärmsten Länder von Auslandskrediten erhöhte das Risiko von Schuldennotständen. Es war zu dem Zeitpunkt klar, dass das globale Finanzsystem – natürlich auch teilweise aufgrund des Erbes der globalen Finanzkrise 2008 – in hohem Maße anfällig für Schocks ist.

So unterschiedlich die Faktoren sind: Wie schon bei der letzten Krise kann man ihre wirtschaftlichen Auswirkungen nicht verstehen, wenn man die Ungleichgewichte in den internationalen Handels- und Kapitalflüssen außer Acht lässt. Ihr Ursprung liegt Ende der 1990er Jahre. Als selbsternannter „Weltwirtschaftsrat“ war die G20 1999 die Antwort auf die Finanzkrisen in den Schwellenländern. Dabei gibt es eine Institution, der alle Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen angehören: der IWF. Aber diese Struktur funktionierte nicht sehr gut. Die G20 hat sich dagegen mit einer Antwort auf die Finanzkrise 2008 zunächst als effektiv erwiesen. Das Verhältnis zwischen IWF und G20 ist kompliziert.

„Außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliche Maßnahmen“, sagte Kristalina Georgieva in ihrer Eröffnungsrede der virtuellen Frühjahrstagung am 15. April 2020. Um den wirtschaftlichen Kollaps zu verhindern, ist eine Lehre aus der Finanzkrise 2008: so schnell wie möglich so viel Geld wie möglich ausgeben. In vielerlei Hinsicht ist der IWF vorgeprescht, um hilfesuchenden Ländern massive Ausgaben für den Umgang mit der Covid-19-Krise zu ermöglichen. Zum einen wurde die Notfallkapazität des IWF für schnelle Auszahlungen verdoppelt, um den erwarteten Bedarf von rund 100 Milliarden Dollar zu decken. 103 Länder waren wegen Notfallfinanzierung an den IWF herangetreten. Es gibt zusätzlich ein komplett neues Instrument für kurzfristige Finanzhilfen. Zum anderen erlauben Treuhandfonds Schuldendiensterleichterungen.

Bisher scheint die einzige Bedingung zu sein, dass die Länder sich im Großen und Ganzen verpflichten, freiwerdende Mittel für ihren Gesundheitssektor auszugeben. Die Tragik liegt darin, dass in der Vergangenheit die vom IWF am häufigsten verordneten Anpassungsmaßnahmen im Globalen Süden Gesundheits-, Renten- und Sozialversicherungsreformen waren, sowie Lohnkürzungen im öffentlichen Sektor einschließlich Gesundheitspersonal. Nach 2008 war der IWF flexibler geworden, bspw. bei den Kapitalverkehrskontrollen – das aber gegenüber Westeuropa, nicht bei  Niedrigeinkommensländern.

Die Tragik liegt darin, dass in der Vergangenheit die vom IWF am häufigsten verordneten Anpassungsmaßnahmen im Globalen Süden Gesundheits-, Renten- und Sozialversicherungsreformen waren.

Die Schuldendiensterleichterung des IWF für seine 25 ärmsten Mitglieder ist ein willkommener Schritt, aber entspricht laut Eurodad weniger als 1 Prozent der gesamten Auslandsschulden der einkommensschwachen Länder im Jahr 2020. Wichtiger war der symbolische Druck, den der IWF auf die G20 ausübte, es ihm gleichzutun. Schätzungen zufolge entfallen etwa ein Viertel der Kredite der Niedrigeinkommensländer auf China. Damit liegt das G20-Mitglied als größter offizieller Kreditgeber vor IWF oder Weltbank. Nachdem der IWF vorangegangen war, einigten sich die G20 tatsächlich auf ein Schuldenmoratorium bis Ende 2020, d.h. ein Einfrieren von sowohl Tilgungs- als auch Zinszahlungen. Mit der Aussetzung des Schuldendienstes werden schätzungsweise 20 bis 25 Milliarden Dollar für die 77 ärmsten Länder zur Bekämpfung der Pandemie freigesetzt. Ein schwerwiegender Mangel: Das Moratorium verschiebt den Umgang mit der Schuldenlast nur in die Zukunft. Dann könnte das Problem der Zahlungsunfähigkeit sich zusätzlich auf die stark verschuldeten Petrostaaten ausgedehnt haben.

Um der Finanzierungskrise angemessen zu begegnen, fordern viele die Nutzung von Sonderziehungsrechten entlang der IWF-Länderquoten. Für viele Niedrigeinkommensländer, die nur noch eingeschränkt Zugang zu den internationalen Kapitalmärkten haben, wäre eine Ausgabe der IWF-Reserven ohne Auflagen ein Rettungsanker. Der Vorschlag findet Widerhall bei der G24, der 1971 von den Entwicklungsländern gegründeten Gruppe für internationale Währungsfragen und Entwicklung. Allerdings gibt es dafür momentan weder vom IWF noch – aus politischen Gründen – von den USA besondere Unterstützung, obwohl die USA maßgeblich davon profitieren würden. Die Zuweisung würde auch an Länder gehen, die eine Aufstockung ihrer Reserven entweder nicht benötigen oder – aus Sicht der USA – nicht verdienen. Ein berechtigter Einwand ist, dass die Zuteilung nach IWF-Quoten bedeutet, dass nur ein Bruchteil der Sonderziehungsrechte an die ärmsten Länder gehen würde. Einmal mehr zeigt sich, dass eine Reform der IWF-Quoten notwendig ist.  

Die Wahl einer weiteren europäischen IWF-Direktorin, Kristalina Georgieva, im letzten Jahr war für viele der Beweis, dass die Suche nach Spitzenpersonal immer noch undurchsichtig und undemokratisch abläuft. Und doch zeigt das momentane Krisenmanagement des IWF, dass manchen Forderungen zur IWF-Reform nachgekommen wird, so einer Ausrichtung auf die besonderen Probleme der ärmsten Länder. Um seiner entscheidenden Rolle gerecht zu werden, könnte der IWF nun außerdem sowohl Staateninsolvenzverfahren international koordinieren als auch Kapitalverkehrskontrollen durchsetzen. Wichtig ist jetzt ebenfalls die Unterstützung des IWF durch die Aufstockung seiner Kreditmittel, um unmittelbaren Finanzierungsbedarf zu decken. Geber sollten ihre Beiträge erhöhen, und das nicht aus den Entwicklungshilfehaushalten. Die Herausforderungen der ärmsten Länder bestehen nach wie vor und werden durch die Krise nur größer.

Elisabeth Bollrich, FES Berlin