Kaum ist der G7-Gipfel in Apulien vorbei, laufen im Westen schon die Vorbereitungen für den NATO-Gipfel vom 9. bis 11. Juli in Washington, die aktuell die Berichterstattung dominieren. Es lohnt sich jedoch auch, einen Blick auf die Gipfeldiplomatie in der eurasischen Region zu werfen, wo China und Russland ihren politischen Handlungsspielraum auszuweiten versuchen und Mittelmächte wie Kasachstan an Bedeutung auch über Zentralasien hinaus gewinnen. Am 4. Juli ging in der kasachischen Hauptstadt Astana das 24. Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) zu Ende – einer Organisation, deren Mitglieder zusammengenommen fast die Hälfte der Weltbevölkerung repräsentieren und auf die etwa ein Viertel des globalen BIP und 15 Prozent des Welthandels entfallen.

Das Treffen fand diesmal unter dem Motto „Stärkung des multilateralen Dialogs – Streben nach dauerhaftem Frieden“ statt und wurde zum ersten Mal im Format SOZ+ abgehalten. Neben dem Beobachter Mongolei nahmen daran auch die Dialogpartner Aserbaidschan, Katar, Vereinigte Arabische Emirate, Türkei und Turkmenistan teil. UN-Generalsekretär António Guterres war ebenso erstmals bei einem SOZ-Treffen anwesend. Allein diese erhebliche Erweiterung des Formats macht das diesjährige Treffen besonders. Doch auch weitere Elemente deuten auf eine mögliche Veränderung beziehungsweise Aufwertung der Organisation in den kommenden Jahren hin.

Die SOZ ist eine regionale Organisation, die ihren Mitgliedstaaten eine Plattform für Dialog und Zusammenarbeit bietet. Gegründet wurde sie ursprünglich, um nach dem Zerfall der Sowjetunion Stabilität und Sicherheit in der zentralasiatischen Region zu gewährleisten und gemeinsam Extremismus, Terrorismus und Separatismus zu bekämpfen. Im Jahr 1996 wurde zunächst die Gruppe der Shanghaier Fünf gegründet, der Russland, China, Kasachstan, Kirgisistan und Tadschikistan angehörten. In diesem Rahmen wurden die ersten Abkommen über militärische vertrauensbildende Maßnahmen unterzeichnet. 2001 trat Usbekistan der Gruppe bei und am 15. Juni 2001 nahm die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit ihre Arbeit auf. Im Jahr 2017 wurden Indien und Pakistan Vollmitglieder der SOZ und 2023 wurde der Iran als neues Mitglied aufgenommen.

Die ursprünglich asiatische Organisation verwandelte sich dieses Jahr mit der Aufnahme von Belarus in eine eurasische.

Das Gipfeltreffen in Astana begann damit, dass Belarus als zehntes SOZ-Vollmitglied begrüßt wurde. Die ursprünglich asiatische Organisation verwandelte sich dieses Jahr mit der Aufnahme eines ausschließlich europäischen Landes in eine eurasische, was ihre geografische, aber auch potenziell politische und ökonomische Reichweite vergrößert. Wie aus dem Abschlussdokument allerdings deutlich hervorgeht, bleibt Zentralasien das Herzstück der SOZ. Das hat auch seine Berechtigung, denn die Region ist nach wie vor für die regionale Stabilität sowie für die Extremismus- und Terrorismusbekämpfung von entscheidender Bedeutung.

Darüber hinaus gewinnt sie aktuell an Relevanz als Transportroute von China nach Europa, wie etwa über die Transkaspische Internationale Transportroute, auch bekannt als Mittlerer Korridor. Der Ausbau der eurasischen Transportkonnektivität durch die Schaffung effizienter Synergien zwischen mehreren Transportrouten, die durch das Gebiet der SOZ-Länder verlaufen – wie etwa Chinas Megaprojekt One Belt, One Road, der Mittlere Korridor und der über Indien, Iran, Aserbaidschan und Russland verlaufende Nord-Süd-Korridor –, wurde auf dem diesjährigen Gipfel als einer der Schlüsselbereiche für die künftigen Aktivitäten der SOZ identifiziert. Neumitglied Belarus wird aufgrund des Zugangs zu Westeuropa als wichtiges Element zur Bildung eines gemeinsamen eurasischen Verkehrsraums betrachtet.

Schließlich wurde betont, dass die Zusammenarbeit innerhalb der Organisation als Grundlage für die Schaffung einer unteilbaren Sicherheitsarchitektur in Eurasien dienen kann – eine Initiative, die möglicherweise auf das Bemühen Russlands zurückzuführen ist, angesichts des Konflikts mit dem Westen die Schaffung eines eurasischen Integrationsraums voranzutreiben. Seit 2016 strebt Moskau die Bildung der Großen Eurasischen Partnerschaft in Handel, Wirtschaft und Sicherheitspolitik an. Dafür sollen die Potenziale einzelner Staaten sowie regionaler Organisationen – wie der Eurasischen Wirtschaftsunion, der SOZ und des Verbands Südostasiatischer Nationen – gebündelt werden.

Die Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit möchte sich auch bei globalen Fragen stärker beteiligen.

Somit wurden auf dem Treffen in Astana die Konturen der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit als eurasische Organisation geschärft. Der Gipfel könnte der Vorbote bedeutender geopolitischer Entwicklungen in Zentralasien und Eurasien der kommenden Jahre sein. Doch die Organisation möchte sich auch bei globalen Fragen stärker beteiligen.

Wie das Motto des diesjährigen Gipfels bereits andeutet, strebt die SOZ zunehmend eine Rolle als globaler Friedens- und Sicherheitsakteur an. Im Abschlussdokument wird mehrfach die Notwendigkeit realistischer Kompromisse und Konfliktlösungen ausschließlich durch Dialog und mit friedlichen Mitteln bekräftigt. Vor dem Hintergrund zunehmender geopolitischer Spannungen verlieren bestehende Plattformen zur Lösung von Konflikten wie der Sicherheitsrat der UN in der Tat an Wirksamkeit. Die Länder des sogenannten Globalen Südens fordern eine größere Mitsprache in den internationalen Angelegenheiten und eine gerechtere Weltordnung – und sie agieren bereits in diese Richtung. Vor diesem Hintergrund bekräftigen die SOZ-Mitgliedstaaten in ihrer Erklärung ihr Bekenntnis zu einer „repräsentativeren, demokratischeren, gerechteren und multipolaren Weltordnung, die auf den allgemein anerkannten Grundsätzen des Völkerrechts, der kulturellen und zivilisatorischen Vielfalt sowie einer vorteilhaften und gerechten Zusammenarbeit zwischen den Staaten beruht, wobei die Vereinten Nationen eine zentrale koordinierende Rolle spielen“.

In der einstimmig beschlossenen Deklaration äußern sich die Mitglieder zwar zu den aktuell drängenden Fragen, die entsprechenden Äußerungen bleiben jedoch weitgehend allgemein.

Angesichts des kommenden 80. Jahrestags der Gründung der Vereinten Nationen will die SOZ einen Beitrag leisten, indem sie auf Vorschlag des kasachischen Präsidenten die Initiative „Über die weltweite Einheit für gerechten Frieden, Harmonie und Entwicklung“ beschloss und die Weltgemeinschaft dazu eingeladen hat, sich ihr anzuschließen. Noch liegen allerdings nur wenige Informationen über die Inhalte dieser Initiative vor. Außerdem: Will die SOZ sich in der globalen Friedens- und Sicherheitspolitik profilieren, muss sie zu den konkreten globalen Fragen Stellung beziehen. In der einstimmig beschlossenen Deklaration äußern sich die Mitglieder zwar zu den aktuell drängenden Fragen, die entsprechenden Äußerungen bleiben jedoch weitgehend allgemein und hinter den Erwartungen zurück, insbesondere was die Lösungen der gegenwärtig heißen Konflikte betrifft.

Was den palästinensisch-israelischen Konflikt anbetrifft, wird die Besorgnis über die Eskalation zum Ausdruck gebracht. Die „Aktionen, die zu zahlreichen Opfern unter der Zivilbevölkerung und der katastrophalen humanitären Lage im Gazastreifen geführt haben“, werden verurteilt, ohne jedoch die Hamas oder Israel explizit zu nennen. Etwas deutlicher wird darauf hingewiesen, dass „der einzig mögliche Weg, um Frieden und Stabilität im Nahen Osten zu gewährleisten, eine umfassende und gerechte Lösung der palästinensischen Frage“ sei.

Überraschenderweise wird der Krieg in der Ukraine in der Abschlusserklärung nicht explizit erwähnt. Eine eindeutige Positionierung wurde offensichtlich ausgeklammert, um die Konsensfähigkeit des Abschlussdokuments nicht zu gefährden. Bei mehreren bilateralen Treffen wurde es angesprochen: Der türkische Präsident Erdoğan etwa sprach mit dem chinesischen Machthaber Xi Jinping über die Gefahr einer Ausweitung des Konflikts.

Als eine Anspielung darauf in der Abschlusserklärung lässt sich die Kritik an der einseitigen Verhängung von Sanktionen interpretieren, welche mit den Grundsätzen des Völkerrechts unvereinbar sei und negative Auswirkungen auf Drittländer habe. Gleichzeitig werden die Achtung der Souveränität und der territorialen Integrität von Staaten, die Nichteinmischung in innere Angelegenheiten und die Nichtanwendung sowie die Nichtandrohung von Gewalt als Grundlagen für eine nachhaltige Entwicklung der internationalen Beziehungen betont. Das könnte als ein Hinweis an Russland gedeutet werden und den Wunsch der SOZ demonstrieren, sich als ein ernst zu nehmender und verantwortungsbewusster globaler Akteur zu positionieren.

Doch um als globaler Lösungsfinder glaubwürdig zu erscheinen, müsste die SOZ die eigenen Mitglieder befrieden und das Konfliktpotenzial in den eigenen Reihen einhegen. Zum Beispiel wird die Entscheidung des indischen Premierministers Narendra Modi, nicht zum SOZ-Gipfel zu fahren und sich von seinem Außenminister Subrahmanyam Jaishankar vertreten zu lassen, von einigen indischen Mediendamit erklärt, dass er aufgrund von bilateralen Spannungen ein Treffen mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping und dem pakistanischen Premierminister Shahbaz Sharif vermeiden wollte. Es kam jedoch am Rande des summit zu einem Treffen der Außenminister Indiens und Chinas. Beide kamen überein, bilaterale Gespräche und Maßnahmen fortzusetzen, um eine baldige Lösung der verbleibenden Probleme an der Grenze zu erreichen. An diesem Beispiel zeigt sich gleichzeitig die wichtige Funktion der SOZ als Dialogplattform zur Erörterung von schwierigen Fragen unter ihren Mitgliedern.

Der SOZ-Gipfel in Astana zeigt einmal mehr, dass die Bedeutung von Mittelmächten wächst.

Insgesamt zeigt der SOZ-Gipfel in Astana einmal mehr, dass die Bedeutung von Mittelmächten wächst. Diese Erkenntnis teilte auch der diesjährige Gastgeber, der kasachische Präsident Qassym-Schomart Toqajew, in einem Gastbeitrag: „Da die Großmächte immer weniger bereit sind, dem multilateralen Prozess zu vertrauen, und die kleineren Länder nicht über den nötigen Einfluss verfügen, ist es die Aufgabe der Mittelmächte, die Führung zu übernehmen.“ Spätestens seit 2022 haben unter anderen Indien, Südafrika, die Türkei und Saudi-Arabien mit ihrem auffälligen Engagement für multilaterale Reformen sowie bei der Vermittlung und der Suche nach Lösungen im Ukraine-Krieg diese Tendenz bestätigt.

Was die SOZ anbetrifft, wird diese Organisation heute stärker wahrgenommen als zuvor, auch im Kontext der Suche nach Lösungen für aktuelle militärische Konflikte. Die Präsenz des UN-Generalsekretärs António Guterres auf dem Gipfel in Astana ist ein Indiz für eine Aufwertung. Nach Ansicht des UN-Generalsekretärs können UN und SOZ zusammenarbeiten und dazu beitragen, die verschiedenen Weltteile zu vereinen und den Schaden zu begrenzen, der durch die Konfrontation zwischen den Supermächten entstanden ist. Es ist damit zu rechnen, dass diese regionale Organisation in den kommenden Jahren an einer Festigung und Vertiefung ihrer Strukturen arbeiten wird. Derzeit werden die Vorschläge über die Einrichtung eines SOZ-Investitionsfonds sowie einer SOZ-Entwicklungsbank erörtert.

Der SOZ-Gipfel verdeutlicht auch einen sich seit einigen Jahren abzeichnenden Trend: Angesichts der Krise der Global Governance und der schleppenden UN-Reform gewinnen multilaterale Vereinigungen wie BRICS+ sowie regionale Organisationen wie die SOZ an Attraktivität. Diese Formate als alternative Plattformen zur Suche nach Lösungen und zur Schaffung einer gerechteren Weltordnung sind zwar durch die dominante Rolle großer Player wie China und Russland gekennzeichnet, werden aber in zunehmendem Maße von aufstrebenden Mittelmächten vorangetrieben.