Eigentlich ist das ein No-Brainer, von der Forschung dargelegt und in der Praxis erlebt: Wenn Frauen mitbestimmen und mitprofitieren, dann werden Gesellschaften gerechter, wirtschaftlich erfolgreicher und damit widerstandsfähiger. In Krisenzeiten ist das umso wichtiger, denn nur widerstandsfähige Gesellschaften können die großen Herausforderungen unserer Zeit meistern.

Es ist ein Menschenrecht, dass alle Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht gleichberechtigt am sozialen, politischen und wirtschaftlichen Leben teilnehmen können. Dem darf nichts entgegenstehen. Das fängt mit den Rechten an. Zum Beispiel mit dem Recht auf körperliche Selbstbestimmung von Mädchen und Frauen. Sie ist wesentlich für das Wohlergehen und die Gesundheit. Wenn Frauen zum Beispiel selbst entscheiden können, ob und wann sie schwanger werden möchten, verbessert das die Chancen, dass sie die Schule abschließen, einen Beruf ergreifen und selbst Geld verdienen können. Damit verfügen sie über ihre eigenen Ressourcen, sie beteiligen sich aktiv und sind in der Gesellschaft repräsentiert.

Feministische Entwicklungspolitik stärkt genau diese drei „R“: die Rechte von Frauen und Mädchen, ihre Repräsentanz auch bei Entscheidungsprozessen, und ihren Zugang zu Ressourcen. Ein Beispiel ist ein Projekt in Sambias Hauptstadt Lusaka, bei dem Frauen die lokale Wasserversorgung mitgestalten. Die Frauen führen oft alleine den Haushalt und wissen, wieviel Wasser wo verbraucht wird. Über das Projekt erhielten sie Schulungen, um als Mitglieder in den Bezirksentwicklungsausschüssen dieses Wissen einzubringen und bei den Entscheidungen des Stadtrats mitzuwirken. Sie bekommen konkreten Einfluss. Und 23 000 Haushalte profitieren von einem verbesserten Schutz der Wasserversorgung.

Feministische Entwicklungspolitik geht aber über diese Art von Projektarbeit hinaus. Sie ist Querschnitt und Fundament meiner Entwicklungspolitik, sie findet in jedem Gespräch statt, das ich als Ministerin mit internationalen Partnerinnen und Partnern führe. Ob in der Bündnis- und Gremienarbeit, bei Konferenzen oder Regierungsverhandlungen: Ich führe keine Gespräche über Frauen ohne Frauen. Dabei geht es mir um Chancengleichheit und echte Gleichstellung – davon profitieren alle.

Frauen sind Leistungs- und Wissensträgerinnen, Friedensstifterinnen und Krisenmanagerinnen. Sie machen Gesellschaften besser.

Frauen sind starke wirtschaftliche Akteurinnen. Und sie haben als Agents of Change einen großen Anteil daran, dass die Welt nachhaltiger wird. Gerade jetzt, in Krisenzeiten, ist das wichtiger denn je. Denn Frauen tragen wesentlich zur Krisenbewältigung bei. Zum Beispiel als Wissensträgerinnen, etwa wenn es um die Anpassung an die Folgen des Klimawandels in der Landwirtschaft geht. Sie bestellen Felder, sie wissen, welche Pflanzen Trockenheit und Hitze am besten verkraften, oder wie eine Mischwirtschaft die Bodenfruchtbarkeit erhalten kann. In vielen Krisen und Konflikten sind die Frauen Friedensstifterinnen, wie zum Beispiel die „Suchenden Mütter“ – die Madres Buscadoras – in Kolumbien. Mit welcher Ausdauer und Kraft diese Frauen zur gesellschaftlichen Aussöhnung beitragen, hat mich tief beeindruckt, als ich im Sommer 2022 mit einigen von ihnen in Bogotá gesprochen habe.

Die verschiedenen Krisen verstärken bestehende Ungleichheiten. Das betrifft besonders Frauen, aber auch Menschen, die zum Beispiel aufgrund von sexueller Orientierung, Herkunft, Alter, Behinderung oder anderer Merkmale diskriminiert werden. Das Ziel muss deshalb sein, strukturelle Benachteiligungen abzubauen. Wie schaffen wir das?

Strukturelle Ungleichheiten bestehen oder entwickeln sich dort, wo Menschen mit unterschiedlichen Ressourcen ausgestattet sind. Dadurch sind sie weniger gewappnet, wenn eine Krise einschlägt, wie zum Beispiel eine schwere Krankheit oder Ernteverluste durch eine Dürre. Um dies abzufedern, brauchen sie finanzielle Sicherheit. Ein effizientes Instrument, ihnen diese Sicherheit zu geben, ist soziale Sicherung. Sie unterstützt Menschen auch vor, während und nach Krisen und kann dadurch Ungleichbehandlung abmildern und Widerstandskräfte stärken.

Wo ein soziales Netz aufgespannt ist, kommen alle besser durch die Krise.

Die Corona-Pandemie hat uns gezeigt: Wo ein soziales Netz aufgespannt ist, kommen alle besser durch die Krise. In Ländern ohne funktionierendes Sicherungssystem waren die Menschen bei der Bewältigung der wirtschaftlichen und sozialen Folgen auf sich allein gestellt. Die Hälfte der Weltbevölkerung – rund vier Milliarden Menschen – hat keinen Zugang zu sozialer Sicherung. Sie müssen die Risiken, die etwa mit Arbeitslosigkeit, Mutterschaft, Behinderung oder Arbeitsunfällen einhergehen, alleine schultern.

Dabei wissen wir: Soziale Sicherungsnetze können Armut und Hunger deutlich senken. Weltweit tragen Systeme der sozialen Sicherung schon jetzt dazu bei, die extreme Armut um ein Drittel zu mindern. Soziale Sicherung wirkt auch langfristig und vorbeugend: Sie sichert die Menschen wirtschaftlich gegen Risiken ab und gibt ihnen mehr Handlungsspielraum in Krisensituationen. Zum Beispiel hilft es einer Kleinbäuerin, wenn sie weiß, dass sie im Falle einer Dürre nicht in Armut abrutscht, sondern vom sozialen Sicherungsnetz unterstützt wird. Das gibt ihr Planungssicherheit und Zuversicht, um zum Beispiel in Saatgut und Nutztiere zu investieren. Auch die lokale Wirtschaft profitiert von sozialer Sicherung: Eine Studie zu sieben afrikanischen Ländern hat gezeigt, dass jeder Euro Sozialleistung bis zu 1,52 Euro an zusätzlicher lokaler Wirtschaftsleistung in Form von Konsumausgaben und Investitionen generiert.

Damit die Menschen von diesen positiven Effekten profitieren können, brauchen sie Zugang zu sozialer Sicherung – und der bleibt vor allem Frauen und Mädchen in vielen Ländern weiterhin verwehrt. Frauen sind oft mit rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Hürden konfrontiert, die es ihnen erschweren, am Erwerbsleben teilzunehmen. Sie arbeiten häufiger in prekären und informellen Arbeitsverhältnissen. Außerdem verrichten Frauen circa zwei Drittel der unbezahlten Pflege- und Hausarbeit. Dadurch erhalten sie nicht nur geringere Löhne, sie werden auch von vielen Sozialleistungen ausgeschlossen. Zum Beispiel beim Mutterschutz oder der Rente. Nicht einmal jede zweite Frau weltweit erhält während der Geburt eines Kindes finanzielle Unterstützung; in Afrika sogar nur jede siebte Frau. Entscheidend ist also, dass soziale Sicherungssysteme die Lebensrealitäten von Frauen und Mädchen berücksichtigen, unabhängig von ihrem sozialen Status oder Familienstand. Mehr soziale Sicherheit kann Frauen und Mädchen unabhängiger von gesellschaftlichen Rollenvorgaben machen. Sie kann benachteiligende Machtstrukturen – wie etwa das fehlende Recht, selbst Land besitzen zu können – reduzieren. Soziale Sicherung leistet also beides: Sie sichert Lebensrisiken ab und trägt zu einer gleichberechtigten Teilhabe und somit auch zu mehr Geschlechtergerechtigkeit bei.

Mehr soziale Sicherheit kann Frauen und Mädchen unabhängiger von gesellschaftlichen Rollenvorgaben machen.

Ein Beispiel dafür, dass diese Art der Unterstützung wirkt, konnte ich in Ägypten erleben. Unter dem Titel „Takaful“ – „Solidarität“ – hat das Land seine Sozialleistungen ausgeweitet. Denn durch die Pandemie und die steigenden Lebensmittelpreise stieg die Armut in der Bevölkerung. Eine der Frauen, die ich im November 2022 in der Nähe von Alexandria in kleinerer Runde ohne die Männer getroffen habe, holte ihre Geldkarte aus ihrer Tasche und sagte zu mir: „Das ist meine Karte. Ich habe die PIN-Nummer. Ich entscheide, wie ich das Geld ausgebe.“ Für sie ist die finanzielle Unterstützung weit mehr als nur akute Nothilfe. Sie stärkt ihre Rolle in der Familie, als Frau. Sie gibt ihr Sicherheit. Das ist Empowerment.

Der Auf- und Ausbau sozialer Sicherung ist deshalb ein wesentlicher Bestandteil der feministischen Entwicklungspolitik. Geschlechtergleichstellung und soziale Sicherheit bedingen sich gegenseitig und machen die Gesellschaften für alle Menschen besser. Beim Treffen der G7-Entwicklungsministerinnen und -Entwicklungsminister im Mai 2022 haben wir uns deshalb das Ziel gesetzt, bis 2025 die Zahl der Menschen, die sozial abgesichert sind, um eine Milliarde zu erhöhen. Um das zu erreichen, macht sich Deutschland weltweit dafür stark, dass mehr in soziale Sicherung investiert wird, und bringt Pionierländer und globale Akteure zusammen. Zum Beispiel habe ich mit der Internationalen Arbeitsorganisation ILO und der Weltbank Ende November 2022 vereinbart, gemeinsam die Länder des Globalen Südens stärker dabei zu unterstützen, soziale Sicherungssysteme auf- und auszubauen. Wir werden die multilaterale Zusammenarbeit intensivieren und die UN-Initiative für einen Global Accelerator for Jobs and Social Protection stärken, mit der die Vereinten Nationen soziale Sicherung und gute Arbeit weltweit bis 2030 vorantreiben.

Auch die Folgen des Klimawandels können für die betroffenen Menschen mit sozialer Sicherung abgemildert werden. Der Start des weltweiten Schutzschirms gegen Klimarisiken bei der Klimakonferenz in Ägypten im November 2022 war hierfür ein wichtiger Schritt. Dieser vom deutschen Entwicklungsministerium initiierte Schutzschirm wird den Menschen in besonders vulnerablen Ländern – darunter viele Frauen – zum Beispiel im Fall von Überschwemmungen oder anderen klimabedingten Schäden helfen. Er setzt dabei auch auf Maßnahmen der sozialen Sicherung.

Die soziale Sicherung ist ein ursozialdemokratisches Konzept. Sie schafft soziale Gerechtigkeit. Gerade jetzt ist es wichtiger denn je, denn nur mit sozialem Schutz gibt es Schutz vor Krisen. Machen wir uns daran, staatliche Sicherungssysteme in der ganzen Welt so weiterzuentwickeln, dass sie schneller und zielgerichteter Klimarisiken und Pandemien adressieren. Und damit auch die Geschlechtergleichstellung voranbringen.