Derzeit lassen Russland und die USA alte Spannungen aus der Zeit des Kalten Krieges in den Vereinten Nationen wieder aufleben. Sie betreiben ein politisches Spiel um diplomatische Visa, das zunehmend die eigentliche Arbeit zur militärischen Abrüstung stört. Russland und andere Länder beschuldigen die Vereinigten Staaten, ihr Recht auf die Ausstellung von Visa am Hauptsitz in New York zu missbrauchen. Dieses Verhalten schädigt zunehmend das Image der Vereinigten Staaten bei der UN.
Die Regierung von US-Präsident Donald Trump hat die Visavergabe weltweit derart eingeschränkt, dass sie inzwischen auch die Diplomaten der UN betrifft. Die Einschränkungen gehen so weit, dass die Beschwerden nun auch auf dem Schreibtisch des Generalsekretärs der Vereinten Nationen Antonio Guterres gelandet sind. „Ich kann nicht sagen, dass die Zahl der nicht-erteilten Visa beispiellos ist, weil ich diesen Job nicht seit 75 Jahren mache, aber was ich sagen kann ist, dass sie zurzeit hoch ist", erklärte der Sprecher des Generalsekretärs, Stephane Dujarric.
Aufgrund der steigenden Zahl abgelehnter Visa aus offensichtlich politischen Gründen verlieren die USA zunehmend Legitimität bei den Vereinten Nationen. In diese Lücke stößt Russland, das einen ungewöhnlichen Weg geht und einige Treffen außerhalb New Yorks abhalten lässt, um eine gleichberechtigte Vertretung zu gewährleisten.
Am 18. Februar 2020 beantragte Russland die Verschiebung einer organisatorischen Sitzung der UN-Abrüstungskommission, weil der höchste russische Repräsentant, Konstantin Woronzow, sein Visum nicht rechtzeitig erhalten hatte. Im vergangenen Jahr konnte die Kommission aus dem gleichen Grund bereits keine substanziellen Ergebnisse liefern.
„Es ist keine leichte Entscheidung für uns, aber es geht hierbei auch ums Prinzip", sagte der stellvertretende Ständige Vertreter Russlands bei den Vereinten Nationen, Dmitrij Polyanskij. „Er ist die beste Person, um diese Delegation zu leiten. Und ich glaube nicht, dass wir ihn austauschen sollten, nur weil die USA versuchen, sich in unsere Entscheidung einzumischen“, sagte Polyanskij zum Fall Woronzow.
Russland steht an der Spitze der Auseinandersetzungen um die Visavergabe bei der UN. Um auf die Visaprobleme aufmerksam zu machen, hat Moskau bewusst die Arbeit der entscheidenden UN-Kommissionen und -Ausschüsse verzögert. Polyanskiy behauptet, Russland habe zwischen 15 und 20 Visaanfragen gestartet, die nicht rechtzeitig zur Ankunft ihrer Diplomaten in New York beantwortet wurden.
Aufgrund der steigenden Zahl abgelehnter Visa aus offensichtlich politischen Gründen verlieren die USA zunehmend Legitimität bei den Vereinten Nationen.
Russland ist nicht das einzige Land, das die Vereinigten Staaten für ihr Verhalten kritisiert. Ein prominentes Beispiel ist der Fall des iranischen Außenministers Mohammad Javad Zarif. Er konnte im Januar nicht an einer Sitzung des Sicherheitsrates in New York teilnehmen, weil er kein Visum erhielt. Andere Länder wie Syrien, Venezuela und Nicaragua hatten in der Vergangenheit ähnliche Probleme und wollen die USA ebenfalls zur Rechenschaft ziehen. Im April riefen die Vereinigten Staaten das Visum der Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs Fatou Bensouda zurück, nachdem sie eine mögliche Untersuchung gegen die USA wegen Kriegsverbrechen in Afghanistan eingeleitet hatte. Aus diesem Grund konnte sie im vergangenen Herbst nicht an einer Tagung der Vereinten Nationen in New York teilnehmen.
Geopolitisch haben die USA einen einzigartigen Vorteil in den bilateralen Beziehungen, da sie das letzte Wort bei der Erteilung eines Visums für jeden Diplomaten haben, der das UN-Hauptquartier in New York besuchen will. Als Gastland der größten UN-Operation der Welt, bringt diese Macht jedoch enorme, vertraglich festgelegte rechtliche Verpflichtungen mit sich – eine Verantwortung, von der einige Mitgliedsstaaten nun sagen, dass die Vereinigten Staaten sie nicht wahrnehmen.
Russland argumentiert, dass die US-Administration durch die nicht rechtzeitige Erteilung von Visa gegen das Hauptquartierabkommen verstößt. Dieses wurde 1947 vom ersten offiziellen Generalsekretär Trygve Halvdan Lie und US-Außenminister George Marshall verabschiedet. Artikel 11 des Abkommens verbietet es den USA, den Mitgliedern und Vertretern der UN Reisebeschränkungen aufzuerlegen.
Bereits in der Vergangenheit haben die USA Beschränkungen gegen hochrangige Personen aus Sicherheitsgründen ausgesprochen. Berühmt wurde der Fall des Führers der Palästinensischen Befreiungsorganisation und Friedensnobelpreisträgers Jassir Arafat unter US-Präsident Reagan im Jahr 1988. Der UN-Unterausschuss für das Gastgeberland, der sich mit möglichen Problemen zwischen den Vereinigten Staaten und den Vereinten Nationen befasst, verurteilte seinerzeit die USA für ihre Entscheidung, ihn nicht einreisen zu lassen.
Zusätzlich verabschiedete der Ausschuss eine Resolution, die das Verhalten der USA anprangerte. Sie wurde von der Generalversammlung fast einstimmig angenommen – mit Ausnahme der USA und Israel. Der Unterschied zum Fall Arafat ist diesmal, dass es sich nicht um ein einzelnes Vorkommnis handelt, sondern dass derzeit Dutzende von Visa nicht rechtzeitig an Diplomaten aus Ländern mit einem angespannten Verhältnis zu den USA ausgestellt werden.
Russland ist nicht das einzige Land, das die Vereinigten Staaten für ihr Verhalten kritisiert.
Bei der Unterzeichnung des Hauptquartierabkommens verabschiedete der US-Kongress eine Resolution, die es den USA erlaubt, die Erteilung von Visa aus Sicherheitsgründen zu beschränken. Darin heißt es: „Die Visavergabe soll so ausgelegt werden, dass das Recht der Vereinigten Staaten, ihre eigene Sicherheit zu gewährleisten und die Einreise von Ausländern in jedes Gebiet der Vereinigten Staaten mit Ausnahme des Hauptquartiers und seiner unmittelbaren Umgebung vollständig zu kontrollieren, in keiner Weise eingeschränkt, verkürzt oder geschwächt wird [...]." Dies gibt den Vereinigten Staaten nach Ansicht von UN-Diplomaten einen gewissen Spielraum, was die Erteilung von Visa betrifft. Aufgrund dessen ist es bei der Interpretation des Abkommens schwierig, festzustellen, ob für den Unterausschuss für das Gastgeberland ein Verstoß vorliegt.
Wenn die Vereinigten Staaten dieses Spiel jedoch weiterhin betreiben, wird sich das Problem nicht so einfach lösen lassen. Im Dezember letzten Jahres hat sich der Unterausschuss für das Gastgeberland mit der Visavergabe befasst. Er erwähnt in seinem Bericht, dass, sofern sich die Lage zuspitzt, der Generalsekretär der UN ein Schiedsverfahren einleiten kann. Allerdings würde ein solches Schlichtungsverfahren für Generalsekretär Guterres auch bedeuten, dass er die Vereinigten Staaten und ihren Präsidenten – also eine Veto-Macht und einer der wichtigsten UN-Geber – öffentlich herausfordern müsste. Deshalb wird er diese Strategie wahrscheinlich um jeden Preis vermeiden.
Russland bietet eine andere Lösung an: Einige Treffen der Vereinten Nationen könnten nach Wien oder Genf verlegt werden, wo ohnehin einige UN-Organisationen ansässig und Visaentscheidungen im Allgemeinen weniger politisch sind. Da die Kommission jedoch auf der Grundlage des Konsensprinzips arbeitet und die Vereinigten Staaten ein Mitspracherecht haben, ist es unwahrscheinlich, dass diese Idee angenommen wird. Außerdem wäre die Verlegung nach Wien oder Genf kostspielig, und ist daher ein Schritt, den viele Länder wahrscheinlich nicht unterstützen.
Es bleibt allerdings unklar, in welchen Fällen Russland abgelehnte Visa nur als Ablenkungsmanöver einsetzt. Denn Moskau hat in der Vergangenheit auch Visa für Personen beantragt, die Ziel von Sanktionen waren, und neigt dazu, jede Gelegenheit zu nutzen, um die USA bei der UN anzuprangern. Da sich nun jedoch Länder zusammenschließen, um Washington zur Rechenschaft zu ziehen, steht das US-Außenministerium unter größerem Druck zu erklären, warum andere Länder nicht durch ihren gewählten Vertreter in New York repräsentiert werden können.
Was bleibt, ist, dass die Vereinigten Staaten in den letzten Monaten durch die willkürliche Visavergabe stark an Glaubwürdigkeit verloren haben. Wenn sie Diplomatenvisa aus Ländern, die mit den USA uneins sind, weiterhin hinauszögern, könnte die Verlegung eine ernsthafte Option werden.
Aus dem Englischen von Marius Mühlhausen