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Im Februar 2020 schlossen die USA mit den Taliban ein Friedensabkommen und mit Afghanistan eine Gemeinsame Erklärung zur Beendigung des Krieges – ein großer Erfolg, keine Frage. Doch etwas für die Zukunft des Landes sehr Wichtiges fehlte: US-Außenminister Pompeo hatte sich geweigert, Frauen in die Friedensgespräche einzubeziehen. Auch in den aktuellen Verhandlungen zur Ausgestaltung eines dauerhaften Friedens sind weniger als zehn Prozent derjenigen, die am Verhandlungstisch sitzen, Frauen.

Eigentlich sollte man es besser wissen.

Studien belegen, dass Gesellschaften, in denen Frauen und Männer gleichberechtigt sind, sicherer, stabiler, friedlicher und wirtschaftlich erfolgreicher sind. Wenn Frauen in Friedensabkommen einbezogen werden, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass diese länger als 15 Jahre halten, um 35 Prozent.

In Kolumbien hatten Frauen einen großen Anteil am Friedensabkommen vom November 2016, der den seit den 1960er Jahren herrschenden Krieg beendete. Als die Friedensgespräche zwischen der Regierung und der Guerilla Anfang 2002 scheiterten, beharrten Frauenorganisationen darauf, politische Lösungen zu finden und den Boden für künftige Verhandlungen zu bereiten. Sie organisierten Friedensmärsche, führten direkte Dialoge mit bewaffneten Gruppen, um Geiseln zu befreien, holten Kindersoldaten zurück und hoben Straßenblockaden auf, um den Durchgang von Nahrungsmitteln, Medikamenten und Menschen zu sichern.

Kann es so schwierig sein, in einer Zeit, in der wir technisch und wissenschaftlich zu Höchstleistungen fähig sind, der Hälfte der Menschheit eine gleichberechtigte Teilhabe zu garantieren?

Es gibt keine vernünftigen Gründe, warum Frauen nicht in gleicher Zahl und mit gleicher Stimme an den Verhandlungstischen sitzen sollten, warum ihnen nach erlittenem Leid in Kriegen keine Entschädigung und Wiedergutmachung gezahlt werden sollte und warum nicht alle Friedensmissionen Gender-Beraterinnen und ein Viertel Soldatinnen haben sollten.

Kann es so schwierig sein, in einer Zeit, in der wir technisch und wissenschaftlich zu Höchstleistungen fähig sind, der Hälfte der Menschheit eine gleichberechtigte Teilhabe zu garantieren?

In den Kriegen in Bosnien und Herzegowina Anfang der 1990er Jahren wurden Schätzungen zufolge 20 000 bis 50 000 Frauen und Mädchen misshandelt, vergewaltigt, sexuell versklavt oder getötet. Es waren diese Leidensgeschichten, die den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen veranlassten, sich mit dem Thema Frauen und bewaffnete Konflikte zu befassen.

Am 31. Oktober vor 20 Jahren verabschiedete der Sicherheitsrat die Resolution 1325, mit dem schlichten Titel Frauen, Frieden und Sicherheit. Darin erkennt der Rat zum ersten Mal an, dass Frauen und Kinder unter der Zivilbevölkerung die am stärksten von bewaffneten Konflikten betroffene Gruppe sind und dass sie in zunehmendem Maße gezielt angegriffen werden. Zudem erkennt der Rat die entscheidende Rolle an, die Frauen bei Friedensbemühungen und in Nachkriegsgesellschaften spielen.

Es passt ins Bild, dass bei der Jubiläums-Generalversammlung anlässlich 75 Jahre UN im September 2020 unter den 190 Staatenvertretern ganze neun Frauen waren.

20 Jahre sind vergangen. Neun Folgeresolutionen wurden beschlossen und 86 von 193 Staaten haben Aktionspläne zur Umsetzung der Resolution 1325 aufgestellt.

Viel geändert hat sich nicht. Nur 25 von 1500 Friedensverträgen, die zwischen 2000 und 2016 geschlossen wurden, erwähnen Frauen. Weniger als drei Prozent der Unterzeichnenden von Friedensabkommen und weniger als zehn Prozent der Verhandlungsführenden bei Friedensgesprächen sind Frauen. Frauen stellten im Jahr 2019 nur fünf Prozent des Militärpersonals und elf Prozent der organisierten Polizeieinheiten in UN-Friedensmissionen.

Da passt es ins Bild, dass bei der Jubiläums-Generalversammlung anlässlich 75 Jahre UN im September 2020 unter den 190 Staatenvertretern ganze neun Frauen waren. Das sind noch nicht einmal fünf Prozent – die schlechteste Quote seit vielen Jahren. Das heißt umgekehrt, dass 95 Prozent der Staaten von Männern vertreten werden – und das im Jahr 2020.

In Deutschland sieht es nicht wirklich besser aus. Das Auswärtige Amt hat 150 Jahre nach seiner Gründung im Oktober den ersten nach einer Frau benannten Sitzungssaal im Haus am Werder'schen Markt eröffnet. Er ist nach Ellinor von Puttkamer benannt, der ersten Botschafterin der Bundesrepublik. Gegenwärtig wird nicht einmal jede fünfte deutsche Auslandsvertretung von einer Frau geleitet. Auch New York hatte noch nie eine deutsche UN-Botschafterin, noch nicht einmal eine stellvertretende.

Wir sollten eine 40-Prozent-Quote bei der Besetzung von diplomatischen Posten und der Delegationen zu internationalen Konferenzen einführen oder die Beteiligungsquote von Frauen an UN-Friedensmissionen auf 20 Prozent erhöhen.

Was muss geschehen? Weitere UN-Resolutionen brauchen wir nicht. Das normative Regelwerk rund um Frauen, Frieden und Sicherheit ist umfassend. Es muss in die Tat umgesetzt werden. Daran hapert es in eklatanter Weise. Es braucht einen Bewusstseinswandel, der alle Schichten der Gesellschaft durchdringt und das weltweit. Das ist ein Jahrhundertprojekt, fürwahr, aber ein zwingend notwendiges. Denn Kriege können nur eingedämmt werden, wenn Frauen gleichberechtigt mitentscheiden, wenn sie Zugang zu Bildung, zu Ressourcen, kurz: zur Macht haben.

Wie kommen wir dahin? Ein Weg wäre es, die Agenda Frauen, Frieden und Sicherheit, ähnlich wie die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, mit konkreten Zielen zu versehen und die Einhaltung dieser Ziele regelmäßig zu überprüfen (etwa durch ein Peer-Review-Verfahren, wie sie im UN-Menschenrechtsrat üblich sind).

Auf nationaler Ebene müssen alle UN-Staaten die seit 2004 geforderten nationalen Aktionspläne zur Umsetzung der Resolution 1325 endlich aufstellen und mit einem angemessenen Budget ausstatten. Denn ohne Geld ist alles nichts. Bisher haben erst 86 von 193 Staaten solche Pläne erstellt.

Zu den messbaren Zielen könnte gehören, eine 40-Prozent-Quote bei der Besetzung von diplomatischen Posten und der Delegationen zu internationalen Konferenzen einzuführen oder die Beteiligungsquote von Frauen an UN-Friedensmissionen auf 20 Prozent zu erhöhen. Letzteres ist einfacher gesagt als getan. Nur 15 Prozent der Mitglieder der Bundeswehr sind Frauen. Es müssten also überproportional viele von ihnen an die UN entsandt werden, um eine Quote von 20 Prozent zu erreichen – derzeit liegt sie bei fünf Prozent. In sehr vielen nationalen Armeen liegt die Quote zwischen null und fünf Prozent.

Dass es auch anders gehen kann, zeigt das Beispiel Schweden: Das Land verfolgt seit 2014 eine feministische Außen- und Sicherheitspolitik.

Hier müssen Stellschrauben bei der Ausbildung, bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und in der Kultur des Militärs betätigt werden. Mehr Frauen müssen für Jobs wie Mediatorinnen, Gender-Beraterinnen oder Kommandeurinnen ausgebildet werden. Mehr Einsatzorte müssen ein halbwegs sicheres Umfeld bieten und Erziehung, Hausarbeit und Fürsorge müssen zwischen Frauen und Männern gerecht verteilt werden. Nicht zuletzt muss sich bei den Einsätzen in Konfliktgebieten die Einsicht durchsetzen, dass es nicht nur um Schutz vor bewaffneter Gewalt geht, sondern auch um die Versorgung mit Lebensmitteln und Wasser, um Gesundheit und Hygiene, den Zugang zu Bildung sowie um den Schutz der Menschenrechte.

In allen Tätigkeitsfeldern des Bereichs Frieden und Sicherheit sind Frauen entscheidend. Wenn ihre Perspektiven nicht einbezogen, wenn ihr Stimmen nicht gehört werden, werden immer wieder neue Kriege ausbrechen und bereits befriedete Konflikte wieder aufflammen.

Dass es auch anders gehen kann, zeigt das Beispiel Schweden: Das Land verfolgt seit 2014 eine feministische Außen- und Sicherheitspolitik, hat im Jahr 2018 sogar ein Handbuch für eine feministische Außenpolitik veröffentlicht. Diese konsequente Ausrichtung auf die drei Rs – Rechte, Repräsentation und Ressourcen – zeigt Wirkung: 40 Prozent von Schwedens Auslandsbotschaften werden von Frauen geleitet und ein Netzwerk von Mediatorinnen, das Schweden aufgebaut hat, ist auf der ganzen Welt tätig.