Blutdiamanten sind der bekannteste Konfliktrohstoff, doch keineswegs der einzige. Die Erlöse aus ihrem Verkauf etwa wurden in Afrika eingesetzt, um gewaltsame Konflikte zu finanzieren und zu verlängern. Nach dem Willen der EU-Kommission soll die Ächtung solcher Rohstoffe nun auf strategische Rohstoffe ausgeweitet werden, eine EU-Verordnung zu Konfliktmineralien soll dazu beitragen.
Rohstoffe sind ein unverzichtbarer Bestandteil der modernen Ökonomie und im geopolitischen Wettbewerb entsprechend begehrt. Ihre Förderung und Ausbeutung sind indes in vielen Ländern des globalen Südens mit hohen sozialen und Umweltkosten verbunden. Hinzu kommt: In vielen rohstoffreichen Staaten fachen die Rohstofferlöse Konflikte, ja sogar kriegerische Auseinandersetzungen an. Mit ihrer Verordnung versucht die EU-Kommission nun, eine neue Dimension der Rohstoffdiplomatie zu entwickeln.
Europäische Importeure kritischer Rohstoffe werden stärker in die Verantwortung genommen. Sorgfalts- und Nachweispflichten für Unternehmen werden durch die im Januar in Kraft gesetzte Verordnung verbindlich gemacht. Gewalt und Menschenrechtsverletzungen sollen nicht mehr aus Rohstoffeinnahmen finanziert werden. Europa schlägt damit im Vergleich zu wichtigen Konkurrenten auf den Rohstoffmärkten wie etwa China einen alternativen Weg ein.
Die Sicherung des Zugangs zu nicht energetischen Rohstoffen und den „seltenen Erden“ ist zur strategischen außenwirtschaftlichen Aufgabe geworden.
Die Zahl der von der EU-Kommission als kritisch eingestuften Rohstoffe liegt gegenwärtig bei 20. Prominentes Beispiel eines konfliktreichen Rohstoffes ist das Coltan-Erz. Es wird für die Handy-Produktion benötigt; 80 Prozent aller weltweiten Vorkommen lagern in der Provinz Kivo der Demokratischen Republik Kongo. Die Coltan-Minen befinden sich in Gebieten, die unter der Kontrolle bewaffneter Milizen stehen. Diese nutzen die Erlöse für die Rekrutierung von Kämpfern und die Beschaffung von Waffen. Damit halten sie einen innerstaatlichen Konflikt am Laufen, der bereits Millionen Menschenleben gekostet hat.
In Kolumbien wiederum konzentrieren sich auch nach dem Friedensschluss mit der größten Guerillagruppe FARC im Jahr 2016 die Gewaltakte in jenen Landesteilen, in denen Goldminen betrieben werden. Paramilitärische Kräfte, kriminelle Organisationen und (wieder-)bewaffnete Guerilleros erpressen von den Minenbesitzern im Kleinbergbau wie von großen Firmen Abgaben, die sie für ihren Kampf oder den eigenen Profit einsetzen, um ihre territoriale Kontrolle zu bewahren oder auszuweiten. Vertreter indigener Organisationen und zivilgesellschaftlicher Gruppen, die sich ihnen entgegenstellen, bezahlen dies oft mit dem eigenen Leben.
In den Importländern überwiegt oftmals das Interesse am Marktzugang, getragen vom Motiv der Versorgungssicherheit. Oberstes Ziel ist es, Handelsrestriktionen zu überwinden und strategische Rohstoffe verfügbar zu halten. Mit der Entwicklung neuer Technologien und der Energiewende in Europa ist der Ressourcenhunger auch hier wieder erwacht, die Sicherung des Zugangs zu nicht energetischen Rohstoffen und den „seltenen Erden“ ist zur strategischen außenwirtschaftlichen Aufgabe geworden.
Ob für Windkraftanlagen, in LED-Bildschirmen, in Handys oder Solaranlagen, überall werden diese Technologiemetalle wie etwa Lithium benötigt. Sie sind unverzichtbar für die Produktion von Hightech-Geräten; gleichzeitig werden sie nur in wenigen Ländern der Welt gefördert. Aber auch bei traditionellen Erzen wie Kupfer, Gold, Platin ist die Nachfrage auf den internationalen Märkten hoch, auch wenn wachsende Anteile inzwischen mittels Recycling gewonnen werden.
Die Rohstoffdiplomatie Pekings nutzt die gesamte Bandbreite außen-, wirtschafts- und entwicklungspolitischer Instrumente.
Chinas wachsendes Interesse, sich weltweit Zugang zu Rohstoffen zu sichern, hat die Konkurrenz weiter befördert. Die Rohstoffdiplomatie Pekings nutzt die gesamte Bandbreite außen-, wirtschafts- und entwicklungspolitischer Instrumente, um mit den rohstoffproduzierenden Ländern Abnahmeverträge zu schließen. Mit Investitionen in Infrastrukturprojekte und den sozialen Wohnungsbau bis hin zu Waffenlieferungen werden diese „versüßt“.
Attraktiv für die Produzentenländer und die dort politisch Verantwortlichen ist bei der chinesischen Offerte oftmals, dass der Handel an keinerlei Bedingungen geknüpft ist und zudem schnelle Zuschläge sowie eine rasche Umsetzung der Investitionsprojekte garantiert werden. Die Perzeption einer chinesischen Rohstoffhegemonie hat in weiten Kreisen von Politik und Wirtschaft Abwehrstrategien befördert. Sie richten sich insbesondere gegen Marktverzerrungen durch die enge Verknüpfung von staatlicher Politik und staatseigenen chinesischen Unternehmen.
Doch der Zugang zu Rohstoffen ist nur eine Seite der Medaille, die Frage von nachhaltiger Entwicklung die andere. Hier sieht sich gerade die EU angesprochen in dem Bestreben, über Maßnahmen für einen effizienten Ressourceneinsatz hinaus auch die Nachhaltigkeit der Entwicklung in den Förderländern in den Blick zu nehmen. Europäische Unternehmen haben oft das Nachsehen gegenüber der chinesischen Konkurrenz oder sehen sich zumindest von dieser übervorteilt. Dennoch setzt die EU mit der im Januar 2021 in Kraft tretenden Konfliktmineralienverordnung auf höhere Sorgfaltspflichten bei ihren Importeuren und damit auch deren Zulieferern.
Lieferkettenverantwortung ist das entscheidende Stichwort: Es soll sichergestellt werden, dass Erlöse aus dem Verkauf von Zinn, Tantal, Wolfram, deren Erzen und Gold nicht in die Finanzierung von bewaffneten Konflikten fließen und in Krisen- bzw. Hochrisikoländern Konflikte angeheizt werden. Dies soll mit einer Kennzeichnung der Herkunft der Mineralien gelingen, die auch die Nachverfolgung von der Förderung bis zur Verarbeitung möglich macht.
Statt der Extremposition, den Import von Rohstoffen aus Krisenregionen ganz zu unterbinden, setzt die EU auf eine Kooperationsstrategie.
Von den Unternehmen, die in Konfliktregionen tätig sind, wird nicht nur Transparenz gefordert. Sie sollen zudem auch mittelbar einen Beitrag zur Verbesserung der sozioökonomischen Rahmenbedingungen in den Förderländern leisten. Hier werden derzeit 27 Länder weltweit aufgeführt. Genannt sind von Mali über den Osten des Kongos und Libyen auch die Länder in der Region der Großen Afrikanischen Seen. Auch Mexiko, Kolumbien und Venezuela bzw. Indien, Pakistan und Afghanistan werden aufgeführt.
Statt der Extremposition, den Import von Rohstoffen aus Krisenregionen ganz zu unterbinden, setzt die EU auf eine Kooperationsstrategie. Sie verfolgt damit eine alternative Rohstoffdiplomatie: Sie nimmt europäische Importeure in die Pflicht, um die Nichtbeachtung von Sozial-, Arbeits- und Umweltstandards einzudämmen. Gleichzeitig bietet sie den Förderländern strategische Partnerschaften und Rohstoffdialoge an, die das Konzept des „wertebasierten und fairen Handels“ ergänzen sollen.
Diese Rohstoffdiplomatie verknüpft damit außenpolitische Instrumente mit der Rechenschaftspflicht innenpolitischer Akteure wie Unternehmen. Sie stellt eine neue Form von Diplomatie dar. Mit der Konfliktmineralienverordnung tritt neben die Investitions- und Handelspolitik eine soziale und ökologische Komponente. Sie muss nun robust ausgestaltet werden, wenn sie nicht nur schmückendes Beiwerk bleiben soll. Informationen über die Bedingungen des Abbaus müssen offengelegt werden. Audits werden eingeführt, um die Unternehmensangaben nachzuprüfen. Hier wird es auf strenge Kriterien ankommen, um die neue Verordnung nicht als zahnlosen Tiger zu entlarven.
Allerdings hat die neue Rohstoffdiplomatie auch ihre Grenzen: Bislang werden von der Konfliktmineralienverordnung nur vier Stoffe erfasst. Eine Erweiterung dieser Liste ist nötig, da auch Mineralien wie Kupfer nicht „konfliktfrei“ abgebaut werden. Auch müssen die betroffenen Länder oder Regionen laufend aktualisiert werden, um die angestrebte Steuerung des Verhaltens der Unternehmen berechenbar zu gestalten.
Eine aktive Rohstoffdiplomatie kann heute nicht mehr nur auf Versorgungssicherheit abzielen, sie muss die Verantwortung für die Bedingungen des Ressourcenabbaus umfassen. Dies kann kurzfristig höhere Kosten für die Importeure beinhalten, aber auch positive Wirkungen im wohlverstandenen Eigeninteresse der rohstoffreichen Förderländer entfalten.