Die meisten einigermaßen einflussreichen politischen Akteure dieser Welt haben wohl erleichtert aufgeatmet: Endlich ist Donald Trump aus dem Weißen Haus ausgezogen. Die vier Jahre seiner mit rassistischen Beschimpfungen durchsetzten Chaospolitik sind vorbei. Die liberalen Kräfte in den Vereinigten Staaten haben einmal mehr eine existenzielle Bedrohung abgewehrt – diesmal eine Bedrohung aus dem eigenen Land. Im Augenblick ist wegen der verheerenden Pandemie die Stimmung noch gedämpft. Aber werden die Liberalen, sobald die Stimmung sich aufhellt, nicht wieder in den feierlichen Triumphalismus der frühen 1990er Jahre verfallen? Immerhin gibt es zwischen der damaligen und der heutigen Situation deutliche Parallelen.

Das Ende des Kommunismus war ein Sieg des demokratischen Kapitalismus und in den USA ein Sieg der Koalition aus Konservativen und Liberalen. Sie kam in Harry Trumans Nachkriegspräsidentschaft zustande und hatte bis zum Ende von Ronald Reagans Regierungszeit in den 1980er Jahren Bestand. Seit den späten 1960ern war der Kommunismus keine innenpolitische Gefahr mehr: Die kommunistischen Parteien in den Ländern des Westens hatten politisch an Bedeutung verloren, weil sie nach und nach zu Sozialdemokraten wurden und sich in den meisten Fällen selbst abschafften.

Nach außen hin hatte die Sowjetunion jedoch enorme Macht. Binnen weniger als einer halben Stunde hätte sie die USA vernichten können (und umgekehrt von den USA vernichtet werden können). Dies geht aus jüngst freigegebenen Dokumenten über eine 1983 abgehaltene Übung der Amerikaner hervor, die dazu führte, dass die Sowjetunion sich auf einen atomaren Angriff vorbereitete. Als die Sowjets beschlossen, den Kommunismus über Bord zu werfen, und sich der reicheren westlichen Koalition anschlossen, hatte die Koalition demokratischer Staaten gesiegt.

Die Grundlage für diese Machtdemonstration war die ideologische Überzeugung, dass alle Infragestellungen des Liberalismus sich politisch und wirtschaftlich als haltlos erwiesen hatten.

Nach diesem Sieg machte die konservativ-liberale Koalition in den Vereinigten Staaten sich unbekümmert an den Aufbau einer „neuen Weltordnung“. Sie begann in rascher Folge eine Reihe von Kriegen: gegen Panama, Irak (zwei Mal), Serbien, Afghanistan und Libyen. Die NATO expandierte in die frühere sowjetische Einflusszone in Osteuropa, und die USA richteten rund um den Globus militärische Außenposten ein – mittlerweile 800 an der Zahl.

Die Grundlage für diese außergewöhnliche Machtdemonstration war die ideologische Überzeugung, dass alle Infragestellungen des Liberalismus sich politisch und wirtschaftlich als haltlos erwiesen hatten. Nach diesem Narrativ konnte es nur zwei Gründe geben, warum jemand die Patentlösungen Washingtons noch nicht übernommen hatte: Entweder durfte er seine geheimsten Wünsche nicht offen kundtun oder er war ein unverbesserlicher „Islamo-Faschist“ – ein Begriff, der speziell für den zweiten Irak-Krieg geprägt wurde. Im März 2003 behaupteten die in der Administration von George W. Buch tonangebenden Neokonservativen und die meisten liberalen Kriegsbefürworter, die Armeen der siegreichen „Koalition“ würden auf Bagdads Straßen mit „Blumen und Girlanden“ empfangen und ein neuerdings demokratischer Irak werde Seite an Seite mit dem demokratischen Israel für Frieden und Wohlstand in Nahost sorgen.

Die Realität im Irak und die weltweite Finanzkrise, gefolgt von innenpolitischem Aufruhr in den internationalen Zentren des Liberalismus, entzogen dieser Sicht der Dinge die Grundlage. Da die liberal-konservative Koalition sich in den meisten wichtigen Ländern nun mit „inneren Feinden“ – von den gilets jaunes in Frankreich über die Brexiteers in Großbritannien bis zu Trump in den USA – auseinandersetzen musste, waren die vergangenen Jahre außenpolitisch ruhig.

Nachdem diese jüngste Gefahr gebannt ist, droht die Rückkehr der Triumphhaltung, die das Ende des Kalten Krieges begleitete und einen neuen Kalten Krieg herbeiführen könnte – diesmal mit China.

Nachdem diese jüngste Gefahr gebannt ist, droht die Rückkehr der Triumphhaltung, die das Ende des Kalten Krieges begleitete und einen neuen Kalten Krieg herbeiführen könnte – diesmal mit China. Den Boden dafür hat Trump schon komplett bereitet. Der Handelskonflikt zwischen China und den USA war vielleicht überflüssig, aber immerhin prinzipiell lösbar – beide Seiten waren dabei, sich auf einen Kompromiss zuzubewegen. Covid-19 setzte diesen Hoffnungen allerdings ein Ende. Trumps zunehmend hysterisches Verhalten deutete darauf hin, dass er hinter der Epidemie ein chinesisches Komplott vermutete, mit dem er von der Macht verdrängt werden sollte. Die Attacken des Präsidenten und seiner Administration gegen China wurden immer schriller und zahlreicher.

Mittlerweile ist die chinafeindliche Haltung allerdings quer durch alle einflussreichen Segmente der US-Politik zum Gemeingut geworden. Auch wenn viele nicht gern zugeben mögen, dass sie in Trumps Fußstapfen treten, tun sie genau das. Dies geht mit einer unheilvollen Eskalation einher: Was als Handelskonflikt begann, hat sich in einen Wertekonflikt verwandelt. Wertekonflikte sind per definitionem unlösbar – außer wenn eine Seite gewinnt und die andere unterliegt.

Als Erklärungsangebot für einen neuen Kalten Krieg verweisen führende Demokraten darauf, dass die USA sich auf China eingelassen und seiner Mitgliedschaft in der Welthandelsorganisation zugestimmt hätten, weil sie davon ausgingen, China würde sich politisch Schritt für Schritt liberalisieren. Damit greifen sie die Modernisierungstheorie auf, an die das US-Establishment seit den frühen 1960er Jahren glaubt und die durch den Zusammenbruch des Kommunismus noch gestärkt wurde. Nach dieser Lesart der Geschichte ist der Konflikt mit China unausweichlich, weil die chinesische Führung sich nicht an das Drehbuch des amerikanischen Establishments hält und seine wirtschaftliche Stärke nicht mit einer Mehrparteiendemokratie kombiniert.

Nach dieser Lesart der Geschichte ist der Konflikt mit China unausweichlich, weil die chinesische Führung sich nicht an das Drehbuch des amerikanischen Establishments hält.

Es gibt für die Ursachen des Konflikts allerdings auch eine andere, realpolitische Interpretation. Sie besagt, dass die USA ihre Vormachtstellung durch Chinas Aufstieg und die Herausbildung einer bipolaren Welt bedroht sehen. Und geriete nicht außerdem, wenn eine andere Kapitalismusvariante sich als wirtschaftlich effizienter erweisen sollte, die von den Liberalen gehegte Vorstellung vom „Ende der Geschichte“ ins Wanken? Der Grund für den Konflikt könnte also die Angst vor dem Verlust der wirtschaftlichen und damit auch der ideologischen Überlegenheit sein – und nicht bloß die enttäuschte Hoffnung auf ein China, das dem Westen nacheifert.

Thukydides, der im Athen des Altertums als General diente und als Historiker Athens Krieg gegen Sparta dokumentierte, nannte drei Gründe, warum Menschen in den Krieg ziehen: Interessen, Ehre und Furcht. Die Furcht der Vereinigten Staaten vor dem Verlust ihrer Vorherrschaft könnte die neu auflebende Koalition aus Liberalen und Konservativen dazu verleiten, Trumps chinafeindliche Politik fortzusetzen – und die Spannungen noch eine Stufe weiter zu verschärfen, indem sie den Konflikt als Widerstreit nicht miteinander vereinbarer Werte hinstellen. Von dort es nicht mehr weit bis zur Idee vom „regime change“.

Braucht die Welt einen zweiten Kalten Krieg? Mit viel Glück sind wir im ersten Kalten Krieg von der nuklearen Apokalypse verschont geblieben. Kein zurechnungsfähiger Mensch kann dafür sein, einmal mehr der Vernichtung ins Auge zu sehen, nur weil ein Teil der Welt einem anderen Teil der Welt sein Wertesystem aufzwingen will.

Doch die Zeichen der Zeit scheinen genau darauf hinzudeuten. Es kann sein, dass zukünftige Historiker (wenn wir von der optimistischen Annahme ausgehen, dass es zukünftige Historiker geben wird) in Covid-19 den auslösenden Impuls erkennen, der die Welt in eine unnötige und zerstörerische politische und vielleicht militärische Konfrontation stürzte.

Aus dem Englischen von Andreas Bredenfeld

Dieser Artikel ist eine gemeinsame Veröffentlichung von Social Europe und dem IPG-Journal.