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„Die hierarchische Struktur des derzeitigen Prozesses birgt das Risiko eines Scheiterns oder eines weiteren miesen Deals durch Trump“, schrieb ich im Vorfeld des Gipfels von Hanoi über die US-nordkoreanische Atomwaffendiplomatie. Die Ironie will es, dass US-Präsident Donald Trump, indem er Letzteres vermied, Ersteres herbeiführte, als er die Verhandlungen in Hanoi verließ, nachdem der nordkoreanische Diktator Kim Jong Un offenbar eine unmäßige Lockerung der Sanktionen gefordert hatte. Und so endete der Gipfel ohne gemeinsame Erklärung, ohne gemeinsame Definition der Denuklearisierung, ohne Kompromisslösung für einen diesbezüglichen Fahrplan und ohne jeglichen Fortschritt gegenüber den vagen Zusagen der Erklärung von Singapur im Jahr 2018.
In der Manöverkritik wurde dieses Scheitern oft zum Erfolg umgemünzt, denn „kein Deal ist besser als ein schlechter Deal“, Trump und Kim hätten sich „freundschaftlich“ getrennt und die Teams aus Washington und Pjöngjang seien weiter verhandlungsbereit oder beide Seiten gar „kurz vor dem Ziel“. Daran darf gezweifelt werden. Der Gipfel von Hanoi war ein Debakel, das Selbstüberschätzung und schlechter Vorbereitung geschuldet war. Die Frage lautet nun: Wie konnte es soweit kommen, was hat es zu bedeuten, und was sollten wir vom weiteren Vorgehen erwarten?
Vor dem Gipfel von Hanoi, so schien es, drehten sich die Verhandlungen auf Arbeitsebene um diverse Elemente – vertrauensbildende Maßnahmen, Aufhebung einzelner Sanktionen, Teildemontage atomarer Einrichtungen und so weiter –, die sich zu einem bescheidenen Abkommen zusammenführen ließen. Doch Kim ging offenbar gleich zu Beginn aufs Ganze: Er forderte eine Rücknahme zahlreicher internationaler Sanktionen, besonders von Einzelsanktionen und solchen für bestimmte Branchen, die seit 2016/2017 verhängt worden waren.
Einmal abgesehen von der komplexen Frage des Ablaufs waren die Zugeständnisse, die Nordkorea im Gegenzug anbot – eine nachprüfbare Demontage der Einrichtungen für Plutoniumproduktion und Urananreicherung in der Atomanlage von Yongbyon –, in den Augen der USA eine Nullnummer. Zwar darf angesichts der dürftigen Ergebnisse des Gipfels von Singapur im Juni 2018 und den geringen Fortschritten, die bis Januar 2019 auf Arbeitsebene erreicht wurden, kaum überraschen, dass man in wichtigen Punkten nicht zu einer Einigung gelangte. Doch wenn man sieht, welche Kluft sich zwischen den Positionen der USA und Nordkoreas auftut, so ist das auf einem Gipfeltreffen doch ein Schock.
Die Nordkoreaner legten mit ihrer Verhandlungstaktik entweder mangelnde Ernsthaftigkeit oder mangelndes Entgegenkommen an den Tag. Darüber müsste Trump verärgert sein, auch wenn er das Gegenteil behauptet.
Diese Situation ergibt sich unmittelbar aus einer Schwachstelle in der US-nordkoreanischen Atomdiplomatie: Pjöngjang mauert in den Arbeitsgesprächen und setzt darauf, dass Kim auf dem Gipfel Trump austricksen und zu einem schlechten Deal verleiten kann. Dazu gilt es Zweierlei zu bedenken.
Erstens schließt die Strategie der Nordkoreaner, Gipfeltreffen über Arbeitsgespräche zu setzen, Kims Maximalforderung zur Aufhebung der Sanktionen nicht unbedingt mit ein. Er hätte auch andere hohe Ansprüche stellen können, die den Gipfel nicht gleich torpediert hätten. Warum also machte Nordkorea ein so dreistes Angebot, das doch bestenfalls dazu angetan war, auf Trumps Seite eine waghalsige Reaktion zu provozieren, wie man sie aus seinem Buch Die Kunst des Erfolgs kennt? Womöglich war es die leichtfertige Fehlkalkulation, dass die innenpolitischen Schwierigkeiten und der dringende Wunsch nach einem außenpolitischen Erfolg Trump dazu verleiten würden, ein für ihn nachteiliges Abkommen zu unterzeichnen. Wahrscheinlich aber wusste Kim genau, dass er mit seinen Maximalforderungen womöglich ein Scheitern des Gipfels provozierte, stufte jedoch das Risiko als vertretbar ein.
Nach seiner Logik wäre es ein Sieg für Nordkorea gewesen, wenn Trump darauf eingegangen wäre. Im anderen Fall ermöglicht ihm ein gescheiterter Gipfel die altbewährte diplomatische Verzögerungstaktik: Pjöngjang sitzt die Regierung Trump aus, baut sein Atomwaffenarsenal weiter aus und betreibt so seinen Aufstieg zur De-facto-Atommacht. Die Nordkoreaner legten mit ihrer Verhandlungstaktik auf dem Gipfel entweder mangelnde Ernsthaftigkeit oder mangelndes Entgegenkommen an den Tag, und darüber müsste Trump verärgert sein, auch wenn er das Gegenteil behauptet.
Zweitens trägt auch die amerikanische Seite eine Mitschuld am Scheitern des Gipfels. Die US-Unterhändler waren nicht in der Lage, in den Gesprächen vor dem Gipfel die Kluft zwischen den jeweiligen Positionen zu überbrücken. Washington und Pjöngjang lagen so weit auseinander, dass im Vorfeld des Gipfels kein Entwurf für eine gemeinsame Erklärung fertiggestellt werden konnte. Als Außenminister Pompeo nach dem Gipfel behauptete, die USA und Nordkorea seien einer Vereinbarung „nah“, versuchte er damit nur das Gesicht zu wahren – Unterhändler brechen Gespräche nicht ab, wenn sie kurz vor einem Ergebnis stehen. Die Amerikaner versuchten kurz vor dem Gipfel von Hanoi in zahllosen Erklärungen, die Erwartungen zu senken. Die US-Seite hätte den Gipfel so lange verschieben sollen, bis sie greifbarere Fortschritte gemacht und Kim die Möglichkeit genommen hätte, bei einem fundamentalen Thema wie den Sanktionen zu improvisieren.
Als De-facto-Atomnation ist Nordkorea kein Fall für die Nonproliferation, sondern vielmehr ein Problem, das man verwalten, aber nicht lösen kann.
Angesichts wiederholter Verlautbarungen in den nordkoreanischen Medien hätten die US-Unterhändler auch vorhersehen müssen, dass Nordkorea auf eine umfängliche Rücknahme der Sanktionen abzielen würde. Wenn die USA auf diesem Gebiet kompromissunwillig waren, hätten sie auch deshalb den Gipfel verschieben müssen. Die Diplomaten schließlich hätten ebenfalls auf eine Verschiebung des Gipfels drängen sollen, wenn sie fürchten mussten, dass Kim Maximalforderungen starrsinnig verfolgen würde. Falls sie es nicht vorhersahen, ist auch das ein Versäumnis.
Das Scheitern von Hanoi legt zum einen dar, welche Grenzen der US-nordkoreanischen Gipfeldiplomatie gesetzt sind, wenn die Vorbereitung auf Arbeitsebene zu wünschen übrig lässt. Das war eine kostspielige Lektion, denn nach dem Misserfolg auf Spitzenebene ist eine Rückkehr zu den Arbeitsgesprächen schwieriger geworden. Wenn darüber hinaus Trump und Kim weiterhin ihre Unterhändler nicht dazu ermächtigen, substanzielle Zugeständnisse zu machen, besteht für alle künftigen vorläufigen Vereinbarungen die Gefahr, dass die Staatschefs sie im Gipfel-Kleinklein wieder zunichtemachen.
Zweitens beweist Kim mit seinem Beharren auf der Rücknahme der Sanktionen, dass er sich um die Wirtschaftsleistung Nordkoreas sorgt. Sanktionen sind für die Amerikaner daher weiterhin ein Druckmittel, mit dem sie Nordkorea möglicherweise dazu bewegen können, an den Verhandlungstisch zurückzukehren.
Drittens unterstreicht Nordkorea mit Kims riskantem und rücksichtslosem Verhandlungsstil einmal mehr, dass das Land sein Atomwaffenprogramm und -arsenal nicht aufgeben wird. Als De-facto-Atomnation ist Nordkorea kein Fall für die Nonproliferation, sondern vielmehr ein Problem, das man verwalten, aber nicht lösen kann. Dafür muss die internationale Gemeinschaft Strategien entwickeln – von der Abschreckung bis hin zur Rüstungskontrolle.
Derzeit ist schwer erkennbar, wo ein Impuls für die Wiederaufnahme sinnvoller Verhandlungen zwischen Washington und Pjöngjang auf Arbeitsebene herkommen soll.
Wie geht es also weiter? Die gute Nachricht lautet, dass Nordkorea den USA versichert hat, es werde die selbst auferlegten Moratorien für Atomwaffen- und Raketentests verlängern, während die USA und Südkorea gemeinsame Manöver weiterhin aussetzen und herunterfahren wollen. Die schlechte Nachricht lautet, dass schwer erkennbar ist, wo ein Impuls für die Wiederaufnahme sinnvoller Verhandlungen zwischen Washington und Pjöngjang auf Arbeitsebene herkommen soll. Beide Parteien haben nach dem Gipfel erklärt, sie hätten keine Eile, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Unterdessen produziert Nordkorea immer weiter spaltbares Material und Raketen.
Der südkoreanische Präsident Moon Jae-in, der nach der ersten Absage des Singapur-Gipfels schon einmal die Vermittlerrolle übernahm, könnte den gewünschten diplomatischen Impuls geben. Doch Moon ist in Südkorea durch die kraftlose Wirtschaft, eine chaotische Regierungsführung und sinkende Umfragezahlen geschwächt, nach dem Fiasko von Hanoi mehr denn je. Darüber hinaus werden die politischen Entscheidungsträger in Washington nach diesem Gipfel Behauptungen Moons, Nordkorea sei zu einem Entgegenkommen bereit, künftig mit mehr Skepsis begegnen. Moon wird darauf achten müssen, sich nicht allzu sehr zu exponieren und Spannungen zwischen den USA und Südkorea zu riskieren.
Auch schmerzhafte Sanktionen könnten Nordkorea dazu zwingen, die Gespräche über die Denuklearisierung wieder aufzunehmen, doch bislang deutet nichts darauf hin, dass der Druck auf Kim ausreichte, ihn in diese Richtung zu bewegen. China kommt hier eine entscheidende Rolle zu, da die Chinesen mit einer lockeren Durchsetzung von Sanktionen die nordkoreanische Wirtschaft auf unbestimmte Zeit am Laufen halten können. Irgendwann wäre Kim womöglich geneigt, die Gespräche wieder aufzunehmen, doch wahrscheinlich würde das nur geschehen, wenn er meinte, ein Druckmittel in der Hand zu haben.
Auf Seiten der USA wiederum lautet die wichtigste Frage, ob Trump angesichts seiner anderen außenpolitischen Prioritäten und des politischen Gegenwinds im Inland sein Interesse an Nordkorea verliert. Auch fragt sich, wer mehr Einfluss auf Trumps Haltung gegenüber Nordkorea hat: verhandlungsfreundliche Stimmen wie der Sondergesandte Stephen Biegun oder Hardliner wie der Nationale Sicherheitsberater John Bolton. Im ersten Fall könnten die Verhandlungen wieder beginnen, wenn sich der Rauch verzogen hat, im zweiten Fall könnte die amerikanisch-nordkoreanische Diplomatie vorerst am Ende sein. In der Analyse ist letztendlich nur eines gewiss: Der Karren steckt tief im Dreck.
Aus dem Englischen von Anne Emmert.