Die Corona-Pandemie trägt dazu bei, dass ein zweites und nicht minder ansteckendes Virus immer stärker um sich greift: das Hass-Virus. Das Coronavirus lässt sich voraussichtlich mit wirksamen Impfstoffen besiegen. Was wir jetzt noch brauchen, sind ähnlich zielgenaue gesetzliche Maßnahmen gegen diejenigen, die Hass schüren.
Derzeit erleben wir eine weltweite Renaissance von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, die sich gegen Minderheiten wie Juden, Ostasiaten und LGBT-Personen richtet. Diese Minderheiten werden für die Ausbreitung des Coronavirus verantwortlich gemacht, drangsaliert und physisch angegriffen. Manche Staaten nutzen zudem aus, dass viele Menschen durch Corona eingeschränkt und abgelenkt sind, und weiten im Schatten der Pandemie die von Ressentiments getriebene Politik aus, die sie schon seit langer Zeit praktizieren.
Diese Entwicklung begann lange vor der Pandemie und wurde durch Corona noch verschärft. Obwohl Hass in Gesellschaften eine wachsende Bedrohung darstellt, werden viel zu viele Fälle, in denen zu Hass aufgestachelt wird, nicht beachtet und erst recht nicht geahndet. Dies befördert die Herausbildung krimineller Kulturen und jenes Klima der Straflosigkeit, in dem solche Kulturen gedeihen. Vor allem haben die freiheitlichen Demokratien es bislang versäumt, mit angemessenen und konkreten politischen Maßnahmen auf den weit verbreiteten, systematischen und staatlich gebilligten Hass zu reagieren, der für viele Minderheiten nach wie vor zu Elend, Migration oder gar Ermordung führt.
Derzeit erleben wir eine weltweite Renaissance von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, die sich gegen Minderheiten wie Juden, Ostasiaten und LGBT-Personen richtet.
Dass Antisemitismus, Hass auf Muslime und Intoleranz gegenüber dunkelhäutigen und indigenen Menschen von staatlicher Seite gebilligt werden, ist eine weltweite Erscheinung. Zu den Musterbeispielen für länderspezifischen Hass gehören die verfassungsmäßig verankerte Diskriminierung und staatliche Hetze gegen die Ahmadiyya-Muslime in Pakistan und das apartheidähnliche System, mit dem der Iran gegen die religiöse Minderheit der Bahai vorgeht, indem er ihre Mitglieder enteignet und grundlos inhaftiert. Die Täter, die diese Verbrechen verüben, reisen bis heute weitgehend unbehelligt durch die ganze Welt.
Wer den Status quo aufrechterhält und nichts dagegen unternimmt, dass seit Jahrzehnten Menschen brutal verfolgt werden und kein Ende abzusehen ist, macht sich mitschuldig. Die Bekämpfung dieses Geschehens ist nicht nur ethisch, sondern auch staatspolitisch geboten. Hass reißt die Nähte auf, die eine Gesellschaft zusammenhalten, und wirkt wie ein Brandbeschleuniger auf Krisen und Konflikte. Massengräuel sind die natürliche Fortsetzung dieses Prozesses. Der Holocaust und spätere Genozide waren nicht nur Resultate einer Todesmaschinerie, sondern auch einer hasserfüllten Ideologie. Die Entmenschlichung der Tutsi, die der ruandische Sender Radio Télévision Libre des Mille Collines betrieb, indem er die Angehörigen dieser Volksgruppe als „Kakerlaken“ bezeichnete, bereitete in den 1990er Jahren den Boden für den Völkermord in Ruanda, so wie Joseph Goebbels’ antisemitische Propaganda den Weg in die Gaskammern von Auschwitz bahnte.
Die Welt verfügt seit langem über internationale Gesetze zur Bekämpfung solcher Verbrechen. Nach den Gräueltaten des Holocaust kristallisierte sich in der internationalen Staatengemeinschaft eine Haltung heraus, die sich unserem gemeinsamen Menschsein verpflichtet fühlt. Sie ist verankert in Dokumenten wie der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, in Abkommen wie der Völkermordkonvention, den Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung und jeder Form von Diskriminierung gegen Frauen und dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte. In ihnen ist die Erkenntnis, dass Hass und Hetze unterbunden und bekämpft und ihre Erscheinungsformen bestraft werden müssen, damit ihre Ausbreitung verhindert wird, völkerrechtlich kodifiziert.
Wer den Status quo aufrechterhält und nichts dagegen unternimmt, dass seit Jahrzehnten Menschen brutal verfolgt werden und kein Ende abzusehen ist, macht sich mitschuldig.
Doch die Außenpolitik, die sich auf diese Normen stützen und den Hass bekämpfen sollte, bleibt kläglich hinter dem zurück, was die Konventionen zusichern. Insbesondere wurden gezielte Sanktionsregularien wie der Magnitsky Act – inzwischen das Instrumentpar excellence zur Bestrafung von Menschenrechtsverletzern – noch nie genutzt, um explizit gegen die Anstachelung zu Gewalt und Diskriminierung vorzugehen. Und das, obwohl viele dieser Sanktionssysteme an die einschlägigen internationalen Abkommen angebunden sind – sei es ausdrücklich wie in der Europäischen Union und Großbritannien oder implizit wie in Kanada und den USA.
Sanktionen sind ein wirkungsvolles Instrument. Sie verleihen den verbalen Verurteilungen diskriminierender Gewalt gegen gefährdete Gruppen zusätzlich Substanz und treffen – unter Einhaltung der vorgeschriebenen Verfahren – gezielt diejenigen, die für diese Verbrechen die größte Verantwortung tragen. Verhängt wurden solche Sanktionen zum Beispiel, nachdem im Jemen von Huthi kontrollierte Sicherheitsbehörden und Nachrichtendienste politisch engagierte Frauen vergewaltigt und zu Unrecht inhaftiert hatten, als führende tschetschenische Politiker LGBT-Personen hatten foltern und ermorden lassen und nachdem die myanmarischen Streitkräfte, genannt Tatmadaw, Gräueltaten gegen die muslimische Minderheit der Rohingya begangen hatten. Diese Sanktionen sind zwar durchaus lobenswert, zielen allerdings nur auf die strafrechtlichen Konsequenzen des Hasses ab, nicht auf seine Ursachen.
Die Bekämpfung von solcherlei Hass ist nicht nur ethisch, sondern auch staatspolitisch geboten.
Gezielte Sanktionen hätten solche Verbrechen möglicherweise verhindern können, anstatt nur im Nachhinein eine Art Wiedergutmachung zu schaffen. Wenn die internationale Gemeinschaft bereits auf die Anstachelung zu Gewalt und Diskriminierung – häufig ein erstes Frühwarnsignal, das größere Verbrechen vorausahnen lässt – rasch mit solchen Maßnahmen reagierte, würden die Alarmglocken schrillen und die Situation schlagartig ins internationale Rampenlicht rücken. Die einzelnen Täter würden an den Pranger gestellt und die Opfer geschützt. Wenn man die Täter schon für das Aufhetzen sanktionierte – klassischerweise mit Visasperren und der Beschlagnahmung von Vermögenswerten –, könnte dies eine abschreckende Wirkung entfalten. Selbst wenn die Täter ihr Verhalten nicht änderten, könnten die gezielten Sanktionen die Ausbreitung des Hasses einschränken, weil sie die Ressourcen der Hetzer schwächen und ihre weltweite Mobilität einschränken würden.
Regierungschefs, die zu Hass aufrufen und damit gegen international anerkannte Verpflichtungen verstoßen, sollten im Ausland nicht die Freiheiten genießen, die sie den Minderheiten im eigenen Land vorenthalten.
Regierungschefs, die zu Hass aufrufen und damit gegen international anerkannte Verpflichtungen verstoßen, sollten im Ausland nicht die Freiheiten genießen, die sie den Minderheiten im eigenen Land vorenthalten. Diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die zu Gewalt und Diskriminierung anstacheln, ist keine Vernachlässigung des Schutzes der Meinungsfreiheit. Das Ende der Straflosigkeit für das Schüren von Hass würde die Spielräume der freien Meinungsäußerung für alle Menschen vergrößern, insbesondere für Minderheiten, die durch ungezügelte Hassrhetorik mundtot gemacht werden.
Der gemeinsame Wunsch nach einer friedlichen und harmonischen Zukunft, in der wir unsere Unterschiede und die Solidarität der Menschheit zelebrieren, kann Quelle der Inspiration und Antriebskraft für die weltweite Zusammenarbeit sein. Um das zu erreichen, müssen wir uns dem Hass, unter dem wir letztlich alle zu leiden haben, in den Weg stellen.
Aus dem Englischen von Andreas Bredenfeld
© Project Syndicate