In der aktuellen Diskussion um die Knappheit von Impfstoffen wird inzwischen häufig vorgeschlagen, auf Zwangslizenzen zu setzen. Dieser Vorschlag erscheint auf den ersten Blick plausibel: Durch den bestehenden Patentschutz wird die wirtschaftliche Verwertung des vorhandenen Wissens über die Herstellung von Impfstoffen geschützt, ja monopolisiert. Daraus scheint ganz offensichtlich zu folgen, dass die produzierte Menge schnell gesteigert werden kann, wenn die Nutzung des Wissens nicht mehr eingeschränkt wird.

Ganz so einfach ist es aber nicht. Ein erstes Gegenargument betrifft die grundsätzliche Anreizstruktur. Wir wissen aus der Innovationsökonomik, dass intellektuelle Eigentumsrechte einen wichtigen Anreiz darstellen, um überhaupt Ressourcen in Forschung und Entwicklung zu investieren. Zwar sind nun die Impfstoffe bekannt und in diesem Fall existiert das Anreizproblem nicht mehr, aber dies wird nicht die letzte Pandemie gewesen sein. Wir werden zukünftig immer wieder auf die Pharmaunternehmen und ihre Innovationsfähigkeit angewiesen sein.

Damit Zwangslizenzen das Anreizgefüge der marktwirtschaftlichen Innovation nicht gefährden, müssten sie mit sehr hohen Entschädigungszahlungen verbunden sein. Es ist offen, ob so etwas derzeit im politischen Prozess durchsetzbar wäre. Und es entspricht ja auch gar nicht dem, was die Befürworter von Zwangslizensierungen meist bevorzugen: eine Art von Enteignung der intellektuellen Eigentumsrechte.

Aber würde eine Zwangslizensierung, wenn man sie durchführte, überhaupt etwas bringen? Auch dies ist sehr unwahrscheinlich. Zunächst einmal muss man sich klar machen, dass es Zeit braucht, eine Impfstoffproduktion aufzubauen. Ein Beispiel ist das Werk, das Biontech nun in Marburg aufgerüstet hat. Dieses Werk hat die Firma von einem Konkurrenten übernommen, Biontech musste also nicht bei null beginnen, sondern konnte auf vorhandenen Anlagen aufbauen.

Wir werden zukünftig immer wieder auf die Pharmaunternehmen und ihre Innovationsfähigkeit angewiesen sein.

Biontech begann mit diesem Prozess im September 2020 und produziert seit Ende Januar. Der Ausbau hat also bereits gut vier Monate gedauert. Die produzierten Chargen können aber noch nicht ausgeliefert werden, da die Produktion in Marburg auch noch von den Regulierungsbehörden zertifiziert werden muss. Damit ist laut Presseberichten Ende Februar zu rechnen. Eine Produktion vollständig neu aufzubauen würde noch wesentlich länger dauern. Wir müssen also auch im besten Fall einen längeren Zeithorizont für neue Kapazitäten erwarten.

Einzelne Ökonomen fordern nun etwas, das sie „Kriegswirtschaft“ nennen: Eine staatliche Kommission solle identifizieren, wo freie Kapazitäten bestehen, sodass die Inhaber von Patenten gezwungen werden können, mit Unternehmen zu kooperieren, die solche Kapazitäten noch haben. Auch hier wäre natürlich erst einmal ein Prozess der Umrüstung und Zertifizierung nötig – die zusätzliche Produktion käme nicht sofort, sondern erst in einigen Monaten.

Trotzdem ist es in gewisser Hinsicht verständlich, dass man auf ein solches Verfahren setzen möchte. Denn es erscheint berechenbar, planbar und daher sicher. Wer sollte diesen Prozess besser steuern können als eine gut informierte und wohlwollende staatliche Expertenkommission?

Die meisten Ökonominnen und Ökonomen sind hier skeptisch, da sie die Dezentralität des Wissens für ein empirisch wichtiges Phänomen halten. Natürlich kann man sich von sogenannten Branchenkennern beraten lassen, aber zur Lösung des Problems ist vor allem dezentrales, verstreutes Wissen relevant, das in den Unternehmen selbst liegt. Wie schnell und zu welchen Kosten konkrete Anlagen umgerüstet werden, wissen letztendlich vor allem die Ingenieure und Manager vor Ort. Dies führt zu der Empfehlung, nicht auf hierarchisches Denken in Form von Befehl und Gehorsam zu setzen, sondern darauf, mithilfe von Anreizen die Unternehmen zu veranlassen, von sich aus neue Kapazitäten zu mobilisieren.

Der sehr schnelle Aufbau von Impfstoffkapazitäten ist gesellschaftlich so wertvoll, dass die Politik auch schnellstens ihre Zahlungsbereitschaft hierfür äußern sollte.

Idealerweise hätte man dies schon im Sommer 2020 gemacht. Hier hätte die Möglichkeit für die EU bestanden, konditionale Verträge auszuhandeln, in denen sie zusätzlich zum normalen Grundpreis hohe Prämien für eine schnelle Lieferung hätte anbieten können. Diejenigen Anbieter, die wie Biontech in ihren klinischen Studien schon relativ früh sehen konnten, dass ihr Impfstoff aussichtsreich war, hätten dann höhere Anreize zu einem noch früheren, schnelleren Kapazitätsaufbau gehabt.

Hinsichtlich der Dringlichkeit bei der Pandemiebekämpfung hätte man sogar so weit gehen können, das Risiko eines stärkeren Kapazitätsaufbaus schon vor Abschluss der klinischen Studien komplett staatlicherseits zu übernehmen. Dies ist wohl eine zentrale Lehre für zukünftige Pandemien: Der sehr schnelle Aufbau von Impfstoffkapazitäten ist gesellschaftlich so wertvoll, dass die Politik auch schnellstens ihre Zahlungsbereitschaft hierfür äußern sollte.

Dies provoziert nicht selten den Einwand, dass ein solches Vorgehen doch ungerecht sei. Die Risiken würden dann weitgehend vom Staat übernommen, während die Profite von den Unternehmen eingefahren würden. Hierauf ist zunächst zu antworten, dass in einer Pandemie solche Verteilungsüberlegungen vollkommen zweitrangig sein sollten. Es geht darum, den schnellsten Weg zu finden, um durch Massenimpfungen so viele Leben wie möglich zu retten und eine Normalisierung des gesellschaftlichen Lebens zu ermöglichen. Gegenüber diesem Ziel sind sonstige politische Präferenzen nachrangig.

Wir haben jedoch auch überhaupt keinen Grund, anzunehmen, dass ein anderes Modell als der marktwirtschaftliche, unternehmerische Innovationsprozess dieses Problem besser und schneller lösen würde. Es war das kleine, aber sehr innovative und schnelle Unternehmen Biontech, das den zentralen Durchbruch geschafft hat, die mRNA-Technologie zur Entwicklung des Impfstoffs zu nutzen. Wie wichtig dies war, werden wir wahrscheinlich noch sehen, wenn es darum geht, den Impfstoff an Virusmutanten anzupassen. Dies ist nach Auskunft der Mediziner bei der neuen Technologie wesentlich leichter möglich als bei konventionellen Impfstoffen.

Es geht darum, den schnellsten Weg zu finden, um durch Massenimpfungen so viele Leben wie möglich zu retten und eine Normalisierung des gesellschaftlichen Lebens zu ermöglichen.

Auch das Argument, dass Biontech dabei auf früher einmal staatlich finanzierte Grundlagenforschung zurückgegriffen hat, stellt die Bedeutung des unternehmerischen Innovationsmodells nicht infrage. Es ist ja gerade die genuine Aufgabe des Staates, Grundlagenforschung zu finanzieren, deren konkrete Anwendungen zum Zeitpunkt der Forschung überhaupt nicht bekannt sind. Das war auch bei der mRNA-Technologie der Fall.

Eine solche Forschung ist mit positiven externen Effekten verbunden, deren Größe man im Vorhinein gar nicht kennen kann. Hier herrscht fundamentale Unsicherheit. Daher wird eine solche Grundlagenforschung auch in der Regel vom Staat oder von forschungsorientierten privaten Stiftungen finanziert. Aber entscheidend ist die Frage, wie man eine solche Grundlagenforschung zu marktfähigen Anwendungen weiterentwickelt. Und hier ist nichts und niemand effizienter als Unternehmen, die nach Gewinn streben.

Es geht jetzt also darum, diese Marktdynamik für einen schnellen weiteren Kapazitätsaufbau zu nutzen. Hierzu sollten den Anbietern angemessene Prämien angeboten werden. Auch dann wird der zusätzliche Impfstoff nicht über Nacht kommen. Es wird angesichts der Ressourcenrestriktionen und der regulatorischen Prozesse einige Monate dauern. Das Ziel, mit „Kriegswirtschaft“ oder Zwangslizenzen noch in diesem Jahr die ganze Menschheit zu impfen, bleibt utopisch.

Wir haben wertvolle Monate verloren, indem wir den massiven Kapazitätsausbau erst jetzt initiieren und nicht bereits im Sommer 2020 auf die Gleise gesetzt haben. Diese Zeit müssen wir nun so schnell wie möglich aufholen, aber man sollte skeptisch sein, wenn Wunder versprochen werden – gerade wenn es um Wunder geht, die einen Abschied der Marktwirtschaft voraussetzen.

Lesen Sie in dieser IPG-Debatte auch den Text „Patente aufheben, Pandemie besiegen” von Benny Kuruvilla.