Zu den Ritualen des Herbstes in der nördlichen Hemisphäre gehört inzwischen neben der Vorbereitung auf die jährliche Grippesaison auch die auf eine neue Variante von Covid-19. In diesem Jahr ist es EG.5 (Spitzname „Eris“, in der griechischen Mythologie die Göttin des Streits und der Zwietracht), eine Untervariante von Omikron, die in den Vereinigten Staaten, Kanada und mehreren asiatischen Ländern bereits weit verbreitet ist. Obwohl die Weltgesundheitsorganisation EG.5 als „Variante von Interesse“ eingestuft hat, stellt sie als Untervariante keine große Gefahr für die öffentliche Gesundheit dar. Man geht davon aus, dass Covid-19 abgeklungen ist: Die Impfstoffe haben gewirkt, und in einigen Teilen der Welt wurde Herdenimmunität erreicht, sodass die Infektionsraten und die damit einhergehenden Morbiditäts- und Mortalitätsraten gegenüber ihren Höchstständen in den Jahren 2021 und 2022 zurückgegangen sind. Aber ist dies ein Zeichen für unsere erfolgreiche Reaktion oder haben wir einfach nur Glück gehabt?

Natürlich hat die Corona-Pandemie die Wissenschaft mobilisiert, in Rekordzeit Tests, Impfstoffe und andere Therapeutika zu entwickeln. Doch auch in der schlimmsten Phase war Covid-19 nicht so ansteckend oder tödlich wie frühere Seuchen. Und was noch wichtiger ist: Der wissenschaftliche Einfallsreichtum war nicht mit Innovationen in der Global Governance verbunden.

Es wird zweifellos ein nächstes Mal geben, und dann wird unser Versagen bei der Stärkung der Innovationspolitik deutlich zutage treten.

Tatsächlich ist es schwierig geworden, neue Varianten aufzuspüren, da viele Länder die Überwachung und die umfassenden Tests von Covid-19-Verdachtsfällen reduziert oder eingestellt haben. Maskentragen an öffentlichen Orten und andere Vorsichtsmaßnahmen sind zur Ausnahme geworden. Mehrere „Was-wäre-wenn-Fragen“ drängen sich auf. Was wäre, wenn eine tödliche Variante in einem der einkommensschwachen Länder auftaucht, in denen weniger als 40 Prozent der Bevölkerung mit mindestens einer Dosis geimpft worden sind? Was wäre, wenn die reichen Länder in ihrer Wachsamkeit zu früh nachgelassen hätten? Und was vielleicht am wichtigsten ist: Was wäre, wenn ein neues Virus eine weitere Pandemie auslöste? Es wird zweifellos ein nächstes Mal geben, und dann wird unser Versagen bei der Stärkung der Innovationspolitik deutlich zutage treten. Selbst während der Covid-19-Pandemie haben wir wiederholt Gelegenheiten verpasst, wissenschaftliche Durchbrüche zum Wohle der Allgemeinheit zu nutzen.

Im Oktober 2020 beantragten Indien und Südafrika eine vorübergehende Aussetzung der Bestimmungen des Übereinkommens der Welthandelsorganisation über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS), um die rasche Herstellung und Verteilung von Impfstoffen und Therapeutika in den Entwicklungsländern zu ermöglichen. Trotz der (zumindest prinzipiellen) Unterstützung der USA und Dutzender anderer Länder war das schließlich im Juni 2022 erzielte Abkommen nur noch ein Schatten der ursprünglichen Vision. In der Zwischenzeit war das Szenario, das die TRIPS-Ausnahmeregelung verhindern sollte, eingetreten und hatte die Schwachstellen des derzeitigen Systems offenbart.

Im Gegensatz zu der von der Pharmabranche verbreiteten Erzählung, der private Sektor sei trotz geringer Erfolgschancen Risiken eingegangen, ist die Entwicklung von Impfstoffen ein langfristiges Unterfangen, das durch öffentlich-private Partnerschaften erreicht wird. Ein Großteil der Grundlagenforschung, die zu den mRNA-Impfstoffen geführt hat, wurde jahrzehntelang mit öffentlichen Mitteln finanziert, vor allem von den USA, dem Vereinigten Königreich und Ländern der Europäischen Union. Zusätzliche öffentliche Mittel beschleunigten die Forschung an Covid-19-Impfstoffen, während Vorbestellungen für Millionen von Dosen und reduzierte Kosten und Verfahren für klinische Versuche das Subventionssystem für Arzneimittelhersteller abrundeten. Als die ersten Covid-19-Impfstoffe im Westen auftauchten, war ihre Produktion für Big Pharma weitgehend risikolos geworden, sodass „das große Debakel der globalen Ungerechtigkeit bei der Impfstoffverteilung“ eintrat.

Die Pharmaunternehmen nutzten ihre Oligopolmacht, um unter dem Deckmantel der Vertraulichkeit das beste Geschäft für ihre Aktionäre abzuschließen.

Die Pharmaunternehmen nutzten ihre Oligopolmacht, um unter dem Deckmantel der Vertraulichkeit das beste Geschäft für ihre Aktionäre abzuschließen. So zahlte etwa Südafrika mehr als das Doppelte des EU-Preises für den Impfstoff von Oxford-AstraZeneca, obwohl das Pro-Kopf-Einkommen des Landes nur etwa ein Fünftel des europäischen beträgt. Moderna ist in einen Streit mit den US National Institutes of Health über das Patent für seinen Covid-19-Impfstoff verwickelt, die behaupten, dass drei ihrer Forscher als Miterfinder aufgeführt werden müssten. Schon jetzt ist die Verfügbarkeit von Impfstoffen in vielen afrikanischen Ländern völlig unzureichend, und der Access to COVID-19 Tools Accelerator – ein Programm, das die gerechte Verteilung von Tests, Impfstoffen und Therapeutika koordinieren soll – sieht sich einer Finanzierungslücke von 247 Millionen Dollar gegenüber.

Darüber hinaus ist Covid-19 nur ein Teil der öffentlichen Gesundheit. Die Afrikanische Union hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2040 60 Prozent des gesamten Impfstoffbedarfs des Kontinents durch regionale Produktion zu decken. Doch selbst dieses bescheidene Ziel ist in hohem Maße von ausländischer Finanzierung abhängig und stößt auf Hindernisse, die anscheinend in die derzeitigen Systeme für Innovation und geistiges Eigentum eingebaut sind. Die bevorstehenden Studien mit einem vielversprechenden Tuberkulose-Impfstoff – finanziert von der Bill & Melinda Gates Foundation und dem Wellcome Trust – verdeutlichen die zwiespältige kommerzielle Vereinbarung zwischen der Gates Foundation und GSK, dem Entwickler des Impfstoffs. (Die Gates-Stiftung setzt sich seit langem für Exklusivrechte an Arzneimitteln ein und soll Forscher an der Universität Oxford davon überzeugt haben, eine Partnerschaft mit dem Biotech-Unternehmen AstraZeneca einzugehen, anstatt nicht-exklusive, gebührenfreie Lizenzen für ihren Impfstoff Covid-19 anzubieten.) Dies ist aus vielen Gründen von Bedeutung, nicht zuletzt, weil das Adjuvans AS01, das zur Steigerung der Wirksamkeit des Impfstoffs verwendet wird – und das GSK liefern wird –, ein immenses Potenzial für andere Arzneimittel hat. Einer seiner Bestandteile, QS-21, wird seit Jahrhunderten von indigenen Völkern in Chile kultiviert, was die Frage aufwirft, wie diese Bevölkerungsgruppen von der pharmazeutischen Monetarisierung des Moleküls profitieren, wenn überhaupt.

Die Weltgemeinschaft hat bewiesen, dass sie in der Lage ist, Wissenschaft und Innovation für das Gemeinwohl zu nutzen.

Die Weltgemeinschaft hat bewiesen, dass sie in der Lage ist, Wissenschaft und Innovation für das Gemeinwohl zu nutzen. Vor 50 Jahren, als Hunger und Unterernährung ganz oben auf der Agenda standen, haben sich Regierungen, internationale Organisationen und Stiftungen zusammengeschlossen, um die Agrarrevolution und die CGIAR zu finanzieren, ein globales Netzwerk von Agrarforschungszentren, das bedeutende Fortschritte in der Nahrungsmittel- und Agrartechnologie und -politik erzielt hat. Doch die derzeitigen Governance-Strukturen erfüllen eindeutig nicht mehr ihren Zweck. Stellen Sie sich vor, ein Erfinder würde eine technologische Lösung für den Klimawandel vorlegen. Die Weltgemeinschaft würde sich mit ziemlicher Sicherheit über die Förderung der raschen und umfassenden Einführung dieser Technologie streiten, und das wäre bei anderen Innovationen, die positive externe Effekte haben, nicht anders.

Es heißt, dass man eine Krise niemals ungenutzt verstreichen lassen sollte. So wie es aussieht, werden wir unsere nächste Gesundheitskrise erleben, nachdem wir die Chancen dieser Krise (die noch nicht vorbei ist) weitgehend verschenkt haben. Da die Regelungen für Innovation und geistiges Eigentum weitgehend unverändert bleiben, müssen wir darauf bauen, wieder Glück zu haben.

© Project Syndicate

Aus dem Englischen von Sandra Pontow