Japan
Schon seit Anfang des Jahres herrscht der nationale Notstand in Tokyo und mehreren angrenzenden Präfekturen. Obwohl die Zahl der Corona-Tests in Japan nur bei einem Bruchteil derer in europäischen Ländern liegt, wurden zu diesem Zeitpunkt täglich fast 8 000 Neuinfektionen registriert. Der Notstand wurde inzwischen bis zum 7. März verlängert, obwohl die Infektionszahlen deutlich zurückgegangen sind.
Derweil arbeitet die Regierung in Tokyo noch immer an ihrer Impfstrategie. Kein einziger Impfstoff hat bislang die Zulassung erhalten. Erst Mitte Februar wird mit der Zulassung des Impfstoffes von Biontech/Pfizer gerechnet. Zwar hat man von Pfizer bereits 144 Millionen Impfdosen bestellt, ausreichend für 72 der 127 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner des Landes.
Der Genehmigungsprozess für medizinische Produkte ist aber in Japan stets langwierig. Dies liegt insbesondere daran, dass japanische Pharmaunternehmen vor ausländischer Konkurrenz geschützt werden sollen. Im Falle der Covid-Impfung erweist sich diese Strategie als weitestgehend sinnfrei – es existiert kein japanisches Produkt. Vorbehalte gegen Impfstoffe bestehen allerdings auch in der Bevölkerung, denn in der Vergangenheit gab es Probleme mit Nebenwirkungen. Bei einer Umfrage des staatlichen Fernsehsenders NHK im Dezember 2020 erklärten 36 Prozent der Befragten, dass sie sich nicht impfen lassen wollten, und nur 30 Prozent äußerten ihr Vertrauen in eine Impfung.
Nicht zuletzt aus diesem Grund pocht das Gesundheitsministerium auf den Abschluss einer Testreihe mit japanischen Probanden, die seit Oktober 2020 mit 200 Beteiligten durchgeführt wird. Aber auch atavistische und unwissenschaftliche Vorstellungen von „Rasse“ spielen in diesem Zusammenhang eine Rolle, wie jüngst selbst im Parlament vernehmbar war. Premierminister Suga erklärte am 8. Februar 2020, dass die Testreihe mit japanischen Probanden unerlässlich sei, da Impfstoffe „bei verschiedenen Rassen unterschiedliche Wirkung zeigen“.
Falls die erste Genehmigung des Biontech/Pfizer-Impfstoffs Mitte Februar planmäßig erfolgt, soll in der zweiten Februarhälfte mit der Impfung von Ärztinnen und Angestellten im Gesundheitswesen begonnen werden. Ab April sollen die über 65-Jährigen folgen, ab Juli dann der Rest der Bevölkerung. Während die nationale Regierung die Beschaffung der Impfstoffe organisiert, werden die lokalen Gesundheitsämter für die Durchführung verantwortlich sein, was in vielen Fällen eine große logistische Herausforderung darstellen wird.
Premierminister Suga hat dem in der Bevölkerung hoch angesehenen Minister für Administrative Reformen, Taro Kono, die Verantwortung für die Impfkampagne übertragen. Sollte dieser eine effiziente und reibungslose Durchführung sicherstellen können, würde das seine Stellung als potenzieller Nachfolger im Amt des Premierministers immens stärken.
Sven Saaler, FES Tokyo
Senegal
Der Senegal sitzt in den Startlöchern. Knapp 1,3 Millionen Impfdosen erwartet der Gesundheitsminister bis Ende März; dann kann es losgehen. In einer ersten Phase sollen 3,5 Millionen Senegalesinnen und Senegalesen (20 Prozent der Bevölkerung) geimpft werden: Gesundheitspersonal, Ältere und Vorerkrankte. Todesfälle und schwere Verläufe sollen verhindert, die Intensivstationen entlastet werden. In Phase zwei, bis Ende 2022, soll der Rest der Bevölkerung ein Impfangebot erhalten, wobei unter 16-Jährige nicht eingeplant sind.
Nun wird Logistik aufgebaut: Mit Unterstützung durch internationale Partner und COVAX sowie aus eigenen Mitteln wurden Kühlschränke, Kältekammern und Tiefkühler gekauft, um in allen Regionen des Landes impfen zu können.
Mit welchem Stoff es wann genau losgeht, ist unklar. Astra Zeneca ist Frontrunner, aber auch Moderna ist im Gespräch, die Chinesen wollen 200 000 Dosen bereitstellen, wahrscheinlich Sinopharma, für den russischen Impfstoff Sputnik V ist man „offen“, auch für Pfizer/Biontech, nur reichen die Kühlvorrichtungen hierfür nicht aus. Im Rahmen der Afrikanischen Union hat man 3,6 Millionen Impfdosen bestellt. Angesichts dieser Zahlen muss man sich fragen, ob alles, was über Phase eins hinausgeht, überhaupt realistisch ist. Der eher durchwachsene Impf-Enthusiasmus in der Bevölkerung ist wohl das geringste Problem.
Das westafrikanische Land, eines der ärmsten der Welt, hat Lob für sein entschlossenes Handeln während der ersten Welle erhalten. Die Todeszahlen waren niedrig, die Regierung kommunizierte transparent und zwischen August und September 2020 flachte die erste Welle ab. Im Oktober wurden kaum noch Fälle registriert, man raunte von Herdenimmunität. Doch Ende November wendete sich das Blatt und die Krankheit kam mit Wucht zurück. Heute zählt man insgesamt 30 000 Infektionen und 800 Tote, aber bei 2 000 bis 3 000 Tests am Tag (bei 16 Millionen Einwohnern) ist die Dunkelziffer hoch.
Der erste Lockdown hat massive Schäden verursacht: Die Wirtschaft stürzte ab, die Ungleichheit nahm zu, Frühschwangerschaften stiegen an. Eine neue Migrationswelle in Richtung Kanarische Inseln mit etlichen Toten auf See rief die Perspektivlosigkeit vieler ins Bewusstsein. Diesen Weg wird man nicht noch einmal gehen. Heute gelten nächtliche Ausgangssperren in den Städten Dakar und Thiès, wo sich 90 Prozent der Fälle konzentrieren sollen, und eine Maskenpflicht in der Öffentlichkeit, an die sich der eine oder die andere auch tatsächlich hält.
Aber die Regierung hat ihr Pulver verschossen. Der Aufbau von Gesundheitskapazitäten und ein Impfprogramm im Rahmen des Möglichen sind sicherlich die sinnvollste Strategie, zumal auch andere gesundheitliche Herausforderungen bestehen. Das alles kostet Geld. Auch daraus erklärt sich der lauter werdende Appell für internationale Schuldenerleichterungen, den Präsident Macky Sall auf dem kürzlich abgehaltenen Gipfel der Afrikanischen Union unterstützte.
Thomas Mättig, FES Dakar
Ungarn
Im Kampf gegen das Coronavirus geht Ungarn seinen eigenen Weg. Nachdem die Neuinfektionen im Januar abgenommen haben, wird jetzt versucht, eine – durch die britische Mutante bedingte – dritte Welle zu verhindern (die Sieben-Tage-Inzidenz liegt momentan knapp unter 100). Dafür werden auch Impfstoffe aus Russland und China zum Einsatz kommen.
Gesundheitsminister Miklos Kasler gab bereits letzte Woche bekannt, dass das ungarische Zentrum für Nationale Volksgesundheit die Notfallgenehmigung erteilt und den russischen Impfstoff Sputnik V zugelassen habe – ohne die Begutachtung durch die Europäische Arzneimittel-Agentur abzuwarten.
Die Regierung betonte, dass die Beschaffung der Impfstoffe durch die EU viel zu lange dauere und man also gezwungen sei, sich selbst darum zu kümmern. Man habe bereits zwei Millionen Impfdosen Sputnik V bestellt, die über die nächsten drei Monate geliefert werden. Seit dem 11. Februar werden die ersten Menschen unter 75 ohne chronische Erkrankung in vier Impfzentren mit Sputnik V geimpft. Darüber hinaus wird in Kürze eine Lieferung von fünf Millionen Impfdosen Sinopharm erwartet. Damit ist Ungarn der erste EU-Mitgliedsstaat, der diese Impfstoffe einsetzt. Bis zum Sommer soll dadurch eine Herdenimmunität erreicht werden. Ziel ist die Wiedereröffnung des Landes für den Tourismus ab Mai.
Im Land wird jedoch vermehrt Kritik an der undurchsichtigen Informationslage laut. Es ist sehr schwierig, an unabhängige Informationen und Einschätzungen zu gelangen, nicht zuletzt nachdem mit dem „Ermächtigungsgesetz“ für die Verbreitung von falschen oder die Glaubwürdigkeit der Regierungsmaßnahmen in Zweifel ziehenden Informationen hohe Haftstrafen angedroht wurden. Auch deshalb haben sechs Oppositionsparteien gemeinsam einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss eingerichtet, um die aktuelle Lage des Gesundheitssystems und der Wirtschaft umfassend aufarbeiten und Anhörungen zu den Planungen des Impfstoffimports und ihrer Zulassungsmechanismen mit Experten zu ermöglichen. Aus Sicht der Opposition berücksichtigt die Regierung die prekäre Lage der Beschäftigten und Unternehmen zu wenig. Zudem wird die für Februar geplante nationale Befragung der Bevölkerung zur Covid-Situation, zu den ergriffenen Maßnahmen und deren Lockerung als weniger vorrangig angesehen als die Erarbeitung einer wirksamen Strategie für Tests und Impfungen.
Anfangs wurden die Impfungen in den regionalen Krankenhauszentren vorgenommen, mittlerweile aber auch von Hausärzten. Der Zugang zu medizinischer Versorgung ist abgesehen von Tests, Impfungen und Covid-Behandlungen weiterhin nur eingeschränkt möglich. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt würden sich Umfragen zufolge circa 40 Prozent der Bevölkerung impfen lassen, 24 Prozent seien dagegen. Daher gibt es Überlegungen, die Impfung notfalls verpflichtend zu machen, um die Herdenimmunität möglichst bald erreichen zu können.
Beate Martin, FES Budapest