Erst die EU, gleich im Anschluss daran G7 und NATO – der sechstägige Gipfelmarathon der westlichen Bündnispartner der vergangenen Woche ist zu Ende. Bei all diesen Treffen ging es den westlichen Bündnispartnern darum, Einigkeit gegenüber Russland und Putins Angriffskrieg auf die Ukraine zu demonstrieren. Das ist den Regierungs- und Staatschefs auch gelungen. Selbst die Türkei ist mit an Bord und hat ihre Zustimmung bei der Stärkung der Nordflanke gegeben und stimmt Schwedens und Finnlands NATO-Mitgliedschaft zu.
Doch im Umgang mit einem anderen ebenfalls schwierigen Akteur herrscht unter den westlichen Ländern alles andere als Harmonie: Es geht um den Umgang mit China. Und auch wenn bei allen drei Gipfeln der Ukraine-Krieg und die Russland-Sanktionen im Vordergrund standen – zerknirscht mussten selbst die USA feststellen: Jegliche Verschärfungen der Sanktionen hängen von China ab.
Beim Boykott von russischem Öl etwa: Die USA kaufen bereits seit Kriegsbeginn kein russisches Öl mehr, mit Ausnahme von Ungarn wollen die EU-Staaten die Einfuhr aus dem Aggressor-Staat bis spätestens Ende des Jahres stoppen. Und doch wirken die Sanktionen nur wenig, weil China so viel russisches Öl bezieht wie nie zuvor – und zwar für 30 Prozent unter dem Weltmarktpreis.
Macht Peking nicht mit, läuft gar nichts.
Die USA wollen diese Lücken schließen und haben daher vorgeschlagen, den Preis für russisches Öl zu deckeln. Hierbei hofft Washington vor allem auf zwei Effekte: Zuletzt war es so, dass Russlands Einnahmen wegen massiv gestiegener Öl- und Gaspreise trotz der westlichen Sanktionen gar gestiegen sind. Das würde ein Preisdeckel verhindern. Zudem würden mit einem Preisdeckel angesichts der hohen Inflationsraten die negativen Wirkungen für Drittmärkte und Konsumenten weltweit begrenzt werden. Doch auch hier gilt: Ein solcher Preisdeckel für russisches Öl würde nur funktionieren, wenn China sich beteiligt. Die Westmächte müssen also auf Peking zugehen.
Ebenfalls auf die USA geht der Vorstoß eines Importverbots für russisches Gold zurück. Russland zählt zu den größten Goldproduzenten der Welt. Mit einem solchen Verbot würden für die Russen Milliardeneinnahmen wegbrechen. Die Europäer würden mitmachen. Nur: Der Westen bezieht überhaupt nur einen sehr geringen Teil Gold aus Russland. Die großen Nachfrageländer sind Indien und China. Auch hier gilt: Macht Peking nicht mit, läuft gar nichts.
Diese beiden Beispiele vom G7-Gipfel in Elmau machen deutlich, wie sehr das Handeln des Westens inzwischen von China abhängt. Geht es allerdings um den Umgang mit China, sind sich die westlichen Bündnispartner alles andere als einig.
Aus Sicht der US-Regierung stellt die Volksrepublik eine viele größere Gefahr dar als Russland.
Auf der einen Seite stehen Großbritannien, Kanada und allen voran die USA, die längst in China ihren größten Gegner sehen und nicht Russland. Aus Sicht der US-Regierung stellt die Volksrepublik wirtschaftlich, technologisch und auch militärisch eine viele größere Gefahr dar. Sie scheut deswegen ihrerseits nicht den Konflikt mit Peking.
Und tatsächlich arbeitet Peking de facto derzeit gegen den Westen. Nach außen hin vermeidet es der chinesische Staats- und Parteichef Xi Jinping zwar, Russland die Unterstützung zu erklären. Offenbar will er nicht riskieren, dass die westlichen Sanktionen auf China ausgeweitet werden.
Wie Xi aber auf dem virtuellen Gipfel der BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) bewiesen hat, zu dem er kurz vor dem G7-Gipfel geladen hatte, nutzte er dort die Gelegenheit, gegen den Westen zu wettern. Kritik an Putin hingegen ließ er aus.
Das hält Frankreich und Deutschland dennoch nicht davon ab, auf milde Töne im Umgang mit Peking zu setzen. Vor allem die Bundesregierung will einen allzu konfrontativen Umgang vermeiden, fürchtet sie doch um die guten wirtschaftlichen Beziehungen Deutschlands, die so intensiv mit China sind wie bei keinem anderen westlichen Industrieland.
Schon im Vorfeld des G7-Gipfels hatte die Bundesregierung für eine Annäherung an die Volksrepublik plädiert. Es gelte, eine Blockbildung zu verhindern, mit dem Westen auf der einen Seite, China und Russland auf der anderen, hieß es aus deutschen Gipfelkreisen. Schließlich brauche man das mächtige Land auch in anderen globalen Fragen, etwa der Bekämpfung der Pandemie oder des Klimawandels. Großbritannien und die USA hingegen hatten schon beim G7-Gipfel ein Jahr zuvor im britischen Cornwall Deutschland und andere dazu aufgefordert, sich zu entscheiden, auf welcher Seite sie künftig stehen wollen. Aus Berlin heißt es nur, derzeit werde an einer eigenen, nationalen China-Strategie gearbeitet. Sie soll spätestens bis zum Frühjahr fertig sein.
In dem neuen NATO-Strategiepapier wird China ein ganzer Absatz gewidmet.
Zum Eklat in dieser Frage kam es beim G7-Gipfel nicht, die Beteiligten wollten offenbar die idyllische Stimmung im bayerischen Elmau nicht verderben. Aufgeschoben war aber nicht aufgehoben. Die Frage des China-Umgangs wurde stattdessen auf dem NATO-Gipfel in Madrid weitergeführt. Auf Betreiben der USA hatte die NATO auch Australien, Neuseeland, Südkorea und Japan nach Madrid eingeladen – Demokratien im asiatisch-pazifischen Raum, die sich von China bedroht fühlen.
Die gemeinsame Erklärung der NATO hat es in sich. In dem neuen Strategiepapier, das die Mitgliedsstaaten in Madrid verabschiedeten, wird China ein ganzer Absatz gewidmet. „Die von der Volksrepublik China erklärten Ziele und ihre Politik des Zwangs stellen unsere Interessen, unsere Sicherheit und unsere Werte vor Herausforderungen“, heißt es darin. Und weiter: Die engeren Verbindungen Chinas zu Russland widersprächen den westlichen Interessen. Zudem warf die NATO China Angriffe auf ihre Mitglieder mit „bösartigen hybriden und Cyber-Operationen sowie seiner konfrontativen Rhetorik“ vor. Ursprünglich wollten die USA und Großbritannien China als „Risiko“ oder sogar „Gefahr“ bezeichnen. Doch Deutschland und Frankreich weigerten sich. Die Formulierung wurde entsprechend abgeschwächt.
Die Empörung aus Peking ließ dennoch nicht lange auf sich warten. Von „Verleumdung“, sprach der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Zhao Lijian. Das Strategiepapier der NATO missachte Fakten, verwechsle Schwarz und Weiß. „Die sogenannte Bedrohung durch China aufzubauschen, ist völlig sinnlos“, sagte Zhao. Und in den chinesischen Staatsmedien heißt es: Zuerst sei Russland die Bedrohung, nun sei es China. „Aber die eigentliche Bedrohung für den Weltfrieden ist doch die NATO selbst.“ Deutschlands Bemühungen, die Kritik in dem NATO-Strategiepapier an China abzuschwächen, hat also wenig gebracht. Der Ärger in China ist trotzdem groß.
Mit der „Partnerschaft für Globale Infrastruktur“ wollen die G7 mit der chinesischen „Neuen Seidenstraße“ konkurieren.
Ein Vorstoß, bei dem es unter den westlichen Bündnispartner mehr Einigkeit gab, ist das ebenfalls gegen China gerichtete Investitionsprogramm für Entwicklungsländer, die sogenannte „Partnerschaft für Globale Infrastruktur“. Mit dieser Initiative wollen die G7 Pekings 2013 gestartetem Projekt „Neue Seidenstraße“ Konkurrenz machen, mit dem China dabei ist, neue Handelswege nach Europa, Afrika, Lateinamerika und in Asien zu erschließen.
„Gemeinsam wollen wir bis 2027 fast 600 Milliarden Dollar durch die G7 mobilisieren“, kündigte US-Präsident Joe Biden an, auf dessen Initiative das Projekt zurückgeht. Die USA wollen in den nächsten fünf Jahren allein 200 Milliarden US-Dollar an öffentlichem und privatem Kapital für diese Partnerschaft mobilisieren. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte an, „Team Europe“ sei mit 300 Milliarden Dollar dabei. G7-Staat Japan sagte 68 Milliarden zu.
Ein US-Regierungsvertreter präzisierte, die Initiative ziele auf Länder mit geringem oder mittlerem Einkommen ab. Ziel seien Infrastruktur-Investitionen, „die die Länder brauchen, ohne dass sie von außen diktiert werden“. Die Projekte würden an hohe Standards gebunden sein, „um sicherzustellen, dass diese Investitionen wirtschaftlich und kommerziell getrieben sind und nicht in Schuldenfallen führen“.
Die chinesische Führung stellt keine moralischen Bedingungen für ihre Investitionshilfe.
Doch so Recht der US-Vertreter auch haben mag, unbewusst benennt er im gleichen Atemzug auch ein Problem der westlichen Initiative: In der Tat stellen viele Länder, die Mittel aus dem chinesischen Projekt genutzt haben, inzwischen fest, dass ihre Schuldenberge massiv gewachsen sind und sie bei China hoffnungslos überschuldet sind. Doch was Chinas Angebot für viele Staaten so attraktiv machte – und gleichzeitig zum Problem der westlichen Initiative werden könnte: Die chinesische Führung stellt keine moralischen Bedingungen für ihre Investitionshilfe. Das wollen die G7 aber tun – versichern sie zumindest. Das macht ihr Investitionsprogramm für autoritäre Staaten allerdings weniger attraktiv.
Zudem haben die G7 auch ein organisatorisches Problem: Während Chinas Neue-Seidenstraßen-Initiative zentral in Peking gesteuert wird, sind die G7 eben nicht so geschlossen, wie Scholz in Elmau behauptet. Denn es ist nicht vereinbart worden, ob überhaupt, und falls ja, von wo aus die gigantischen Infrastrukturprojekte gesteuert werden. Oder ob jedes Industrieland für sich und unkoordiniert irgendwo in Zentralasien und Afrika investiert – wie das bisher auch schon der Fall war.
Außerdem ist unklar, ob die Milliarden-Summen von den G7-Staaten überhaupt bereitgestellt werden können – daran zweifeln jedenfalls viele. Bei der Entwicklungshilfe und der Bekämpfung der weltweiten Armut, aber auch beim Versprechen, armen Ländern bei der Umstellung zur Klimaneutralität zu helfen, hatten die G7 in der Vergangenheit auch feste Summen zugesagt. Sie wurden nie eingehalten.