Fast ein Fünftel aller Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen gehört zur Gruppe der Small Island Developing States (SIDS). Vom 27. bis 30. Mai 2024 hat im karibischen Inselstaat Antigua und Barbuda die 4. Internationale Konferenz der Kleinen Inselentwicklungsstaaten (SIDS4) der UN stattgefunden. Die Konferenz hat ein Schlaglicht auf die Gruppe der insgesamt 39 unabhängigen Staaten geworfen, die immer noch zu wenig Aufmerksamkeit von der internationalen Gemeinschaft und auch in Deutschland bekommen. Das Beschlussdokument der SIDS4-Konferenz, die sogenannte Antigua & Barbuda Agenda for SIDS (ABAS) zeigt auf, dass die kommenden zehn Jahre entscheidend sein werden für die Entwicklung von SIDS. Es unterstreicht den dringenden Handlungsbedarf, um Inselstaaten eine nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen – trotz der massiven Auswirkungen des Klimawandels und der Beeinträchtigungen, die sich aus ihrer Insellage und geringen Größe ergeben.
Auch hierzulande haben nehmen mittlerweile viele Menschen wahr, dass Inselstaaten zu den Ländern gehören, die am stärksten von den Folgen des Klimawandels betroffen sind. Immer noch dominiert dabei das wenig hilfreiche Bild vollständig versinkender Inseln. Zum einen trifft dieses nur auf niedrig gelegene Inseln zu, die jedoch durch Versalzung der Böden sowie durch Nahrungs- und Wassermangel bereits lange vor einem tatsächlichen Versinken im Meer unbewohnbar werden. An diesem Punkt sind viele überbevölkerte Atollinseln bereits heute. Zum anderen vernachlässigt es andere Folgen des Klimawandels wie zunehmende Stürme, Dürren und Wassermangel, Veränderungen der lebenswichtigen Fischgründe, Erosion und Landdegradation, die viele SIDS gleichermaßen treffen. Barbuda, die kleinere der beiden Inseln des SIDS4-Gastgeberlands, wurde etwa bereits im Jahr 2017 durch Hurrikan Irma so stark zerstört, dass die gesamte Bevölkerung vorübergehend umgesiedelt werden musste.
Inselstaaten dürfen nicht nur als schöne Kulisse für Regierungsbesuche dienen.
Mit dem Konzept der Klimaaußenpolitik hat Deutschland einen wichtigen Schritt getan, um die Zusammenarbeit mit SIDS beim Klimawandel weiter zu intensivieren. Positive Beispiele sind die deutsche Unterstützung der Commission of Small Island States on Climate Change and International Law oder die der von SIDS und der dortigen Zivilgesellschaft vorangetriebenen Initiative für ein Rechtsgutachten zum Klimawandel durch den Internationalen Gerichtshof. Wie Germanwatch zu Recht kritisiert, bleibt der Ansatz der Klimaaußenpolitik und vor allem die Finanzierung dieser Politik aber noch zu vage. Aus Sicht vieler SIDS steht die Klimaaußenpolitik zudem im Widerspruch zu den unzureichenden Klimaschutzmaßnahmen Deutschlands im eigenen Land. Für die Glaubwürdigkeit der deutschen Klimaaußenpolitik ist es entscheidend, dass sie sich an den tatsächlichen Bedürfnissen der vom Klimawandel betroffenen Menschen orientiert. Inselstaaten dürfen dabei nicht nur als schöne Kulisse für Regierungsbesuche dienen. Insbesondere benötigen sie dringend mehr finanzielle Mittel für die Anpassung an die bereits unvermeidlichen Folgen des Klimawandels.
Die mangelnde Finanzierung zeigt aber ein größeres Problem auf: Denn obwohl SIDS außenpolitisch seit Jahren an Bedeutung für Deutschland gewinnen, wirkt sich dies bisher kaum auf die entwicklungspolitischen Bemühungen Deutschlands aus. Um SIDS eine nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen und den Anspruch der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung – niemanden zurückzulassen – ernst zu nehmen, ist es jedoch unerlässlich, über den Klimawandel hinauszublicken und die enge Verzahnung des Klimawandels mit anderen Entwicklungshindernissen kleiner Inselentwicklungsstaaten zu erkennen. Die Zusammenarbeit auf den Klimawandel zu begrenzen, wird den weitaus vielfältigeren Herausforderungen bei der nachhaltigen Entwicklung von Inselstaaten nicht gerecht. Sie ist gewissermaßen lediglich eine Fokussierung darauf, die ohne den Klimawandel schon schwierigen Ausgangsbedingungen nicht weiter zu verschlechtern.
Zu den besonderen Herausforderungen von SIDS gehören begrenzte natürliche und finanzielle Ressourcen, wirtschaftliche Nachteile aufgrund der Abgelegenheit von wichtigen Märkten, große Entfernungen und Transportwege auch innerhalb von Ländern sowie die Abhängigkeit von Importen. Einige Inselstaaten bestehen aus teils Hunderten kleinen, kaum bevölkerten (oder aufgrund der geringen Größe manchmal trotzdem überbevölkerten) Inseln, was die Versorgung der Menschen mit Bildung oder Gesundheitsversorgung erheblich erschwert und kostspielig macht. SIDS4 fordert daher die Weltgemeinschaft dazu auf, Inselstaaten besser in das globale Wirtschaftssystem zu integrieren, sie bei der Diversifizierung ihrer Wirtschaft zu unterstützen und stärker in Gesundheit und Bildung zu investieren.
Es wäre allerdings ein Fehler, die Vielseitigkeit von Inselstaaten zu übersehen.
Dabei wäre es allerdings ein Fehler, die Vielseitigkeit von Inselstaaten zu übersehen. Sie unterscheiden sich deutlich in ihrer Lage, Größe und den geografischen Gegebenheiten, weshalb one size fits all-Lösungen nicht funktionieren. Ein Land wie Papua-Neuguinea mit einer größeren Landmasse als Deutschland und einer Bevölkerung von weit über zehn Millionen Menschen, in dem sich just während der SIDS4-Konferenz ein verheerender Erdrutsch mit Tausenden Toten ereignete, steht vor ganz anderen Entwicklungsherausforderungen als niedrig gelegene Atollstaaten wie die Malediven oder Tuvalu.
Die SIDS4-Abschlusserklärung ABAS legt zwar einen starken Fokus darauf, privatwirtschaftliche Investitionen in SIDS attraktiver zu machen. Gerade für kleine Inseln wird dies aber auch in Zukunft ein hehres Ziel bleiben. Ohne staatliche Gelder wird es auch in Zukunft nicht gehen. Wenn Klimagerechtigkeit und die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung ernst genommen werden sollen, dann bleibt auch Deutschland in der Pflicht, mehr Mittel bereitzustellen, auch in Zeiten einer schwierigen Haushaltslage. Dies gilt umso mehr, wenn man sieht, wie hoch viele SIDS angesichts des Klimawandels und der Auswirkungen der Corona-Pandemie verschuldet sind. Auch wenn ABAS nicht direkt einen Schuldenerlass fordert, der teilweise unvermeidlich sein dürfte, nimmt der Umgang mit Schulden einen wichtigen Stellenwert im Abschlussdokument ein.
Die Entwicklungschancen von Inselstaaten werden nicht nur durch Verschuldung und Klimawandel, sondern auch durch eine zunehmende geopolitische Polarisierung bedroht.
Die Entwicklungschancen von Inselstaaten werden nicht nur durch Verschuldung und Klimawandel, sondern auch durch eine zunehmende geopolitische Polarisierung bedroht. Im Pazifik spitzt sich seit Jahren ein Machtkampf zwischen den USA und China zu. Dieser birgt die Gefahr, dass die Menschen und ihre Bedürfnisse im schlimmsten Fall zu Spielbällen in einem extern kontrollierten Machtkampf werden. Auch deshalb betont ABAS zu Recht, dass SIDS „ownership“ über ihre Entwicklungschancen behalten müssen. Dafür braucht es sowohl Reformen der UN, um diese effektiver bei der Berücksichtigung der besonderen Gegebenheiten von SIDS zu machen, aber auch bessere Beteiligungsmöglichkeiten für SIDS innerhalb der UN. Denn auch wenn Inselstaaten in der internationalen Politik heute deutlich sichtbarer sind als noch vor zehn Jahren, so sind sie doch in vielen multilateralen Prozessen mit ihren Themen weiter deutlich unterrepräsentiert.
Als kleine Staaten sind SIDS in besonderer Weise auf die internationale Zusammenarbeit angewiesen. In welchem Maße sich SIDS mittlerweile internationaler Institutionen und insbesondere des internationalen Rechts bedienen, zeigt einmal mehr das Rechtsgutachten des Internationalen Seegerichtshofs, das auf Initiative der Commission of Small Island States on Climate Change and International Law kurz vor der SIDS4-Konferenz veröffentlicht wurde.
Schon im Jahr 1994 schrieb der tongaische Autor Epeli Hau’ofa in seinem Aufsatz Our Sea of Islands, der bis heute in der pazifischen Inselregion ein wichtiges Dokument für die regionale Identität ist, dass es einen großen Unterschied macht, die Staaten der Region als verstreute Inseln in einem weiten Meer oder als „sea of islands“ zu betrachten. Die letztere Sichtweise betrachtet den Ozean weniger als etwas Trennendes, sondern vielmehr als verbindendes Element. Auch wenn die Landmasse vieler Inselstaaten tatsächlich relativ klein ist, so ist die Bezeichnung SIDS in sich durchaus problematisch. In den letzten Jahren ist deshalb die Bezeichnung Large Ocean States aufgekommen. Dieser Begriff betont die Potenziale von Inselstaaten und ihren zumeist großen Meereszonen. Kiribati beispielsweise besitzt zwar nur eine Landmasse, die kleiner ist als die Fläche der Stadt Berlin; es ist aber achtmal so groß wie Deutschland, wenn man die ausschließliche Meereswirtschaftszone des Landes berücksichtigt.
Ohne die vielfältigen Herausforderungen von Inselstaaten zu leugnen, sind solche positiven Narrative wichtig, um das Potenzial von Inselstaaten zu unterstreichen. Tatsächlich können Inseln Vorreiter in der internationalen Entwicklung sein, wie etwa Tokelau zeigt, das schon vor über zehn Jahren als erste Nation der Welt eine Versorgung mit 100 Prozent erneuerbarer Energie erreichte.