2024 soll in Venezuela die nächste Präsidentschaftswahl stattfinden. Für die chavistische Regierung des Landes unter dem derzeitigen Präsidenten Nicolas Maduro, der wiedergewählt werden will, ist das keine einfache Situation. Denn nachdem der Präsident das Land besser als erwartet durch die Corona-Pandemie gesteuert hatte und es 2022 nach Wirtschaftsreformen – Freigabe der Wechselkurse, Tolerierung des US-Dollars als Zahlungsmittel – sogar einen kleinen wirtschaftlichen Aufschwung gegeben hatte, sind die Supermärkte heute zwar wieder voll. Aber die Ungleichheit zwischen denjenigen, die Zugang zu US-Dollar haben, und denen, bei denen das nicht der Fall ist, sind massiv gestiegen.

Besonders betroffen sind Angestellte des öffentlichen Dienstes, wie zum Beispiel Lehrerinnen und Lehrer, Professorinnen sowie Rentner, deren Gehälter und Pensionen in der Landeswährung Bolívares ausgezahlt werden. Diese hat wegen der höchsten Inflationsrate weltweit von über 300 Prozent massiv an Wert verloren. Über die Hälfte der venezolanischen Bevölkerung lebt in extremer Armut, der monatliche Mindestlohn liegt inzwischen umgerechnet bei unter vier US-Dollar, und das bei Lebenshaltungskosten insbesondere in der Hauptstadt Caracas wie in Berlin oder Brüssel. Zu dieser Misere – zu der auch der ständige Benzinmangel außerhalb der Hauptstadt und immer wieder Strom- und Wasserausfälle im gesamten Land gehören – tragen auch die insbesondere von den USA verhängten Finanz- und Wirtschaftssanktionen bei. Sie führen dazu, dass dringend notwendige Investitionen in die Infrastruktur des Landes nicht getätigt werden können. Darunter leidet auch die Erdölförderung, die wichtigste Einkommensquelle des Landes. Sie konnte zwar seit 2020 wieder etwas erhöht werden, befindet sich aber auf dem Stand der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts – gefördert wird weniger als ein Drittel verglichen mit früheren Hochzeiten. Auch die zahlreichen anderen Energiequellen des Landes – Gas, Sonne und Wind – können nicht genutzt werden, und das in Zeiten hoher internationaler Nachfrage aufgrund des Krieges in der Ukraine.

Die Regierung Maduro baut zwar auf die Unterstützung ihrer internationalen Alliierten China, Russland, Iran und Türkei, hat aber auch ein großes Interesse daran, dass die US-Sanktionen zumindest teilweise aufgehoben werden. Dafür braucht es aber einigermaßen fair ablaufende Wahlen, von denen sich Maduro Legitimität verspricht. Nach wie vor wird seine Präsidentschaft von zahlreichen Regierungen – darunter auch die Deutschlands – nicht anerkannt. Die Verhandlungen zwischen Regierung und Opposition liegen zwar derzeit auf Eis, es besteht jedoch ein direkter Kontakt zwischen der Regierung und der aktuellen US-Administration. Dabei geht es vor allem um eine Lockerung der Sanktionen im Gegenzug zu Zugeständnissen der venezolanischen Regierung im Hinblick auf die Menschenrechtslage im Land sowie auf die Bedingungen für die Präsidentschaftswahl 2024 und die 2025 anstehenden Parlaments- und Regionalwahlen. Ein Ziel der USA ist es auch, einen Rückgang der Migration aus Venezuela zu bewirken.

Wegen der schwierigen Lebensbedingungen für die Mehrheit der Bevölkerung sind Maduros Zustimmungswerte zuletzt wieder gesunken.

Wegen der schwierigen Lebensbedingungen für die Mehrheit der Bevölkerung sind Nicolás Maduros Zustimmungswerte zuletzt wieder gesunken und liegen jetzt bei ungefähr 17 Prozent. Gute Chancen, möchte man meinen, für die venezolanische Opposition. Das ist aber nicht der Fall. Der Grund dafür liegt nicht nur in der Repression und der Schwächung der Oppositionsparteien aufgrund mangelnder Finanzmittel, der Auswanderung vieler ihrer Mitglieder und Führungskräfte. Auch machtstrategisch sind die Oppositionsparteien der Regierung nicht gewachsen.

Der ist es beispielsweise gelungen, große Parteien zu spalten, wie die langjährige sozialdemokratische Regierungspartei Acción Democrática. Im Vorfeld der Parlamentswahlen von 2020 war es in der Partei zu Unstimmigkeiten in der Frage gekommen, ob man sich an dieser beteiligen solle oder ob man sie wegen unfairer Bedingungen boykottieren sollte, wie der Großteil der Opposition unter Juan Guaidó. Vor allem in den Regionen außerhalb der Hauptstadt Caracas war die Parteibasis gegen einen Boykott der Wahlen, weil man sich aufgrund der allgemeinen Unzufriedenheit der Bevölkerung wegen der katastrophalen wirtschaftlichen und sozialen Lage des Landes gute Chancen ausrechnete. Schließlich hatten die Oppositionsparteien bei den vorherigen Wahlen 2015 eine Mehrheit in der Nationalversammlung errungen. Die Mehrheit der Parteiführung in Caracas entschied sich jedoch für einen Boykott. Was dann genau passierte, ist nicht öffentlich bekannt – jedenfalls griff der Oberste Gerichtshof im Juni 2022 ein und setzte die Führung ab. Bis heute ist die Partei gespalten in einen größeren Teil, der sich nicht an der Wahl beteiligte, und den kleineren, der elf von 277 Parlamentssitzen errang, aber im Parlament bisher nicht als Opposition aufgefallen ist. Problematische Gesetzesprojekte, wie die Einrichtung von Spezialwirtschaftszonen nach chinesischem Vorbild oder die Kontrolle von Organisationen der Zivilgesellschaft, haben diese Abgeordneten ohne Vorbehalte mitgetragen oder sogar mit formuliert.

Die politische Verfolgung einzelner Funktionäre hatte schon zuvor eingesetzt.

Andere Parteien ereilte das gleiche Schicksal: Eine offiziell anerkannte christdemokratische Partei hat heute zwei Sitze im Parlament, und die Partei Voluntad Popular von Juan Guaidó wurde ebenfalls gespalten. Inzwischen hat es auch die älteste Partei des Landes erwischt, die 1936 gegründete Kommunistische Partei Venezuelas (PCV). Von Anfang an hatte sie Hugo Chavez und bis 2018 auch den heutigen Präsidenten Nicolás Maduro unterstützt. Dann aber regte sich Widerstand gegen die von Maduro eingeschlagene pragmatische Wirtschaftspolitik und ihre sozialen Folgen. Im 2020 gewählten Parlament hat bisher allein der einzige Abgeordnete der PCV gegen die Politik der Regierung Stellung bezogen: Oscar Figuera, der seit vielen Jahren auch Generalsekretär der Partei ist. Diesem Zustand wollte die Regierung wohl ein Ende setzen: Der Oberste Gerichtshof setzte Figuera am 11. August 2023 nach bewährtem Muster ab, mit der Begründung, er habe gegen den demokratischen Grundsatz eines Wechsels der Parteiführung verstoßen und die Partei für seine persönlichen Interessen als Geisel genommen. Eine neue Parteiführung wurde bestimmt. Die politische Verfolgung einzelner Funktionäre der PCV hatte jedoch schon zuvor eingesetzt. Seit 2018 sind fünf von ihnen von bewaffneten Gruppen zunächst bedroht und dann getötet worden, ohne dass die Strafverfolgungsbehörden aktiv geworden wären.

Die Regierung arbeitet zudem mit dem Instrument der „Inhabilitierung“, also dem Ausschluss von Kandidatinnen und Kandidaten der Opposition von Wahlen. Prominentestes Opfer ist die derzeit aussichtsreichste Kandidatin Maria Corina Machado, die mit ihrer Bewegung Vente wirtschaftsliberale Positionen vertritt und in der Vergangenheit mit einer US-amerikanischen Invasion unter Präsident Donald Trump geliebäugelt hat. Machado hat sich allerdings in letzter Zeit in ihren Äußerungen „sozialdemokratisiert“, und das mag dazu beitragen, dass sie inzwischen in den Umfragen führt und in einer einigermaßen freien Wahl wohl auch außerhalb der Hauptstadt Caracas und ihrer bürgerlichen Eliten gegen Maduro gewinnen würde. Ausschlaggebend für die Zustimmung, die ihr derzeit im ganzen Land entgegenschlägt, ist ihre von Anfang an vorgebrachte und jahrzehntelange konsequente Ablehnung des Chavismus, für die sie auch persönliche Opfer in Kauf genommen hat, wie die permanente Trennung von ihren Kindern.

Trotz der Politik der „Inhabilitierung“ der Regierung hat das Oppositionsbündnis „Plataforma Unitaria“ für den 22. Oktober 2023 Vorwahlen angesetzt

Trotz der Politik der „Inhabilitierung“ der Regierung hat das Oppositionsbündnis Plataforma Unitaria für den 22. Oktober 2023 Vorwahlen angesetzt, bei denen die Gegenkandidatin oder der Gegenkandidat von Maduro bei den Präsidentschaftswahlen gekürt werden soll. Maria Corina Machado tritt dort an, mit dem Ziel, sich als Siegerin in der Nachfolge von Juan Guaidó an die Spitze der Opposition zu setzen. Dieser hat Venezuela vor mehreren Monaten verlassen, nun haben die Behörden einen Haftbefehl gegen ihn erlassen. Es ist jedoch immer noch unklar, unter welchen Bedingungen diese Vorwahlen stattfinden werden, und ob überhaupt. Mehrere Kandidaten haben sich inzwischen zurückgezogen. Am Ende ist es sogar möglich, dass die Regierung die Präsidentschaftswahl, für die es immer noch keinen Termin gibt, ganz absagt, und zwar dann, wenn es ihr nicht gelingen sollte, mit Unterstützung ihrer internationalen Alliierten oder aufgrund erfolgreicher Verhandlungen mit den USA die Lebensbedingungen der Bevölkerung zu verbessern, und sie deshalb eine Niederlage befürchten muss.

Die demokratische Zukunft Venezuelas ist also vollkommen ungewiss. Fest steht nur, dass der Chavismus auf keinen Fall die Macht abgeben will. Und selbst wenn die Opposition die Wahlen gewinnen würde, bestehen Zweifel an ihrer Regierungsfähigkeit. Maria Corina Machado hat zwar gerade ein Regierungsprogramm veröffentlicht, das die Reduzierung staatlicher Eingriffe und die Privatisierung der Erdölproduktion vorsieht, sie hat aber keine Parteibasis. Den Oppositionsparteien fehlt ein politisches Profil – sie sind auch deshalb so erfolglos, weil sie ihren potenziellen Wählerinnen und Wählern keine inhaltlichen Alternativen zur Regierungspolitik bieten. Wirklich politisch ändern wird sich in Venezuela nur etwas, wenn die Oppositionsparteien endlich inhaltlich ihre Hausaufgaben machen.