Der 8. Kongress der Kommunistischen Partei Kubas Mitte April dieses Jahres markiert das Ende einer Ära. Die Generation der Revolutionäre, darunter auch Raúl Castro, zog sich aus den höchsten politischen Ämtern zurück. In seinen zwei Amtszeiten an der Spitze der Inselregierung traf er einige gute Entscheidungen: Er initiierte und steuerte den Reformprozess, er versuchte, die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten zu verbessern, und er hielt sich seit 2018 in der Öffentlichkeit zurück, nachdem Miguel Díaz-Canel das Amt des Staatschefs übernommen hatte.

Der anfängliche Schwung für Veränderungen erlahmte jedoch im Laufe der Jahre. Während des letzten Kongresses machte Castro sehr restriktive Aussagen zu privatwirtschaftlichen Aktivitäten; die Auswirkungen werden in den kommenden Monaten zu spüren sein. Der jüngste Kongress bestätigte das Modell: politische Orthodoxie mit wirtschaftlichen Reformen. Castros Abgang kommt nun zu einer Zeit, in der Kuba die schlimmste Krise seit Jahrzehnten durchmacht.

Die Insel hat zwei historische Aufgaben vor sich: Wohlstand für alle zu erreichen und das nachbarschaftliche Verhältnis zu den Vereinigten Staaten zufriedenstellend zu gestalten. In jedem Fall wird eine andere Generation diejenige sein, die in diesen Bereichen Fortschritte machen kann. Die Generation der Revolution konnte es nicht.   

Wenige Reformen sind auf dieser Welt so dringend nötig und gerechtfertigt wie die Kubas.

Wenige Reformen sind auf dieser Welt so dringend nötig und gerechtfertigt wie die Kubas. Bereits vor zehn Jahren wurde eine Wirtschaftsreform auf höchster politischer Ebene verabschiedet – zumindest rhetorisch. Die Umsetzung lässt leider immer mehr zu wünschen übrig. 2011 und 2016 wurden im Rahmen der Parteitage der Kommunistischen Partei einige Positionspapiere angenommen, die als Grundlage für die Transformation des Wirtschaftsmodells dienen sollten. Entgegen jeder Vorhersage waren die vergangenen fünf Jahre jedoch weniger produktiv als die Zeit von 2011 bis 2016, eventuell mit Ausnahme einiger weniger Monate Ende 2020. Die Fassungslosigkeit der kubanischen Bevölkerung und internationaler Beobachterinnen angesichts dieser Entwicklung ist durchaus begründet.

Wenige Reformen sind auf dieser Welt so dringend nötig und gerechtfertigt wie die Kubas. Es ist ein offenes Geheimnis, dass das kubanische Modell seit Jahrzehnten keine solide Wirtschaftsleistung vorzuweisen hat. Die kurzen Phasen wirtschaftlicher Dynamik waren bisher mit einer großzügigen Gegenleistung von außen verbunden. Dies war sowohl in den Jahren der sowjetischen Bruderschaft der Fall als auch im Zusammenhang mit der vorübergehenden Entsendung medizinischer Hilfe nach Venezuela. Durch eine funktionierende Wirtschaft könnte sich das Land die Unabhängigkeit bewahren und die Kosten der US-Wirtschaftssanktionen erhöhen. Nach dem Zusammenbruch des Sozialismus in Osteuropa wurde dieses Ziel noch dringlicher.

Stattdessen war Kubas Reformansatz, gelinde gesagt, inkonsistent. Die Ergebnisse sprechen für sich: steigende Ungleichheit, rückständige Infrastruktur, sinkende Qualität der öffentlichen Dienstleistungen, hohe Migrationsraten, zunehmende Abhängigkeit von Überweisungen von Exilkubanern um an Devisen zu kommen, unzureichende einheimische Nahrungsmittelproduktion. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Die durch die Corona-Pandemie ausgelöste Wirtschaftskrise hat die große Verwundbarkeit des kubanischen Produktionssystems deutlich offengelegt.

Die durch die Corona-Pandemie ausgelöste Wirtschaftskrise hat die große Verwundbarkeit des kubanischen Produktionssystems deutlich offengelegt. Seit Jahrzehnten hängt die kubanische Wirtschaft auf einem Weg sehr geringen Wachstums fest, der in den letzten Jahren auch noch an Schwung verloren hat. So fiel der BIP-Zuwachs von 2,7 Prozent im Zeitraum 2010-2015 auf 0,9 Prozent zwischen 2016 und 2019. 2020 dann schrumpfte die Produktion um rund 11 Prozent, einer der größten Einbrüche innerhalb Lateinamerikas. Seit 2013 sind die Exporte um mehr als ein Drittel zurückgegangen, womit sich auch die Schwierigkeiten bei der Bedienung der Auslandsschulden erklären lassen. Allein 2020 brach der internationale Absatz um mehr als 30 Prozent ein.

Nicht nur war die Wirtschaftsleistung dürftig, sie geht auch mit einer stärkeren makroökonomischen Instabilität einher. Das Haushaltsdefizit hat in den letzten Jahren zugenommen und wird 2021 voraussichtlich 18 Prozent betragen. Parallel dazu wächst der staatliche Schuldenberg, es herrscht ein erheblicher Preisdruck, und die Nationalwährung, der Peso, hat auf dem Parallelmarkt an Wert verloren.

Einige dieser Auswirkungen waren unvermeidbar, aber der bisher verfolgte Kurs muss dringend geändert werden. Die Wirtschaftsreformen gerieten durch ideologische Unzulänglichkeiten, politisches Kalkül und einen Mangel an fähigem Fachpersonal im öffentlichen Sektor ins Stocken. Um die Jahrhundertwende führte die zögerliche Umsetzung notwendiger Veränderungen dazu, dass ein Großteil des Außenhandels erneut an politische Vereinbarungen geknüpft wurde. So sind die wirtschaftlichen Probleme des engen Partners Venezuela nun eine Belastung für die Insel.

Die derzeitige Wirtschaftskrise ist die gravierendste seit dem Fall der Mauer. Alle Zutaten sind vorhanden: Knappheit, Inflation, Dollarisierung, lange Warteschlangen.

Die derzeitige Wirtschaftskrise ist die gravierendste seit jener, die das Land zu Beginn der 90er Jahre so hart traf. Alle damaligen Zutaten sind vorhanden: Knappheit, Inflation, Dollarisierung, lange Warteschlangen. Nur eine fehlt: die Stromausfälle. Bis jetzt zumindest – ein Großteil der Öllieferungen stammt aus Venezuela. Die alte Taktik, nur langsame Veränderungen im Gegenzug für Stabilität vorzunehmen, scheint nicht mehr tragbar, wenn die Insel einen Weg zu nachhaltigem Wohlstand einschlagen soll.

Die oben genannten Fehler und Versäumnisse wurden durch die Komplexität des politischen Wandels noch verschärft. Die meisten strukturellen Faktoren, auf denen das kubanische Modell basiert, haben sich radikal geändert oder befinden sich im Umbruch: die politische Führung, die auf Charisma und einer geschichtlich begründeten Legitimität gründete; ausländische Partner, die großzügige wirtschaftliche Hilfe gewähren; eine relative Homogenität der Bevölkerung aufgrund geringer Ungleichheit und einer einheitlichen Ideologie, sowie eine starke wirtschaftliche Isolation als Folge der US-Sanktionen.

Bei unzähligen Gelegenheiten wurden gut gemeinte Regelungen verdreht und ihres Inhalts beraubt, was ihre Wirkung schmälerte. Der Widerstand gegen Veränderungen ist sichtbar, aber nicht jeder lehnt sie aus den gleichen Gründen ab. Die Bürokratie wurde im öffentlichen Diskurs bereits als Hindernis für die „Modernisierung“ erkannt. Die dort Tätigen sind überzeugt, dass sie viel zu verlieren haben, wenn die Verwaltungsabläufe an Bedeutung verlieren und Funktionen und Arbeitsplätze abgebaut werden.

Die Behörden haben sich als Folge der begrenzten, unvollendeten und sogar chaotischen Unternehmensreformen seit den 90er Jahren in verschiedene Schichten aufgegliedert. Sie scheinen zudem uneinheitlichen Regeln zu unterliegen, die unweigerlich einige zum Nachteil anderer begünstigen. Sogar im Staatsapparat selbst gelten nicht die gleichen Regeln für alle, und einige klammern sich an ihre Privilegien.

Es ist schwer zu sagen, ob die wichtigsten Verbündeten China oder Russland daran interessiert sind, bedingungslose Hilfe in signifikanter Höhe anzubieten.

So haben sich gewisse konservative Kreise sehr geschickt die Räume und die Legitimität der öffentlichen Institutionen zunutze gemacht, um sich kritisch, mitunter hinterhältig, über die Wirtschaftsreform zu äußern. Allerdings wird als einzige Alternative das derzeitige Modell und Widerstand angeboten, was in weiten Teilen der kubanischen Bevölkerung, besonders in der jungen Generation, immer weniger auf Resonanz stößt. Es überrascht daher nicht, dass die jüngsten Emigranten angesichts fehlender Fortschritte in Kuba eine der stabilsten Stützen für die Hardliner-Politik der vormaligen US-Regierung waren.

Die kubanische Regierung hat in der Tat jahrelang sehr wenig Fantasie gezeigt, wenn es um die mögliche Rolle des Auslands beim Transformationsprozess auf der Insel ging. Das Hauptaugenmerk lag immer auf dem Ausbau von Bündnissen mit Vorzugsvereinbarungen, um die Kosten der US-Sanktionen zu reduzieren und vor allem die tiefgreifenden Veränderungen aufzuschieben, die nötig wären, um die Dysfunktionalität des Wirtschaftsmodells anzugehen.

Es ist jedoch schwer zu sagen, ob die wichtigsten Verbündeten China oder Russland daran interessiert sind, bedingungslose Hilfe in einer Höhe anzubieten, die eine Überwindung der Krise ermöglichen würde. Im Unterschied zu anderen Fällen hat Kuba großes Potenzial, allerdings hängt eine erfolgreiche Umsetzung von einer radikalen Reform des nationalen Modells ab. Dies würde das geringe Engagement chinesischer Unternehmen und den abrupten Rückgang des Handels zwischen beiden Ländern seit 2015 erklären.

Auf der anderen Seite könnte die Entwicklung der internationalen Rahmenbedingungen ein weiteres, unerwünschtes Szenario für Kuba bereithalten, nämlich, dass das Land erneut in einer Art Kaltem Krieg gefangen ist, der es mit seinem nächsten Nachbarn verfeindet. Diesen Kurs sollten die führenden Köpfe auf jeden Fall zu vermeiden suchen.

Die Gleichung muss umgekehrt werden: Vernünftige Veränderungen im eigenen Land können die Wahrnehmung der Verbündeten und sogar der Vereinigten Staaten zum Positiven verändern. Kuba als Land im Wandel ist ein Argument, das auch Obama schon einmal vorbrachte.