Lesen Sie diesen Artikel auch auf Englisch.
Von „bad mexicans“ bis zu „shithole countries“ – die Adjektive, mit denen US-Präsident Donald Trump seine südlichen Nachbarn qualifiziert, sind alles andere als diplomatisch. Das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (Nafta) lässt er gerade zerlegen, an der US-Südgrenze will er eine Mauer bauen, und auf den Amerika-Gipfel im April in Lima hat er keine Lust. Seine Abwesenheit wäre ein Präzedenzfall und ein deutliches Zeichen seiner Verachtung. Wer deshalb glaubt, Lateinamerika spiele keine Rolle für die USA, liegt aber falsch. Trumps kalte Schulter sorgt zwar für Schlagzeilen, die Lateinamerika-Politik aber machen in Washington andere. Leute wie der neokonservative republikanische Senator Marco Rubio, ein Sohn kubanischer Migranten. Oder John Kelly, Stabschef im Weißen Haus und als ehemaliger SouthernCommand-Chef im US-Verteidigungsministerium die treibende Kraft hinter dem Ausbau der regionalen US-Militärpräsenz zur Bekämpfung des Drogenhandels und der Migration. Oder im zweiten Glied Strategen wie Evan Ellis, Lateinamerika-Spezialist am US-Army War College.
Sie haben eine klare Vorstellung von dem, was der Subkontinent für die USA bedeutet: Hinterhof, Markt und Rohstofflieferant. Als eine „Rückkehr zur Monroe-Doktrin (Amerika den Amerikanern) des 19. Jahrhunderts“ beschrieb die „Financial Times“ diese Politik. Ein Kontrast zur „Partnerschaft des 21. Jahrhunderts“, die Trumps Vorgänger Barack Obama versprochen hatte – wenngleich den warmen Worten außer im Falle des Tauwetters mit Kuba wenig Taten gefolgt waren. Nicht mehr europäische Kolonialmächte oder die Sowjetunion sind nun das Feindbild. Es sind Länder, mit denen die US-Hauptverantwortlichen Rechnungen offen haben: Kuba zum Beispiel, gegen dessen kommunistische Führungsriege der Exilkubaner Rubio eine persönliche Aversion hegt. Und Kubas erdölreicher Satellitenstaat Venezuela. Dort hat US-Aussenminister Rex Tillerson in seiner Zeit als Exxon-Mobil-Chef eine bittere Enteignung seiner Aktiva hinnehmen müssen.
Abgesehen von den ziemlich abgewirtschafteten Tropensozialismen gibt es für die USA aber auch eine ernsthafte strategische Bedrohung. Noch vor seinem Abflug nach Mexiko, Argentinien, Peru, Kolumbien und Jamaika machte Tillerson im Februar klar, wem seine Reise eigentlich galt: China. Das Reich der Mitte hat im vergangenen Jahrzehnt seinen Einfluss in der Region immens ausgebaut und wird besonders vom US-Verteidigungsministerium inzwischen als ernstzunehmende strategische Gefahr gesehen. Chinas Vorstoß in der Region sei „verstörend“, schrieb Ellis unlängst in einem Essay. Er bezog sich dabei auf die Entscheidung der Regierung Panamas, die langjährige Allianz mit Taiwan aufzukündigen und Pekings Seidenstraßen-Initiative beizutreten. Das erodiere die einst dominante Position der USA in einem handelspolitisch und strategisch wichtigen Knotenpunkt. Im Dezember bei einem Außenministertreffen Chinas und Lateiamerikas habe Peking außerdem erstmals Lateinamerika eine engere Zusammenarbeit in Sicherheitsthemen angeboten, schrieb Ellis – das galt bislang als Domäne der USA und seines Juniorpartners Israel. Auf Tillersons Warnung vor einer „imperialistischen chinesischen Bedrohung“ antwortete die Führung in Peking mit einem pikierten Leitartikel in den Staatsmedien, das sei doch etwas befremdlich, habe China doch keine einzige Militärbasis in Lateinamerika und niemals dorthin Truppen entsandt. Der Wettlauf der Großmächte um Lateinamerika ist eröffnet. Mit welchen diplomatischen, wirtschaftlichen und politischen Pfünden wuchern die beiden in ihrem Poker? Und wer hat die besseren Karten?
Der Wettlauf der Großmächte um Lateinamerika ist eröffnet.
China hat mehr als 113 Milliarden US-Dollar in Lateinamerika investiert und Kredite in Höhe von 141 Milliarden verliehen. Der Handel zwischen Lateinamerika und China explodierte im letzten Jahrzehnt von nahezu null auf 200 Milliarden. Chinas Scheckbuchdiplomatie wurde von langer Hand geplant und begann Anfang des Jahrtausends, als die chinesischen Botschaften ihr Personal in Lateinamerika aufstockten, überall Xinhua-Korrespondenten akkreditierten, Kulturevents und Universitätsaustausche förderten. Dem folgten ranghohe Besuche, Handelsabkommen, Kredite, Kulturinstitute und Investitionen. Eine langsame und diskrete diplomatische Offensive. Präsident Xi Jingping hat seit 2012 dreimal Lateinamerika bereist, mit einem dicken Scheckbuch in der Hand und den süsslich-lobenden Tönen, die bei der dortigen Elite immer gut ankommen: Lateinamerika sei „vibrierend und vielversprechend” und könne mit Chinas Hilfe und einer beiderseitig vorteilhaften Partnerschaft ein neues, goldenes Zeitalter erleben.
Solche warmen Sprüche kennt man bislang eher von europäischen Diplomaten. Doch während Europa nach Auffassung des spanischen Think Tanks Real Instituto Elcano „keine klare Strategie“ für Lateinamerika hat und seit 1995 zäh mit dem Gemeinsamen Südamerikanischen Markt (Mercosur) über ein Freihandelsabkommen verhandelt, ließen die Chinesen den Worten Taten folgen. Nicht immer – der bislang nicht verwirklichte Nicaragua-Kanal oder das gescheiterte Logistik-Zentrum Dragon Mart in Südmexiko sind dafür beispielhaft–, aber oft genug. Aus lateinamerikanischer Sicht ist das boomende erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts der hohen chinesischen Nachfrage nach Rohstoffen zu verdanken – und als es abwärts ging mit den Rohstoffpreisen, stand Peking mit Krediten bereit.
Chinas Interessen sind klar umrissen. Es braucht Lateinamerikas Nahrungsmittel und Rohstoffe, von Kupfer über Eisenerz, Soja und Rindfleisch, und die Kontrolle über Handelsrouten und Logistik wie den Panama-Kanal. Inzwischen ist China der wichtigste Handelspartner von Argentinien, Chile, Brasilien und Peru. Es gehört zu den großen Gläubigern Ecuadors und Venezuelas und ist ein wichtiger Investor in Panama und Peru. Im vergangenen Jahr hat es seine Präsenz in Kolumbien, Argentinien und Brasilien ausgebaut, wo es große Infrastrukturprojekte startete wie den Bau einer Schnellstraße nach Buenaventura an der kolumbianischen Pazifikküste, den Kauf des Staudamms São Simão in Brasilien, den Bau von Stromlinien zum Staudamm Belo Monte, Studien zur Fertigstellung des Atomreaktors Angra3 und die Übernahme des internationalen Flughafens in Rio. Chinesische Marken wie Huawei, ZTE und Jac sind inzwischen auf Lateinamerikas Märkten etabliert.
Chinesische Kredite sind zwar nicht an Menschenrechts- oder Umweltstandards geknüpft, aber oft hoch verzinst und müssen mit Rohstofflieferungen abgesichert werden.
Und die USA? Früher waren Freihandelsverträge mit dem größten Markt der Welt ein Lockvogel. Noch sind die USA der wichtigste Handelspartner Lateinamerikas, und die Fertigungsketten sind gut aufeinander abgestimmt. Doch der Anteil geht zurück. Im Jahr 2001 gingen noch 56 Prozent der lateinamerikanischen Exporte in die USA, 2016 waren es nur noch 32 Prozent. Der Neoprotektionismus Trumps lässt einen weiteren Einbruch befürchten. Tillersons Reise beschränkte sich auf unbequeme Sicherheitsfragen wie Drogenkrieg, Stopp der Migranten, die Isolierung Venezuelas und Kubas. Monetäre Anreize hatte er keine im Gepäck, stattdessen gab es Drohungen mit Massenabschiebungen und Wirtschaftssanktionen. Von einem „Führungsvakuum“ sprach Chiles Außenminister Heraldo Muñoz. Die Lateinamerika-Agenda der US-Regierung sei eine rein negative, schrieb der Kommentator Andrés Oppenheimer im „Miami Herald“. „Die USA tun alles, um Lateinamerika zu verprellen, sie kritisieren, sie beleidigen, sie drohen“, beschwerte sich der mexikanische Diplomat Jorge Guajardo. Was für die US-Regierung gilt, kann jedoch nicht auf die Unternehmen übertragen werden. Die sehen in der neuen, neoliberalen Privatisierungswelle in Südamerika durchaus Chancen. So will Boeing eine strategische Allianz mit dem äußerst erfolgreichen brasilianischen Flugzeugbauer Embraer eingehen.
Für Lateinamerika bietet diese Situation deshalb durchaus Chancen, glauben Analysten. Doch die beiden Großmächte gegeneinander auszuspielen, ist nicht so einfach wie es scheint. Oft beschweren sich lateinamerikanische Regierungen über die strikten Sanitätsnormen der USA, über den Agrarprotektionismus, den Druck von US-Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen auf Arbeits- und Umweltstandards, über einseitige Schiedsgerichte und politische Erpressung. Doch auch das Geld aus Peking kommt nicht gratis: Zwar geht es da nicht um Demokratie und Menschenrechte, aber chinesische Investitionen kommen im Paket, also inklusive importierter chinesischer Materialien und Arbeitskräfte. Sie sehen normalerweise keinen Technologietransfer vor und nur selten Wertschöpfungsketten.
Chinesische Kredite sind zwar nicht wie die der Weltbank an Menschenrechts- oder Umweltstandards geknüpft, aber oft hoch verzinst und müssen mit Rohstofflieferungen abgesichert werden. Eine Industrialisierung Lateinamerikas sei unter solchen Umständen kaum möglich, warnen Ökonomen. Auch chinesische Sanitätsauflagen haben schon des öfteren zu Verstimmungen geführt, etwa bei den Sojaexporten aus Brasilien. In einigen Ländern ist die chinesische Mafia bereits zu einem ernsthaften Problem geworden. Chinesische Schutzgelderpresser-Ringe operieren in Argentinien, und die Drogenmafia in Mexiko kooperiert eng mit chinesischen Triaden. Inwieweit Bodenspekulation und Geldwäsche mit chinesischem Kapital einherkommen, ist unklar. Brasiliens Expräsident Luiz Inácio Lula da Silva begrenzte jedoch den Landverkauf an Ausländer im Jahr 2009 nach einer Reihe chinesischer Großkäufe. China geht es wie den USA letztlich um Rohstoffe, Absatzmärkte und geopolitische Einflussnahme. Dem warmen Geldregen könnte deshalb ein hartes Erwachen folgen, mahnen Kritiker. Lateinamerika könne in eine neue wirtschaftliche Abhängigkeit geraten, warnte etwa der ehemalige uruguayische Präsident José Mujica. Und Brasiliens rechter Präsidentschaftskandidat Jair Bolsonaro erklärte gar, China sei dabei, Brasilien zu kaufen. Das müsse gestoppt werden.