Wenn Nicolás Maduro eins gelernt hat, dann sind es Finten. Venezuelas Machthaber spielt meisterlich mit den Erwartungen seiner Gegner. Er täuscht Verhandlungsbereitschaft vor – und schlägt dann unerwartet zu. So hat er bereits die US-Regierung vorgeführt, so spielt der Autokrat seit Jahren mit der Opposition Katz und Maus. Das wiederholte sich Ende März, als die Einschreibefrist für die Kandidatinnen und Kandidaten der Präsidentschaftswahl im Juli endete. Die bürgerliche Opposition hatte – im Vertrauen auf das unter internationaler Vermittlung geschlossene Barbados-Abkommen – die ausgehandelten Spielregeln befolgt.

Im Oktober des vergangenen Jahres gab es eine interne Vorwahl des aus verschiedenen Parteien bestehenden Oppositionsbündnisses MUD, aus der Maria Corina Machado mit 92 Prozent als Siegerin hervorgegangen war. Das Problem mit der Kandidatur der langjährigen, hartgesottenen Oppositionellen war, dass ihr und anderen populären Regimegegnern vom Wahlgericht schon vor längerer Zeit das passive Wahlrecht entzogen worden war. Und entgegen dem Barbados-Abkommen wurden diese Aberkennungen des Wahlrechts nicht aufgehoben, sondern im Januar von der kooptierten Justiz bestätigt.

Autokraten halten sich nicht an Spielregeln.

Das war bedauerlich, aber erwartbar: Autokraten halten sich nicht an Spielregeln, schon gar nicht, wenn diese fair und demokratisch sind. Sonst wäre Maduro schon seit der letzten Wahl 2018 seinen Job los. Umfragen quittieren ihm um die 85 Prozent Missbilligung. Was nicht verwunderlich ist: Unter Maduro wurde aus einem reichen Erdölland der Bettler Südamerikas: 85 Prozent der Menschen in Venezuela sind arm, viele hungern oder hängen von staatlichen Lebensmittelhilfen ab. Das Gesundheits- und das Bildungssystem sind nach 25 Jahren korruptem Raubsozialismus kollabiert, Seuchen wie Malaria und Gelbfieber breiten sich aus. Ein Viertel der Bevölkerung ist ausgewandert.

Derweil hat sich eine zivil-militärische Führungsclique schamlos durch Korruption bereichert. Diese zehn Prozent Neureichen – die meisten von ihnen Unternehmer, Militärs oder Funktionäre und ihre Familien – bilden Maduros harte Unterstützerbasis. Expertinnen und Experten schätzen, dass in den vergangenen 25 Jahren rund 700 Milliarden US-Dollar aus dem Staatshaushalt und dem staatlichen Erdölkonzern PDVSA veruntreut wurden. Mit demokratischer Arithmetik wird es schwer für den 61-jährigen Maduro, ein drittes Mandat zu gewinnen. Also greift er tief in seine Trickkiste. Aber es soll nicht so plump wie bei Wladimir Putin in Russland oder bei Daniel Ortega in Nicaragua aussehen, die ihre Gegner gewaltsam aus dem Weg räumen oder ins Gefängnis stecken ließen. Maduro, der weiterhin auf die Unterstützung eines Teils der lateinamerikanischen Linken zählen kann, ist offenbar der Anschein von Legitimität wichtig. Dafür organisiert er eine Wahlsimulation, bei der er alle Fäden in der Hand behält.

Dafür braucht er drei Dinge: Erstens, viele schwache Gegner, um die Stimmen der Opposition zu spalten. Zweitens, eine maximale Mobilisierung seiner eigenen Wählerbasis und die der vom Staat abhängigen Empfängerinnen und Empfänger von Lebensmittelkörben. In der entsprechenden Instrumentenkiste findet sich eine Mischung aus Wahlgeschenken und Druck; sie ist sehr gut geölt, denn sie wurde von kubanischen Beratern 2004 noch für seinen Mentor Hugo Chávez entworfen und hat sich seither dutzendfach bewährt. Und drittens muss er die Opposition vom Urnengang abhalten – mit gewaltsamer Einschüchterung und psychologischer Kriegsführung. Seine Medien suggerieren, dass Wählen gefährlich ist oder nichts bringt und dass Maduro schon als Sieger feststehe. Eine Strategie, die der Analyst Michael Penfold als „neuen Leviathan“ bezeichnet. Dazu gehört auch, die riesige (und größtenteils kritische) Exilgemeinde an einer Stimmabgabe im Ausland zu hindern.

Maduro kontrolliert den Staatsapparat: die Justiz, das Parlament, das Militär, den Wahlrat.

Umsetzen kann er diese Strategie, weil Venezuela seit der Wahl eines parallelen Parlaments 2016 immer mehr zur Autokratie wurde. Die Spielräume für Dissidenz haben sich stark verengt. Die Medien sind fast komplett gleichgeschaltet, die politische Opposition wurde systematisch mit Folter, Haft, Diskreditierung und Vertreibung dezimiert; ihre vor allem in der Mittelschicht solide Wählerbasis wurde durch Hyperinflation enteignet und in die Migration getrieben. Maduro kontrolliert den Staatsapparat: die Justiz, das Parlament, das Militär, den Wahlrat.

Seine Günstlinge, die über verschiedene Politikerinnen und Politiker ein Zweckbündnis mit dem Regime eingegangen sind, kontrollieren die Wirtschaft, vor allem die Lebensmittel, von denen 70 Prozent importiert werden. Außerdem unterhält seine Regierung auch Kontakte zur kriminellen Unterwelt, die in Drogen- und Menschenhandel, Prostitution, Goldschmuggel, Geldwäsche und Schutzgelderpressung aktiv ist, wobei diese Allianzen instabil sind. „Venezuela ist ein Polizeistaat, aber ein chaotischer und fragmentierter“, sagt der Kriminologe Keymer Avila gegenüber dem Portal Insight Crime. Maduro ist deshalb kein absoluter Alleinherrscher, sondern eher ein Artikulator dieser Interessengruppen. 

Eine Wahl gewinnt man lange vor dem eigentlichen Wahltag. Deshalb bereitet Maduro seit über einem halben Jahr das Terrain dafür vor. Um eine Erleichterung der internationalen Sanktionen zu erreichen, unterzeichnete er im Oktober 2023 das Barbados-Abkommen. Zunächst machte er einige winzige Zugeständnisse. Das überzeugte die US-Regierung – vielleicht war es aber auch der Druck der US-Ölkonzerne, die wieder venezolanisches Öl raffinieren und verkaufen wollten. Jedenfalls lockerte Washington Sanktionen und überstellte Ende 2023 Maduros wichtigsten Geldwäscher Alex Saab. Im Austausch entließ Caracas zehn in Venezuela inhaftierte US-Bürger und lieferte einen von der US-Justiz gesuchten malaysischen Waffenhändler an die USA aus.

Kaum war Saab frei, zog Maduro die Zügel wieder an. Zahlreiche Politiker von Maria Corina Machados Partei Vente Venezuela wurden festgenommen, ihre Wahlversammlungen zum Teil gewaltsam von Schlägertrupps aufgelöst. „Bolivarische Raserei“ heißt diese Operation offiziell. Ein alter Grenzkonflikt mit Guyana wurde wieder aufgekocht – als nationalistisches Ablenkungsmanöver und um alle Kritikerinnen und Kritiker als „Vaterlandsverräter“ diskreditieren zu können. Angebliche Mordkomplotte gegen Maduro dienten ebenfalls dazu, die Verfolgung und Festnahme von Oppositionellen und Aktivistinnen zu rechtfertigen.

Das Regime macht klar, dass es sich nicht von der Opposition oder der internationalen Gemeinschaft hereinreden lässt.

Das Regime macht so unmissverständlich klar, dass es sich nicht von der Opposition oder der internationalen Gemeinschaft hereinreden lässt, sondern die Spielregeln selbst setzt. Aber in Stein gemeißelt sind sie nicht. Das zeigte der letzte Tag der Einschreibefrist. Machado hatte wenige Tage zuvor die Akademikerin Corina Yoris als Ersatzkandidatin nominiert. Gegen sie lief kein Verfahren, sie erfüllte alle Voraussetzungen zur Kandidatur. Doch ihr wurde der Zugang zum Wahlrat verwehrt und ihre digitale Einschreibung blockiert. „Sie war Maduro nicht genehm“, schrieb das unabhängige Portal El Cocuyo. Zwei andere, weniger populäre Regimekritiker durften sich hingegen einschreiben: Gouverneur Manuel Rosales und Ex-Wahlratsmitglied Enrique Márquez. Beide kritisieren Maduro, gelten aber innerhalb der Opposition als Kollaborateure.

Dennoch gab es offenbar hinter den Kulissen heftigen internationalen Druck. Insbesondere Brasilien und Kolumbien – zwei bislang mit Maduro eher nachsichtige Linksregierungen – zeigten sich besorgt und kritisierten die Verletzung des Barbados-Abkommens. Stunden, nachdem die offizielle Frist verstrichen war, durfte sich dann der Generalsekretär der MUD, Edmundo González Urrutia, doch noch einschreiben. Beobachter gehen davon aus, dass er ein Platzhalter ist. Bis Ende April dürfen die zugelassenen Parteien ihre Spitzenkandidaten noch austauschen – sofern der Wahlrat zustimmt. Dass die MUD nun doch auf dem Wahlzettel steht, verbessert die Ausgangsposition der Opposition.

Venezuela steht ein nervenaufreibendes Kräftemessen bevor.

Eine wichtige Rolle kommt in den kommenden Monaten Machado zu. Doch sie muss ihre Karten klug ausspielen: Ihre Unterstützung dürfte die Wahlchancen jedes Kandidaten signifikant erhöhen – und zugleich auch die Gefahr des Wahlausschlusses dieser Person, insbesondere wenn Umfragen diese Popularität widerspiegeln. Zugeständnisse wird Maduro nur dann machen, wenn er sich in Sicherheit wiegt oder wenn ihn interne Machtgruppen oder externe Interessen dazu bewegen – etwa der wichtige Handel mit Kolumbien oder eine Aufhebung weiterer Sanktionen.

Venezuela steht ein nervenaufreibendes Kräftemessen bevor. Ein Fehler könnte Maduros Kartenhaus ins Wanken bringen. Das ist die einzig realistische Hoffnung für Opposition und internationale Gemeinschaft. Groß ist sie nicht. Maduro ist nicht alleine, sondern Teil eines Puzzles, in dem auch China, Russland, Indien und der Iran mitspielen – alles Länder, die geopolitische Interessen an Maduros Machterhalt haben und die demokratische Fallstricke von weitem erkennen. Es ist deshalb nicht auszuschließen, dass bis Juli gar kein kritischer Kandidat mehr auf dem Wahlzettel steht. Die Opposition stünde dann vor dem Dilemma, die Wahlen entweder zu boykottieren, so wie im Jahr 2018, oder den Protest auf die Straße zu verlegen – was angesichts des brutalen Repressionsapparats ein ziemlich ineffektives Harakiri wäre. Maduro bliebe dann an der Macht – aber seine demokratische Fassade wäre endgültig zerbröckelt.