Die Botschaft war laut, und sie war eindeutig: Dutzende Menschen protestierten in Cartagena für eine gerechtere Steuerpolitik und klagten auf Plakaten einen Millionär an, der mit Verachtung auf die Demonstrierenden herabblickt, während er mehrere Säcke voller Geld hortet. Dazu heißt es: „Zehn Prozent horten 77 Prozent des Reichtums. #FiscalPactNow“. Die Kulisse war passend beim ersten lateinamerikanischen und karibischen Gipfeltreffen für eine inklusive, nachhaltige und gerechte globale Besteuerung, das am 27. und 28. Juli in Cartagena, Kolumbien, stattfand. Ziel der Demonstrierenden war es, von den versammelten Regierungen klare und ehrgeizige Verpflichtungen für die Ausarbeitung nationaler und internationaler Fiskalpolitiken zu fordern, die eine stärkere und gerechtere Steuererhebung ermöglichen und die katastrophalen Folgen der neoliberalen Ära in der Region umkehren würden.

Unter der Leitung der kolumbianischen Regierung von Gustavo Petro, mit der Unterstützung Chiles und Brasiliens sowie der Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (ECLAC), trafen sich Vertreter von 16 Ländern der Region, um die Erklärung von Cartagena zu unterzeichnen und eine regionale Plattform für steuerliche Zusammenarbeit zu gründen. Letztere wird den Dialog und den Erfahrungsaustausch fördern, um Vereinbarungen über Steuergerechtigkeit zu treffen, mit drei Prioritäten: Steuerprogressivität, Umweltsteuern und internationale Besteuerung von Unternehmen in der digitalen Wirtschaft. Wie die kolumbianische Vizefinanzministerin María Fernanda Valdés betonte, sollte die Zivilgesellschaft im Rahmen von Arbeitsgruppen mit Vertreterinnen und Vertretern der Zivilgesellschaft, der Wissenschaft und des Privatsektors eine führende Rolle spielen, um sicherzustellen, dass die Länder ihre Versprechen einhalten.

Lateinamerika und die Karibik sind leider nach wie vor die ungleichsten Regionen der Welt.

Das ist besonders wichtig, wenn man bedenkt, dass Lateinamerika und die Karibik leider nach wie vor die ungleichsten Regionen der Welt sind – eine Ungleichheit, die durch die derzeitigen Steuersysteme noch verschärft wird. Im Allgemeinen neigen die Länder der Region dazu, proportional mehr Steuern von Geringverdienern zu erheben, während die Reichen und Superreichen Wege gefunden haben, sich ihrer Steuerpflicht zu entziehen, und verstoßen damit gegen den Grundsatz der progressiven Besteuerung. Dieses Phänomen zeigt sich in der starken Abhängigkeit von indirekten Steuern, wie der Mehrwertsteuer, und dem geringeren Gewicht von Einkommens- und Vermögenssteuern sowie von Steuersätzen für Unternehmen und Körperschaften. Der Aufbau gerechterer und effizienterer Steuersysteme in der Region ist daher eine grundlegende Herausforderung – noch größer, wenn man die Heterogenität zwischen den Ländern bedenkt, die die Umsetzung von One-Size-Fits-All-Solutions erschwert. Eine gerechtere Fiskalpolitik ist entscheidend, um die wichtigen Fragen unserer Zeit anzugehen, sei es Ungleichheit, nachhaltige Entwicklung oder die Auswirkungen des Klimawandels.

Darüber hinaus kann die Plattform dabei helfen, ein regionales Streben nach Autonomie im globalen Süden zu konsolidieren. Einerseits könnte sie die Ungleichgewichte des Inclusive Framework on Base Erosion and Profit Shifting (BEPS) ausbalancieren, dem von der OECD und der G20 vereinbarten Instrument, welches das Ziel hat, die internationalen Steuervorschriften für Unternehmen zu aktualisieren und das Problem des Steuerwettbewerbs zwischen Ländern anzugehen. Dieses Instrument ist weithin dafür kritisiert worden, den Strukturen und Interessen der reichen Länder zu dienen, zum Nachteil der Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Andererseits werden regionale Abkommen es ermöglichen, das Race to the bottom bei der Besteuerung zwischen den Ländern der Region zu beenden. Dies wird die politischen Spannungen verringern und gleichzeitig dafür sorgen, dass multinationale Unternehmen einen gerechteren Beitrag leisten – einschließlich der Digitalwirtschaft.

Laut dem Gipfelteilnehmer und Nobelpreisträger Joseph Stiglitz verfolgt die regionale Plattform für steuerliche Zusammenarbeit ein doppeltes Ziel. Einerseits hat sie das Potenzial, eine internationale Steuerreform zu fördern, die die notwendigen Mittel zur Finanzierung strategischer Themen für die Region und die Welt generiert: Klimawandel und eine innovative und nachhaltige Industriepolitik. Andererseits bietet die Plattform Raum für die politische Koordinierung zwischen den Ländern Lateinamerikas und der Karibik, die so in internationalen Debatten eine gemeinsame Stimme entwickeln könnten, wodurch die Region mehr Gewicht bekommen würde.

Kolumbien, das im ersten Jahr der Plattform den temporären Vorsitz innehaben wird, muss frühe Erfolge erzielen.

Diese Bemühungen haben nun begonnen. Kolumbien, das im ersten Jahr der Plattform den temporären Vorsitz innehaben wird, muss frühe Erfolge erzielen, um die Plattform langfristig zu festigen. Während Brasilien und Chile den Prozess unterstützen, haben allerdings wichtige Länder wie Argentinien und Mexiko die Erklärung nicht unterzeichnet, und die politische Unsicherheit durch Wahlen in mehreren Ländern erschwert den Prozess zusätzlich. Die mehr als 50 auf dem Gipfel anwesenden zivilgesellschaftlichen Organisationen werden die Arbeit der Plattform beobachten und auf Transparenz und die Erfüllung der eingegangenen Verpflichtungen pochen. Im Mittelpunkt stehen die Autonomie des Globalen Südens in Bezug auf die Setzung ihrer eigenen Steuerstandards, eine progressive Steuerpolitik, die Einhaltung der Menschenrechte unter besonderer Berücksichtigung von Geschlechterperspektiven und Umweltschutz.

Für Lateinamerika und die Karibik sind das Gipfeltreffen und die dort vereinbarte Plattform wichtige Gelegenheiten, nachhaltige Reformen der Steuersysteme voranzubringen. Die Gewährleistung von Menschenrechten erfordert Ressourcen – eine gerechtere Steuerpolitik ist dazu notwendig, und Lateinamerika und die Karibik haben die ersten Schritte unternommen.