Guillermo Lasso in Ecuador, Pedro Castillo in Peru und Luis Arce in Bolivien – die drei andinen Staatschefs könnten auf den ersten Blick nicht gegensätzlicher sein. Lasso ist ein liberal-konservativer Banker der Elite, Castillo ein politischer Newcomer und Marxist und Arce ein Technokrat an der Spitze einer linkspopulistischen Massenbewegung. Doch die drei eint vieles: Sie sind während der Pandemie an die Macht gekommen in Ländern, die besonders hart von Covid-19 getroffen wurden. Und alle drei haben heute mit den Auswirkungen hart zu kämpfen – unterbrochene Lieferketten, Inflation, Arbeitslosigkeit und Verarmung. Im Windschatten der Wirtschaftskrise ist auch ein altes Übel in die Region zurückgekehrt – die politische Instabilität. Die Wähler, die gegen den sozialen Abstieg kämpfen oder mit ihm zurechtkommen müssen, haben nur noch wenig Geduld mit ihren Politikern.

Die ecuadorianische Hafenstadt Guayaquil wurde im April 2020 fast parallel mit Italien ähnlich heftig erwischt, zu einem Zeitpunkt, da noch sehr wenig über die Krankheit bekannt war. Das Gesundheitssystem kollabierte, Verstorbene wurden auf Parkbänke gelegt und oft tagelang nicht abgeholt, die Bestattungsunternehmen mussten sich mit Pappsärgen behelfen. In Peru spielten sich ähnlich dramatische Szenen ab. Es gab keinen Sauerstoff mehr, die dafür vorgesehenen Anlagen in den Hospitälern waren marode und die marktbeherrschenden Unternehmen spekulierten mit den Preisen. Auch in Bolivien war die damalige rechte Regierung völlig überfordert. Es herrschte Chaos in den Krankenhäusern, die Regionen waren weitgehend sich selbst überlassen und bei der zentralen Beschaffung von Masken und Beatmungsgeräten blühte die Korruption. In allen drei Ländern wurde offensichtlich, welch riesige Löcher im sozialen Netz klafften und wie raffgierige Politiker das nicht nur befördert hatten, sondern davon auch noch persönlich zu profitieren versuchten.

Arce, Lasso und Castillo waren dann die Antwort auf dieses Debakel. Arce, der Kronprinz von Evo Morales von der linken Bewegung zum Sozialismus (MAS) und Vater des bolivianischen Wirtschaftswunders, gewann klar die Präsidentschaftswahl im Oktober 2020. Er und der in Ecuador im Mai 2021 gewählte konservative Banker Guillermo Lasso, der bereits zum dritten Mal für das Präsidentenamt kandidierte, konnten vor allem mit Nostalgie punkten. Die Hoffnung der Wähler auf eine rasche Rückkehr zu Stabilität und Wirtschaftswachstum half ihnen auf den Präsidentensessel. Der im Juli 2021 gewählte marxistische Landschullehrer Pedro Castillo in Peru hingegen verkörperte das Gegenteil: Eine Abkehr vom bisherigen neoliberalen Wirtschaftskonsens und die Hoffnung auf mehr Sozialpolitik. Er ist der klassische Outsider, den eine Protestwelle an die Macht spülte – und die Angst vor seiner Gegnerin in der Stichwahl, der Diktatoren-Tochter Keiko Fujimori.

Peru, Bolivien und Ecuador stürzen von einer Krise in die nächste.

Bislang war jedoch keinem der drei ein glückliches Händchen beschert. Ihre Länder stürzen von einer Krise in die nächste. In Ecuador hat Lasso versucht, mit neoliberalen Einsparungen den Staatshaushalt zu sanieren. Das brachte die Konjunktur ins Stocken, während die Inflation stieg, und führte zu einer enormen Protestwelle. An deren Spitze stand der indigene Dachverband Conaie, der schon mehrere Präsidenten in die Enge getrieben hatte. Die Demonstranten rangen Lasso schließlich einen Kompromiss ab, der nicht nur die Benzinsubventionen beibehält, sondern gleichzeitig auch Preiskontrollen und ein Moratorium für weitere Bergbau- und Erdölprojekte vorsieht. Damit sind Lasso die Hände gleich doppelt gebunden, da der Rohstoffexport neben Schnittblumen und Bananen eines der wichtigsten wirtschaftlichen Standbeine des Andenlandes ist. Seinen Kopf aus der Schlinge ziehen konnte er nur dank einer mit China vereinbarten Umschuldung der Staatsschulden. Dennoch beurteilen 66 Prozent der Ecuadorianer seine Amtsführung als negativ. Dass er kürzlich mit seinem Vorgänger und Erzfeind, dem Linkspopulisten Rafael Correa, telefonierte, verstärkte den Eindruck, er sei politisch am Ende.

Castillo ist seit 14 Monaten im Amt, doch regiert hat er praktisch nicht. Seine Regierung stolpert von einem Skandal in den nächsten. Er hat 72 Minister verschlissen. Zwei Amtsenthebungsverfahren konnte Castillo bislang dank Zweckbündnissen im Kongress abschmettern. Die Staatsanwaltschaft hat sechs Ermittlungen gegen Castillo und seine Familie eingeleitet, drei davon im Zusammenhang mit öffentlichen Aufträgen. Eine Tochter ist in Haft, ein Neffe auf der Flucht. Der 130 Mitglieder zählende Kongress ist in mehr als 15 Parteien zersplittert. Viele Abgeordnete erpressen die Regierung mit Zugeständnissen für persönliche Anliegen, etwa die staatlichen Kontrollen für Transportunternehmen und Privatuniversitäten zu lockern. Währenddessen müssen 70 Prozent der Peruaner in der informellen Wirtschaft überleben, in der sich legale und illegale Aktivitäten bis zur Unkenntlichkeit vermischen.

In Bolivien ist derweil ein Machtkampf entbrannt zwischen Arce, seinem Vize David Choquehuanca und seinem Vorgänger Morales. Alle drei beanspruchen die Präsidentschaftskandidatur der MAS für 2025. Die Schlammschlacht tobt wild. Arces Söhne hätten Schmiergeld genommen, um einer US-Firma die Lithiumvorkommen im Salzsee von Uyuni zuzuschlagen, ließ eine MAS-Abgeordnete vom Morales-Flügel verlauten. Eine Journalistin enthüllte, dass Arce seinen Söhnen im staatlichen Energiekonzern Pöstchen zugeschanzt hatte. Sie haben offenbar auch bei der geplanten staatlichen Biodieselfabrik ihre Finger mit im Spiel. Ein MAS-Abgeordneter aus Arces Lager konterte, Morales habe seinen Wahlkampf von argentinischen und brasilianischen Drogenhändlern finanzieren lassen. Morales forderte daraufhin den Rücktritt von zwei Ministern, weil diese im Dienste des Imperialismus stünden. Choquehuanca hofft, der lachende Dritte zu sein. Ein Generationenwechsel sei nötig, betont der indigene Intellektuelle gerne, der sich in der MAS auf einen Reformflügel mit jungen Kadern stützen kann. Doch die Partei ist zerstritten und könnte sich selbst demontieren – zumal wenn die Wahlbehörde Arces Anweisungen folgt, alle Mechanismen für illegale Wahlkampffinanzierung und Stimmenkauf zu beseitigen.

Von den schwachen Regierungen profitiert vor allem das Organisierte Verbrechen.

Von den schwachen Regierungen profitiert vor allem das Organisierte Verbrechen. In Ecuador hat die Drogenmafia während der Pandemie ihre Präsenz vor allem im Grenzgebiet zu Kolumbien stark ausgebaut. Seit Februar 2021 starben mehr als 400 Insassen bei Gefängnisaufständen und drei Staatsanwälte wurden von Auftragskillern erschossen. Die Mordrate hat sich 2021 im Vergleich zum Vorjahr nahezu verdoppelt, auf 14 pro 100 000 Einwohner. Trotz Ausnahmezustand detonierten Kriminelle mehrere Sprengsätze, bei denen zahlreiche Menschen verletzt wurden. Drogenbanden kämpfen vor allem im Norden des Landes um die Kontrolle der Schmuggelrouten rund um die Hafenstadt Guayaquil. Die Drogenfunde haben nach Angaben der Polizei sprunghaft zugenommen, von 79 Tonnen Kokain im Jahr 2019 auf 170 im Jahr 2021.

Die Kartelle nutzen das zerrüttete soziale Gefüge, um Nachwuchs zu rekrutieren. Lassos Sparpolitik befeuert den Trend noch. Ein weiteres illegales Epizentrum ist das Amazonastiefland. An den dortigen Flussufern haben sich seit 2021 Tausende illegaler Goldschürfer niedergelassen. Quecksilber und Sedimente lassen das Ökosystem wichtiger Flüsse wie des Napo kollabieren. Das Gold wird über dubiose Zwischenhändler gewaschen. So breitet sich die illegale Wirtschaft, die bislang in Ecuador noch vergleichsweise schwach ausgeprägt war, immer weiter aus.

Wohin das führt, dafür ist Peru ein abschreckendes Beispiel. Dort existiert in einigen Gebieten schon länger eine Symbiose zwischen Organisierter Kriminalität und Lokal-und Regionalpolitik. Goldschürfer, Drogenhändler und Geldwäscher, die dank Stimmenkauf auf Gouverneurs- und Bürgermeisterposten landen, sind mittlerweile keine Seltenheit mehr. Bei den Kommunal- und Regionalwahlen Anfang Oktober traten mehr als 600 Kandidaten an, gegen die Strafprozesse liefen. 17 von ihnen wurden nach Angaben des Büros der UN-Drogenbehörde gewählt. Das Phänomen ist seit über zehn Jahren in der peruanischen Politik präsent, ohne dass Maßnahmen dagegen ergriffen werden oder die Bevölkerung daran Anstoß nimmt. Dabei werden zwei Drittel der staatlichen Investitionen von den Regionen getätigt. Sie gelten zudem als Sprungbrett für die nationale Politik.

Auch im Kongress gibt es inzwischen kriminelle Lobbys unterschiedlicher Couleur. Einige Abgeordnete deckten ein Bauunternehmer-Kartell, andere beförderten korrupte Richter und betrieben eine Art Ablasshandel mit Freisprüchen. Gegen 68 Abgeordnete laufen derzeit Ermittlungen. Die meisten gegen die Fortschrittsallianz des Ex-Gouverneurs César Acuña, der kometenhaft mit Privatuniversitäten zu Reichtum kam. Im Gegensatz zum legendären kolumbianischen Drogenboss Pablo Escobar gäben sich seine peruanischen Nachahmer aber nicht mehr nur mit einem Posten im Kongress zufrieden, sagt der Drogenexperte Jaime Antezana. Seit 2016 gibt es ihm zufolge auch Narco-Kandidaten auf den Präsidentenposten.

Die Kokaanbauflächen in der Andenregion haben seit 2020 zugenommen.

Auch in Bolivien verwischen die Grenzen zwischen Politik und Mafia immer mehr. Denn die Wirtschaft steckt in der Krise. Die Pandemie ist dafür ein Grund, ein zweiter ist der massive Ausbau des Staatsapparates zu Lasten der Privatwirtschaft. Trotz steigender Staatsverschuldung ist deshalb der Haushalt unter Stress. Abhilfe schaffen der MAS nun Zweckbündnisse am Rande der Illegalität. Ein wichtiger Mechanismus ist z.B. das Landgrabbing. Dabei werden vor allem Kokabauern oder Siedler aus dem Hochland animiert, Boden im Tiefland zu besetzen. Ziel der illegalen Besetzungen mit Waffengewalt sind nicht vorrangig private Grundstücke, sondern vor allem indigenes Land und Naturschutzgebiete im Amazonas. Die Behörden greifen normalerweise nicht ein. Bei der Mehrzahl der Landnehmer handelt es sich um Bodenspekulanten, die unter der Flagge der MAS segeln. Sie roden die Wälder und verkaufen das Land anschließend gewinnbringend an Bergbaufirmen oder die Agroindustrie. Für die Regierung ist das dreifach nützlich: Die Erschließung neuer Gebiete kurbelt die Wirtschaft an, die eigene Gefolgschaft wird bedient, und die Opposition geschwächt. Denn die neuen Siedler verschieben die Mehrheitsverhältnisse im Tiefland, einer traditionellen Hochburg der bürgerlichen Parteien.

Auch die Kokaanbauflächen in der Andenregion haben seit 2020 zugenommen. In Peru sind es mittlerweile 80 000 Hektar, auf denen das Vorläuferprodukt für Kokain angebaut wird, in Bolivien sind es 30 000. In Ecuador ist die Anbaufläche noch vergleichsweise klein mit weniger als 1000 Hektar, aber die Nähe zu den großen Kokafeldern Kolumbiens macht den Norden Ecuadors zu einer wichtigen Drehschreibe, vor allem für Verarbeitung und Export. Die Überwachung der illegalen Aktivitäten und ihre Strafverfolgung leidet in den Andenländern unter der Wirtschaftskrise und unter Stress stehenden Staatshaushalten. Für die eine oder andere Regierung mag die illegale Wirtschaft auch ein willkommenes Ventil sein. Doch das ist ein Spiel mit dem Feuer. Die Gefahr zunehmend unregierbarer Narcostaaten in der Andenregion wächst.