In diesem Jahr wurde in Lateinamerika bei den US-Wahlen so intensiv mitgefiebert wie schon lange nicht mehr. Die Ergebnisse der Großmacht im Norden sind für die Länder südlich des Rio Grande traditionell von enormer Bedeutung – ganz nach dem Motto: Die USA niest, und Lateinamerika bekommt Fieber. Doch im Zeitalter globaler Umbrüche hat diese Abhängigkeit noch an Brisanz gewonnen, da politische Projekte, die internationale Einbindung und die wirtschaftliche Entwicklung zahlreicher Staaten der Region auf dem Spiel stehen. Besonders in Ländern mit geringem machtpolitischem Einfluss werden die Ereignisse in Washington genau beobachtet.
Während in Lulas Brasilien nach den Wahlen Besorgnis und Ungewissheit überwogen, herrschte in Miles Argentinien Jubelstimmung. Sowohl Trump als auch Milei gehören zum ultrarechten Atlas-Netzwerk, das sich gegen staatliche Regulierung der Wirtschaft, verpflichtenden Klimaschutz sowie Frauen- und LGBTQ+-Rechte stellt. In Argentiniens Regierungskreisen hofft man nun, dass Milei durch persönliche Verbindungen zu Trump und Unternehmern im Silicon Valley seine politischen und wirtschaftlichen Vorhaben leichter umsetzen kann.
Für Schwellenländer ist Trumps Sieg grundsätzlich eine schlechte Nachricht. Hohe Zölle und Protektionismus – so wie von ihm angekündigt – bedeuten einen stärkeren US-Dollar, Abwertungsdruck auf eigene Währungen und sinkende Rohstoffpreise. Doch werfen wir einen genaueren Blick auf Javier Milei, den Systemsprenger der argentinischen Politik, der seit fast einem Jahr im Amt ist. Als Ultralibertärer äußert er eine ganz eigene Perspektive auf Trumps Triumph und knüpft damit erhebliche Hoffnungen an die neue US-Regierung.
In Mileis Regierung wird Trumps Erfolg gefeiert. Es wird spekuliert, dass die USA unter Trump Einfluss auf das IWF-Exekutivdirektorium nehmen könnten, um potenzielle argentinische Bitten um ein neues Schuldenabkommen zu unterstützen. Ein solches Abkommen könnte dringend benötigte US-Dollar ins Land bringen und die wirtschaftliche Krise entschärfen.
Gleichzeitig wird in Mileis Kabinett offen über eine neue Schuldenaufnahme nachgedacht, trotz der bekannten Risiken. Aufgrund seines hohen Länderrisikos und wiederholter Zahlungsausfälle hat Argentinien keinen Zugang zu externen Kreditmärkten und ist daher auf den Internationalen Währungsfonds (IWF) angewiesen. Mit 44 Milliarden US-Dollar Schulden ist das Land seit 2018 der größte Schuldner des IWF.
Trumps Sieg bestätigt Milei in seiner Art und Weise, Politik zu machen.
Für Mileis Partei La Libertad Avanza hat der erneute Sieg des Republikaners in den Vereinigten Staaten jedoch eine weitreichendere Bedeutung. Er bestätigt den eigenen radikal-libertären Anti-Staats-Kurs, das soziale „Kettensägenmassaker“ und den Kulturkampf gegen Andersdenkende, Feministinnen, die LGBTQ+-Community sowie gegen Liberale und Progressive. Dabei verkörpert Milei im Wesentlichen die „Atlas-Netzwerk-Ideologie“. Trumps Sieg bestätigt Milei in seiner Art und Weise, Politik zu machen, die auf Radikalisierung und Konfrontation beruht und über soziale Netzwerke kanalisiert wird. Diese Politik des Rabaukentums auf Kosten anderer, stellt sich lautstark gegen das „Establishment“ oder „die Kaste“, mobilisiert Emotionen und entfacht Gewalt. Wie Milei in Argentinien wird auch Trump versuchen, so viel Macht wie möglich zu zentralisieren.
Trumps Politik könnte jedoch für Argentinien auch unbeabsichtigte negative Folgen haben. Zwar könnte er dem Land im Hinblick auf den IWF helfen, doch sein Protektionismus ist für Argentinien ein Problem. Trump verspricht, hohe Zölle zu erheben, insbesondere auf Waren aus China (60 Prozent) sowie einen allgemeinen Zollsatz von zehn Prozent auf Waren, die in die USA eingeführt werden. Höhere Zölle dürften mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Rückgang der argentinischen Exporte in die USA führen – dem drittgrößten Exportmarkt nach China und Brasilien. Sollte Trump den Handelskonflikt mit China weiter eskalieren, könnte Peking als Reaktion den Yuan abwerten, wodurch chinesische Produkte auf dem internationalen Markt billiger werden, mit entsprechenden Konkurrenzen für ähnliche Produkte aus Schwellenländern. Unter Milei fielen in Argentinien alle Schutzmaßnahmen für den internen Markt, sodass Importe aus China sehr leicht eingeführt werden können.
Auch andere finanzpolitische Maßnahmen Trumps wären für Argentinien eher negativ. Trump würde weniger zögern, den Zinssatz der Federal Reserve zu erhöhen, was für die argentinische Wirtschaft, die stark auf Spekulationskapital angewiesen ist, katastrophale Folgen haben könnte. Sehr schnell würde eine sehr große Menge an Dollar (die in sehr kurzfristiges Kapital investiert ist) das Land verlassen, mit der Folge einer erneuten Abwertung des Pesos und möglicherweise einem Wechselkursanstieg.
Der Sieg Trumps ist für die kulturelle und politische Agenda von Milei von enormer Bedeutung. Mit Trump hat Milei den stärksten westlichen Verbündeten, um in internationalen Foren den Kulturkampf und die Kritik an der sogenannten Umwelt- und „Gender-Gaga-Agenda“ in den Mittelpunkt seiner Außenpolitik zu stellen. Milei beschuldigte im September auf der UN-Generalversammlung die Vereinten Nationen, von „internationalen Bürokraten“ geleitet zu werden, die den ärmeren Ländern „eine sozialistische Agenda“ aufzwingen wollen. Zudem verweigerte er seine Unterstützung für den Pakt für die Zukunft, eine von den Staats- und Regierungschefs der Welt unterzeichnete Erklärung, die den Fahrplan für die Bewältigung von Herausforderungen wie nachhaltige Entwicklung, Klimawandel und digitale Zusammenarbeit vorgibt. Indem Argentinien den Zukunftspakt der UN ablehnt, befindet es sich auf der Seite von Ländern wie Russland, Venezuela, Iran, Nordkorea, Haiti, Somalia und Usbekistan.
Milei scheint eine vollständige Umstrukturierung der argentinischen Außenpolitik anzustreben.
Einen Monat später sorgte Javier Milei erneut für einen Bruch mit den außenpolitischen Traditionen Argentiniens: Bei der UN-Vollversammlung wurde wie jedes Jahr eine Resolution verabschiedet, die das US-Embargo gegen Kuba verurteilt. Diese erhielt die Unterstützung von 187 Ländern, darunter allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union – lediglich die USA und Israel stimmten dagegen. Viele hatten erwartet, dass Argentinien unter Milei erstmals mit seinen engsten politischen Partnern, den USA und Israel, stimmen werde. Doch Außenministerin Diana Mondino votierte für die Aufhebung des US-Embargos, was bei Milei Wut und Zorn auslöste. Die Entscheidung führte dazu, dass Mondino ihr Amt einen Tag später verlor. Ihr Nachfolger, Gerardo Werthein, gilt als ein noch loyalerer Vertrauter Mileis.
Diese Entwicklungen spiegeln eine Außenpolitik wider, die im Widerspruch zur langen argentinischen Tradition der Verteidigung von Menschenrechts-, Gender- und Umweltfragen steht. Milei scheint eine vollständige Umstrukturierung der argentinischen Außenpolitik anzustreben.
Noch bemerkenswerter ist jedoch Mileis Fokus auf nicht-staatliche Akteure in der Außenpolitik. Anstatt auf Staatsvertreter zuzugehen, sucht er gezielt den Dialog mit einflussreichen Unternehmern und Tech-Giganten. Diese Strategie, die europäische Politiker nicht ignorieren sollten, zeigt sich besonders bei seinen internationalen Reisen: Milei nimmt vor allem an ideologischen oder parteipolitischen Veranstaltungen teil, die wenig mit den unmittelbaren Bedürfnissen Argentiniens zu tun haben.
Bisher hat er bei keiner seiner Reisen etwas für den argentinischen Handel erreicht, sei es in Form von Abkommen oder großen Investitionszusagen. Bemerkenswert ist auch, dass kein anderer argentinischer Präsident allein im ersten Jahr seiner Amtszeit so häufig die USA besucht hat wie Milei. Allerdings fanden seine Treffen meist nicht mit Vertretern der Biden-Regierung statt, sondern mit Tech-Unternehmern und ultrarechten Ideologen.
Die außenpolitischen Prioritäten der USA hingegen liegen woanders.
Die Außenpolitik im neuen politischen Zeitalter ultrarechter Regierungen des Westens zeichnet sich durch eine enge Kooperation mit Tech-Milliardären aus. Beide verfolgen gemeinsame Interessen. In diesem Konzept wird das Wohl der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger nicht von diesen selbst bestimmt, sondern von einer kleinen Elite vorgegeben
Javier Milei bewundert Elon Musk, der ihn mehrfach öffentlich auf X gefeiert hat. Gleichzeitig unterstützt Marcos Galperin, der reichste Mann Argentiniens und Gründer von Mercado Libre, sowohl Musks politische Ambitionen als auch Mileis radikale Reformagenda. Mercado Libre, Lateinamerikas Pendant zu Amazon oder Chinas Alibaba, ist das wertvollste börsennotierte Unternehmen der Region und verfolgt ambitionierte Pläne: die Nutzerbasis verdreifachen, den elektronischen Zahlungsverkehr ausbauen, künstliche Intelligenz involvieren und Drohnen einsetzen, um mehr Kunden zu erreichen. Der kürzlich ernannte argentinische Botschafter in Washington, Alejandro Oxenford, hat ebenfalls bereits zwei Unicorns gegründet. Man kennt sich untereinander
Die außenpolitischen Prioritäten der USA hingegen liegen woanders: im Umgang mit China, dem Krieg in der Ukraine, der Krise im Nahen Osten und der Migrationsproblematik. Argentinien und seine Interessen sind eher zweit- oder drittrangig. Dennoch teilen Donald Trump und Javier Milei nicht nur eine ultrarechte Kulturkampf-Agenda, sondern auch eine Faszination für Big Tech und deren Machtpotenzial.
Für Trumps geopolitische Interessen ist es von Vorteil, mit Argentinien ein G20-Mitglied zu haben, das sich freiwillig und ohne äußeren Druck anti-chinesisch, anti-kommunistisch und anti-sozialistisch positioniert – selbst wenn diese ideologischen Feindbilder längst an Bedeutung verloren haben. Sollte Argentinien unter Milei eine Bewerbung als globaler Partner der NATO anstreben, könnte eine künftige Trump-Regierung diese unterstützen.
Die engen Verbindungen zwischen der argentinischen Ultrarechten und Trump könnten in bestimmten Bereichen zu einer Vorzugsbehandlung führen. Gleichzeitig bleibt Argentinien jedoch ein Land mit begrenztem Einfluss auf die großen ökonomischen und geopolitischen Entwicklungen. In der realpolitischen Perspektive der USA könnte Argentinien auch unter einer ultrarechten Regierung weiterhin vor allem als „Hinterhof“ der Vereinigten Staaten fungieren.