Der Krieg in Afghanistan, der Einmarsch in den Irak, der NATO-Einsatz in Libyen – die Interventionen im 21. Jahrhundert haben in den westlichen Gesellschaften zu Ernüchterung geführt: Die Eingriffe von außen kosten zusätzliche Menschenleben, verschlingen enorme finanzielle Mittel und können vorhandene Instabilität befeuern. Offenbar lässt sich Demokratie nicht exportieren. Beruhend auf diesen Erkenntnissen mehrt sich die Kritik an der postulierten neo-kolonialen Politik des Westens. Gefordert wird, die Einflussnahme zu unterbinden: Das betrifft sowohl direkte militärische Interventionen und Waffenlieferungen an bestimmte Akteure als auch deren politische und finanzielle Unterstützung.

Bezogen auf den Syrien-Krieg ist die Position der Interventionsgegner eindeutig: Der Westen, vor allem die USA, habe das Regime von Baschar al-Assad schon lange im Visier gehabt. Gemeinsam mit den Golf-Monarchien und der Türkei habe man islamistische Gruppierungen erstarken lassen, welche gegen seine legitime Regierung kämpften und die Errichtung einer Theokratie planten. In diesen Turbulenzen sei es schließlich den Dschihadisten des „Islamischen Staates“ (IS) und der Al-Nusra-Front, des syrischen al Qaida-Ablegers, gelungen, sich zu etablieren. Eine Lösung für den Konflikt könne nur das syrische Volk selbst finden, weshalb die Unterstützung verschiedener Akteure im Land eingestellt werden müsse.

Das Credo: „Keine Intervention, keine Einmischung“ – ein Politikansatz, der sich jedoch nicht umsetzen lässt. Ähnlich wie Paul Watzlawick es für zwischenmenschliche Kommunikation formulierte („Man kann nicht nicht kommunizieren“), verhält es sich mit dem Syrien-Krieg. Nicht bewusst einzugreifen, ist lediglich eine passive Form der Intervention. Denn der Krieg ist internationalisiert, eine endogene Lösung somit illusorisch. Ohne den direkten Eingriff Russlands, des Irans und der libanesischen Hisbollah könnte sich das Assad-Regime längst nicht mehr halten. Ebenso wären die verschiedenen Oppositionsgruppen ohne die Unterstützung der USA, der EU, der Türkei und der Golf-Monarchien hoffnungslos unterlegen. Es gäbe nicht die Pattsituation, die derzeit zu beobachten ist. Der diplomatische Prozess in Genf ist abermals gescheitert. Die generelle Absage des syrischen Präsidenten an einen politischen Übergangsprozess verhindert jeglichen Dialog. In Genf ist es nicht einmal zu direkten Gesprächen zwischen Vertretern des Regimes und dem Obersten Verhandlungskomitee – der Rebellen-Oppositionsdelegation – gekommen.

Ähnlich wie Paul Watzlawick es für zwischenmenschliche Kommunikation formulierte („Man kann nicht nicht kommunizieren“), verhält es sich mit dem Syrien-Krieg.

Der Ende Februar 2016 zwischen den USA und Russland ausgehandelte relative Waffenstillstand besteht nur noch auf dem Papier. Die Al-Nusra-Front konnte sich den militärischen Druck auf die Opposition, ermöglicht durch Russlands direkte Intervention und Irans Entsendung von Truppen, zu Nutze machen und das Bündnis aus islamistischen und national ausgerichteten Rebellen, Dschaisch al-Fatah, die Armee der Eroberung, wiederbeleben. Dschaisch al-Fatah hatte im Frühjahr 2015 in einer Blitzoffensive nahezu die komplette Provinz Idlib erobert und das alewitische Kernland in Latakia bedroht. Interne Konflikte führten später zur Auflösung des Bündnisses. Angeführt von den Dschihadisten gelang es der Opposition in den letzten zwei Monaten jedoch, große Teile des vom Assad-Regime im Frühjahr eroberten Territoriums zurück zu gewinnen.

 

Lückenfüller „Extremismus“

In einem derart internationalisierten Konflikt wie dem syrischen werden Lücken, wie sie durch die ausbleibende Unterstützung des Westens entstehen, gewiss gefüllt. Im Fall Syriens ist ein wesentlicher Lückenfüller unglücklicherweise Extremismus. Soll der Westen, sollen die USA die bewaffnete Opposition also weiterhin unterstützen? Befürworter argumentieren, die geringe Unterstützung für nicht-dschihadistische und islamistische Gruppen führe zu einer Erstarkung der radikalen Elemente, welche mittlerweile die Opposition dominierten. Diese Situation habe in den letzten Jahren dazu geführt, dass die Al-Nusra-Front sich im Nordwesten des Landes konsolidieren konnte und jüngst gar ein Vorstoß zur Schaffung eines Emirats erfolgte. Die Wahrnehmung vieler Syrer, trotz der allgegenwärtigen Luftangriffe auf zivile Ziele seitens des Regimes vom Westen im Stich gelassen zu werden, liefere außerdem dem IS laufend neue Rekruten.

Die Gegner einer weiteren Unterstützung der bewaffneten Opposition argumentieren hingegen, so etwas wie „moderate“ Gruppen existierten nicht und das Banner der Freien Syrischen Armee sei lediglich ein Symbol, um internationale Legitimität zu gewinnen. Letztlich komme deshalb jegliche Unterstützung für die Opposition direkt den radikalen Elementen zu Gute, welche keine Alternative zum Regime Baschar al-Assads sein können. Folgt man der Argumentation der Gegner, verbietet sich jegliche Unterstützung für die Opposition: Man ersetze nämlich nur ein Unrechtsregime durch das nächste. In der Tat ist unabsehbar, wie die sunnitische Opposition sich entwickeln wird, welche Vorstellungen von Staatlichkeit sie verfolgt und ob westliche Konzepte von Staatlichkeit überhaupt auf Syrien anwendbar sind. Die Allgegenwart des Islams wird mit Sicherheit eine größere Rolle spielen. Der Islam hat jedoch viele Gesichter und ist nicht gleichbedeutend mit dem, was in den vom IS kontrollierten Gebieten geschieht.

 

Zwei Optionen

Es stellt sich also nicht die Frage, ob interveniert werden sollte, sondern lediglich wie interveniert wird. Bezogen auf die Unterstützung der syrischen Opposition ergeben sich zwei Optionen.

Option 1: Unterstützung der Opposition auf geringem Niveau beibehalten

Millionen Syrerinnen und Syrer fühlen sich nach Jahren andauernden Bombardements und zermürbender Belagerungen durch das Assad-Regime und seine Verbündeten von der „internationalen Gemeinschaft“ im Stich gelassen: Die Vereinten Nationen haben jüngst gar Pläne für Hilfslieferungen aus der Luft, die sogar mit russischer Unterstützung beschlossen wurden, auf Eis gelegt. Trotz der weit verbreiteten Ablehnung von Dschihadisten kann die Opposition nicht auf die militärischen Kapazitäten der Al-Nusra-Front verzichten. Der Status quo, ein geringes Unterstützungsniveau, wird die radikalen Elemente weiter stärken und die Gewalt anheizen.

Der Status quo, ein geringes Unterstützungsniveau, wird die radikalen Elemente weiter stärken und die Gewalt anheizen.

Damit ist er Wind in den Segeln des vom Assad-Regime erwünschten Narrativs eines Kampfes gegen Terrorismus, wodurch jegliche diplomatische Initiativen weiterhin ins Leere laufen werden. Nicht zuletzt stellt die Allgegenwart von Unsicherheit und Gewalt die wesentliche Existenzbedingung für den IS dar.

Option 2: Unterstützung für die Opposition intensivieren

Wegen der teilweise engen Verflechtung oppositioneller Gruppen wird Unterstützung für solche, die als „moderat“ bezeichnet werden können, meist auch islamistischen Gruppen zu Gute kommen. So beinhaltet Fatah Halab, ein gemeinsames Kommando zahlreicher Gruppen in der Provinz Aleppo, beispielsweise sowohl die islamistische Ahrar al-Sham als auch die 13. Division der Freien Syrischen Armee, welche Panzerabwehrwaffen von den USA erhalten hat. Nicht profitieren werden jedoch die Dschihadisten der Al-Nusra-Front, die von weiten Teilen der Opposition äußerst kritisch betrachtet werden und ihre Unverzichtbarkeit verlieren, wenn ihre militärische Stärke nicht mehr überlebensnotwendig für die Regimegegner ist. Bewegungen wie Ahrar al-Sham mögen nicht dem Profil demokratieliebender Reformer nach westlicher Wunschvorstellung entsprechen. Derartige Gruppen sucht man in Syrien jedoch ohnehin vergeblich. Wichtig anzumerken ist, dass sich auf die internen Dynamiken und Entwicklungen der Gruppen durchaus Einfluss nehmen lässt. So ist Ahrar al-Sham eine äußerst komplexe Bewegung aus Teilen der syrischen Muslimbruderschaft, Salafisten und national ausgerichteten Dschihadisten, deren Hardliner es bedeutend einfacher haben, die Zusammenarbeit mit der Al-Nusra-Front voranzutreiben, wenn die militärische Situation die entsprechenden Sachzwänge beschert.

Tatsache ist, dass das gesamte Spektrum der syrischen Opposition eine Schlüsselrolle im Kampf gegen den IS einnimmt. Auch Gruppen, die gemeinhin als islamistisch bezeichnet werden, genießen Rückhalt in der sunnitischen Bevölkerung und sind bis dato die erfolgreichsten und erbittertsten Widersacher der Terrormiliz.

 

Keine einfachen Antworten

Die Unterstützung für die syrische Opposition einzuschränken, stellt keinen Schritt hin zu einem langfristigen Rückgang der Gewalt dar. Vielmehr liefert die aus dem bisherigen geringen Grad an Unterstützung entstandene Pattsituation eine wesentliche Grundlage für den Fortgang des Krieges auf unbestimmte Zeit. Auf der anderen Seite bleibt eine mögliche Intensivierung der Unterstützung unberechenbar und erscheint kritisch. Internationale Politik ermöglicht jedoch selten simple Antworten. Die Regierungen der USA und ihrer NATO-Partner würden Realismus beweisen und ihrer Verantwortung gerecht werden, wenn sie anerkennen würden, dass der Krieg in Syrien sich nicht aussitzen lässt. Der Opposition die Mittel zu geben, um den Preis für das Assad-Regime und seine Verbündeten so hoch zu treiben, dass ernsthafte Verhandlungen in den Bereich des Möglichen rücken, könnte ein notwendiger Schritt sein.