Nach seinem Amtsantritt 2021 machte US-Präsident Biden sich daran, sein Land wieder an die globale Führungsrolle heranzuführen, die sein Vorgänger Donald Trump weitgehend preisgegeben hatte. Er war bestrebt, die NATO wieder als prominente Größe im weltweiten Machtgefüge zu etablieren, was durch Russlands völkerrechtswidrigen Einmarsch in die Ukraine massiv erleichtert wurde. Er stärkte die unter Trump zerfaserten Beziehungen zu den Verbündeten in Asien und Europa, wobei seine Anstrengungen in den verschiedenen Teilen der Welt unterschiedlich intensiv waren. In einer Region jedoch behielt er den Kurs seines Vorgängers weitgehend bei: im Nahen Osten.
Seit Anbeginn seiner Regierungszeit hat Biden nicht viel unternommen, um sich nahostpolitisch von Trump abzuheben. Er hatte es alles andere als eilig, das Atomabkommen mit dem Iran wiederzubeleben, bis in Teheran eine noch kompromisslosere Regierung an die Macht kam und es noch unwahrscheinlicher wurde, dem Abkommen neues Leben einzuhauchen, obwohl es funktioniert hatte, bis Trump es aufkündigte. Mittlerweile brach Biden auch sein Wahlkampfversprechen, Saudi-Arabien zu isolieren, und verstärkte im Gegenteil die Rüstungsverkäufe an das Königreich.
Als Bidens bislang schlimmster Fehlgriff erweist sich inzwischen, dass er versucht hat, die Palästinenser zu übergehen.
Als Bidens bislang schlimmster Fehlgriff erweist sich inzwischen, dass er versucht hat, die Palästinenser zu übergehen, und seine Energie stattdessen vor allem in die Vermittlung eines Abkommens zwischen Saudi-Arabien und Israel investierte. Ein solches Abkommen hätte die Palästinenser auch noch der allerletzten Druckmittel beraubt und wäre ein Tauschgeschäft gewesen: ein Regionalfrieden für Israel im Tausch gegen die Freiheit der Palästinenser.
Ob Bidens Missachtung der Palästinenser für die Hamas eine Rolle spielte, als sie beschloss, Israel am 7. Oktober mit einem blutigen und kriminellen Angriff zu überfallen, und – wenn ja – worin diese Rolle bestanden haben könnte, lässt sich unmöglich feststellen. Bidens Handeln nach diesem entsetzlichen Tag bringt die Vereinigten Staaten jedoch in eine schwierige Lage und hilft Israel nicht viel weiter.
Die Biden-Administration hat zugesagt, Israel so lange zu unterstützen, wie das Land den Krieg gegen den Gaza-Streifen weiterführen will.
Die Biden-Administration hat zugesagt, Israel so lange zu unterstützen, wie das Land den Krieg gegen den Gaza-Streifen weiterführen will, und diese Unterstützung nicht von der Kriegsmethode abhängig zu machen, obwohl der Sprecher der israelischen Armee, Flottillenadmiral Daniel Hagari, diese Methode so beschrieb: „Der Fokus liegt auf Zerstörung, nicht auf Präzision.“ Die US-Regierung hat wiederholt erklärt, Israel handle auch dann im Einklang mit den „Gesetzen des Krieges“, wenn es zivile Ziele, ausgewiesene „sichere Zonen“, medizinische Infrastruktur und UN-Einrichtungen bombardiert und – wie selbst Außenminister Antony Blinken notgedrungen einräumen musste – „bei Weitem zu viele“ palästinensische Zivilisten in Gaza tötet.
Nachdem Biden sich auf den Schulterschluss mit einer israelischen Regierung festgelegt hat, die er selbst einmal als rechteste Regierung der israelischen Geschichte bezeichnet hat, ist es für ihn jedoch politisch unmöglich, von dieser Haltung abzurücken. Seine politischen Kontrahenten in der Republikanischen Partei warten nur darauf, dass seine Entschlossenheit, sein Versprechen an Israel zu halten, ins Wanken gerät.
Politische Pluspunkte bringt Bidens Israel- und Gaza-Politik auch ihm selbst nicht ein. Mit seiner Zustimmungsquote und seinem Abschneiden in den meisten Umfragen geht es seit dem 7. Oktober bergab. So gesehen gibt es in seiner Situation für ihn nichts zu gewinnen. Dabei hätte es anfangs noch eine Alternative für ihn gegeben.
Der Angriff vom 7. Oktober löste natürlich eine enorme Sympathiewelle für Israel und gewaltige Empörung über die Hamas aus. Entsprechend breit war der Rückhalt für Israels erste Reaktion. Doch als die Zerstörung in Gaza immer weitere Kreise zog und die Zahl der Todesopfer rapide stieg, mehrten sich die Stimmen, die sich für einen Waffenstillstand und eine diplomatische Lösung aussprachen. Biden hatte aber kaum Bewegungsspielraum und konnte lediglich versuchen, mehr Hilfstransporte nach Gaza zu ermöglichen, obwohl dies durch die israelischen Angriffe sehr erschwert wurde.
Eine zunehmend wichtige Rolle in den Abstimmungsprozessen zwischen den USA und Israel spielten die Verhandlungen über die Freilassung der von der Hamas verschleppten Geiseln. Für einen Austausch israelischer Geiseln gegen Palästinenser, die in israelischen Gefängnissen einsaßen, wurde eine Feuerpause vereinbart. Diesen Moment hätte Biden für den Versuch nutzen können, stärker darauf zu drängen, dass Israel einen zurückhaltenderen Kurs einschlägt, einen längeren Waffenstillstand ermöglicht und sich um eine diplomatische Lösung bemüht. Das hätte eine Chance sein können, die wichtigsten Akteure des Nahen Ostens, einschließlich der Palästinenser, zu einem Gipfeltreffen an einen Tisch zu bringen und den Versuch zu unternehmen, sich auf einen Rahmen für das weitere Vorgehen zu verständigen.
Stattdessen entsandte Biden amerikanische Streitkräfte in die Region, um den Iran durch Abschreckung von einer Einmischung abzuhalten, mit der zu keinem Zeitpunkt ernsthaft zu rechnen war. Um Israel so unter Druck zu setzen, dass es einer längeren Waffenruhe zustimmt, hätte er damit drohen müssen, diese und auch alle anderen unterstützenden Maßnahmen einzustellen, die über das jährliche amerikanische Hilfspaket für Israel hinausgehen. Indem er jedoch drauflosagierte, ohne die weitreichenden Implikationen seiner Beschlüsse zu bedenken, verbaute er etwaige alternative Optionen. Würde er die US-Truppen abziehen und die zusätzlichen Hilfen einstellen, stünde er als Verräter Israels da. Damit würde er Wasser auf die Mühlen seiner politischen Gegner gießen und riskieren, dass er seine eigenen proisraelischen Anhänger gegen sich aufbringt.
Israel wies Bidens Appelle sehr direkt und in aller Öffentlichkeit zurück.
Darum blieb Biden bei seiner uneingeschränkten Rückendeckung für die israelischen Angriffe, als diese wiederaufgenommen wurden. Seine eindringlichen Appelle, Israel solle mehr für die Vermeidung ziviler Opfer tun, wirkten auf Beobachter in allen politischen Lagern saft- und kraftlos. Israel wies seine Appelle denn auch sehr direkt und in aller Öffentlichkeit zurück.
Zusätzlich verkompliziert wird die Lage dadurch, dass sich andere Akteure verstärkt einmischen. Nachdem die libanesische Hisbollah-Miliz sich mit der Schützenhilfe für die Hamas in Form von Raketenangriffen gegen Israel zunächst zurückhielt, kommt es inzwischen vermehrt zu gegenseitigem Beschuss zwischen der Hisbollah und Israel.
Im Jemen attackieren die Huthi-Rebellen Handelsschiffe im Roten Meer und feuern immer wieder Langstreckenraketen auf Israel ab. Die USA sind dabei, ihre Verbündeten zu einer Koalition zusammenzubringen, der sich überwiegend europäische Länder anschließen und die die Huthi-Rebellen von weiteren Angriffen abschrecken soll. Ob sich dies allein dadurch erreichen lässt, dass diese Länder vor Ort Präsenz zeigen, scheint ungewiss und dürfte nicht sehr wahrscheinlich sein. Da sowohl die Hisbollah als auch die Huthis mit Iran verbündet sind, wächst das Potenzial für einen größeren Konflikt in der Region immens.
Inzwischen beschweren sich Bidens eigene Regierungsmitarbeiter.
Trotz alledem hält Biden beharrlich an seiner Rückendeckung für das Vorgehen des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu in Gaza fest, obwohl Netanjahu im eigenen Land für seine Kriegführung heftig kritisiert wird. Inzwischen beschweren sich – ein echtes Novum – Bidens eigene Regierungsmitarbeiter: Einige von ihnen hielten vor dem Weißen Haus eine Mahnwache ab und forderten den Präsidenten auf, von Israel eine Waffenruhe zu verlangen. Schon zuvor hatten sich Beschäftigte des US-Außenministeriums und des Heimatschutzministeriums über Bidens Politik beschwert.
Traditionell gelten die Vereinigten Staaten zu Recht als Verbündete Israels und deshalb als ungeeignet für eine Vermittlerrolle, wenn es darum geht, eine Verständigung mit den Palästinensern herbeizuführen. Andererseits tendierten sie bisher dazu, in extrem unbeständigen Zeiten mäßigend auf Israel einzuwirken, damit es nicht seinen schlimmsten Impulsen folgt. Von dieser Philosophie hat Biden sich verabschiedet. Stattdessen hat er Israel bestärkt, den 7. Oktober mit einer massiven Reaktion zu beantworten. Als ihm klar wurde, dass er von dieser Haltung abrücken müsste, war es dafür zu spät.
Nach wie vor besteht die Möglichkeit, dass die USA eine positive Rolle übernehmen. Der Rest der Welt hat inzwischen erkannt, dass Israel seine Operationen beenden muss. Biden kann denjenigen in Israel den Rücken stärken, die eine Rückkehr ihrer Geiseln und eine diplomatische Lösung wollen – und zwar eine Lösung, bei der die Hamas uneingeschränkt zur Rechenschaft gezogen wird.
Es gibt einen zukunftsträchtigen diplomatischen Weg: die Einbindung der gesamten internationalen Gemeinschaft in einen politischen Prozess, der Israels Herrschaft über die Palästinenser beendet und Israel die Sicherheit bringt, die es in seiner 75-jährigen Geschichte nie hatte. Biden treibt den politischen Preis dafür in die Höhe und sorgt dafür, dass es immer mehr Mut erfordert, diesen diplomatischen Weg zu beschreiten. Sein selbstproklamierter Zionismus versperrt ihm den Blick für das, was für Israel, Palästina, die USA und den Rest der Welt das Beste ist. Irgendjemand muss ihn dazu bewegen, einen anderen Kurs einzuschlagen oder zur Seite zu treten und den Weg freizumachen für eine fähigere Führungskraft, die sich dieser blutigen Angelegenheit annimmt.
Aus dem Englischen von Andreas Bredenfeld