Am 11. September 2001 verloren durch den schwersten Terrorangriff der Menschheitsgeschichte fast 3 000 Menschen ihr Leben – die Welt stand unter Schock. Am 7. Oktober 2023 erlebten die Bürgerinnen und Bürger des Staates Israel den blanken Horror in Form des entsetzlichsten Terrorangriffs in der Geschichte ihres Landes: 1 400 Kinder, Frauen und Männer wurden ermordet und mehr als 240 Menschen als Geiseln verschleppt.

Das ist die bittere Realität, der Israels Bürgerinnen und Bürger ins Auge sehen müssen. Nach dem Anschlag auf das World Trade Center zeigte sich die internationale Gemeinschaft schockiert und verurteilte den Angriff. Viele Israelis dagegen fühlen sich von der Weltöffentlichkeit alleingelassen und sind tief getroffen und fassungslos, wenn sie sehen, dass überall auf der Welt Demonstrationen gegen ihr Land stattfinden, dass die internationale Unterstützung schwindet und sie wohl oder übel allein mit der Tragödie fertigwerden müssen.

Der Staat Israel ist mit den USA nicht vergleichbar. Er ist, gemessen an der Bevölkerung, 33-mal kleiner und flächenmäßig 440-mal kleiner als die Vereinigten Staaten – nicht größer als Hessen. Die Kibbuzim im südlichen Teil des Landes, in die die Terroristen der Hamas einfielen, sind höchstens zwei Autostunden von den Gegenden entfernt, wo 70 Prozent der Einwohner Israels leben.

Israel hat viel Krieg und Terror erlebt, aber was am Schwarzen Schabbat geschah, hat in unserem tiefsten Innern etwas verändert. Bis zum 7. Oktober fühlten wir uns auf eine fast unmerkliche Weise sicher. Dieses sichere Gefühl, der starke Staat Israel werde seine Bürgerinnen und Bürger schützen, ist verloren.

Der Staat Israel muss seiner Bevölkerung das Gefühl geben, dass sie in Sicherheit ist.

Es gibt fast niemanden in Israel, der oder die nicht persönlich auf das Schmerzlichste von dieser Katastrophe betroffen ist. Das unfassbare Desaster zu verarbeiten, ist nahezu unmöglich. Kinder wurden umgebracht und entführt, Eltern vor den Augen ihrer Kinder brutal ermordet. Familien versteckten sich stundenlang in Schutzräumen und versuchten ihre Kinder dazu zu bringen, leise zu sein, damit die Mörder nicht auf sie aufmerksam werden. Die unvorstellbare Grausamkeit ruft Erinnerungen an das tiefste Trauma jedes jüdischen Menschen wach: an den Holocaust.

Rund 130 000 Israelis aus den Orten in der Nähe des Gazastreifens, in denen das Massaker verübt wurde, und auch aus weiter entfernten Gegenden sind aus ihren Häusern und Wohnungen geflüchtet und werden vermutlich nicht so bald dorthin zurückkehren. Diejenigen, die besonders nah an der Grenze gewohnt haben, werden nicht zurückgehen, bis der Staat Israel ihre Sicherheit garantieren kann. Der Staat Israel muss seiner Bevölkerung das Gefühl geben, dass sie in Sicherheit ist, denn ein anderes Land als dieses gibt es nicht.

Ich habe mich mein Leben lang für den Frieden, für ein Ende der Besatzung eingesetzt und für eine politische Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts geworben – genau wie viele andere Bewohnerinnen und Bewohner der Kibbuzim im Süden. Ich war – und bin nach wie vor – aus tiefstem Herzen überzeugt, dass die Palästinenser ein Recht auf Selbstbestimmung haben, das sie in ihrem eigenen Staat ausüben sollen. Ich war überzeugt, dass wir als Bürgerinnen und Bürger Israels gegen die Besatzung kämpfen und die dadurch produzierten Ungerechtigkeiten klar benennen müssen, und bin es auch immer noch. Ich habe die israelischen Regierungen, die durch ihr Handeln die Palästinenserbehörde geschwächt und den Siedlungsbau im Westjordanland vorangetrieben haben, kritisiert und werde dies auch weiterhin tun. All das tat und tue ich als Israeli, der für das Wesen und für die Zukunft dieses Staates kämpft. Aus dieser Überzeugung heraus bin ich dafür, die israelische Militäroperation in Gaza fortzuführen und gleichzeitig alles daranzusetzen, dass unschuldige Palästinenserinnen und Palästinenser möglichst wenig zu Schaden kommen.

Die schwer zu ertragenden Bilder, die Opfer – unter ihnen viele Kinder – und das unvorstellbare Leid der Bewohner von Gaza sind mir nicht egal. Doch ich kämpfe momentan für meine Heimat, für meine bloße Existenz. Wir haben uns diesen Krieg nicht ausgesucht. Hätten mutige Bürgerinnen und Bürger, Seite an Seite mit den israelischen Streitkräften, die Hamas-Angreifer nicht gestoppt, hätten die Terroristen weiter gemordet und so viele Israelis umgebracht, wie nur irgend möglich. Wie eine hasserfüllte Horde sind sie über ihre Opfer hergefallen und haben wahllos Juden und Araber, Frauen, Kinder und ältere Menschen vor den Augen ihrer Familienangehörigen ermordet. Sie kannten keine Gnade – nicht einmal für Kinder und Säuglinge.

Israel hat keine andere Option, als die Hamas zu besiegen.

Obwohl von Gaza aus seit Jahren zahllose Raketen auf israelische Siedlungen und Städte abgefeuert werden, hat Israel eine „Containment“-Politik betrieben: Es hat mit begrenzter Gewaltanwendung reagiert, rund 20 000 Menschen aus Gaza Arbeitserlaubnisse erteilt, sodass sie jeden Tag nach Israel einreisen können; es hat angesichts der Unterstützung Katars für die Hamas ein Auge zugedrückt und vieles mehr. Doch einen so groß angelegten und gnadenlosen Terrorangriff auf seine Bürgerinnen und Bürger hinnehmen – das kann kein Land und erst recht kein so kleines Land wie Israel.

Wir haben keine Wahl. Wenn wir den Krieg gegen die Hamas nicht gewinnen, werden die Menschen, die aus ihren Städten, Dörfern und Kibbuzim geflohen sind, nicht dorthin zurückkehren können. Nicht nur sie, sondern auch die Menschen, die in Israels Norden nahe an der Grenze zum Libanon wohnen, werden nicht in ihre Städte und Kibbuzim zurückgehen, wenn sie Tag für Tag von den durch Iran unterstützten Terroristen der Hisbollah angegriffen werden. Und wenn diese Menschen nicht zurückkehren, werden Hamas und Hisbollah, die auch Feinde der Palästinenser und der Libanesen sind, siegestrunken so lange weiter zuschlagen, bis niemand – weder Juden noch Araber – mehr frei in Israel leben kann.

Die Rufe nach einem „sofortigen Waffenstillstand“ ohne Vorbedingungen klingen vielleicht gut, aber de facto verbirgt sich darin die Forderung, Israel solle vor den Hamas-Terroristen kapitulieren und seine Bürgerinnen und Bürger einer Realität preisgeben, in der diejenigen, die ihnen so immenses Leid zugefügt haben, neue Kräfte sammeln und ihnen in Zukunft noch mehr Leid zufügen können. Humanitäre Pausen sind gerechtfertigt, wenn sie dazu beitragen, dass die verschleppten Geiseln freikommen und die unschuldigen Bewohnerinnen und Bewohnern von Gaza Hilfe erhalten. Israel hat keine andere Option, als die Hamas zu besiegen – und wenn der Feind sich in Wohngebieten verschanzt und von dort aus operiert und seine Kommandozentralen in Krankenhauskellern einrichtet, werden, so traurig das ist, auch Zivilisten getroffen.

Die Welt hat sich eine vereinfachte Sicht auf den Kampf des Guten gegen das Böse angewöhnt, auf den Kampf von Schwach gegen Stark, David gegen Goliath. Die Wirklichkeit ist aber komplizierter. Israel ist nicht Goliath, Hamas ist nicht David. Die Realität ist nicht schwarzweiß. Sie hat viele Schattierungen, und wir alle täten gut daran, sie sorgfältiger und mit präzisem Unterscheidungsvermögen in den Blick zu nehmen.

Wenn Israel nicht in der Lage ist, die elementare Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten, kann es nicht bestehen.

Mit Leuten, die 80 Jahre nach dem Holocaust die Existenzberechtigung des Staates Israel nicht anerkennen und fordern, Palästina müsse „vom Fluss bis zum Meer“ befreit werden, kann es keine gemeinsame Basis geben. Wer jedoch für eine bessere Zukunft im Nahen Osten kämpfen will, muss begreifen: Wenn Israel nicht in der Lage ist, die elementare Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten, kann es nicht bestehen. Dieses Ziel lässt sich im Augenblick nur dadurch erreichen, dass die militärischen Kapazitäten der Hamas zerstört werden, dass ihre Herrschaft in Gaza beendet und dass die Hisbollah durch Abschreckung kaltgestellt wird. Im Augenblick sind es vor allem die Israelis, denen Gefahr droht, aber manche richten den Blick schon auf den nächsten Schritt. Es ist kein Zufall, dass Putin und Erdogan umgehend deutlich gemacht haben, dass sie zur Hamas halten. Sie wissen genau: Wenn der Staat Israel besiegt ist, wäre dies nur die erste Etappe ihres Kriegszugs gegen die freiheitlichen Werte der internationalen Gemeinschaft.

Eine positive Wirkung kann diese Tragödie vielleicht insofern entfalten, als sie einen Wendepunkt markiert. Am Ende muss die Erkenntnis, dass die Existenz eines souveränen palästinensischen Staates neben dem Staat Israel im israelischen Interesse liegt, sich in den politischen Kreisen in Israel flächendeckend durchsetzen. Die Palästinenserbehörde war, auch wenn sie jahrelang geschwächt wurde, ein wichtiger Partner und bleibt dies auch weiterhin. Ihre Stärkung und das Werben für eine politische Lösung, die dafür sorgt, dass die Autonomiebehörde in Gaza wieder die Herrschaft übernimmt, müssen zentrale Bausteine des israelischen Sicherheitskonzepts sein. Parallel muss Israel einfordern und sich dafür starkmachen, dass in Palästina Wahlen stattfinden und dass es – wenn sie vor einem glaubwürdigen außenpolitischen Horizont abgehalten werden – danach wieder einen rechtmäßigen palästinensischen Ansprechpartner gibt, der eine unterstützende Rolle übernimmt und mit dem über eine diplomatische Lösung gesprochen werden kann. Die Hamas kommt dafür nicht in Frage.

Der Sieg muss jedoch auf politischer Ebene errungen werden. Die Militäroperation wird im besten Fall einen rein taktischen Sieg bringen. Was es braucht, ist jedoch eine politische, diplomatische Strategie – regional und international.

Dafür muss sichergestellt werden, dass die Terroristen der Hamas, die so viele Israelis gequält und ermordet haben, nicht ein zweites Mal einfallen und ihre Tat wiederholen können. Deshalb müssen wir kämpfen: Um die Geiseln wieder nach Hause zu holen und um dafür zu sorgen, dass israelische Bürgerinnen und Bürger wieder in Sicherheit leben können. Wir müssen dafür kämpfen, dass die freiheitlichen Werte den Sieg davontragen. Einen Sieg für die, die leben wollen, und nicht für die Handlanger des Todes. Die Hamas-Terroristen und ihre Unterstützer wollen, so wie damals Al-Qaida am 11. September 2001, die westliche Welt als Ganzes vernichten. Ihrem Ansinnen dürfen wir unter keinen Umständen nachgeben.

Aus dem Englischen von Andreas Bredenfeld