Das Ringen zwischen Israel und Iran in und rund um Syrien eröffnet den Blick auf zwei wichtige Dynamiken. Erstens auf den enormen Einfluss, den Russland zweieinhalb Jahre nach seiner offenen Intervention in Syrien gewonnen hat. Zweitens auf den gordischen Knoten, den der Kreml zu lösen hat, wenn es darum geht, die eigenen Interessen und die seiner Verbündeten zu balancieren. Bahnt sich ein Krieg zwischen den Erzfeinden Israel und Iran an? Man könnte es zumindest meinen. Als iranische Einheiten Anfang Mai mindestens 20 Raketen von Syrien auf die von Israel besetzen Golan-Höhen feuerten, reagierte Israel mit der größten Offensive in syrischem Luftraum seit 45 Jahren: Israelische Kampfflugzeuge bombardierten 70 Einrichtungen der Iraner und zerstörten mehrere syrische Luftabwehrbatterien. In den Wochen zuvor hatte Israel bereits Dutzende Angriffe auf iranische Ziele in Syrien geflogen und gar gedroht, Präsident Assad zu töten, wenn er dem Iran weiterhin Tür und Tor öffne. Iran kündigte Vergeltung an.

Der Kreml unterhält gute Beziehungen zur Regierung in Tel Aviv und scheint kein Interesse daran zu haben, diese aufs Spiel zu setzen.

Doch der große Krieg zwischen Israel und dem Iran bleibt eine Mär. Nicht einmal das oft beschworene Szenario, die Hisbollah, Irans langer Arm im Libanon, könnte ihr Arsenal von mehr als 100.000 Raketen gegen Israel richten, scheint realistisch. Israel hat, genau wie die Hisbollah und der Iran, kaum Interesse an einer solchen Eskalation. Das bedeutet nicht, dass einzelne Zwischenfälle keine unkontrollierbare Eskalation in Gang setzen könnten. Vielmehr geht es aber um das gewaltsame Abstecken neuer roter Linien, deren Vorläufer in den Wirren des Syrien Krieges an Farbe verloren haben. Das mittelfristige Ergebnis wird vermutlich ein simmernder Konflikt in Syrien sein, mittels dessen Israel und Iran ihre identitätsstiftenden Narrative gegenseitiger Feindschaft artikulieren können.

Bis dato akzeptiert Russland die israelischen Luftangriffe in Syrien. Der Kreml unterhält gute Beziehungen zur Regierung in Tel Aviv und scheint kein Interesse daran zu haben, diese aufs Spiel zu setzen. Ohnehin bombardierte Israel in der Vergangenheit lediglich vereinzelte, mit dem Iran in Verbindung stehende Ziele. Eine substantielle Bedrohung für das Assad-Regime ging von diesen Angriffen nicht aus. Darüber hinaus haben Israels zunehmende Angriffe auf iranische Ziele einen Effekt, der ganz im Interesse Russlands liegt. Für das Assad-Regime wird die iranische Präsenz im Land nämlich zunehmend zu einer Bürde. Denn obwohl vom Iran kontrollierte Milizen die ausgedünnten Reihen von Assads Armee stärken, garantiert Irans Expansion in Syrien eine militärische Antwort aus Israel. Sollte Iran seine Ambitionen nicht zurückschrauben, könnten israelische Bombardements zunehmend auch auf das Assad-Regime abzielen. Eine solche Konfrontation mit Israel kann das Assad-Regime nicht gebrauchen. Andererseits liegt es nicht im Interesse des Assad-Regimes, Iran zu verprellen. Präsident Assad hat während der letzten Jahre großes Geschick darin gezeigt, seine Verbündeten in Teheran und Moskau gleichermaßen bei der Stange zu halten — und manchmal gegeneinander auszuspielen. Wenn er nun die iranische Expansion zügelt, steigt seine Abhängigkeit von Russland. Das ist insofern problematisch, als dass die russischen Vorstellungen über eine Neuordnung des Landes nicht unbedingt deckungsgleich mit denen des syrischen Präsidenten sind. Russische Pläne über eine Verfassungsreform, die Assads Macht einschränken würde, lehnte dieser bisher konsequent ab.

Der in Syrien ausgetragene Konflikt zwischen Israel und Iran treibt das Assad-Regime in die Arme Russlands.

Summa summarum: Der in Syrien ausgetragene Konflikt zwischen Israel und Iran treibt das Assad-Regime in die Arme Russlands. Das liegt durchaus im Interesse des Kremls, der so seinen Einfluss im Land stärken und seine guten Beziehungen zu Israel aufrechterhalten kann. Doch gleichermaßen erfordert diese zentrale Rolle eine Einsatzbereitschaft, die den Plänen der russischen Regierung, sich mittelfristig aus Syrien zurückzuziehen, ganz und gar nicht entgegenkommt.

Russland sucht nach einem Weg heraus aus dem Krieg, der in der eigenen Bevölkerung kritisch gesehen wird und enorme finanzielle Mittel verschlingt. Es riskiert jedoch seine in zweieinhalb Jahren mühsam erkämpften Errungenschaften, wenn es seine Präsenz in Syrien verringert. Denn Assads Armee und die loyalen Milizen sind schlecht ausgebildet und vielfach undiszipliniert. Die militärische Balance im Syrien Krieg könnte sich in dem Moment zu Ungunsten des Assad-Regimes verändern, wo die russische Luftwaffe nicht mehr bei Bedarf jeden Ort in Schutt und Asche legt, der sich gegen das Assad-Regime erhebt. So findet sich Moskau in der komplizierten Rolle wieder, zwischen dem Assad-Regime, den USA, Israel, der Türkei und anderen involvierten Konfliktparteien vermitteln zu müssen, um die eigenen Errungenschaften zu sichern.

Perspektiven für Diplomatie

Russlands starke Position in Syrien erweist sich für den Kreml als Fluch und Segen. Nicht nur diplomatisch, sondern auch im Feld. Die russische Intervention beschränkt sich längst nicht mehr auf Luftangriffe. Russische Kommandeure und Militärpolizisten sind in nahezu allen vom Assad-Regime kontrollierten Gebieten im Einsatz. Dabei sind nach offiziellen Angaben bereits über 90 russische Soldaten getötet worden. Jüngst verhafteten russische Militärpolizisten gar Truppen des Assad-Regimes, die systematisch frisch eroberte Gebiete plünderten.

Was bedeutet das für die diplomatischen Perspektiven? Die Bereitschaft zur Machtteilung seitens des syrischen Präsidenten ist unabdingbar, um den Krieg in Syrien langfristig einzudämmen und den Staat vor dem endgültigen Auseinanderbrechen zu bewahren. Nur Russland hat wegen seiner historischen Beziehungen und seiner aktuellen Relevanz die Möglichkeiten, das Assad-Regime von der Notwendigkeit einer entsprechenden Verfassungsreform zu überzeugen. Es erscheint sinnvoll, den von Israel und den USA angeführten Druck auf die iranische Präsenz in Syrien aufrechtzuerhalten, die auch von Teilen der iranischen Bevölkerung abgelehnt wird. Denn wenn der syrische Präsident die israelischen Drohungen ernst nimmt und in Folge dessen die iranische Expansion in Syrien als zu bedrohlich einstuft, wird er zwangsläufig abhängiger von der starken Hand Russlands. Doch es ist gerade die Schutzmacht Russland, die versucht, eine notwendige Verfassungsreform anzustoßen. Gewiss nicht aus philantrophischen Gründen, sondern weil eine Verfassungsreform die Basis für eine Neuordnung Syriens sein kann, die keine massive russische Präsenz mehr erfordert. Und es ist Russland, das nicht notwendigerweise an der Person Bashar al-Assads festhält, die als Symbol für Repression und einen Vernichtungsfeldzug gegen Teile der eigenen Bevölkerung die für relativen Frieden notwendige Aussöhnung in Syrien verunmöglicht.