Joe Bidens viel gepriesene Nahostreise – sein erster Besuch in der Region als Präsident – war weitestgehend undramatisch und wenig aufregend. Sie brachte keine nennenswerten Ergebnisse und war darauf auch gar nicht ausgelegt. Dennoch sollte man die Visite nicht als bedeutungslos abtun, denn sie offenbart eine sehr beunruhigende Entwicklung. Die Reise mag eine fruchtlose Showveranstaltung gewesen sein, aber sie war zugleich ein herber Rückschlag für Amerikas Interessen und lieferte die Bestätigung für etwas, was viele Beobachter seit Langem ahnen: Vermeintliche Verbündete dürfen die Vereinigten Staaten nach Belieben geringschätzig behandeln, blamieren und ihre Autorität untergraben.

Die Schäden sind schon jetzt zu besichtigen. Keine 24 Stunden nach Bidens Abreise aus der Region wurde in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) der amerikanische Staatsbürger Asim Ghafoor aufgrund von nebulösen Anschuldigungen zu drei Jahren Haft verurteilt. Ghafoor gehört dem Vorstand einer Nonprofit-Organisation an, an deren Gründung der ermordete Washington Post-Kolumnist Jamal Khashoggi beteiligt war, und war erst zwei Tage zuvor beim Umsteigen auf dem Internationalen Flughafen von Dubai festgenommen worden.

Die USA sind im Nahen Osten nicht in der Lage, zielsicher zu reagieren und ihre Selbstachtung zu wahren.

So etwas kommt in Diktaturen vor – aber nicht in Diktaturen, die angeblich enge Partner der USA sind. Die Aktion war eine Verhöhnung Joe Bidens durch die Führungsriege der Emirate – oder dieser Führungsriege war zumindest egal, ob dieser Eindruck entsteht. Beides ist kein ermutigendes Signal. Provokationen dieser Art zeugen von einer Entwicklung, die sich im Nahen Osten seit Langem hartnäckig fortsetzt und bei der sich immer wieder zeigt, dass die USA nicht in der Lage sind, zielsicher zu reagieren und ihre Selbstachtung zu wahren. Die Autokraten testen die Grenzen aus, um zu sondieren, wie weit sie gehen können, und stellen fest: Es gibt keine Grenzen.

Ein noch krasseres Beispiel liefert Saudi-Arabien. Als vor Jahren im Nahen Osten gewitzelt wurde, das Königreich komme sogar mit einem Mord ungestraft davon, war das lediglich eine Redensart. Doch dann kamen die Saudis tatsächlich ungestraft davon. Der einzige Moment, der von Bidens Reise in Erinnerung bleiben wird, ist sein Fistbump mit dem saudischen Kronprinzen und De-facto-Herrscher Mohammed bin Salman. MBS brauchte gerade einmal vier Jahre, um sich nach der grausamen Ermordung Khashoggis, in die er unmittelbar eingebunden war, zu rehabilitieren.

Mohammed bin Salman brauchte gerade einmal vier Jahre, um sich nach der grausamen Ermordung Khashoggis zu rehabilitieren.

Doch das Treffen war mehr als nur eine Rehabilitation. In der irrigen Hoffnung, die Spritpreise im eigenen Land senken zu können, meinte der amerikanische Präsident, bei MBS vorstellig werden und ihn um eine Erhöhung der Ölfördermengen bitten zu müssen. Das war zwar nicht regelrecht unterwürfig – dazu hätte der stolze und dickköpfige Biden sich wohl nicht herabgelassen –, aber es hat klar gezeigt, dass seine Regierung immer schwächer und hilfloser wird.

Man kann nicht genug betonen, dass die Kraftverhältnisse damit auf skurrile und unberechtigte Weise auf den Kopf gestellt werden. Die USA sind eine Supermacht – und zumindest vorerst die Supermacht schlechthin. Saudi-Arabien und die VAE sind, undiplomatisch ausgedrückt, Klientelstaaten. Ihre Sicherheit und ihr Fortbestand steht und fällt mit Amerikas Macht. Ihre Armeen wären innerhalb kurzer Zeit am Ende, wenn die USA ihre militärische Versorgung inklusive Ersatzteillieferungen, Wartung, Ausbildung und Logistikunterstützung einstellen würden. Es ist absolut offensichtlich, dass diese Länder stärker auf die USA angewiesen sind als umgekehrt. Hätte ein Außerirdischer ohne Vorwissen die Geschehnisse der vergangenen Woche beobachtet, hätte er jedoch den gegenteiligen Eindruck gewinnen und meinen können, die USA seien der Juniorpartner, der seinen supermächtigen Schutzherren die Reverenz erweist.

Dass der US-Präsident in aller Öffentlichkeit einem brutalen, aber schwachen Regime seine Ehrerbietung entgegenbringt, ist nicht nur für die Strategie der USA, sondern auch für die amerikanische Identität ein Problem: Ist das die Rolle, die die Vereinigten Staaten auf der Weltbühne übernehmen wollen?

Die Golfstaaten betrachten die Unterstützung durch die USA als Selbstverständlichkeit, als hätten sie einen Rechtsanspruch darauf.

Ex-Präsident Donald Trump hatte bekanntlich ein Faible für die Saudis und handelte dementsprechend. Heute werden die Autokraten von einer demokratisch geführten US-Regierung gehätschelt, auch wenn Biden immer wieder beteuert, die Politik seines Vorgängers sei Vergangenheit. In gewisser Weise kombiniert Biden die Nachteile beider Modelle zu einer unhaltbaren Mittelposition, und das funktioniert im Nahen Osten selten. Die Vereinigten Staaten betreiben weiterhin eine autokratenfreundliche Politik mit dem einzigen Unterschied, dass die betreffenden Autokraten die USA nicht mögen und nicht einmal so tun, als würden sie Amerika Respekt entgegenbringen. In Saudi-Arabien wurde Biden von seinen Gastgebern ein kühler Empfang bereitet. Ähnlich brüsk wurde Barack Obama bei seinem Besuch 2016 behandelt. Obama war für eine historische Aufstockung der Waffenexporte nach Saudi-Arabien verantwortlich, aber sein Wohlwollen wurde weder gewürdigt noch erwidert. Das ist kein Zufall, denn Amerikas Verhältnis zu arabischen Autokraten ist von einem Phänomen geprägt, das Experten reverse leverage nennen – umgekehrte Hebelwirkung. Die USA knüpfen ihre militärische Unterstützung für die Golfstaaten nur selten an Bedingungen. Die Golfstaaten betrachten diese Unterstützung ihrerseits als Selbstverständlichkeit, als hätten sie einen Rechtsanspruch darauf.

Das Ergebnis ist eine sich verschärfende Repression, die die Schikanierung und Inhaftierung von US-Bürgern einschließt. Doch amerikanische Entscheidungsträger lassen sich von moralischen Einwänden wenig beeindrucken. Die Vereinigten Staaten sind schließlich ein Land und keine Menschenrechtsorganisation. In der unvollkommenen und tragischen Welt, in der wir leben, muss Amerika nun einmal mit Diktatoren verkehren. Dieses Argument könnte man vielleicht noch gelten lassen, wenn Saudi-Arabien und die VAE zuverlässige Verbündete der Amerikaner wären – was sie nicht sind. Sie fühlen sich stark und verhalten sich unverantwortlich und rücksichtslos – auch in der Außenpolitik. Die Liste der Beispiele wird immer länger: Beide Länder versuchen, sich bei China einzuschmeicheln, sinnen auf einen versöhnlicheren Kurs gegenüber Russland, kidnappen den libanesischen Premierminister, heizen den langjährigen Krieg im Jemen an und unterstützen in den Stellvertreterkonflikten in Libyen die Gegner der USA.

Die USA werden genau von den Ländern manipuliert, die sicherheitspolitisch auf sie angewiesen sind.

Nüchterne Pragmatiker mögen der Meinung sein, politisches Abenteurertum dieser Art müsse man als notwendiges Übel im Interesse der „Stabilität“ hinnehmen. Das ist aber nicht das, was derzeit geschieht. Es geschieht etwas Schlimmeres. Die USA werden genau von den Ländern manipuliert, die sicherheitspolitisch auf sie angewiesen sind. Irgendwie haben die Vereinigten Staaten das Kunststück fertiggebracht, sowohl die eigenen Werte als auch die eigenen Interessen zu untergraben – und im Nahen Osten ist, wie sich zeigt, das eine nicht vom anderen zu trennen.

© The Atlantic

Aus dem Englischen von Andreas Bredenfeld