Durch die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar rückt eine Region in den Fokus der Öffentlichkeit, die lange Zeit in Deutschland kaum wahrgenommen wurde. Dabei sind die Golfmonarchien Katar, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) spätestens seit dem sogenannten „Arabischen Frühling“ vor zehn Jahren zu einflussreichen und zugleich umstrittenen Regionalmächten und globalen Schwergewichten aufgestiegen: Als relevante Erdöl- und Erdgasproduzenten konnten sie ihre wirtschaftliche Schlagkraft weltweit ausbauen, unterhalten enge Beziehungen zu China – und teilweise auch zu Russland – und haben gleichzeitig intensiv in Europa und den USA investiert, um ihre Wirtschaften zu diversifizieren.

Politisch proklamieren die golfarabischen Herrscher ein Herrschaftsmodell, welches auf wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Öffnung bei gleichzeitiger politischer Repression beruht. Saudi-Arabien führt seit 2015 einen Krieg im Jemen und ist aufgrund der Ermordung des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi 2018 massiv in die Kritik geraten. Die VAE präsentieren sich als einflussreiche Regionalmacht am Horn von Afrika, in Libyen, Jemen oder Mali, während Katar aufgrund seiner Kontakte zu islamistischen Gruppierungen und der Ausbeutung von Arbeitsmigrantinnen und -migranten in die Kritik geraten ist.

Neben der WM hat insbesondere der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine den deutschen Blick auf die energiereichen Öl- und Gasproduzenten am Golf gelenkt. Die Reisen von Kanzler Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck dienten dazu, engere Energiepartnerschaften mit Katar, den VAE und Saudi-Arabien zu vereinbaren, um sich aus der langjährigen Energieabhängigkeit von Russland zu lösen. Die globale Energiekrise nutzen vor allem Saudi-Arabien und die VAE aus, um ihre Position zu stärken und sich unabhängiger von ihren traditionellen Partnern in Europa und den USA aufzustellen.

Die Ankündigung Saudi-Arabiens, im Rahmen der OPEC+ die Ölproduktion zu reduzieren, sorgte insbesondere in den USA für einen Aufschrei. Im Vorfeld der US-Zwischenwahlen bewerteten einige Demokraten das Vorgehen der saudischen Führung als Verrat, um den im Königreich unbeliebten US-Präsidenten Joe Biden zu schwächen. Das traditionelle Verhältnis zwischen den USA und Saudi-Arabien hat sich in den letzten Monaten dramatisch abgekühlt und befindet sich auf einem historischen Tiefststand. Dabei hatte Biden mit seinem kontrovers diskutierten Besuch beim saudischen Kronprinzen im Juli 2022 noch versucht, die saudische Führung von einer konzilianten Ölpreispolitik zu überzeugen und die Wogen zu glätten – vergeblich.

Die globale Energiekrise nutzen vor allem Saudi-Arabien und die VAE aus, um ihre Position zu stärken.

Aus saudischer Perspektive geht es beim stark beschädigten Verhältnis mit den USA allerdings um viel mehr als um Öl. Die selbstbewusste saudische Führung will nicht mehr als Steigbügelhalter und Juniorpartner Washingtons betrachtet werden, sondern als eigenständiger Akteur, der nach nationalen Interessen handelt. Für Saudi-Arabien und die VAE scheint es derzeit wichtiger zu sein, ihre außenpolitischen Partnerschaften auszubalancieren, anstatt einseitig gegen Russland und für den Westen Partei zu ergreifen. Diese Strategie ist nicht neu, hat man doch in Riad und Abu Dhabi in den letzten Jahren zunehmend das Vertrauen in die USA verloren und sieht sich genötigt, die eigenen Partnerschaften zu diversifizieren, indem man auch mit Russland und China im Geschäft bleibt.

Und so hat sich in Teilen der Golfregion in letzter Zeit ein kritisches Narrativ gegen den Westen durchgesetzt, welches nationalistischen Tendenzen Vorschub leistet. Dieser Trend hat sich durch den Angriffskrieg gegen die Ukraine noch verstärkt: Die geopolitischen tektonischen Verschiebungen auf globaler Ebene betrachten die Herrscher am Golf einerseits als Gefahr, aber andererseits auch als Chance. Während sie selbstbewusst auf eine eigenständige Rolle auf der Weltbühne drängen, forcieren sie innenpolitisch ein Gesellschaftsmodell der sozialen und wirtschaftlichen Liberalisierung, indem sie die Rechte von Frauen stärken, junge Menschen immer mehr Einfluss erhalten, der Tourismus- und Unterhaltungssektor ausgebaut und die Bildungspolitik gefördert wird.

Im Gegensatz zu einem degenerierten Westen, so der Tenor am Golf, präsentieren sich die golfarabischen Herrscher als Architekten des Fortschritts, des Wandels, der Prosperität und der Sicherheit. Dahinter steckt das Kalkül, die eigene Legitimation und Macht zu konsolidieren und sich nach innen wie nach außen unersetzlich zu machen. In dieser Strategie spielt unter anderem der Sport eine wichtige Rolle. Katar hat es perfektioniert, sich mithilfe des Sports größer zu machen als man ist und die eigene Marke zu stärken. Diesem Vorbild eifern auch die anderen Golfmonarchien nach und haben Sportpolitik als wesentlichen Pfeiler ihrer Innen- und Außenpolitik entdeckt.

Während Katar mit der WM und dem Einstieg bei Paris St. Germain 2010 sowie die VAE mit der Übernahme des englischen Vereins Manchester City 2008 schon seit Jahren den Sport als strategisches Instrument nutzen, zieht auch Saudi-Arabien nach. Im Oktober 2021 übernahm der vom Kronprinzen Muhammad bin Salman geführte saudische Investitionsfonds 80 Prozent des Traditionsvereins Newcastle United, 2029 wird das Königreich die asiatischen Winterspiele ausrichten und gemeinsam mit Ägypten und Griechenland beabsichtigt das Königreich, sich auf die WM 2030 zu bewerben. Neben Sport wächst auch das golfarabische Engagement in den Bereichen Entwicklungspolitik, erneuerbare Energien sowie Umwelt- und Kulturpolitik. Mit Aktivitäten in diesen Bereichen wollen die Golfmonarchien ihren Einfluss auf relevanten Märkten sichern, sich als sichtbare und verlässliche Netzwerker profilieren und zu Hause einen gesellschaftlichen Patriotismus schaffen.

Dass eine solche Partnerschaft immer mit Risiken verbunden ist, sollte klar kommuniziert werden.

Die Golfmonarchien können demnach nicht mehr ignoriert werden, bleiben aber problematische Partner. Durch die Gleichzeitigkeit von gesellschaftlicher Öffnung und politischer Unterdrückung bleiben sie Länder der doppelten Böden. Darauf muss auch die deutsche Außenpolitik reagieren. Dafür braucht es Weitsicht, Geduld, Standhaftigkeit und Haltung. In Zukunft sollte Deutschland diesen Widersprüchen proaktiver begegnen, indem eine kohärente, klare und konsequente außenpolitische Strategie zum Umgang mit den Golfstaaten entwickelt wird. Diese Strategie sollte darauf beruhen, Werte und Interessen miteinander zu vereinbaren. Druck und Dialog sollten Mittel der Wahl sein, um mit den schwierigen Partnern zusammenzuarbeiten. Dabei müssen rote Linien formuliert werden. Waffenlieferungen an Länder wie Saudi-Arabien sollten in jedem Falle vermieden werden. Stattdessen sollte sich Deutschland auf Politikfelder konzentrieren, in denen funktionierende Instrumente existieren. So könnte Deutschland unter anderen in zwei Bereichen die Zusammenarbeit mit den Golfmonarchien forcieren:

Erstens: Die strukturelle Ausbeutung von Arbeitsmigranten hat Katar der internationalen Kritik ausgesetzt. Deutschland sollte versuchen, gemeinsam mit Katar und anderen Golfmonarchien Projekte zum besseren Schutz von Migrantinnen zu implementieren, indem beispielsweise in den Entsendestaaten wie Pakistan, Bangladesch oder Nepal verstärkt Beratungsangebote geschaffen werden, um zukünftige Migranten auf die Herausforderungen in den Golfstaaten vorzubereiten. Katar unterhält bereits 14 Visazentren in asiatischen Entsendestaaten, in denen Migrantinnen vorbereitet werden können. Solche Aktivitäten könnten verstetigt werden, wozu Deutschland mit seiner Expertise im Migrationsmanagement beitragen könnte.

Zweitens: Deutschland ist einer der wichtigsten entwicklungspolitischen Geber weltweit und auch die Golfmonarchien sind zu einflussreichen humanitären Akteuren aufgestiegen. In den letzten Jahren modifizieren sie ihre Entwicklungspolitik, indem sie verstärkt technische Angebote und nicht mehr ausschließlich finanzielle Hilfe einsetzen. Projekte im Bildungs- und Ausbildungsbereich, in der Frauen- und Jugendförderung oder im Sport haben ebenso an Bedeutung gewonnen wie das Interesse an internationalen Partnerschaften. So sind mittlerweile Saudi-Arabien, die VAE, Katar und Kuwait Mitglieder beim Ausschuss für Entwicklungshilfe der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD-DAC). Somit bieten sich für Deutschland Möglichkeiten zur engeren Kooperation mit den bilateralen und multilateralen entwicklungspolitischen Akteuren in den Golfmonarchien.

Außerdem ist es notwendig, nach der WM die Golfregion nicht aus den Augen zu verlieren, sondern stattdessen in den oben genannten Feldern und darüber hinaus langfristig und konstruktiv sowie kritisch und kontrovers mit den Golfstaaten im Austausch zu stehen. Dass eine solche Partnerschaft immer mit Risiken verbunden ist, sollte der deutschen Öffentlichkeit klar und deutlich kommuniziert werden. Gleichzeitig sollte die Politik aber auch erklären, dass es durchaus Möglichkeiten gibt, Interessenspolitik mit den Golfstaaten zu betreiben, ohne die eigenen Werte zu verraten. Dafür braucht es jedoch eine Strategie und einen geschärften Blick auf diese Region, die zu wichtig geworden ist, als dass sie ignoriert werden könnte. Die WM in Katar sowie die Energiekrise zeigen das wie unter einem Brennglas.