Die Außenminister der EU-Staaten haben an diesem Montag den Start des neuen Militäreinsatzes zur Sicherung der Handelsschifffahrt im Nahen Osten beschlossen. An der Operation „Aspides“ soll auch die Fregatte „Hessen“ teilnehmen – vorausgesetzt, dass der Bundestag die erforderliche Zustimmung gibt. Seit Mitte November 2023 greifen die jemenitischen Huthi-Rebellen Handelsschiffe im Roten Meer und in der Straße von Bab al-Mandab an. Damit ist eine der wichtigsten Wasserstraßen für den Welthandel praktisch gesperrt. Iran, bisher massiver Unterstützer der Huthi, zeigt sich plötzlich besorgt, ebenso China. Die bislang kaum beachteten Huthi haben mit ihren Angriffen ihren größten PR-Coup erreicht: Es ist ihnen gelungen, die USA und Großbritannien in den Konflikt hineinzuziehen. Beide Staaten haben mit gezielten Militärschlägen reagiert. Damit wird für die radikal-schiitischen Huthi ein Traum wahr: Sie werden von den USA wahrgenommen, in ihrer Welt der „Erzfeind“ aller Muslime. In ihren Propagandareden fiebern sie der weiteren Auseinandersetzung förmlich entgegen. 

Bis zum Angriff der palästinensischen Terrorgruppe Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 galten die nord-jemenitische Huthi-Großfamilie und ihre Anhänger lediglich als schiitische Stellvertreter des nach Großmacht strebenden Iran auf der arabischen Halbinsel. Der Huthi-Clan stürzte 2014 die internationale anerkannte Regierung in der Hauptstadt Sanaa und löste eine Hungersnot aus. 2015 griff unter Führung Saudi-Arabiens eine Militärallianz ein. Diese besteht neben den Saudis aus Ägypten, den Golfemiraten Kuwait, Katar und Bahrain sowie den Vereinigten Arabischen Emiraten. Die USA, Großbritannien und Frankreich unterstützten logistisch. Damit sollte der Einfluss des radikal-schiitischen Iran auf die Region eingedämmt werden. Vergebens, wie die jüngsten Aktionen der Huthi-Rebellen offenbaren.

Seit Mitte November 2023 kontrollieren die Huthi durch Drohnen- und Raketen-Angriffe auf Handelsschiffe im Roten Meer sowie mittels des Kaperns eines Frachters und der Geiselnahme der Schiffsbesatzung plötzlich einen wichtigen Teil des Welthandels. Durch das Rote Meer mit seiner Verbindung zum Suezkanal werden zehn bis 15 Prozent des Welthandels abgewickelt. Nun aber meiden Containerschiffe zunehmend diese Route und nehmen die längere Fahrt um Afrika herum in Kauf.

Das Eingreifen britischer und amerikanischer See- und Luftstreitkräfte hat noch keine nachhaltige Wirkung auf die Huthi gezeigt.

Das Eingreifen britischer und amerikanischer See- und Luftstreitkräfte hat noch keine nachhaltige Wirkung auf die Huthi gezeigt, wohl aber zu amerikanischen Verlusten geführt. In ihrer eigenen Kommunikation verbreiten die Huthi unermüdlich immer wieder die gleiche Botschaft: Ihre Angriffe im Roten Meer zielten darauf ab, Israel und seine Verbündeten unter Druck zu setzen sowie den Krieg in Gaza zu beenden. Sobald Israel den Krieg gegen die Hamas einstelle, würden auch die Huthi ihre „Operationen“ im Roten Meer beenden.

Vor allem aber hat sich der bisher international kaum bekannte Huthi-Clan nun weltweit einen Namen gemacht. Dieser Erfolg ist im Jemen wahrgenommen worden und stärkt das Selbstbewusstsein des Anführers Abdel Malek Al-Huthi enorm. Und von der seit zehn Jahren von den Huthi mitverursachten schlimmsten humanitären Krise wurde erfolgreich abgelenkt. Jetzt ist nur noch von der humanitären Krise im Gaza-Streifen die Rede. Eine perfekte Entwicklung für die Huthi-Führung, die vom Backstage der internationalen Politik ins Rampenlicht gerückt ist. Von dort wird sie, auch wenn der Gaza-Krieg beendet sein wird, nicht mehr freiwillig in die jemenitische Provinz zurücktreten.  

Das Ziel der Hamas, „Israel ins Meer zu treiben“, findet sich von Anfang an auch in der Huthi-Ideologie. Mit dem Aufstieg zum „Türsteher“ der Ein- und Ausfahrt des Roten Meers will die Huthi-Führung jedoch nun mehr. Sie übt bereits die Kontrolle über den größten Teil des nördlichen Jemen aus – einschließlich der Hauptstadt Sanaa – und präsentiert sich gerne medial und gegenüber ausländischen Hilfsorganisationen als legitime Herrschaft des Landes. Ihre von Stammes-Milizen ausgeführten „Operationen“ im Roten Meer stellt sie als Militäraktionen der „jemenitischen Streitkräften“ dar. Die tatsächlich international anerkannte Regierung sitzt rund 300 Kilometer entfernt in der südlichen Stadt Aden und gilt als schwach.

Aber auch die Huthi werden international anerkannt. Zum Beispiel vom westlichen NATO-Partner Türkei. Dort sind in den großen Städten gelegentlich Solidaritätsplakate zu sehen, mit dem Konterfei von Abdel Malek Al-Huthi, versehen mit der Aussage: „Wir alle sind Jemeniten.“ Okay, alle anderen NATO-Partner sehen das sicherlich anders. Nur – wer sagt das dem türkischen Präsidenten Reccep Erdoğan?

Auch zu Hause konnten die Huthi mit ihren Angriffen auf die Schifffahrt punkten. Das Selbstwertgefühl von vielen Jemeniten, die sonst in der Weltpresse als schwach und kurz vor dem Hungertod geschildert werden, sei gestiegen, glaubt Ahmed Nagi. Er ist Jemen-Analyst bei dem Brüsseler Think Tank Crisis Group. Thomas Juneau, früherer Analyst des kanadischen Verteidigungsministeriums und heute Professor in Ottawa, meint, die Huthi könnten auftrumpfen, weil es im Jemen keinen militärischen oder politischen Rivalen gebe, der sie herausfordern könnte.

Nach Angaben der Vereinten Nationen benötigen heute mehr als 24 Millionen Jemeniten humanitäre Hilfe.

Nach Angaben der Vereinten Nationen benötigen heute mehr als 24 Millionen Jemeniten humanitäre Hilfe – das sind rund 80 Prozent der Bevölkerung. Der jahrelange Bürgerkrieg, der zurzeit durch einen brüchigen Waffenstillstand ausgesetzt ist, hat die Infrastruktur des Landes in Trümmern gelegt, Binnenflucht verursacht und aus dem Jemen einen Failed State gemacht. Auf die Frage in einem Interview mit BBC Arabic im Januar 2024, warum die Rebellengruppe angesichts der innenpolitischen Probleme Jemens auf einen ausländischen Konflikt (Gaza) reagiere, entgegnete ein Huthi-Familienmitglied des sogenannten „Obersten Politischen Rates“, Mohamed Ali Al-Houthi: Westliche Staaten würden exakt das tun, was den Huthi nun vorgeworfen werde. Der Huthi fragte bissig zurück: „Ist Biden ein Nachbar von Netanyahu? Leben sie in einer Wohnung? Wohnt der französische Präsident auch auf derselben Etage, während der britische Premierminister im selben Gebäude wohnt?“ Zudem prahlte er damit, die USA (endlich) in den Konflikt hineingezogen zu haben. Bisher hatten sich die USA rein auf humanitäre Unterstützung des Jemen konzentriert.

Und er bestritt, dass der Rebellen-Clan mit den Angriffen im Roten Meer nur Popularität in der arabischen Welt anstrebe. Es gehe dabei in erster Linie um „einen Standpunkt der Pflicht gegenüber dem Glauben“, betonte er. Wenig später sandte der Huthi auf „X“ noch eine Warnung an die westlichen Großmächte hinterher: Die USA und das Vereinigte Königreich sollten verstehen, „dass wir uns in einer Zeit der Vergeltung befinden und dass unser Volk keine Kapitulation kennt. Wenn sie Waffen tragen, dann trägt das jemenitische Volk auch Waffen.“ Zudem seien die Jemeniten stärker, denn sie hätten Allah an ihrer Seite.

Der amerikanische TV-Sender CNN berichtete am 1. Februar 2024, dem Weißen Haus lägen Erkenntnisse vor, dass die iranische Führung inzwischen „nervös geworden sei“. Dem Sender zufolge wollen US-Geheimdienste wissen, dass der Iran besorgt sei, die Huthi-Angriffe im Roten Meer könnten die wirtschaftlichen Interessen sowohl Chinas als auch Indiens beeinträchtigen. Beide Staaten unterhalten gute politische und wirtschaftliche Beziehungen zum Iran. Jedoch scheine Teheran weniger Kontrolle über die Huthi zu haben als etwa über die iran-nahen Milizen im Irak. Denn die jemenitischen Rebellen nehmen weiterhin Schiffe vor ihrer Küste ins Visier: Am 17. Februar feuerten sie Raketen auf einen britischen Öltanker, der sich auf dem Weg nach Indien befindet. Am 12. Februar solle laut Al-Jazeera sogar ein Handelsschiff, das für den Iran bestimmt war, die MV Star Iris, von Huthi-Raketen getroffen worden sein. Und das selbstbewusste Auftreten des Huthi-Vertreters im englischen Fernsehen BBC Arabic unterstreicht eher, dass die Huthi militärisch zum Äußersten bereit sind. Eine Zähmung könnte tatsächlich nur von dem Land ausgehen, das den Wind säte und nun den Sturm (mit) erntet: Iran. Deshalb wäre mehr noch als die Entsendung der deutschen Fregatte „Hessen“ in das Seekriegsgebiet, eine diplomatische Initiative in Teheran angesagt.