Im Mai kamen zum achten Mal Vertreter der EU-Mitgliedstaaten, der Nachbarländer Syriens, andere Partnerländer sowie internationale Organisationen bei der jährlichen Geberkonferenz der EU zu Syrien zusammen. Herausgekommen sind insgesamt 7,5 Milliarden Euro, die die internationale Gemeinschaft für Syrien und die Nachbarländer bereitstellt, um die katastrophalen Folgen des Bürgerkrieges abzumildern. Das ist zwar mehr als im vorangegangenen Jahr, und doch reicht es nicht – allein für Syrien benötigen die Vereinten Nationen für ihre humanitäre Hilfe vier Milliarden. Der Großteil der versprochenen Gelder wird aber an die Nachbarländer Syriens gehen, die die meisten Geflüchteten aufnehmen. 13 Jahre Bürgerkrieg ohne Aussicht auf eine politische Lösung zeigen ihre Folgen. Die Weltöffentlichkeit verliert zunehmend ihr Interesse an Syrien. Und westliche Geber müssen zusätzlich andere Krisen stemmen, wie im Sudan oder Gaza. Dabei sind die Menschen vor Ort dringend auf humanitäre Hilfe angewiesen.

Die Europäische Union verspricht insgesamt 2,12 Milliarden Euro – jeweils 560 Millionen in 2024 und 2025 zur Unterstützung Geflüchteter in Syrien, im Libanon, im Irak und in Jordanien sowie eine weitere Milliarde Euro für die Türkei. Die EU und ihre Mitgliedstaaten sind damit weiterhin die größten Geber. Seit 2011 haben sie bis heute mehr als 33 Milliarden Euro an humanitärer Hilfe sowie an Entwicklungs-, Wirtschafts- und Stabilisierungshilfe bereitgestellt. Ein Großteil der Gesamtsumme stammt aus Deutschland, das über eine Milliarde Euro angekündigt hat.

Die EU erkennt an, dass die humanitäre Notlage so groß ist wie noch nie. Aber die internationale Gemeinschaft scheint ratloser als je zuvor, wie diese gelöst werden kann. Knappe Haushaltskassen, die Streichung von Geldern für internationale Hilfen weltweit sowie eine Reihe neuer humanitärer Krisen führen dazu, dass die Vereinten Nationen ihr Ziel, vier Milliarden Euro allein in diesem Jahr für Syrien zu erhalten, nicht erreicht haben.

Das wird schwerwiegende Folgen haben: Schon jetzt leben 90 Prozent der Bevölkerung in Armut. 16,7 Millionen Syrerinnen und Syrer sind auf humanitäre Hilfe angewiesen – die höchste Anzahl seit Beginn des Krieges 2011. Seitdem ist mehr als die Hälfte der Bevölkerung vertrieben worden. Mit unzureichenden Mitteln konnten die Vereinten Nationen im Nordwesten nur 625 000 von Ernährungsknappheit betroffene Menschen erreichen – dabei sind 3,6 Millionen von Hunger bedroht. Gesundheitszentren und Kliniken sind von Schließung bedroht.

Gerade hat die EU ihre Sanktionen gegen das Assad-Regime bis Juni 2025 verlängert.

Da überrascht es schon, wenn die EU kurz vor der Brüsseler Geberkonferenz für Syrien und seine Nachbarländer, mit dem Libanon einen Migrationsdeal abschließt und dafür eine Milliarde Euro zur Verfügung stellen kann. Inwieweit diese Gelder syrischen Geflüchteten zugutekommen, steht mehr als in Frage.

Während der Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik Josep Borrell auf der Brüsseler Konferenz bekräftigt, dass unter den derzeitigen Umständen keine sichere Rückkehr von Geflüchteten nach Syrien möglich sei, scheint Kommissionspräsidentin von der Leyen vor der Praxis des Libanons, Geflüchtete zurückzuführen, beide Augen fest zu verschließen. Ein heftiger Widerspruch macht sich hier in der EU auf: Mit der einen Hand werden Gelder für humanitäre Hilfe an Aufnahmeländer syrischer Geflüchteter verteilt, mit der anderen Gelder zum Migrationsmanagement an den Libanon und damit de facto für Abschiebungen. Dies spiegelt auch die unterschiedliche Haltung der Länder innerhalb der EU wider. So hat das Auswärtige Amt erst vor Kurzem in einem Bericht klargestellt, dass es keine sichere Rückkehr angesichts von Menschenrechtsverletzungen, Folter und willkürlichen Verhaftungen geben könne. Acht andere EU-Länder fordern aber eine Neubewertung der Lage in Syrien, um Geflüchtete wieder zurückführen zu können. Dazu gehört auch Zypern, auf dessen Druck der EU-Migrationsdeal mit dem Libanon zustande kam.

Umso dringlicher muss die EU daher für einen Konsens bezüglich ihrer „drei Nein“ gegenüber dem syrischen Regime werben – Nein zur Aufhebung von Sanktionen, Nein zur Normalisierung von Beziehungen mit dem Assad-Regime, Nein zum Wiederaufbau, solange keine politische Lösung im Sinne der UN-Resolution 2254 gefunden wird. Gerade hat die EU ihre Sanktionen gegen das Assad-Regime bis Juni 2025 verlängert. Die Konten von 3 160 Personen und 86 Entitäten sind in der EU eingefroren und sie können nicht in die EU einreisen. Aber auch das bliebe reine Symbolpolitik, wenn die EU-Gelder für humanitäre Hilfe am Ende doch in den Händen von Assad und seinen Spießgesellen landen würden. Ein Großteil der Gelder geht an die UN. Diese wiederum sind nicht an die Sanktionslisten der EU oder der USA gebunden. Zahlen belegen, dass ein Großteil der Gelder an Organisationen gehen, die Verbindungen zum Assad-Regime haben und (vermutlich) an Menschenrechtsverbrechen beteiligt waren. Die syrische Wirtschaft ist in den vergangenen Jahren völlig eingebrochen. Das Assad-Regime hält sich nur am Leben, indem es UN-Hilfsgelder einstreicht und mit der Droge Captagon Handel betreibt.

Die EU müsste deutlich mehr Transparenz von der UN einfordern.

Die EU müsste daher deutlich mehr Transparenz von der UN einfordern und zumindest bei ihren Geldern darauf bestehen, dass Sanktionen eingehalten werden. Intern muss sie dafür sorgen, dass nicht einzelne Länder ihre Beziehungen zu Assad normalisieren, um für eine vermeintlich sichere Rückkehr von Geflüchteten zu werben. 13 Jahre Krieg bedeuten allerdings auch, dass die EU und andere Geber sich nicht allein auf Eindämmen und Entschärfen des Konflikts fokussieren können. Das Festhalten am Finden einer politischen Lösung muss mehr als ein reines Lippenbekenntnis sein. Die internationale Gemeinschaft darf nicht hinnehmen, dass Assad den Zugang zu humanitärer Hilfe zu einem Politikum macht. Seit letztem Jahr entscheidet allein sein Regime, ob und wie die Vereinten Nationen Hilfe in die nicht von ihm kontrollierten Gebiete im Norden bringen kann.

Bis Mai 2024 konnten gerade einmal 150 Hilfslastwagen in den Nordwesten gelangen. In den Jahren zuvor waren es 600 bis 700 – jeden Monat. Neben der Art der Kriegsführung – Belagerung, Angriffe auf zivile Infrastruktur – scheint auch damit das Assad-Regime einen Präzedenzfall für andere Konflikte geschaffen zu haben. Die EU muss ihren Einfluss nutzen, um das zu verhindern. Humanitäre Hilfe darf nicht von einzelnen Regierungen abhängig sein, sondern muss die Menschen in Not erreichen.

Die EU kann sich nicht darauf ausruhen, größte Geberin von humanitärer Hilfe zu sein, wenn diese trotzdem vorne und hinten nicht ausreicht. Sie kann sich auch nicht allein auf ihre jährliche Brüsseler Geberkonferenz berufen, um Syrien weiterhin auf seiner Agenda zu behalten. Bekenntnisse zu einer politischen Lösung reichen nicht, wenn nicht ernsthaft mit der syrischen Zivilgesellschaft nach dieser gesucht wird – und wenn jenseits der Geberkonferenz die Akte Syrien beiseitegelegt wird. Vor allem darf die EU das Problem nicht in den Nachbarländern Syriens wegsperren, die mit Abstand die meisten syrischen Geflüchteten aufnehmen. Die Problemlage ist komplex – und erfordert daher so viel mehr als Symbolpolitik.