Als im November 2020 klar war, dass Joe Biden der nächste US-Präsident würde, waren die Hoffnungen auf eine Wiederbelebung des Iran-Abkommens groß. Einige Monate später haben sich diese Hoffnungen schon in ziemlich geringe Erwartungen gewandelt. Es stimmt zwar, dass Biden – der zur Zeit der Unterzeichnung des Atomabkommens US-Vizepräsident war – den Schlüssel in der Hand hält, die internationale Diplomatie in dieser Frage wieder mit Leben zu füllen, aber seit 2015 hat sich viel verändert.

Zwischen den beiden Ländern, die das Abkommen am direktesten betrifft, dem Iran und den USA, herrscht tiefes Misstrauen, seit Washington 2018 einseitig aus der Vereinbarung ausgestiegen ist. Zudem hat sich die diplomatische Konstellation unter den Großmächten verändert. Die Europäer mussten erkennen, wie begrenzt ihre Optionen sind. Weder China noch Russland sind gewillt, weiteren Druck auf den Iran auszuüben. Und nicht zuletzt ist es im Nahen und Mittleren Osten zu erheblichen Machtverschiebungen gekommen, was den Abschluss eines breiter angelegten Abkommens umso dringender macht, gleichzeitig jedoch erheblich erschwert.

Sowohl die Vereinigten Staaten als auch der Iran beharren auf einer sich gegenseitig ausschließenden Forderung: der jeweils andere müsse sich als Erster bewegen. Ein nüchterner Außenstehender könnte zwar versucht sein zu denken, dass Washington den ersten Schritt machen müsste, da es den Deal aufgekündigt hat. Aber ganz so einfach liegen die Dinge nicht. Das liegt unter anderem daran, dass in beiden Ländern die Innenpolitik einer vernünftigen Außenpolitik im Weg steht. Die Rettung des einst als Gemeinsamen Umfassenden Aktionsplan (Joint Comprehensive Plan of Action, JCPOA) bezeichneten Abkommens ist tatsächlich ein großes Unterfangen mit einem noch ungewissen Ausgang.

Eine schnelle Rückkehr zum Abkommen mit Zugeständnissen der USA würde den Moderaten mächtig Auftrieb verleihen. Und genau deshalb werden die Konservativen und Geistlichen rund um Ali Chamenei versuchen, so ein Abkommen zu verhindern.

Bereits im Wahlkampf hatte Biden seine Absicht bekundet, das Atomabkommen zu reaktivieren, vorausgesetzt, auch der Iran halte sich wieder an den Vertrag. Diese Position wurde zu Beginn des Jahres mehrmals bestätigt: vom Nationalen Sicherheitsberater Jake Sullivan in einem Interview, von Außenminister Tony Blinken bei seiner Senatsanhörung und von Avril Haines, der Direktorin der Nachrichtendienste. Nach Auffassung der neuen Regierung muss jedoch zuerst der Iran wieder die Vereinbarungen befolgen und erst dann wird Washington eine Gegenleistung in Erwägung ziehen.

Teheran sieht das jedoch genau umgekehrt: Außenminister Javid Zarif forderte Blinken per Twitter zu einem „Realitätscheck“ auf, wer tatsächlich an der Reihe sei zu handeln. Nach Jahren des „maximalen Drucks“ aus den USA wird die iranische Regierung wohl grundsätzlich keine Zugeständnisse machen. Sie könnte stattdessen – schon allein um des Arguments willen – Entschädigung für die Sanktionen verlangen. Und aller Rhetorik zum Trotz hat Teheran Angst vor einer vollständigen Rückkehr zum JCPOA, denn das würde Washington wieder die Macht verleihen, in der Zukunft alle internationalen Sanktionen schnell erneut zu installieren – was möglicherweise schon vom nächsten Präsidenten ab 2024 in die Tat umgesetzt werden könnte.

Der Einfluss von anstehenden Wahlen – und damit von innenpolitischen Strategien als Störfaktoren in der Außenpolitik – ist jedoch nicht allein den USA vorbehalten. Im Iran finden in nicht einmal sechs Monaten, am 18. Juni 2021, Präsidentschaftswahlen statt. Der amtierende Präsident Hassan Rohani kann nach zwei aufeinanderfolgenden Amtszeiten nicht wieder kandidieren. Sein Lager der moderaten Technokraten und die einst mit ihnen verbündeten Reformer kämpfen derzeit ums Überleben. Eine schnelle Rückkehr zum JCPOA mit sichtbaren Zugeständnissen der USA – mindestens die Aufhebung sämtlicher Sanktionen – würde den Moderaten mächtig Auftrieb verleihen, ganz gleich, welchen Kandidaten sie ins Rennen schicken. Und genau deshalb werden die Konservativen und Geistlichen rund um den Obersten Führer Ali Chamenei versuchen, so ein Abkommen zu verhindern.

Der Biden-Regierung bleiben eher Wochen als Monate, um mit einem konkreten Vorschlag aufzuwarten.

Tatsächlich konnten die Hardliner im Madschles, dem iranischen Parlament, schon ein Gesetz durchbringen, das eine höhere Uran-Anreicherung und eine Aussetzung der internationalen Inspektionen vorschreibt, wenn es bis Mitte Februar nicht zu Sanktionserleichterungen kommen sollte. Auch wenn diese Fristsetzung mit ersten Erklärungen und dem Beginn von Verhandlungen noch etwas aufgeweicht werden könnte, so werden die iranischen Neujahrsfeiern in der zweiten Märzhälfte die Verhandlungen wahrscheinlich unterbrechen – und dann steht schon der Wahlkampf vor der Tür.

Das heißt, dass der Biden-Regierung eher Wochen als Monate bleiben, um mit einem konkreten Vorschlag aufzuwarten. Und das gegen die Forderung von Hardlinern in den USA und im Nahen Osten, auf die durch das gegenwärtige Sanktionsregime geschaffene Hebelwirkung nicht zu verzichten. Gleichzeitig tickt aufgrund der nuklearen Fortschritte des Irans die Uhr, denn die breakout time – die Zeit, die ein Land braucht, um genügend spaltbares Material für eine Atombombe herzustellen – hat sich besorgniserregend verringert: Als das JCPOA Anfang 2016 in Kraft trat, betrug dieser Zeitraum noch ein Jahr; fünf Jahre und einen Präsidenten später beträgt sie Schätzungen zufolge nur noch drei Monate oder sogar weniger.

Die Europäer sollten Washingtons Rückkehr in das Abkommen begrüßen. Ihnen ist es entgegen allen Erwartungen gelungen, die Nuklearvereinbarung in den vergangenen Jahren am Leben zu halten. Sie konnten sogar den Vorstoß der letzten US-Administration abblocken, sämtliche UN-Sanktionen gegen den Iran wiedereinzusetzen. Jedoch treibt die Europäer nicht nur die – von Washington geteilte – Sorge, ob die Wiederbelebung des JCPOA überhaupt ausreicht, um die Spannungen in der Region abzubauen. Sie sind auch schwer beunruhigt, dass Europa in Wirtschaftsfragen so klar und deutlich von den USA abhängt: Zu argumentieren, dass es ein Fehler Washingtons war, aus dem JCPOA auszusteigen und erneut Sanktionen gegen den Iran zu verhängen, ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere ist die Erkenntnis, dass diese Sanktionen sich auch gegen europäische Unternehmen richteten und dass die EU und ihre Mitgliedstaaten nichts in der Hand hatten, um diese Situation zu entschärfen.

Zudem scheinen weder Russland noch China gewillt zu sein, jetzt bedeutsame Zugeständnisse zu machen. Beide führen ihre eigenen Auseinandersetzungen mit den USA. Genau wie der Iran sind sie der Auffassung, Washington müsse den ersten Schritt machen. Dazu kommt, dass beide Länder Beziehungen mit der Islamischen Republik geknüpft haben: Russland vor allem auf den Kriegsschauplätzen in Syrien und China auf strategischere Weise, indem es eine für 25 Jahre geltende Partnerschaftsvereinbarung mit dem Iran unterzeichnet hat, die – neben Milliardeninvestitionen in die iranische Öl- und Gasindustrie – auch eine enge militärische Zusammenarbeit vorsieht.

Die Europäer müssen mit der Biden-Administration einen gemeinsamen Kurs entwickeln – und zwar schnell.

Das führt zur letzten der bedeutenden Neupositionierungen, die sich im Verlauf der vergangenen Jahre im Nahen Osten selbst vollzogen haben. Der Iran konnte seine Position rund um den Persischen Golf weiter ausbauen, was an verschiedenen Stellvertreterkriegen und an Angriffen auf Ölanlagen in seinen Nachbarstaaten ersichtlich wurde. Gleichzeitig wurde Israel zu Teherans Hauptgegner in der Region und scheute nicht vor bilateralen Konfrontationen in Syrien oder im Cyberspace zurück. Die Abraham Accords vom August 2020 verschafften Israel mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain zwei neue Verbündete. Und durch Israels unlängst vereinbarte Zusammenarbeit mit Ländern im Südkaukasus und in Zentralasien fühlt sich der Iran zusehends umzingelt.

Aber auch in Israel stehen Wahlen an: Am 23. März finden die vierten Parlamentswahlen in weniger als zwei Jahren statt. Daher könnten die erneuten Androhungen von Militäraktionen gegen den Iran auch der Wahlkampfrhetorik geschuldet sein. Angesichts der Angst, dass die Rückkehr zum JCPOA nur den Iran stärken würde, könnten sie aber auch durchaus ernst gemeint sein. Auch die von der US-Administration beschlossene Aussetzung der Waffenlieferungen an Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, die der vorhergehende Präsident bewilligt hatte, um die Anti-Iran-Achse zu stärken, könnte die Akzeptanz für eine Verhandlungslösung in der Region erschweren.

Alles in allem ist die „Kompartimentierung“ – also die getrennte Behandlung der verschiedenen Konfliktfelder –, die zu Beginn des letzten Jahrzehnts zum Erfolg der Nukleargespräche führte, nicht so leicht zu wiederholen. Stattdessen bleibt Präsident Biden nur sehr wenig Zeit, die vielschichtigen Konfliktbereiche für eine erste, wohl eher begrenzte Vereinbarung aufzubrechen.

Vor dem Hintergrund, dass mehr auf dem Spiel steht und die Probleme zugenommen haben, müssen die Europäer mit der Biden-Administration einen gemeinsamen Kurs entwickeln – und zwar schnell. Zunächst sollte Europa sich als wirkungsvoller Vermittler erweisen, um die durch das „Ihr-zuerst“-Dilemma festgefahrene Situation zu überwinden – eine Rolle, die der EU als Hüterin des JCPOA auf den Leib geschrieben ist. Ein schnell ausgehandelter Deal, der auf einem beidseitigen Einhalten der Vereinbarungen beruht, würde zumindest die zunehmenden Spannungen entschärfen.

Nach der Wahl eines neuen – vermutlich sehr konservativen – iranischen Präsidenten kommt der schwierigere Teil: mit Verhandlungen und vertrauensbildenden Maßnahmen der regionalen Dimension der Stellvertreterkriege und den gegenseitigen Bedrohungswahrnehmungen entgegenzuwirken. Auf dem Weg dorthin sollte Europa erste kooperative Schritte zur Bekämpfung der andauernden Pandemie und zum Klimaschutz vorschlagen, um verlässliche Kanäle zwischen den Krieg führenden Staaten aufzubauen. Es ist wenig Zeit zu verlieren.

Aus dem Englischen von Ina Görtz