Die republikanischen Senatoren, die Donald Trump im Amtsenthebungsverfahren freisprachen, teilen sich in zwei Gruppen: Die einen räumten ein, dass er schuldig war, und sprachen ihn trotzdem frei, die anderen taten so, als hätte sich der Präsident nichts zuschulden kommen lassen.
„Es war falsch, dass Präsident Trump den ehemaligen Vizepräsidenten Biden in dem Telefonat erwähnte, und es war falsch, dass er ein fremdes Land aufforderte, Ermittlungen gegen einen politischen Rivalen aufzunehmen“, erklärte Senatorin Susan Collins, fügte jedoch hinzu, eine Amtsenthebung hätte womöglich „unvorhersehbare und potenziell negative Folgen für das Vertrauen der Öffentlichkeit in unser Wahlverfahren“.
Für Präsident Trump und seinen Justizminister William Barr war es jedoch ein glasklarer Freispruch. Als der Senat entschied, Trump von den Vorwürfen des Amtsenthebungsverfahrens freizusprechen, obwohl unbestreitbar bewiesen wurde, dass er ein anderes Land dazu zwingen wollte, seinen politischen Rivalen fälschlich zu beschuldigen, entschied er nicht nur, Trump im Amt zu halten, bis das Wahlvolk im November sein Urteil fällen kann. Die republikanischen Senatoren gaben mit ihren Stimmen dem Präsidenten auch freie Fahrt, kraft seiner offiziellen Macht die Oppositionspartei zu unterdrücken und eine Säuberung unter Regierungsangestellten durchzuführen, die sich nicht Trump, sondern der Verfassung verpflichtet fühlten. Fortan darf er seine politischen Feinde ohne rechtmäßigen Anlass strafrechtlich verfolgen oder anderweitig belangen, während Trumps Helfershelfer vor juristischen Konsequenzen geschützt werden. Der Freispruch bekräftigte so die autoritären Instinkte des Präsidenten und die ideologischen Überzeugungen seines Justizministers.
Eine wohlwollende Interpretation der Senatsabstimmung könnte lauten, dass die Senatoren möglicherweise eine größere Demokratiekrise abwenden wollten. Doch in den Augen des Präsidenten stimmten sie für seinen Freispruch, damit er sich zum Diktator aufschwingen kann.
Demokratien werden durch formale Prozesse getragen, durch die ein Wettbewerb um die Macht stattfindet und die die Machtübergabe regeln. Ist dieser Prozess erst korrumpiert, bleiben nur noch die Insignien einer Demokratie in einem autoritären Regime. Solche Staaten mögen weiter Wahlen, Gerichtsprozesse und Gesetzgebungsverfahren durchführen, doch diese Institutionen alleine können das Rechtsstaatsprinzip nicht aufrechterhalten. Amerika ist noch nicht so weit, der Freispruch im Senat war jedoch ein verhängnisvoller Schritt in diese Richtung.
Die Gründerväter sahen nicht voraus, dass ein Regierungschef von Speichelleckern geschützt werden könnte, die meinen, ihre bürgerlichen Pflichten erschöpften sich in der Ergebenheit gegenüber ihrem Präsidenten.
Wenn sich eine Demokratie in ein autoritäres Regime verwandelt, muss das nicht plötzlich und dramatisch vonstattengehen. Häufig werden demokratische Mechanismen über Monate oder Jahre ausgehöhlt, die Öffentlichkeit wird nach und nach der Chance beraubt, ihre Staatsführung frei zu wählen oder zur Verantwortung zu ziehen.
In einer funktionierenden Demokratie müssen sich Abgeordnete in grundsätzlichen politischen Fragen durchaus nicht einig sein; sie können über Umweltschutzmaßnahmen, Steuersätze, Einwanderung oder Gesundheitsvorsorge streiten. Aber unabhängig von der Partei oder Ideologie, die sie unterstützen, muss ihnen das Recht des Volkes heilig sein, seine eigene Führung zu wählen. In der gesamten republikanischen Senatsfraktion sitzt mit Mitt Romney nur ein einziger Senator, der willens ist, nach diesem Prinzip zu handeln. So hat Trump aus dem Amtsenthebungsverfahren gelernt, dass die Grand Old Party ihm künftig alles durchgehen lassen wird.
Nachdem Justizminister Barr den Vorwurf, Trump habe mithilfe ausländischer Mächte Wahlen in den USA beeinflussen wollen, als „Schwindel“ bezeichnet hatte, öffnete er dem persönlichen Anwalt des Präsidenten Rudy Giuliani einen offiziellen Kanal, über den dieser dem Justizministerium aus dem Ausland schmutzige Wäsche über Trumps Rivalen zuschustern konnte. Und Trump, der fälschlicherweise behauptet hatte, Joe Biden habe die Absetzung eines ukrainischen Staatsanwaltes gefordert, um seinen Sohn zu schützen, tat genau das, was er Biden vorgeworfen hatte: Er versuchte, seinen Handlanger Roger Stone, der zu Trumps Gunsten Straftaten begangen hatte, vor den rechtlichen Konsequenzen zu schützen, was zum Rücktritt der Staatsanwälte in dem Fall führte. Barr beauftragte zudem handverlesene Berater mit einer „Überprüfung“ der Anklage gegen Trumps ehemaligen Sicherheitsberater Michael Flynn, der sich schuldig bekannt hatte, das FBI in der Übergangsphase zur Präsidentschaft über seine Kontakte zu Vertretern der russischen Regierung belogen zu haben.
Am Tag des Freispruchs im Senat verkündete das Justizministerium, künftig müssten sämtliche Untersuchungen zu den Präsidentschaftskandidaten 2020 von Barr persönlich genehmigt werden, sodass er Strafermittlungen gegen Mitarbeiter des Präsidenten einstellen oder solche gegen seine Rivalen zulassen kann. Im Gespräch mit Journalisten behauptete Trump, er habe das „absolute Recht“ zu entscheiden, wer vom Justizministerium strafrechtlich verfolgt werde und wer nicht. Es gibt kein Gesetz außer Trump.
Trump setzte zudem eine Säuberung unter den Beamten in Gang, die in den Anhörungen des Amtsenthebungsverfahrens ausgesagt hatten. Er feuerte seinen Botschafter bei der Europäischen Union Gordon Sondland, der bestätigt hatte, dass Trump Militärhilfe für die Ukraine von der Ankündigung Kiews abhängig gemacht hatte, Ermittlungen gegen Bidens Sohn Hunter einzuleiten. Und er entließ Oberstleutnant Alexander Vindman und gleich auch seinen Zwillingsbruder Yevgeny Vindman aus dem Mitarbeiterstab des Weißen Hauses, nachdem Vindman wahrheitsgemäß ausgesagt hatte, der Präsident habe die Ukraine zwingen wollen, die Bidens fälschlich zu belasten. Trump verspottete nach dem Rauswurf Vindman auf Twitter, indem er seinen militärischen Rang in Anführungszeichen setzte, ein krasser Gegensatz zu dem überschwänglichen Lob, das er für Kriegsverbrecher übrig hat.
Genauer gesagt, bekämpft die Regierung Trump nicht etwa den „Schattenstaat“, sondern sie versucht, einen zu errichten, der ihn überdauern wird.
Hohe Beamte schwören einen Eid auf die Verfassung, nicht auf Donald Trump. Die betroffenen Beamten wurden aber wegen Illoyalität gegenüber Trump, nicht der Verfassung entlassen. Mit Ausnahme Mitt Romneys, der gegen den Freispruch im ersten der beiden Anklagepunkte stimmte, macht die Republikanische Partei nun keinen Unterschied mehr zwischen Lehenstreue gegenüber Trump und Loyalität gegenüber dem Land. Die Gründerväter hatten den Artikel über die Amtsenthebung in die Verfassung aufgenommen, damit ein Regierungschef, der seine Macht missbraucht, um im Amt zu bleiben, belangt werden kann. Doch da es damals noch keine Parteien gab, sahen sie nicht voraus, dass solch ein Regierungschef von Speichelleckern geschützt werden könnte, die meinen, ihre bürgerlichen Pflichten erschöpften sich in der Ergebenheit gegenüber ihrem Präsidenten.
Viel wurde über Trumps Untauglichkeit fürs Präsidentenamt geschrieben. Doch wenn Trump nur unfähig wäre, hätten sich seine autoritären Impulse besser eindämmen lassen. Stattdessen verwandelt sich die Republikanische Partei nach und nach in eine Regimepartei, deren vorderste Pflicht es ist, um jeden Preis die Regierungskontrolle zu behalten. Indem die Partei Trump an der Macht hält, bewahrt sie sich ihre eigene Macht. Wer in der Republikanischen Partei heute aufsteigen will, muss eine unerschütterliche Treue gegenüber dem Präsidenten an den Tag legen. Wenn die Partei Trump jetzt fallen ließe, wären alle Demütigungen, alle Kompromisse, alle Opfer, die sie gebracht hat, um ihn an der Macht zu halten, umsonst gewesen.
Doch Trump im Amt zu halten, ist letztendlich nicht das Ziel, ungeachtet der vielen unterwürfigen öffentlichen Gesten vonseiten der Parteimitglieder. Ziel ist es vielmehr, die autoritäre Struktur, die Trump und Barr gerade aufbauen, zu bewahren, damit der nächste republikanische Präsident sie übernehmen kann. Genauer gesagt, bekämpft die Regierung Trump nicht etwa den „Schattenstaat“, sondern sie versucht, einen zu errichten, der ihn überdauern wird.
Nicht nur die jüngsten Ereignisse belegen, dass die Vereinigten Staaten zunehmend autoritär regiert werden. Abgesehen von Trumps Behauptung, dass er das Justizministerium einseitig anweisen könne, nach seinen Wünschen Menschen strafrechtlich zu verfolgen – von den Republikanern im Senat praktisch unwidersprochen –, nimmt der Präsident auch pauschal die Autorität für sich in Anspruch, die Kontrolle durch den Kongress zu blockieren. Das Weiße Haus behauptet, er könne vom Kongress bewilligte Mittel zurückstellen, wie er es für richtig hält. Und der republikanisch kontrollierte Senat hat Trump nicht nur dazu befugt, US-Wahlen zu manipulieren, sondern auch Richter ins Amt gebracht, die es als ihre oberste Pflicht verstehen, zu verhindern, dass Trump zur Verantwortung gezogen wird. Die öffentlichen Angriffe des Präsidenten auf politische Gegner und Kritiker und seine Forderung, sie zu bestrafen oder strafrechtlich zu verfolgen, zeigen die beabsichtigte Wirkung, Regierungskritik vonseiten einzelner Eliten abzuwürgen: Die meisten hochrangigen Ex-Militärs, die die Entlassung der Vindmans und ihre anschließende Schmähung durch Trump rügten, taten dies nur anonym. Potenzielle künftige Dissidenten sollen wissen, wie verrückt es ist, ihre Bürgerpflichten über die Launen des Präsidenten zu stellen.
Lassen Sie uns einen Moment innehalten, um zu resümieren, wie dieser Staat nun aussieht. Es ist ein Staat, in dem die Legislative weder die Exekutive kontrollieren, noch Gesetze zu ihrer Eindämmung erlassen kann. Ein Staat, in dem die legitime Anforderung von Regierungsunterlagen sofort erfüllt wird, wenn die politische Opposition in der Kritik steht, wohingegen die Freigabe von Unterlagen, die den amtierenden Präsidenten betreffen, pauschal abgelehnt wird. Es ist ein System, in dem gegen die Exekutive wegen krimineller Aktivitäten nicht ermittelt werden und die Legislative sie wegen Rechtsverstößen nicht absetzen kann. Es ist ein Staat, in dem nur die Regimepartei durchsetzbare Forderungen stellen kann. Die konkurrierende Partei darf zwar zu Wahlen antreten, die Exekutivorgane versuchen jedoch nach Kräften, diese wegen ihrer Opposition gegen den Präsidenten zu diskriminieren. Es ist ein Staat, in dem Vertreter des öffentlichen Dienstes auf Geheiß des Präsidenten gegen Gesetze verstoßen dürfen, jedoch ein unverzeihliches Verbrechen begehen, wenn sie solche Verstöße öffentlich machen. Handelte es sich um ein beliebiges anderes Land, wie würden Sie einen solchen Staat beschreiben?
Die Republikanische Partei hat bewiesen, dass sie keinerlei Veranlassung sieht, den Präsidenten zu zügeln, und so hat auch er keinen Grund, sich zu zügeln.
Trumps Erfolge vor Gericht sind ein Grund, warum die USA eine weitere gefährliche Schwelle noch nicht überschritten haben: Solange die Justiz Trump gewogen bleibt, hat er wenig Anlass, sich einer gerichtlichen Anordnung offen zu widersetzen. Doch wenn der Tag kommt, an dem dies geschieht, können wir sicher sein, dass die republikanischen Volksvertreter genau das tun werden, was sie immer tun, wenn Trump gegen Recht verstößt: nichts.
Viele Vertreter der republikanischen Elite haben es aufgegeben, Trumps autoritäre Impulse einzuhegen, und setzen nun stattdessen alles daran, ihm freie Fahrt zu verschaffen. Dabei reden sie sich ein, dass sie im Interesse der Demokratie handeln. Sie brauchen diese Illusion, um ihr Verhalten zu rechtfertigen, ähnlich der apokalyptischen Fantasie, die konservative TV-Experten ihrem Publikum unablässig eintrichtern. Diesem Mythos zufolge steht nur Trump zwischen dem konservativen Amerika und dem linken Armageddon, in dem verweichlichte weiße Linksliberale gemeinsam mit den schwarzen und braunen Massen, die sie unter ihrer Fuchtel haben, die Rechten für alle Zeit von der Macht ausschließen.
Die Demokraten setzten das Amtsenthebungsverfahren gegen Trump in Gang, weil sie das demokratische System retten wollten, in dem sie eine Chance haben zu gewinnen und der Präsident seinen Gegnern nicht nach Lust und Laune erfundene Straftaten anhängen kann. Die Republikaner sprachen ihn frei, weil sie fürchten, dass sie in einem System, das nicht zu ihren Gunsten manipuliert ist, eines Tages nicht mehr siegen werden.
Die Aufweichung der Demokratie lässt sich aufhalten. Aber das ist mühsam, und eine Niederlage Trumps im November ist zwar ein notwendiger, aber nicht hinreichender Schritt. Viele Amerikaner haben nicht erkannt, was geschehen ist und wie schnell sich die womöglich unumkehrbare Verwandlung ihres Landes in einen unfreien Staat vollziehen kann. Wie lange Trump regiert, sollte das amerikanische Volk entscheiden. Aber dieser Präsident würde nie das Risiko eingehen, diese Wahl frei ablaufen zu lassen. Die Republikanische Partei hat bewiesen, dass sie keinerlei Veranlassung sieht, den Präsidenten zu zügeln, und so hat auch er keinen Grund, sich zu zügeln.
Seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 verengt sich in den USA das Schreckensszenario einer Katastrophe auf ein plötzliches, schockierendes Ereignis. Die Amerikaner sind daher nicht vorbereitet auf eine andere Art der Katastrophe, die sich nicht unvermittelt einstellt, sondern langsam ausbreitet. Der Freispruch im Senat markierte den Beginn einer fundamentalen Umwandlung der US-Demokratie, und sei sie noch so mangelhaft, in ein immer autoritärer werdendes System. Er markierte, kurz gesagt, das Ende der Regierung Trump und den Beginn des Trump-Regimes.
Aus dem Englischen von Anne Emmert
(c) The Atlantic