Leute lügen, um die Wahrheit zu verbergen. Sie lügen, um Verbrechen zu vertuschen. Nun wollen zwar alle um jeden Preis einen Blick in Robert Muellers spektakulären Bericht werfen, um nachzulesen, ob sich darin etwas über strafbare Handlungen von Trumps Wahlkampfteam 2016 findet. Dabei ist die Wahrheit doch schon lange rausgekommen, für alle gut sichtbar versteckt.
Mr. Muellers Bericht wird womöglich nie veröffentlicht werden, aber wir brauchen die Empfehlungen, die er am Freitag Justizminister William Barr übergab, auch gar nicht zu lesen, um glaubwürdig beurteilen zu können, dass 2016 unethisch und wahrscheinlich ungesetzlich gehandelt wurde. Die wiederholten Lügen von Wahlkampfmitarbeitern Trumps – Lügen über ihre Beziehungen zu diversen Russen – ranken sich bereits zu einer eindrucksvollen Geschichte von Verschwörung und Verrat zusammen. Und diese Geschichte ist dermaßen zwielichtig und schmuddelig, dass Präsident Trump und seine Mitarbeiter meinen, lügen zu müssen, um sie vor den Strafverfolgungsbehörden zu verbergen.
Das ist keine Mutmaßung. Einige von Mr. Trumps Leuten sitzen nach einer Verurteilung durch ein Bundesgericht bereits im Gefängnis, weil sie die Ermittler über ihre Beziehungen zu und Kontakte mit Russen im Wahlkampf 2016 belogen haben. Andere haben sich ähnlicher Vergehen schuldig bekannt, und so etwas – man muss es leider immer wieder sagen – tut nur jemand, der mit erdrückenden Beweisen für die eigene Schuld konfrontiert wird. Wieder andere warten noch auf ihren Prozess. Viele weitere wurden angeklagt.
Da ist der ehemalige Wahlkampfchef Paul Manafort, der im Gefängnis sitzt, weil er bestritt, dass er für russische Klienten Lobbyarbeit betrieben und im Wahlkampf einem Spion des russischen Geheimdienstes Umfragedaten des Trump-Teams übermittelt hatte.
Und da ist der enge Trump-Vertraute Roger Stone, der kürzlich angeklagt wurde, weil auch er gelogen hatte: Er hatte behauptet, nicht in Kontakt mit Wikileaks gestanden zu haben, ehe die Plattform abträgliche Informationen über Hillary Clinton veröffentlichte, die Ermittlern zufolge vermutlich von russischen Hackern gestohlen worden waren.
Der ehemalige Trump-Anwalt Michael Cohen ist auf dem Weg ins Gefängnis, nachdem er zugegeben hat, den Kongress über ein Geschäft belogen zu haben, das Trump während des Wahlkampfes 2016 mit russischen Partnern verfolgte; diese Lüge wiederholte Trump selbst auf seiner Wahlkampftour.
Michael Flynn, ehemaliger Sicherheitsberater des Präsidenten, wird in Bälde eine Gefängnisstrafe antreten, weil er das FBI über seine Kontakte mit Russland über die von der Regierung Obama verhängten Sanktionen belogen hatte.
Mit seinen immer schrilleren Dementis wirkt der Präsident mehr wie jemand, der fürchtet, ertappt zu werden, als jemand, der von seiner Unschuld überzeugt ist.
Außerdem ist da noch George Papadopoulos, außenpolitischer Berater im Wahlkampfteam, der die Ermittlungen wohl beschleunigte, als er vor einem australischen Diplomaten damit prahlte, er wisse von „schmutzigem“ Material über Mrs. Clinton, das sich in russischen Händen befinde; der Australier meldete das dem FBI. Mr. Papadopoulos bekannte sich schuldig, das FBI belogen zu haben, und saß eine Gefängnisstrafe ab.
Und dann ist da noch der Präsident selbst.
Von Anfang an war Mr. Trumps Haltung zu Muellers Ermittlungen von Paranoia und Angst geprägt. Mit seinen immer schrilleren Dementis wirkt der Präsident mehr wie jemand, der fürchtet, ertappt zu werden, als jemand, der von seiner Unschuld überzeugt ist.
Und immer wieder hat er das amerikanische Volk belogen.
Trumps Aussagen über die Kontakte seines Wahlkampfteams mit Russland haben sich seit Beginn der Ermittlungen immer wieder verändert. Von seiner Behauptung im Wahlkampf, er verfolge in Russland keinerlei Geschäftsinteressen, bis hin zu falschen Aussagen über das berühmt-berüchtigte Treffen mit Russen im Trump Tower wurde der Präsident bei unzähligen nachweisbaren Lügen zu diesem Thema erwischt. Nun bleibt nur noch abzuwarten, ob er log, um echte Straftaten zu verbergen, darunter die Verschwörung mit einer ausländischen Macht zum Zwecke der Wahlbeeinflussung, oder um die Ermittlungen zu diesen Kontakten zu behindern.
Im Idealfall wird Justizminister Barr Muellers Bericht dem Land zugänglich machen. Wenn er sich dazu entschließt, ihn zurückzuhalten, wird Präsident Trump ohne Zweifel seinen Sieg erklären. Das Ausbleiben einer Anklage wird er als vollständige Entlastung darstellen. Aber eine Wahrheit kann der Präsident nicht leugnen: Er sollte auch nie angeklagt werden. Das Justizministerium verfolgt seit langem die Strategie, eine Anklage gegen einen amtierenden Präsidenten zu vermeiden. Wenn keine Anklage erfolgt, heißt das daher nicht, dass für eine Verschwörung oder Justizbehinderung keine Beweise gefunden wurden.
Wenn keine Anklage erfolgt, heißt das daher nicht, dass für eine Verschwörung oder Justizbehinderung keine Beweise gefunden wurden.
Mit Mr. Muellers Bericht dürfte der Präsident juristisch betrachtet noch lange nicht aus dem Schneider sein, sondern jetzt erst so richtig in Bedrängnis geraten. Denn mit seinen strafrechtlichen Ermittlungen, der Weiterleitung einzelner Fälle an andere Gerichte, den Anklageerhebungen, Urteilssprüchen und Zwangsvorladungen hat Robert Mueller – Bericht hin oder her – dem Repräsentantenhaus bereits einige sehr klare Ermittlungsansätze an die Hand gegeben.
Wenn also Muellers Bericht tatsächlich bei Justizminister Barr in der Schreibtischschublade verschwindet, liegt doch bereits ausreichend Material vor, dass das Repräsentantenhaus seiner neu entdeckten Kontrollverantwortung gerecht werden und der Frage auf den Grund gehen kann, was vor der Wahl 2016 zwischen Trumps Wahlkampfteam und Russland ablief.
Vergessen wir nicht: Richard Nixon wurde nicht angeklagt, und den angemessenen Bericht eines Sonderermittlers zur Watergate-Affäre gab es nicht. Auch in diesem Fall braucht es keinen Bericht, um Unrecht aufzuarbeiten, das so ungeheuerlich war, dass es sich offenbar lohnte zu lügen.
(c) New York Times 2019
Aus dem Englischen von Anne Emmert