Vor fünf Jahren sagte Donald Trump bei einer Wahlkampfkundgebung in Iowa seinen mittlerweile berühmt gewordenen Satz: „Ich könnte mitten auf der Fifth Avenue stehen und jemanden erschießen und ich würde keine Wähler verlieren.“ Was damals noch niemand wusste, hat das gerade beendete Impeachment-Verfahren in aller Anschaulichkeit und Abscheulichkeit deutlich gemacht: Trumps Spruch in Iowa war ein Vorzeichen für noch Schlimmeres.

Der Ex-Präsident stand nicht mitten auf der Fifth Avenue; er stand mitten in einem Park unweit des Weißen Hauses. Er machte nicht von der Schusswaffe Gebrauch; als Waffen dienten ihm seine Worte und sein Twitter-Account. Donald Trump beging keinen Mord; stattdessen trat, angestachelt von seinem geliebten Anführer, ein vielhundertköpfiger Mob ergebener Trump-Anhänger in Aktion und „erstürmte und besetzte das Kapitol, störte die Auszählung der Wahlmännerstimmen und sorgte für schockierende Szenen der Gewalt, die die amerikanische Demokratie in ihren Grundfesten erschüttert haben“, wie The Timesformulierte. Infolge von Trumps Verhalten blieb eine theoretische Person auf der Fifth Avenue vom Tod verschont, aber fünf reale Menschen starben tatsächlich; viele andere wurden schwer verletzt.

In einem Punkt behielt Trump mit seiner Prophezeiung allerdings recht: Er konnte in der Tat böswillig – und sogar aufwieglerisch – handeln, ohne dass die überwältigende Mehrheit seiner Basis und der republikanischen Abgeordneten ihm ihre Unterstützung entzog. Die republikanische Kongressabgeordnete Liz Cheney, die mutig für Trumps Amtsenthebung stimmte, erklärte zutreffend, noch nie habe ein US-Präsident sein Amt und seinen Eid auf die Verfassung so sehr verraten. Das Impeachment-Verfahren lieferte erdrückende, unwiderlegbare – und de facto unwiderlegte – Beweise, dass Donald Trump schuldig im Sinne der Anklage war. Er hat nicht nur zum Aufruhr angestiftet, sondern schaute genüsslich zu, wie dieser Aufruhr sich in seiner ganzen Gewalttätigkeit und Zerstörungswut und seiner ganzen Grauenhaftigkeit entfaltete. Stundenlang unternahm er nichts, um die Eskalation zu stoppen.

Dennoch blieb nach diesen Geschehnissen die große Mehrheit der republikanischen Kongressabgeordneten dort stehen, wo sie in den vergangenen vier Jahren immer stand: fest an der Seite von Donald Trump. Und weil diese Mehrheit ein ums andere Mal so fest zu ihm hielt, haben wir uns daran gewöhnt, dass die Allianz zwischen Trump und der Republikanischen Partei immer beunruhigendere Formen annahm und dass die Senatorinnen und Senatoren, die Donald Trump verteidigten – Lindsey Graham, Josh Hawley, Ted Cruz, Ron Johnson und andere – und die man vielleicht eher als Prätorianergarde bezeichnen sollte, sich dabei nicht nur scham- und reuelos verhielten, sondern sich aufführten, als wären sie im Krieg.

Das Impeachment-Verfahren lieferte erdrückende, unwiderlegbare Beweise, dass Donald Trump schuldig im Sinne der Anklage war.

Warum bekannten die Republikaner – mit sieben ehrenwerten Ausnahmen – sich zu einem Soziopathen, der sich ins Exil nach Mar-a-Lago in Florida zurückgezogen hat? Warum verteidigen sie weiterhin einen Mann, der bei der Präsidentschaftswahl mit mehr als sieben Millionen Stimmen verlor, mit seinem Leichtsinn die Senatsmehrheit der Republikaner verspielte und der Grund ist, warum viele sich fluchtartig von der Republikanischen Partei abwenden?

Für die Trump-Treue der Republikaner gibt es verschiedene Gründe, die sich zum Teil überlagern. Die einen wollen sich aus einem zynischen Ehrgeiz heraus die Loyalität der Trump-Anhänger sichern, die einen riesigen Teil der republikanischen Parteibasis ausmachen. Andere haben erkannt, dass das Leben für sie ungemütlich und regelrecht gefährlich werden könnte, wenn sie sich gegen Trump stellen, und dass sie damit Probleme bei den innerparteilichen Vorwahlen oder sogar physische Gewalt riskieren. Bei wieder anderen sitzt die Antipathie gegen die Linke so tief, dass sie nie etwas tun würden, wozu sie von den Demokraten aufgefordert werden – selbst wenn die Demokraten in der Sache recht haben. Diese Republikaner betreiben lieber Liberalen-Bashing, als sich gegen einen korrupten, zerstörerischen Ex-Präsidenten mit ihnen zusammenzutun.

Während Trumps Präsidentschaft haben viele Republikaner immer wieder – in manchen Fällen täglich – ihr Gewissen abgeschaltet, um gegenüber anderen und vor sich selbst zu rechtfertigen, dass sie einen Menschen unterstützen, der keine Skrupel kennt. Über fast ein halbes Jahrzehnt haben die Republikaner sich angewöhnt, nicht offen auszusprechen, was sie denken. Die Abstimmung über die Amtsenthebung war die letzte und beste Gelegenheit, sich ein für alle Mal von Donald Trump loszusagen – und wieder konnten die meisten republikanischen Abgeordneten sich nicht dazu durchringen. Trump scheint ihnen nach wie vor im Nacken zu sitzen und ihnen Angst zu machen.

Mehr noch: Er ist mit den Republikanern eins geworden und wurde so sehr Teil ihres Denkens und ihrer Identität, dass sie verlernt haben, zwischen ihren eigenen moralischen Vorstellungen und Toleranzgrenzen und denen von Donald Trump zu unterscheiden. Nach der beschämenden Impeachment-Abstimmung ist es für diejenigen Republikaner, die darauf hofften, einen Trennstrich zwischen sich und den Trump-Jahren ziehen zu können, noch schwieriger geworden, dies zu tun – und schon vorher war es schwierig, wenn nicht gar unmöglich.

Die Abstimmung über die Amtsenthebung war die letzte und beste Gelegenheit, sich ein für alle Mal von Donald Trump loszusagen.

Wie können vor diesem Hintergrund diejenigen Konservativen, die sich sehnlich eine verantwortungsvolle politische Heimat wünschen und davon überzeugt sind, dass es für den Fortbestand der Demokratie unbedingt intakte konservative Parteien braucht, die Republikanische Partei retten? Vor allem sind Führungsfiguren gefragt, die bereit sind einzugestehen, dass etwas ganz gewaltig schiefgelaufen ist. Sie brauchen dieses Eingeständnis nicht gebetsmühlenartig wiederholen oder pausenlos zum Hauptthema machen, aber die nächste Führungsgeneration der Republikaner kann nicht so tun, als wäre in den vergangenen paar Jahren politisch alles so gewesen, wie es sein sollte. Sie müssen zugeben, dass bei ihnen eine Krankheit ausgebrochen ist, und sie müssen aktiv werden, um diese Krankheit zu kurieren.

Der „Family Security Act“, den Senator Mitt Romney ins Gespräch gebracht hat, ist ein Beispiel für ein ambitioniertes politisches Projekt. Er zielt darauf ab, die Kinderarmut zu bekämpfen und durch den Abbau von Steuernachteilen für Eheleute Familien zu stärken. (Der Gesetzentwurf sieht monatliche Barleistungen für Familien vor: 350 US-Dollar für jedes Kind unter sechs Jahren und 250 US-Dollar für jedes Kind im schulpflichtigen Alter.) Eine interessante Idee haben auch Isabelle Sawhill und Richard Reeves von der Brookings Institution ins Gespräch gebracht: ein Dienstjahr nach der Highschool. Es wäre eine Möglichkeit, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken, indem es junge Menschen verschiedener Ethnien, Einkommensschichten und Glaubensrichtungen zwecks Bewältigung einer gemeinschaftlichen Aufgabe zusammenbringt, und würde nebenbei den Weg zum Hochschulstudium erleichtern.

Das alles mag zum jetzigen Zeitpunkt ambitioniert oder regelrecht unerreichbar scheinen, aber genau das muss passieren, wenn es künftig wieder eine verantwortungsbewusste konservative Alternative zur Demokratischen Partei geben soll. Eine erneuerte Republikanische Partei der Post-Trump-Ära müsste eine politische Infrastruktur schaffen, die bei den Primaries – also bei der innerparteilichen Kandidatenkür – die Chancen verantwortungsbewusster, intellektuell seriöser Konservativer stärkt, die ein Interesse daran haben, zu regieren, und nicht darauf aus sind, sich in Szene zu setzen.

Republikaner müssen darüber reden, was das Land braucht, und nicht nur über die Bedrohung von links.

Republikaner müssen darüber reden, was das Land braucht, und nicht nur über die Bedrohung von links. Nachdem sie in den vergangenen vier Jahren Verschwörungstheorien verbreitet und als Rammbock gegen die Wirklichkeit gedient hat, muss die Republikanische Partei sich fest in der real existierenden Welt verwurzeln. Sie muss sich gegen QAnon und seine Bundesgenossen nicht nur hin und wieder zur Wehr setzen, sondern immer und überall dort, wo sie sich präsentieren. Sie muss diejenigen, die die Republikanische Partei zur Brutstätte des Irrsinns umfunktionieren wollen, in die Schranken fordern.

Das alles wird keine leichte Aufgabe und setzt mit Sicherheit voraus, dass sich nach der Trump-Ära neue Denkgewohnheiten herausbilden. Eine noch schwierigere Aufgabe wird es für die Partei sein, sich explizit von den unversöhnlich demokratiefeindlichen und nihilistischen Teilen von Trumps Basis zu distanzieren. Der Transformationsprozess kann nur gelingen, wenn sie irgendwann den eingefleischten „Make America Great Again“-Anhängern entgegentreten, die mit Lügen und Einschüchterung ihren Lebensunterhalt bestreiten.

Ein halbes Jahrzehnt lang gab es in der Republikanischen Partei zu wenige, die bereit waren, Donald Trump herauszufordern und die Wahrheiten auszusprechen, die man insgeheim kannte, aber in der Öffentlichkeit verschwieg. Nachdem Trump sich nun zeitweilig ins Exil verabschiedet hat und das Amtsenthebungsverfahren beendet ist, werden wir bald erfahren, ob Trumps Präsidentschaft ein Ausreißer war oder eine Vorstufe, lediglich eine Episode oder Teil eines Grundmusters. War der Freispruch des Ex-Präsidenten das Ende der Trump-Ära oder der Auftakt zu etwas noch Schlimmerem?

Aus dem Englischen von Andreas Bredenfeld

© The New York Times