Die wilden Kehrtwenden und die eigenwilligen, aus dem Ärmel geschüttelten Aktionen der Trump-Regierung mögen wie die Stümperei eines Anfängers wirken. Trump ist nach Ansicht vieler Staatsoberhäupter so unberechenbar, dass er die Weltordnung destabilisiert, weil man nie weiß, was als nächstes passieren wird. Aus diesem Wirrwarr schließen manche Experten und Politiker, dass es derzeit keine kohärente US-Außenpolitik gibt.

Dieser Eindruck trügt – wenn man von der Diagnose der Destabilisierung einmal absieht. In den ersten 100 Tagen der Präsidentschaft von Donald Trump hat sich eine Außenpolitik herauskristallisiert, die nicht viel Neues enthält, aber durchaus kalkuliert ist. Weitab vom „America first“-Isolationismus, den er im Wahlkampf noch angekündigt hatte, hat der Präsident in eine entschieden interventionistische Rolle gefunden. Diese Rolle eines Republikanischen „Falken“ füllt er noch aggressiver und verantwortungsloser aus als einst George W. Bush. Die Strategie der Trump-Regierung scheint sich ganz nach den Wünschen der Hardliner im Pentagon zu richten. Dies könnte die USA sehr wohl in neue Kriege führen, im schlimmsten Fall in einen begrenzten Atomkrieg – ein Horrorszenario, das leider nicht auszuschließen ist.

Bereits nach den ersten 100 Tagen ist eine gefährliche Zuspitzung der Spannungen im Nahen Osten und in Asien zu verzeichnen. Trumps streitlustige Außenpolitik mag mit seinen Wahlversprechen brechen – für einen Präsidenten, der dringend nach Bestätigung sucht, ist es allerdings leichter, tödliche Luftschläge anzuordnen, als irgendetwas durch den Kongress zu bringen. So kann er trotzdem bei seiner Basis punkten.

Nach Ansicht der Falken hat Barack Obama das Land weit unter Wert verkauft und so Amerikas Rolle als Supermacht geschwächt.

Die Republikaner – sogar Trump-Gegner wie Lindsey Graham und John McCain – bejubeln Trumps Wandlung vom Isolationisten zum Interventionisten. Durch das Prisma der Republikanischen Falken gesehen sind die Vereinigten Staaten noch immer die weltweit führende Supermacht. Der Wortführer dieser militaristischen Hardliner im Weißen Haus ist kein geringerer als Vizepräsident Mike Pence (Ähnlichkeiten mit der Rolle von Dick Cheney in der Regierung von George W. Bush sind unübersehbar). Nach Ansicht der Falken hat Barack Obama das Land weit unter Wert verkauft und so Amerikas Rolle als Supermacht geschwächt. Er habe von seiner Macht viel zu zögerlich Gebrauch gemacht, um die Interessen der USA durchzusetzen. Wie die Falken glauben, können und werden die Vereinigten Staaten nun wieder eine Führungsrolle übernehmen. Verbündete wie Feinde, die diesen Anspruch nicht anerkennen, schaden sich damit nur selbst. Diese Haltung wird in den Drohungen deutlich, die Trump rundum ausgesprochen hat, um etwa auf die Erhöhung der europäischen Verteidigungshaushalte, das Ende des nordkoreanischen Atomprogramms oder auf die Nichteinmischung des Iran in die Konflikte des Nahen Ostens zu drängen.

Die Republikanischen Falken glauben fest an eine unilaterale, globale Ausübung ihrer militärischen Macht. Das spiegelt sich auch in den ersten 100 Tagen von Trumps Amtszeit wider, mit Einsätzen in Syrien, Jemen, Irak, und Afghanistan. Diese Operationen haben den USA nichts eingebracht, aber über tausend Zivilisten das Leben gekostet. Nach dem Willen der Falken soll das militärische Arsenal zu diesem Zweck erheblich aufgerüstet werden, mit nuklearen wie auch konventionellen Waffen. Für die Trump-Regierung ist die unilaterale Vision der amerikanischen Supermacht aussichtsreich, solange diese Rolle energisch und auch quantitativ mit Nachdruck praktiziert wird. Ihren großen Knüppel haben die Falken schon immer gern durch markige Worte unterstrichen – eine Rolle, die Donald Trump wie auf den Leib geschrieben ist. Viele Aspekte dieser Dynamik konnte man auch schon in der Vergangenheit beobachten, etwa bei George W. Bush oder Ronald Reagan.

Die Pentagon-Hardliner stießen bei keinem bisherigen Präsidenten so sehr auf Gehör, wie jetzt bei Trump.

Allerdings könnte sich Trump als sehr viel gefährlicher erweisen als der handelsübliche Republikanische Falke. Es gibt schon seit Jahrzehnten einen rechten Rand innerhalb des militärischen Establishments der USA (man denke an den ehemaligen Nationalen Sicherheitsberater Trumps und ehemaligen Geheimdienstchef, Michael Flynn). Diese Hardliner stießen allerdings bei keinem bisherigen Präsidenten so sehr auf Gehör, wie jetzt bei Trump. Die Gefahr besteht darin, dass Trump sich den Ansichten und Forderungen dieser Gruppe nicht verweigern kann oder möchte.

Das größte Problem in diesem Zusammenhang ist die nukleare Rüstungspolitik. Präsident Obama hat seinen Generälen in dieser Hinsicht die Stirn geboten. Nach seiner Amtsübernahme im Jahr 2009 hatte er wegen seiner Bemühungen um die nukleare Abrüstung heftige Auseinandersetzungen mit dem Pentagon, das die Jahresausgaben von 54 Milliarden US-Dollar für Atomwaffen und waffenbezogene Programme noch erhöhen wollte (bei einem Verteidigungshaushalt von insgesamt 664 Milliarden US-Dollar). Das Pentagon verweigerte sich einer Reduzierung des Arsenals, die andere Länder ebenfalls zur Abrüstung bewegen sollte. Stattdessen schlug die militärische Führung die Anschaffung einer neuen Generation von Atomwaffen vor, zusätzlich zum bestehenden Arsenal von 2600 einsatzbereiten Sprengköpfen, 2500 Sprengköpfen im Reservebestand und 4000 für die Demontage bestimmten Sprengköpfen.

Anfang des Jahres hat sich ein Beratungsausschuss des Pentagons für Investitionen in neue Atomwaffen und vielleicht sogar die Wiederaufnahme von Atomwaffentests ausgesprochen. Der Bericht schlägt außerdem die Erforschung schwächerer Atomwaffen vor, die eingesetzt werden könnten, ohne einen vollumfassenden Atomkrieg auszulösen. Das Papier empfiehlt „einen flexibleren Betrieb nuklearer Waffen, der bei Bedarf eine schnelle, auf die Situation zugeschnittene Option zur begrenzten Verwendung bereitstellen könnte“. Es ist schwer vorstellbar, dass Trump diesen Wunsch ausschlagen wird.

Die Basis der militärischen Hardliner lag schon immer im Pentagon. Jeder Präsident wurde von diesen Generälen beraten, aber nicht jeder hat ihren Rat angenommen. So etwa 1962, als man John F. Kennedy während der Kuba-Krise die Option einer Invasion unterbreitete. Kennedy erkannte allerdings, dass eine Eskalation dieses Ausmaßes einen Atomkrieg auslösen könnte und fand eine andere Lösung. In der Vergangenheit haben sich auch die meisten anderen Präsidenten nicht vom nuklearen Säbelrasseln des Pentagons beeindrucken lassen. Bisher spricht aber wenig dafür, dass Trump diesem Vorbild folgen wird.

Durch Demonstrationen der Stärke oder einen potenziellen Präventivschlag riskiert es Washington, eine atomare Reaktion aus Pjöngjang heraufzubeschwören.

Was die äußere Bedrohung durch Atomwaffen angeht, stellt Nordkorea das größte Problem dar. Durch Drohungen und Demonstrationen der Stärke oder auch durch einen potenziellen Präventivschlag riskiert es Washington, eine atomare Reaktion aus Pjöngjang heraufzubeschwören. Das „Time Magazine“ schreibt, Trump folge der Annahme, dass Kim Jong-un nach „rationalen“ Gesichtspunkten handle – und stellt die treffende Frage: „Doch ist er bereit, für diese Annahme die nukleare Apokalypse zu riskieren?“ Die Verfechter von begrenzten, „taktischen“ Atomschlägen glauben allerdings nicht, dass schon der Einsatz von ein oder zwei Atomsprengköpfen eine „nukleare Apokalypse“ auslösen würde. Sie gehen vielmehr davon aus, dass ein solcher Krieg überlebt und gewonnen werden kann.

Auch im Krisenherd Naher Osten haben die USA ihren Aktionsradius zuletzt ausgeweitet. Die Bombardierung des syrischen Flughafens am 7. April hat die Bereitschaft der USA demonstriert, ohne Rücksprachen mit dem Kongress oder verbündeten Staaten von ihrer militärischen Macht Gebrauch zu machen, und auch, dass solche unvermittelten Aktionen, zumindest teilweise, zur Strategie werden könnten.

Die größte Wirkung der Operation bestand darin, Russland vor den Kopf zu stoßen, einen zuvor potenziellen Verbündeten und Handelspartner von Donald Trump. Wie der ehemalige russische Präsident Dmitri Medwedew sagte, habe der Einsatz die USA „an den Rand eines militärischen Konflikts mit Russland“ geführt. Auch wenn dies eine Übertreibung ist: Die bloße Androhung dieser Möglichkeit zeigt auf, dass ein militärischer Konflikt mit Russland nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden kann.

Bereits am 29. Januar 2017 hatte der Angriff auf die Al-Qaida in Jemen das Leben von zwei Dutzend Zivilisten und einem Navy SEAL gefordert. Trotzdem geht Trumps Krieg gegen die Aufständischen weiter: Alleine im März flog das US-Militär 70 Luftangriffe gegen jemenitische Rebellen – mehr als doppelt so viele, wie im gesamten Jahr 2016.

Nach Angaben des „Council on Foreign Relations“ hat Trump in den ersten 74 Tagen seiner Amtszeit 75 Drohnenangriffe außerhalb offizieller Kriegsgebiete angeordnet, also ungefähr einen Angriff pro Tag. Zum Vergleich: Obama hat während seiner acht Jahre in Washington 542 Einsätze dieser Art angeordnet, also etwa einen Angriff alle 5,4 Tage.

Wenn Trump sich gezwungen sähe, seinen radikalen Drohungen Taten folgen zu lassen, wäre ein neuer Krieg im Nahen Osten oder in Asien unvermeidbar.

Am 13. April schließlich haben die USA die stärkste konventionelle Bombe aus ihrem Arsenal auf einen Standort des „Islamischen Staates“ (IS) abgeworfen und dies als „taktische“ Operation bezeichnet. Laut afghanischen Behörden wurden nur 36 IS-Kämpfer getötet. Für das Pentagon allerdings war der Einsatz ein großer Erfolg: Man konnte erstmals die zuvor nicht im Kampf erprobte GBU-43/B „Massive Ordnance Air Blast“ Bombe einsetzen (MOAB, auch als „mother of all bombs“ bekannt). Die von der Trump-Regierung geplante Erhöhung des Verteidigungshaushalts um 54 Milliarden US-Dollar lässt sicherlich einen Spielraum, um weitere Exemplare davon anzuschaffen.

Und auch gegenüber dem Iran schlagen die USA natürlich einen neuen, schärferen Ton an: Die Trump-Regierung droht, das Nuklearabkommen zu kippen, das die USA und ihre europäischen Verbündeten zuvor mit großer Mühe ausgehandelt haben.

100 Tage nach Trumps Amtseinführung ist die Sicherheit der Welt also in keinem guten Zustand – die Lage ist sogar gefährlicher als zum Höhepunkt des Kalten Krieges oder kurz nach dem 11. September 2001. Im Wahlkampf hat Trump erklärt, er könne sich eine nukleare Wiederbewaffnung Japans und Südkoreas für die Verteidigung gegen Nordkorea vorstellen. Er hat sich geweigert, im Fall eines Militärkonflikts einen Einsatz von Nuklearwaffen innerhalb Europas auszuschließen. Wenn Trump sich gezwungen sähe, seinen radikalen Drohungen Taten folgen zu lassen, wäre ein neuer Krieg im Nahen Osten oder in Asien unvermeidbar. Wäre die Regierung tatsächlich bereit, einen begrenzten Atomkrieg zu führen? Im Pentagon gibt es mit Sicherheit Leute, die sich das vorstellen können.