Verspielen die Demokraten durch zur Unzeit ausgetragene innerparteiliche Streitigkeiten ihre guten Aussichten bei den Kongresswahlen im November? Der Sieg der erstmals als Kandidatin angetretenen Alexandria Ocasio-Cortez bei den Vorwahlen im 14. Wahlbezirk von New York über Joseph Crowley, der seit 1999 als Abgeordneter im Repräsentantenhaus sitzt und als Vorsitzender des House Democratic Caucus zur Parteispitze gehört, hat für Unruhe gesorgt und diese Debatte neu angefacht.

Ocasio-Cortez ist Mitglied der politischen Organisation Democratic Socialists of America und gehörte 2016 zum Wahlkampfteam von Bernie Sanders. Bei den Vorwahlen im Juni setzte sie sich mit ihrer linkspolitischen Agenda durch, in der sie die „etablierten Amtsinhaber“ und „den Parteiapparat der Demokraten“ für deren vermeintlichen ideologischen Kleinmut angriff. Nancy Pelosi, Fraktionsvorsitzende der Demokraten, schien Ocasio-Cortez‘ Erfolg bei den Vorwahlen mit den Worten „nur ein Wahlbezirk“ abtun zu wollen. Einige politische Beobachter warnten, dass sich die von Ocasio-Cortez in den von Demokraten dominierten Wahlbezirken Queens und der Bronx erzeugte Aufbruchsstimmung wahrscheinlich nicht in jene Wahlbezirke des Landes übertragen wird, in denen die Kongresswahlen in der Regel entschieden werden.

Die Demokratische Partei ist ein Verbund von gesellschaftlichen Gruppierungen und ihr ist am besten damit gedient, wenn die Kandidierenden ihren Wahlkampf selbst gestalten und auf die Anliegen in ihrem jeweiligen Wahlkreis zuschneiden können.

Die führenden Demokraten – und ihre Anhänger in Expertenkreisen – sind offenbar besorgt, dass die durch die Präsidentschaft Trumps ausgelöste Welle von linksgerichtetem Aktivismus die für 2018 erwarteten Wahlerfolge bedrohen könnte, weil sie zur Verschärfung dessen beiträgt, was in einem kürzlich in der New York Times erschienen Artikel als „ein Augenblick außergewöhnlicher Konflikte“ und „Aufruhr bei den Linken“ bezeichnet wurde.

Aber sie müssen sich keine allzu großen Sorgen machen: Die Geschichte Amerikas beweist, dass Geschlossenheit in der Partei keine notwendige Voraussetzung für Wahlerfolge ist. In den Jahrzehnten zwischen den 1930er und 1960er Jahren konnten die Demokraten wiederholt deutliche Siege bei Präsidentschafts- und Kongresswahlen für sich verbuchen, obwohl die Partei zutiefst gespalten war, beispielsweise zwischen einem Nord- und einem Südflügel über Themen wie Bürgerrechte und den Vietnamkrieg. Das waren sehr viel grundlegendere und tiefere politische Gräben in der Partei als die gegenwärtige Kluft.

Ein Beispiel aus jüngerer Vergangenheit ist die Tea-Party-Bewegung. Ihr zunehmender Erfolg während der Präsidentschaft Barack Obamas führte bei den Republikanern zu deutlichen Brüchen, die für mehrere führende Politiker das politische Aus mit sich brachten. Aber das hinderte die Republikaner nicht daran, den Demokraten zwischen 2010 und 2014 insgesamt 70 Sitze im Repräsentantenhaus und 14 im Senat abzunehmen.

Politische Kommentatoren vertreten häufig die Ansicht, dass die Parteien ihre Wahlchancen maximieren, wenn sie im ganzen Land mit einem einheitlichen Wahlprogramm antreten oder überall dieselbe politische Botschaft verkünden. Aber die Demokratische Partei ist ein Verbund von gesellschaftlichen Gruppierungen und ihr ist am besten damit gedient, wenn die Kandidierenden ihren Wahlkampf selbst gestalten und auf die Anliegen in ihrem jeweiligen Wahlkreis zuschneiden können. Die Anhänger der Demokraten sind keine einheitliche „Parteibasis“ mit gemeinsamen politischen Zielen oder ideologischen Verpflichtungen, sondern setzen sich aus einer Bandbreite gesellschaftlicher Gruppen zusammen, die sich über Bundesstaats- und Wahlkreisgrenzen hinweg zusammenschließen und mit ihren jeweils eigenen politischen Interessen von der Parteiführung vertreten werden wollen. Um die Gesamtheit der demokratischen Anhängerschaft von Küste zu Küste zu mobilisieren, müssen daher nicht nur die Wahlkampfbotschaften, sondern auch die sie Vermittelnden eine große Vielfalt aufweisen.

Die sich von Ort zu Ort unterscheidende Wählerschaft der Demokraten ist auch eine Erklärung dafür, warum die Parteilinken nicht überall im Land auf mehr ideologischen Purismus drängen.

Die sich von Ort zu Ort unterscheidende Wählerschaft der Demokraten ist auch eine Erklärung dafür, warum die Parteilinken nicht überall im Land auf dieselbe Weise auf mehr ideologischen Purismus (und einen stärkeren Konfrontationskurs gegen die Trump-Regierung) drängen.  In „blauen“, von den Demokraten dominierten Bundesstaaten sind altgediente Abgeordnete wie Joseph Crowley und Gouverneur Andrew Cuomo aus New York sowie Senatorin Dianne Feinstein aus Kalifornien mit Herausforderern aus der eigenen Parteilinken konfrontiert. In „roten“, von Republikanern dominierten Bundesstaaten wurden beziehungsweise werden die gemäßigten für den Senat kandidierenden Demokraten in den Vorwahlen offensichtlich ohne ernsthafte parteiinterne Konkurrenz nominiert. 

Auch waren aufgrund der zunehmenden Welle von Anti-Trump-Aktivismus in den letzten beiden Jahren die Wahlaussichten der Demokraten selbst dann nicht gefährdet, wenn Kandidaten und Kandidatinnen zur Wahl antraten, die eigentlich nicht den Vorlieben der Wählerschaft in den betreffenden Wahlkreisen entsprachen. Bei Nachwahlen zum Kongress erhielten Kandidaten wie Doug Jones und Conor Lamb begeisterte Unterstützung von linken Aktivisten, obwohl sich beide vom linken Flügel der Partei distanzieren.

Wenn die Demokratische Partei in der Trump-Ära einen Wandel vollzieht, ist das nicht auf ideologische Gründe, sondern auf eine neue Zusammensetzung der Abgeordneten zurückzuführen. Die Partei hat für die Kongresswahlen von 2018 bereits eine Rekordzahl an Frauen aufgestellt, von denen viele umkämpfte, derzeit von Republikanern gehaltene Sitze erobern wollen. In mindesten drei Wahlbezirken mit großem Minderheitenanteil haben hispanoamerikanische Parteimitglieder (einschließlich Ocasio-Cortez) sehr gute Chancen, amtierende weiße Abgeordnete abzulösen. Und nach den Wahlen im November werden wahrscheinlich erstmals ein Politiker eritreischer Herkunft und eine Politikerin mit indianischen Wurzeln in die Legislative einziehen.

Diese demographischen Veränderungen werden auch inhaltliche Auswirkungen haben. Aus Forschungsergebnissen geht hervor, dass sich weibliche und nicht-weiße Abgeordnete häufig auf andere Themen konzentrierten als weiße Männer derselben Partei. Obwohl sich die Gelegenheit, in Washington die Regierung zu übernehmen, frühestens in zwei Jahren auftun wird, hat bei den Demokraten längst eine innerparteiliche Debatte darüber begonnen, wie die von den verschiedenen Gruppierungen in der Partei verfochtenen Initiativen zu gewichten sind.

Die neue Energie der amerikanischen Linken und die Entwicklung bei den wichtigsten Themen, mit denen die Partei den Großteil ihrer Wählerschaft bisher ansprechen konnte, haben der ohnehin schon langen Wunschliste an politischen Veränderungen noch weitere Anliegen hinzugefügt.

Aber auch wenn die Demokraten für die Zwischenwahlen von 2018 eine bunte Liste an Kandidaten und Kandidatinnen aufstellen, die überall im Land auf ihre jeweils eigenen Wahlkampfthemen setzen, stellen Trumps Präsenz im Weißen Haus und die Verfahrensregeln im Senat sicher, dass die diesjährigen Wahlen wahrscheinlich nur geringfügige politische Auswirkungen haben werden, selbst wenn es den Demokraten gelingen sollte, die Mehrheit im Kongress zu gewinnen.

Die Auswirkungen der Debatten, die zwischen den Demokraten eine Kluft entlang von ethnischen, Gender- und Generationslinien verursachten, werden erst voll zum Tragen kommen, sollte die Partei wieder an die Regierung kommen. Als Regierungspartei müssen die Demokraten sich entscheiden, was sie als kritischstes Problem angehen wollen: die Gesundheitsversorgung, Waffengewalt, Kinderbetreuung oder eine Reform des Einwanderungsgesetzes?

Um legislative Erfolge zu erzielen, müssen zukünftige Parteiführungen zwischen den verschiedenen Gruppierungen innerhalb der Partei vermitteln und Übereinkünfte in Bezug auf die Prioritätensetzung und politische Details aushandeln. Eine Geschlossenheit in der Partei trägt vielleicht nicht dazu bei, Wahlen zu gewinnen, aber sie wird überaus wertvoll, wenn die Partei eines Tages an der Macht ist.

(c) 2018 The New York Times

Aus dem Englischen von Ina Görtz