Bereits 2014beklagte ich den politischen Niedergang in den Vereinigten Staaten, wo die Regierungsinstitutionen ihre Aufgaben immer schlechter erfüllten: „Eine Mischung aus intellektueller Unbeweglichkeit und dem Einfluss etablierter politischer Akteure verhindert eine Reform dieser Institutionen“, schrieb ich damals. „Und es steht zu befürchten, dass sich daran nur etwas ändern wird, wenn ein größerer Schock durch die politische Ordnung geht.“

In den folgenden Jahren schien es möglich, dass Bernie Sanders' und Donald Trumps Aufstieg einen solchen Schock generieren könnte. Als ich mich während des Präsidentschaftswahlkampfes 2016 noch einmal mit dem politischen Verfall befasste, fand ich es ermutigend, dass „Wählerinnen und Wähler auf beiden Seiten des Spektrums gegen ein in ihren Augen korruptes und egoistisches Establishment aufbegehren und sich radikalen Außenseitern zuwenden, von denen sie sich Klärung und Läuterung erhoffen.“ Ich setzte allerdings warnend hinzu, dass „die von den populistischen Kreuzrittern propagierten Rezepte praktisch nutzlos sind und, falls umgesetzt, das Wachstum ersticken, das Elend vergrößern und die Situation verschlechtern statt verbessern würden“.

Dennoch entschieden sich die Amerikaner für Donald Trump und wie befürchtet haben sich die Probleme seither zugespitzt. Der Niedergang setzte sich in alarmierendem Tempo und in einem damals schwer vorherzusehenden Ausmaß fort und gipfelte in der Stürmung des US-Kapitols am 6. Januar durch einen Mob, der vom Präsidenten der Vereinigten Staaten angestachelt worden war.

Die Ursachen für die Krise sind unterdessen noch da. Die US-Regierung wird nach wie vor von mächtigen Elitegruppierungen beherrscht, die Politik zum eigenen Vorteil betreiben und die Legitimität des Regierungssystems insgesamt untergraben. Und das System ist nach wie vor zu starr, um sich selbst zu reformieren. Die Grundbedingungen haben sich zudem auf unerwartete Weise verändert, denn zwei Phänomene verstärken diese Problematik: Neue Kommunikationstechnologien tragen dazu bei, dass die gemeinsame Faktenbasis für den demokratischen Diskurs bröckelt, und die einstigen politischen Differenzen zwischen der „blauen“ und der „roten“ Fraktion haben sich zu Auseinandersetzungen über die kulturelle Identität verhärtet.

Die US-Regierung wird nach wie vor von mächtigen Elitegruppierungen beherrscht, die Politik zum eigenen Vorteil betreiben.

Theoretisch könnte es einheitsstiftend wirken, dass die Eliten die US-Regierung gekapert haben, da dies beide Seiten der politischen Landschaft erzürnt. Leider aber richtet sich die Wut auf unterschiedliche Ziele. Für Menschen, die links stehen, handelt es sich bei den fraglichen Eliten um Konzerne und kapitalistische Interessengruppen – konventionelle Energieerzeuger, Wall-Street-Banken, Hedgefonds-Milliardäre und republikanische Großspender –, die mit ihren Lobbyisten und ihrem Geld die eigenen Interessen vor jeder Form demokratischer Rechenschaft schützen.

Für Menschen, die rechts stehen, handelt es sich bei den bösen Eliten um einflussreiche Kulturgranden in Hollywood, die Mainstream-Medien, Universitäten und große Unternehmen mit einer eher progressiven säkularen Ideologie, die sich mit den traditionellen oder christlichen Werten konservativer Amerikaner nicht verträgt. Sogar in Bereichen, in denen Schnittstellen naheliegen, sind die Sichtweisen der beiden Seiten unvereinbar. Das blaue Amerika klagt Twitter und Facebook an, weil sie Verschwörungstheorien und trumpistische Propaganda verbreiten, wohingegen das rote Amerika denselben Unternehmen Ressentiments gegen Konservative vorwirft.

Die knappe Mehrheit der Demokraten im Senat mag ein Veto der Republikaner in alltäglichen Entscheidungen wie der Ernennung von Ministern verhindern, doch größere Reformen wie die Umwandlung des District of Columbia in einen Bundesstaat oder ein neues Wahlrechtsgesetz, das den massenhaften Entzug des Wahlrechts durch die Republikaner verhindert, würden an Filibustern auf republikanischer Seite scheitern.

Präsident Joe Biden wird Glück und Geschick brauchen, um selbst relativ unambitionierte Gesetze wie ein neues Konjunkturpaket oder Investitionen in die Infrastruktur durchzubringen. Ein Großteil der strukturellen Reformen, die die Demokraten kürzlich im Abgeordnetenhaus eingebracht haben, wird nicht umzusetzen sein.

Die grundlegende Malaise der US-Politik besteht vor allem darin, dass die Kontrollinstitutionen im Verbund mit der politischen Polarisierung Stillstand und unablässige Spaltungskämpfe herbeigeführt haben. Befördert wurde diese Entwicklung von einer Technologie, die verhindert, dass etablierte Institutionen wie die Mainstream-Medien oder die Regierung die öffentliche Meinung stärker beeinflussen können. Heute glauben 77 Prozent der Republikaner, dass in der Wahl 2020 im großen Stil betrogen wurde, so eine neuere Quinnipiac-Umfrage.

Präsident Joe Biden wird Glück und Geschick brauchen, um selbst relativ unambitionierte Gesetze durchzubringen.

Man hört von wachsenden autoritären Tendenzen im rechten Spektrum, und gewiss trifft das auf Trump und viele seiner Helfershelfer auch zu. Doch zig Millionen Menschen haben ihn gewählt und unterstützen ihn weiter, nicht etwa, weil sie demokratiefeindlich wären, sondern weil sie meinen, die Demokratie gegen eine Demokratische Partei verteidigen zu müssen, die ihnen die Präsidentschaft gestohlen hat.

Dieses technologisch bedingte Problem zu lösen, wird eine der großen Aufgaben der kommenden Jahre sein. Twitter und Facebook haben Trump nach dem Sturm des Kapitols am 6. Januar zu Recht von ihren Plattformen verbannt. Als kurzfristige Reaktion auf einen nationalen Notstand war diese Entscheidung durchaus zu rechtfertigen: Das Aufhetzen zu Gewalt hat mit Redefreiheit nichts zu tun. Doch langfristig ist es nicht legitim, wenn Privatunternehmen solche Entscheidungen, die für die Öffentlichkeit eine große Tragweite haben, allein treffen.

Überhaupt war es ein gigantischer Fehler, dass die USA diese Plattformen so mächtig haben werden lassen. Eine Lösung, die zwei Koautoren und ich kürzlich in Foreign Affairs vorgeschlagen haben, wäre, miteinander konkurrierende „Middleware“-Firmen zu fördern, die außerhalb der Plattformen die Aufgabe der Moderation übernehmen. Das würde die Macht der Großen beschneiden und den Nutzern mehr Kontrolle über die Informationen an die Hand geben, die ihnen begegnen. So lassen sich zwar Verschwörungstheorien nicht aus der Welt schaffen, doch den Plattformen wäre es nicht im selben Maße wie heute möglich, randständige Stimmen zu verstärken und andere, die in Ungnade gefallen sind, auszublenden.

Die zweite Entwicklung, die die Polarisierung im Lande stark vorangetrieben hat, ist die Verlagerung des Diskurses von politischen Themen hin zu Fragen der Identität. In den 1990er-Jahren, als die Polarisierung einsetzte, stritten die beiden Amerikas noch über Steuern, Gesundheitssystem, Abtreibung, Waffenbesitz und den Einsatz des Militärs im Ausland. Diese Themen sind nicht verschwunden, wurden aber überlagert von Fragen der Identität und der Mitgliedschaft in festen Gruppen, die sich durch Hautfarbe, ethnische Zugehörigkeit, Gender und andere grobe soziale Faktoren definieren. Aus politischen Parteien sind politische Stammeskulturen geworden.

Dieser Tribalismus hat sich besonders in der Republikanischen Partei breitgemacht. Trump konnte seine Partei und ihre Wählerschaft mühelos dazu bewegen, Kernprinzipien wie Freihandel, die Unterstützung der globalen Demokratie oder die Bekämpfung von Diktaturen aufzugeben. Als sich Trumps Neurosen auswuchsen und er immer mehr mit sich selbst beschäftigt war, richtete sich die Partei zunehmend auf seine Person aus. Je länger seine Präsidentschaft währte, umso stärker definierte man sich als Republikaner über die Loyalität gegenüber Trump: Wer auch nur geringfügig abwich, indem er Trumps Reden oder Tun kritisierte, wurde verstoßen.

Aus politischen Parteien sind politische Stammeskulturen geworden.

Diese Entwicklung gipfelte darin, dass die Republikaner auf dem Parteitag 2020 kein Wahlprogramm präsentierten, sondern lediglich bekräftigten, dass sie Trump in allem, was er wollte, unterstützen würden. So kam es auch, dass sich das Tragen einer Gesichtsmaske und das schlichte Ernstnehmen der Covid-19-Pandemie zu einem erbitterten parteipolitischen Streit entwickelten.

Diese Problematik gründet auf einer starken geografischen und demografischen Spaltung, die nach 2016 eintrat. Wie der Politikwissenschaftler Jonathan Rodden aufgezeigt hat, ist der stärkste Faktor für eine Pro- oder Anti-Trump-Gesinnung die Bevölkerungsdichte. Das Land teilt sich in blaue Städte und Vorstädte und rote Reichenviertel und ländliche Gebiete. Damit einher geht eine tiefe kulturelle Spaltung in Hinblick auf Werte, wie sie auch in vielen anderen Ländern zu beobachten ist.

Doch mit strukturellen Faktoren lässt sich die Entwicklung nicht vollständig erklären. Eine Umfrage von NPR/Ipsos ergab im letzten Herbst, dass fast ein Viertel der Republikaner die haarsträubenden Kernaussagen der QAnon-Verschwörungstheorie glauben, nämlich, so die Meinungsforscher, dass „eine Gruppe satanistischer Eliten einen Kinderschänderring betreibt und versucht, Macht über Politik und Medien zu erlangen“. Die Grand Old Party ist keine Partei mehr, die auf Ideen oder politischen Grundsätzen fußt, sondern gleicht eher einer Sekte.

Tribalismus gibt es auch aufseiten der Linken, wenn auch weniger ausgeprägt. Im Nachgang der Sozialbewegungen der 1960er- und 1970er-Jahre entstand eine linke Identitätspolitik. Die auf Identität gründende Mobilisierung gegen Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe, Ethnizität, Gender oder sexueller Orientierung hat dazu geführt, dass in der Linken Forderungen laut werden, das Anderssein ganzer Gruppen anzuerkennen und zu bejahen.

Wo das Land nach Joe Bidens Amtseinführung hinsteuert, ist noch völlig unklar.

Wo das Land nach Joe Bidens Amtseinführung hinsteuert, ist noch völlig unklar. Das gilt besonders für die Zukunft der Republikanischen Partei. Trump und seine Anhänger haben es mit dem gewaltsamen Sturm auf das Kapitol eindeutig übertrieben, und einige in der Partei haben sich schließlich öffentlich von ihm distanziert. Politisch hat Trumps Präsidentschaft der Grand Old Party keine starke Position verschafft: Die Republikaner, die 2017 das Weiße Haus und beide Häuser im Kongress beherrschten, haben nun keine dieser Institutionen mehr unter ihrer Kontrolle.

Wie es weitergeht, das wird sich in den kommenden Jahren auch erheblich auf die globale Demokratie auswirken. Trump hat Autokraten wie dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping ein großes Geschenk gemacht: ein gespaltenes Amerika, das mit sich selbst beschäftigt war und seinen eigenen demokratischen Idealen widersprach.

Dass Biden das Weiße Haus erobert und die Demokratische Partei eine knappe Mehrheit im Kongress erlangt hat, wird nicht ausreichen, um den Vereinigten Staaten ihr internationales Ansehen zurückzugeben: Der Trumpismus muss ein für alle Mal beendet und delegitimiert werden, ähnlich wie es in den 1950er-Jahren mit dem McCarthyismus geschah.

Die Eliten, die die nationalen Institutionen mit normativen Schutzplanken versehen, müssen wieder mehr Mut beweisen und ihre moralische Autorität geltend machen. Ob sie dieser Aufgabe gerecht werden, wird über das Schicksal der US-Institutionen und vor allem des amerikanischen Volkes entscheiden.

© Foreign Affairs

Aus dem Englischen von Anne Emmert