Als ich die Möglichkeit in den Raum stellte, dass die Demokraten Bernie Sanders nominieren, verdrehte ein Freund von mir, Republikaner, die Augen (vielleicht lief ihm auch schon das Wasser im Mund zusammen). „Haben die denn nichts von Jeremy Corbyn gelernt?“, fragte er. „Vielleicht nicht“, räumte ich ein. „Aber von Donald Trump haben sie eine Menge gelernt.“

Stimmt schon, Corbyn führte die Labour Party in Großbritannien in eine krachende Niederlage gegen Boris Johnson und die Konservativen. Sein Debakel hatte mehrere Gründe, die sehr linke Politik war einer davon. Immerhin bezeichnet er sich als demokratischer Sozialist.

Für Trump erübrigt sich eine solche Einführung, aber ich will doch darauf hinweisen, dass er in seiner Partei anfangs keine breite Unterstützung genoss. Dafür waren seine Anhänger laut und forsch bis hin zum Fanatismus (und das ist bis heute so).

Trump versprach, den Status quo zu zerschlagen. Er und seine Fans trieben den Absolutismus auf die Spitze: Man war für oder gegen sie – dazwischen gab es nichts –, und Amerika ließ sich sauber in Schurken und Opfer einteilen. Er warf die übliche politische Etikette über Bord, rieb sich an der schlecht sitzenden politischen Partei, die er sich für seine Ziele übergestülpt hatte, und behauptete, das System sei manipuliert.

Klingt das etwa nach einem bekannten Senator aus Vermont?

Wer Sanders‘ Wahlkampf analysiert, kann natürlich seine Positionen danach bewerten, wie links sie sind: das Ende der privaten Krankenkassen, die Auflösung der Einwanderungsbehörde ICE, kostenlose Bildung an öffentlichen Colleges, unabhängig von der wirtschaftlichen Situation der Studenten. Danach gemessen, ist er ein Corbyn und meiner Ansicht nach ein gewaltiges Wahlrisiko.

Man kann aber auch den Blick auf Sanders' Reizbarkeit richten, seine Theatralik und die Kampfeslust seiner Anhänger. Aus dieser Perspektive ist er ein Trump.

Man kann aber auch den Blick auf seine Reizbarkeit richten, seine Theatralik und die Kampfeslust seiner Anhänger. Aus dieser Perspektive ist er ein Trump. Und wie kann man den derzeitigen Präsidenten besser stürzen als mit einem ideologisch verkehrten Alter Ego?

Diese Theorie – Feuer mit Feuer, einen Messias mit einem anderen bekämpfen – höre ich öfter, nun, da Sanders seine Spitzenreiterposition in den Vorwahlen der Demokraten zementiert und die Partei, die Trump unbedingt besiegen will, mit der Frage ringt, ob es klug ist, ausgerechnet Sanders diese Aufgabe zu übertragen.

In Iowa zog er mit Pete Buttigieg fast gleich, in der Vorwahl in New Hampshire lag er mit 25,6 Prozent sogar vorn. In den Umfragen für die folgenden Bundesstaaten Nevada und South Carolina führt er mit großem Abstand vor Buttigieg. Derweil ist schwer zu erkennen, wie Elizabeth Warren an ihm vorbeiziehen soll, und Jo Biden hat noch an dem demütigenden vierten Platz in Iowa zu knabbern. Damit sind Sanders‘ Chancen, sich die Nominierung zu holen, so gut wie die jedes anderen Kandidaten.

Sein Erfolg erklärt sich auch daraus, dass er Trump so ähnlich ist, aber verstehen Sie mich nicht falsch: Politisch gibt es keinerlei Überschneidungen, keine gemeinsamen politischen Werte, keine moralische Übereinstimmung – nicht im Entferntesten. In der Presse liest man nur zu oft, dass die beiden zwei Varianten desselben alten weißen Mannes verkörperten, denselben nachlässigen Umgang mit Fakten, dasselbe Talent für Schikane, denselben Instinkt für Demagogie hätten. Dabei spielt Trump als Tyrann in einer eigenen Liga.

Doch Sanders ist ein Populist der Linken, wie Trump ein Populist der Rechten ist, mit der bekannten Abneigung gegen Kompromisse und einer vergleichbaren Wirkung auf Amerikanerinnen und Amerikaner, die von der herkömmlichen Politik angewidert sind.

Wie Trump sprengt Sanders den Rahmen und ignoriert die Gesetze der politischen Schwerkraft: Im letzten Herbst erlitt er im Alter von 78 Jahren einen Herzinfarkt, doch weder verschreckte das seine Wählerschaft, noch bremste es ihn aus. Während Trump behauptet, Führer einer Bewegung zu sein, „die die Welt noch nicht gesehen hat“, steht Sanders an der Spitze einer „Revolution“ die durch eine „in der modernen Geschichte dieses Landes einmalige Wahlkampagne“ ins Rollen gebracht werden soll. Diese Tonlage – zum Beispiel beim Thema Handel – gefällt der Arbeiterschaft im Rostgürtel, die für Trumps Wahl so wichtig war. Während einige Berater Trumps davon ausgehen, dass sie Sanders als Gegenkandidaten leicht veralbern und vorführen können, fürchten andere, er könnte Trump in die Bredouille bringen.

In der Presse liest man nur zu oft, dass die beiden zwei Varianten desselben alten weißen Mannes verkörperten, denselben nachlässigen Umgang mit Fakten, dasselbe Talent für Schikane, denselben Instinkt für Demagogie hätten. Dabei spielt Trump als Tyrann in einer eigenen Liga.

Wenn man genau hinsieht, erkennt man in den Vorwahlen der Demokratischen Partei, dass die Demokraten aus Trumps Naturell einiges gelernt haben. Man findet diese Lektionen in Bidens Wahlkampf, der die Rechtmäßigkeit der Ergebnisse von Iowa schon infrage stellte, bevor die New York Times einzelne Irregularitäten aufdeckte. Man erkennt sie in Mike Bloombergs gnadenlos beleidigender Werbekampagne, in der er Trump als feist und verwirrt darstellt, und Aussagen trifft, die schockierend unreif wären, wenn sie nicht Trumps Sticheleien nachäffen würden. Julie Wood, Sprecherin für Bloombergs Kampagne, nannte den Präsidenten kürzlich „einen pathologischen Lügner, dessen Lügen alles erfassen: sein künstliches Haar, seine Fettleibigkeit und seine aufgesprühte Sonnenbräune“.

Man erkennt Trumps Lehren, wenn Nancy Pelosi Trumps Rede zur Lage der Nation theatralisch zerreißt. Und man findet sie in einer Bar in Iowa, wo, wie Shawn McCreesh im Rolling Stone berichtete, am Abend der Vorwahlen ein Sanders-Anhänger andere zu einem Frage-Antwort-Spiel animierte: Er rief das F-Wort, und alle anderen antworteten mit „Biden!“ oder „Warren!“ und so weiter.

Ist das der grobschlächtige Weg zu einem Sieg der Demokraten im November 2020? Mein Kopf und mein Bauch sagen nein, und wer in Sanders den Radaubruder sieht, der diesen Weg zu Ende gehen kann, übergeht gleich mehrere Probleme, angefangen mit der Strategie. Den von Sanders vorgeschlagenen Plan „Medicare für alle“, der die Abschaffung privater Krankenversicherungen vorsieht, mögen die meisten Amerikaner Umfragen zufolge nicht. Auch wollen die meisten Amerikaner nicht, dass Einwanderer ohne Rechtsstatus krankenversichert werden sollen. Sanders sieht genau das vor.

Und Trump probt an dieser Front bereits seine Angriffe. „Wenn Sie finden, dass wir amerikanische Patienten und amerikanische Senioren verteidigen müssen, dann unterstützen sie mich und mein Gesetz für das Verbot kostenloser staatlicher Gesundheitsvorsorge für illegale Ausländer“, sagte er in der Rede, die Pelosi zerriss. Und er schwor, er werde niemals zulassen, dass „der Sozialismus das amerikanische Gesundheitssystem zerstört“.

Die Theorie, dass Sanders der stärkste Präsidentschaftskandidat wäre, beißt sich mit den Ergebnissen der letzten Zwischenwahlen, in denen die Kandidatinnen und Kandidaten, die den Demokraten vierzig Sitze im Haus mehr verschafften und damit die Mehrheit zurückholten, ideologisch nicht gerade Soldaten der Revolution waren. Sie schlugen weniger militante, stärker nuancierte Töne an, wie der erfahrene Stratege der Demokraten James Carville vor ein paar Tagen herausstrich, als er Sanders‘ Aufstieg beklagte.

Doch Sanders ist ein Populist der Linken, wie Trump ein Populist der Rechten ist, mit der bekannten Abneigung gegen Kompromisse.

Auf Vox erklärte er im Interview mit Sean Illing, die Demokraten hätten 2018 „großen Erfolg gehabt: Wir haben die notwendigen Themen gesetzt, und wir haben gewonnen. Und jetzt sieht es so aus, als verlören wir den Verstand.“ Auf MSNBC sagte er, er habe eine „Heidenangst“, dass die Demokraten die Wahl 2020 vergeigen könnten.

Die Wahlbeteiligung der Vorwahlen von Iowa war alles andere als ermutigend. Wie es aussieht, nahmen etwa 170 000 Menschen daran teil – erheblich weniger als 2008, als 240 000 Menschen wählen gingen. Das widerspricht der Behauptung von Sanders und seinen Anhängern, seine Kandidatur aktiviere Heerscharen von Nicht- oder Erstwählerinnen und -wählern.

Zu dem Argument, Hillary Clintons Niederlage beweise ja, wie wenig die Nominierung einer Mitte-Links-Kandidatin gebracht hat, ist zu sagen, dass Clinton die Präsidentschaftswahl nach Stimmen in der Bevölkerung mit etwa 3 Millionen Vorsprung gewann und die Mehrheit des Wahlmännergremiums nur wegen etwa 77 000 Stimmen verfehlte, trotz Russland, trotz James Comey, trotz der gnadenlosen Berichterstattung über ihre E-Mails und trotz der politischen Bürde, die sie selbst mit sich herumschleppte. Zieht man all das ab, bleibt eine Siegerin – eine Siegerin, die völlig anders ausgerichtet war als Bernie Sanders.

Aber wer genau vier Jahre zurückblickt, erinnert sich auch wieder, dass Trump schiere Panik auslöste bei den Bannerträgern seiner eigenen Partei, die davon überzeugt waren, dass mit seiner Nominierung die Wahl verloren sei. Er war zu eigenwillig, zu provokativ – zu gewaltig. Das erkannte so gut wie jeder verantwortungsvolle politische Beobachter. Und so gut wie jeder verantwortungsvolle politische Beobachter lag daneben.

Aus dem Englischen von Anne Emmert

(c) The NewYork Times