Donald Trump ist womöglich das Beste, was der amerikanischen Demokratie passieren konnte.
Nein, ich habe nicht den Verstand verloren. Und ja, Individuum-1 ist ein Möchtegerndiktator, der für Rechtsstaatlichkeit nur Verachtung übrig hat, ganz zu schweigen davon, dass er korrupt und wahrscheinlich in den Händen fremder Mächte ist. Aber er ist auch faul, undiszipliniert, egozentrisch und unfähig. Und da die Gefahr für die Demokratie nicht nur von diesem einen Mann ausgeht, sondern viel breiter ist und viel tiefer reicht, haben wir sogar Glück, dass die Kräfte, die Amerika bedrohen, eine solch lächerliche Person zu ihrem Aushängeschild erkoren haben.
Trotzdem könnten diese Kräfte noch das Rennen machen.
Wer verstehen will, was in den USA geschieht, muss Steven Levitskys und Daniel Zilblatts Wie Demokratien sterben lesen. Die beiden Professoren für Regierungslehre an der Universität Harvard, zeigen auf, dass sich in den letzten Jahrzehnten mehrere nominell demokratische Staaten de facto zu autoritären Ein-Parteien-Regimes entwickelt haben. In keinem dieser Länder rollten in einem klassischen Militärputsch Panzer durch die Straßen. Was wir dort erlebten, waren subtilere Staatsstreiche: die Übernahme oder Einschüchterung der Medien, Wahlbetrug, der oppositionelle Wähler um ihre Stimmen brachte, neue Spielregeln, die der herrschenden Partei die überwältigende Macht auch dann verschafften, wenn sie im Volk keine Mehrheit mehr hatte, die Beugung des Rechtssystems.
Gewählte Republikaner eignen sich nicht nur im wachsenden Maß die Werte von Fidesz, der polnischen PIS oder anderer weißer nationalistischer Parteien an, sondern sie teilen mit diesen auch die Verachtung für die Demokratie.
Das klassische Beispiel ist Ungarn, wo die weiß-nationalistische Regierungspartei Fidesz einen Großteil der Medien praktisch übernommen hat. Sie hat die Unabhängigkeit der Gerichte zerstört, Wahlen so beeinflusst, dass die Stimmen der Anhänger zählen und die der Gegner nicht, Wahlbezirke zu ihren Gunsten neu zugeschnitten und das Wahlsystem verändert, sodass aus einer Stimmenminderheit im Volk eine Mehrheit im Parlament wird.
Klingt das bekannt? Sollte es. Die Republikaner in den USA wenden ähnliche Taktiken an, (noch) nicht auf Bundesebene, aber in den Bundesstaaten, in denen sie die Macht haben.
Die Bundesstaaten seien „Laboratorien der Demokratie“, sagte einmal der einstige Richter am Supreme Court Louis Brandeis. Wie Levitsky und Zilblatt darlegen, besteht nun die Gefahr, dass sie zu „Laboratorien des Autoritarismus“ verkommen, „wenn die Regierenden, um sich an der Macht zu halten, das Wahlrecht verändern, Wahlbezirke neu zuschneiden und sogar Menschen das Stimmrecht entziehen.“
Wähler auszusortieren und den Zugang zu den Wahlurnen für Minderheiten gezielt einzuschränken, ist in den USA mittlerweile verbreitete Praxis. Hätte der designierte Gouverneur von Georgia Brian Kemp – der als Secretary of State seine eigene Wahl überwachte – ohne diese Taktiken gewonnen? Sehr wahrscheinlich nicht.
Die GOP hat zudem im großen Stil Wahlbezirke manipuliert. Manch einer war beruhigt, dass der erdrutschartige Sieg der Demokraten dank der großen Stimmenmehrheit tatsächlich eine vergleichbare Mehrheit an Sitzen im US-Repräsentantenhaus mit sich brachte. Doch alles andere als beruhigend ist, was in den Bundesstaaten geschah, denn dort zog die Mehrheit der Stimmen oft eben nicht eine Mehrheit im Parlament nach sich.
Sehen wir uns insbesondere die Vorkommnisse in Wisconsin an.
Über den schamlosen Griff nach der Macht, den die Republikaner derzeit in Madison abziehen, wurde in den US-Medien ausgiebig berichtet. Nachdem die Republikaner in Wisconsin im November sämtliche Wahlämter verloren hatten, nutzen sie das Machtvakuum bis zum Antritt der neuen Amtsinhaber, um die Macht dieser Ämter drastisch zu beschneiden, damit die Herrschaft über den Bundesstaat in den Händen der Kammern bleibt, in denen die GOP die Mehrheit hat.
Tatsache ist, dass die GOP in ihrer jetzigen Zusammensetzung zu allem bereit ist, um die Macht an sich reißen und sich an der Macht zu halten.
Weniger beachtet wurde, dass auch die republikanische Mehrheit im Abgeordnetenhaus und Senat undemokratisch zustande kam. In den Wahlen im November holten sich Kandidaten der Demokraten 54 Prozent der Stimmen, erhielten aber nur 37 Prozent der Sitze.
Das heißt, Wisconsin entwickelt sich gerade zu einem Ungarn an den Großen Seen, einem Bundesstaat, in dem Wahlen abgehalten werden, aber nichts zählen, weil sich die herrschende Partei an die Macht klammert, egal was die Wählerinnen und Wähler tun.
Und das Schlimmste ist: Soweit ich weiß, hat kein einziger prominenter Republikaner in Washington dieses krampfhafte Festhalten an der Macht in Wisconsin verurteilt, ebenso wenig eine vergleichbare Aktion in Michigan und nicht einmal den offensichtlichen Wahlbetrug in North Carolina. Gewählte Republikaner eignen sich nicht nur im wachsenden Maß die Werte von Fidesz, der polnischen PIS oder anderer weißer nationalistischer Parteien an, sondern sie teilen mit diesen auch die Verachtung für die Demokratie. Die GOP ist eine autoritäre Partei im Wartestand.
Und deshalb sollten wir Trump dankbar sein. Wenn er nicht so unterirdisch wäre, hätten die Demokraten das Repräsentantenhaus vielleicht nur mit einer Stimmenmehrheit von 4 oder 5 statt mit 8,6 Prozent gewonnen. In diesem Fall hätten die Republikaner womöglich die Mehrheit behalten, und wir befänden uns weiter auf dem Weg in eine dauerhafte Einparteienherrschaft. Stattdessen steuern wir auf eine Zeit der gespaltenen Regierung hin, in der die Oppositionspartei die Macht hat, Gesetze zu blockieren. Außerdem kann sie, was vielleicht noch wichtiger ist, Zwangsvorladungen aussprechen und Ermittlungen über strafbare Handlungen der Regierung Trump durchführen.
Allerdings könnte das nur ein Aufschub sein. Egal, was aus Donald Trump wird: Seine Partei hat der Demokratie den Rücken zugekehrt. Und das sollte uns Angst machen.
Tatsache ist, dass die GOP in ihrer jetzigen Zusammensetzung zu allem bereit ist, um die Macht an sich reißen und sich an der Macht zu halten. Solange das so ist und die Republikaner politisch wettbewerbsfähig bleiben, trennt uns immer nur eine Wahl vom Verlust der Demokratie in Amerika.
Aus dem Englischen von Anne Emmert
(c) The New York Times 2018