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Obwohl US-Präsident Trump weiterhin die Nachrichten dominiert, fällt es ihm gerade sehr schwer, die Öffentlichkeit von irgendetwas zu überzeugen. Er teilt gegen Gouverneure aus, die strenge Lockdowns gegen die Coronavirus-Pandemie verhängt haben, aber diese Gouverneure sind jetzt viel beliebter als er. Er drängt uns alle, zu unserem normalen wirtschaftlichen und sozialen Leben zurückzukehren, aber Umfragen zeigen, dass die meisten Amerikaner immer noch vorsichtig sind und es gar nicht so eilig haben, hinauszugehen und ihre Tröpfchen mit anderen zu teilen. Er schreit, Briefwahl sei Betrug, aber immer mehr Bundesstaaten – darunter viele republikanisch regierte – verbessern den Zugang zur postalischen Abstimmung.
Was als nächstes kommt, wissen wir: „Aber was ist mit seiner Basis?“ Diese loyalen Trump-Fans – die mit religiöser Hingabe Fox News schauen, stolz ihre Make-America-Great-Again-Kleidung tragen, zu seinen Veranstaltungen gehen und alles glauben, was er sagt? Nichts wird ihre leidenschaftliche Unterstützung für ihn verringern, richtig? Das ist zweifellos wahr. Und es wirft eine Frage auf: Was werden diese Leute tun, wenn Trump im November verliert? Was geschieht mit einem Personenkult, wenn die jeweilige Person von den Wählern aus dem Amt gewählt wird?
Es gibt keinen Präzedenzfall in der letzten Zeit, der uns bei der Antwort helfen könnte. Präsidenten, die so verehrt werden wie Trump in seiner eigenen Partei, neigen dazu, zwei Amtszeiten zu regieren und dann im Glanz hoher Zustimmungswerte ehrenvoll abzutreten. Und jene, die nicht wiedergewählt werden (was in den letzten hundert Jahren nur George H.W. Bush, Jimmy Carter und Gerald Ford passiert ist), hatten nicht viele Bewunderer, die ihre Niederlage beklagten.
Der typische Leidensweg der Unterstützer unterlegener Kandidaten – Leugnung, Wut und dann Akzeptanz – könnte für Anhänger Trumps so nicht funktionieren, da er ihnen genau gesagt hat, wie sie die Welt, in der wir alle leben, verstehen sollen: Er hat ihnen nicht nur ein Bild institutioneller Korruption vermittelt, sondern auch die unbedingte Ablehnung von Normen, Regeln und Gesetzen sowie die grundlegende Idee, jedes unerwünschte Ergebnis sei per Definition illegitim.
Ein gutes Beispiel dafür ist Trumps neue Besessenheit von der Briefwahl. In Wahrheit deutet alles darauf hin, dass Wahlbetrug durch Abwesende extrem selten ist und im Allgemeinen weder Demokraten noch Republikaner von Briefwahlen profitieren. Aber Trump behauptet weiterhin, eine Wahl, bei der mehr Stimmen per Brief abgegeben werden als jemals zuvor, könne nur betrügerisch sein, und bereits jetzt sagt er „die größte manipulierte Wahl in der Geschichte“ voraus.
Präsidenten, die so verehrt werden wie Trump in seiner eigenen Partei, neigen dazu, zwei Amtszeiten zu regieren und dann im Glanz hoher Zustimmungswerte ehrenvoll abzutreten.
Stellen wir uns also vor, es sei Mittwoch, der 4. November: Joe Biden hat die Wahl gewonnen und erklärt sich zum Sieger. Die wirklich eingefleischten Trumpisten – also vielleicht zwischen zehn und zwanzig Prozent der Bevölkerung – sind nicht nur enttäuscht, sondern auch wütend. Da Biden gewonnen hat, wissen sie, dass er die Wahl gestohlen hat. Dies werden sie nicht nur als den ungerechtesten Moment der Geschichte betrachten, sondern als direkte Bedrohung für sich selbst – weil sie glauben, wenn die Demokraten an die Macht kämen, würden sie von ihnen auf alle möglichen Arten unterdrückt.
Bei den meisten Trump-Wählern, die bereits vor seinem Amtsantritt Republikaner waren und dies auch zukünftig bleiben, wird die erste Wut bald abflauen. Viele ihrer Volksvertreter werden dann sagen, sie hätten Trump sowieso nie gemocht, und versuchen, sich von seinem Scheitern zu distanzieren, den zukünftigen Kurs der Republikanischen Partei zu bestimmen und sich einen Platz dabei zu sichern.
Aber die Trumpisten werden in diesem Prozess keine Rolle für sich finden. Sie hatten nie ein gemeinsames politisches Programm, das leicht von einem anderen Politiker bedient werden könnte. Sicherlich gab es da einiges, was sie wollten (meist zum Thema Einwanderung), aber sie werden nicht stundenlang auf die Straße gehen, um weniger Steuern für Reiche oder den Abbau von Umweltschutzmaßnahmen zu fordern. Es war Trump, den sie liebten – in all seiner groben, hasserfüllten Pracht. Keine zukünftigen Wahlkämpfe, keine politischen Auseinandersetzungen werden ihnen das gleiche Gefühl geben, das sie von ihm bekommen haben. Sie könnten ihre Energie in die Anti-Biden-Bewegung stecken, also in eine Art Neuauflage der Tea Party. Aber würde sie das, nachdem sie die ekstatische Herrlichkeit des Trumpismus erlebt haben, wirklich befriedigen?
Sie wurden davon überzeugt, dass das System grundlegend korrupt ist, also gibt es kein Reformprogramm, das sie unterstützen könnten. Es gibt kein denkbares Regelwerk, das man umsetzen könnte, um das System so zu gestalten, wie sie es wollen. Es ist korrupt und wird immer so sein, davon sind sie überzeugt – also besteht der einzige akzeptable Zustand darin, dass jemand mit Trumps königlicher Macht vorübergehend die Kontrolle über die korrupten Staatsangelegenheiten übernimmt und sie zu seinen eigenen Zwecken nutzt. Und wenn er dann weg ist, wird das System wieder genauso sein wie vorher.
Wenn man also Trumpist ist, aber Trump sich dauerhaft nach Mar-a-Lago zurückgezogen hat, wozu sollte man sich dann auf traditionelle Weise politisch engagieren? Sollte man für einen blassen Trump-Abklatsch Klinken putzen – ganz zu schweigen von Typen wie Marco Rubio oder Nikki Haley, die sich 2024 um die Präsidentschaft bewerben könnten? Warum sollte man überhaupt wählen?
Beim Trumpismus hingegen geht es nur um Trump, und ohne ihn wird nichts davon übrig bleiben.
Dies könnte die größte Gefahr für die Republikanische Partei nach Trump sein: Ihre Mitglieder könnten beschließen, diese schreckliche Zeit hinter sich zu lassen, gemäßigte Politiker zu fördern und ein Programm aufzustellen, das mehr Menschen anspricht als ihre schrumpfende Basis. Aber wenn sie das tun, werden viele ihrer Wähler einfach abspringen, weil sie bei den Republikanern nichts finden, was sie unterstützen könnten.
Außerdem sollten wir uns darauf einstellen, dass nach der Wahl Gewalt ausbrechen könnte: Nickt man seit Jahren mit dem Kopf, wenn man von Trump und anderen hört, der Weiße Mann werde von finsteren Mächten angegriffen, die alles zerstören wollen, an das man glaubt, und wird Trump dann besiegt, könnte man meinen, Politik sei kein vernünftiger Weg zur Rettung des Landes mehr, und die einzige Alternative sei eine gewalttätige Revolution. Twittert Trump als Privatbürger dann all seine Bitterkeit in die Welt hinaus, während die Demokraten triumphierend die Macht übernehmen, könnten wir mehr Massenschießereien und Versuche, einen Bürgerkrieg anzuzetteln, sehen.
Vielleicht haben wir Glück und es kommt nicht so weit. Und möglicherweise hat Trump die Republikanische Partei so verändert, dass sie nach ihm in seine Fußstapfen tritt: Gewinnt ein QAnon-Verschwörungstheoretiker die Parteinominierung für einen US-Senatssitz in Oregon, ist man versucht zu glauben, die GOP sei derart neben der Spur, dass sogar Trumps Niederlage nicht reichen könnte, um sie wieder zur Vernunft zu bringen.
Aber insbesondere, wenn die Demokraten nach der Wahl im November nicht nur das Weiße Haus, sondern auch die Kontrolle über den Senat bekommen und Siege in den Bundesstaaten einfahren, wird die GOP-Elite sehr motiviert sein, dem Trumpismus abzuschwören, um auch in einem sich wandelnden Amerika mehrheitsfähig zu bleiben. Für die Anhänger der Trump-Sekte wird dies allerdings ein Beweis dafür sein, dass sich eine Beteiligung nicht lohnt.
Da Trump so einmalig ist, ist es wahrscheinlich, dass er seine Fans einmalig enttäuscht zurücklässt. Anhänger von Ronald Reagan oder Barack Obama mögen niemanden gefunden haben, der genauso charismatisch ist wie ihre Idole, aber beide Präsidenten vertraten eine Vision von Fortschritt, die sie hinterlassen haben und die von anderen aufgegriffen werden konnte. Beim Trumpismus hingegen geht es nur um Trump, und ohne ihn wird nichts davon übrig bleiben. Was seine Superfans in der Welt nach ihm tun werden, können wir nicht sicher sagen, aber seine Partei sollte sich auf jeden Fall große Sorgen machen.
Der Artikel wurde zuerst im Magazin „The American Prospect“ veröffentlicht.
Aus dem Englischen von Harald Eckhoff