Die Covid-19-Pandemie hat die Frauen, die im Gesundheitswesen und im Pflegesektor arbeiten, ins Rampenlicht katapultiert. Während des ersten Lockdowns im März 2020 wurden sie in Europa von Balkonen aus beklatscht, weil sie „unverzichtbare“ wirtschaftliche Dienstleistungen erbrachten. Vor allem im Gesundheitsbereich zeigt sich das Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern allerdings in aller Deutlichkeit: Weltweit stellen Frauen etwa 70 Prozent der Ärzteschaft sowie der Kranken- und Altenpflegekräfte.
Die Begeisterung über die neue Prominenz der Frauen prallte allerdings schon bald auf die harte Wirklichkeit. Der Widerspruch zwischen dem Applaus für die „unverzichtbaren“ weiblichen Arbeitskräfte und der anschließenden Nicht-Einbeziehung zeigt sich besonders deutlich am EU-Konjunkturpaket „Next Generation EU“. Eine geschlechtsspezifische Folgenabschätzung verdeutlicht, dass die geplanten wirtschaftlichen Anreize vor allem auf Wirtschaftszweige mit einem hohen Anteil männlicher Beschäftigter zugeschnitten sind, wie den Digital-, Energie-, Agrar-, Bau- und Transportsektor. Branchen mit hohem Frauenanteil bleiben weitgehend unberücksichtigt: Pflege und Gesundheit, Bildung und Sozialarbeit, Kultur und Freizeit. Frauen stellen 93 Prozent der Erzieherinnen und Erzieher und der Hilfslehrkräfte, 86 Prozent der Pflegekräfte und Angestellten im Gesundheitswesen und 95 Prozent der Reinigungskräfte und Haushaltshilfen in der EU.
Die geplanten wirtschaftlichen Anreize sind vor allem auf Wirtschaftszweige mit einem hohen Anteil männlicher Beschäftigter zugeschnitten.
Der Kampf um die Einbeziehung geschlechtsspezifischer Ziele und Vorgaben in die Covid-19-Konjunkturpläne und -Taskforces beschränkt sich nicht auf die EU. Die zahllosen Webinare, die seit dem Ausbruch der Pandemie vielerorts veranstaltet werden, führen vor Augen, dass das Totschweigen der geschlechtsspezifischen Lücke in den Bereichen Löhne, Renten, Führungspositionen und Sorgearbeit ein weltweites Phänomen ist. Es wird als die sogenannte Re-traditionalisierung von Frauen bezeichnet, die sie bei ihren Karrierezielen und ihren späteren Rentenansprüchen zurückwirft.
Das feministische Engagement für die Care-Ökonomie ist lobenswert. Aber bei der Fokussierung auf die sozialen Folgen der Pandemie bleibt außer Acht, wie fundamental die Makroökonomie die Produktionskapazität der Wirtschaft beeinflusst. Feministische Ökonominnen und Soziologinnen argumentieren meist auf der Mikroebene der Care-Ökonomie. Im Mittelpunkt steht oftmals die Frage, wie durch den Abbau öffentlicher Güter Belastungen auf weibliche Haushaltsmitglieder verlagert werden, die in der Folge in Einrichtungen oder zuhause mehr schlecht bezahlte bzw. unbezahlte Pflegearbeit leisten. Panel-Diskussionen, die vor allem von Frauen für weibliche Zuhörerinnen veranstaltet werden, verstärken unbeabsichtigt den Eindruck, dass Frauen auf den Pflegesektor reduziert werden und es kaum möglich ist, die breite Debatte zu verändern.
Wer sich nur mit der Mikroebene beschäftigt, versäumt es, die alltäglichen geschlechtsspezifischen Herausforderungen der Care-Ökonomie mit der sich wandelnden globalen makroökonomischen Landschaft in Zusammenhang zu bringen. Doch genau das ist wichtig, um zu verstehen, wie die Verlagerung hin zu einem finanzdominierten Kapitalismus zu größeren Wohlstandsunterschieden führt, von denen Frauen tendenziell stärker betroffen sind als Männer. Die Geschlechterzugehörigkeit ist nicht nur eine Variable auf der Mikroebene, sondern auch eine endogene makroökonomische Größe mit Auswirkungen auf die Gesamtnachfrage und die wirtschaftliche Stabilität.
In der Wirtschaft gibt es auf makroökonomischer Ebene sowohl Nachfrage- als auch Angebotskomponenten. Eine hohe Frauenerwerbsquote bedeutet, dass Frauen in das Wirtschaftsleben integriert sind, dass sie Zugang zu Bankkrediten haben, um Waren und Dienstleistungen zu erwerben, und damit zum Wirtschaftswachstum beitragen. Im Gegensatz dazu kann Ungleichheit zwischen den Geschlechtern zu einer mangelnden Kreditnachfrage von Frauen führen, was niedrige Sparquoten, niedrige Investitionsquoten und auch eine geringere gesamtwirtschaftliche Nachfrage zur Folge hat. In ähnlicher Weise gilt: Verfügen Menschen nicht über das erforderliche Bildungs- oder Qualifikationsniveau, fehlen den Unternehmen die Humanressourcen, die zur Produktion materieller wie immaterieller Güter und zur Bereitstellung von Dienstleistungen benötigt werden. Die Geschlechterverhältnisse wirken sich also auf die Wirtschaft aus. Und umgekehrt prägen wirtschaftliche Prozesse durch Rückkopplungsschleifen auch die Geschlechterverhältnisse.
Ungleichheit zwischen den Geschlechtern kann zu einer mangelnden Kreditnachfrage von Frauen führen.
Dass traditionelle Makroökonomen den Care-Bereich vernachlässigen, ist nicht neu. Das beginnt schon damit, dass sie für statistische Berechnungen bevorzugt Daten wie das Bruttosozialprodukt auswählen, bei denen die ohne Bezahlung geleistete Care- und Hausarbeit unterbewertet bzw. gänzlich ignoriert wird. Wenn es Usus ist, dass die Datenauswahl unreflektiert auf der Erfahrung von Männern aufbaut, kommt es zu geschlechtsblinden Ergebnissen. Solche verzerrten Messgrößen führen zu einer fehlgeleiteten Politik und vergrößern den Gendergap.
Die feministische Forschung muss die „Blackbox“ des globalen Finanzwesens dekonstruieren. Das ist eine entscheidende Voraussetzung, um den Wandel vom „boring banking“ zu einem weitgehend privatisierten, finanzdominierten Kapitalismus zu verstehen. Dieser hat nicht nur zum Finanzcrash von 2007 geführt, sondern auch die Wohlstandskluft zwischen den Nationen vergrößert – mit unterschiedlichen Auswirkungen auf verschiedene Gruppen von Frauen und Männern sowie auf ethnische Minderheiten.
Seit der Finanzkrise betreiben die Zentralbanken eine unkonventionelle Geldpolitik und intervenieren mit großen Liquiditätsspritzen, um für Wirtschaftswachstum und Finanzstabilität zu sorgen. Eine der „Bazookas“ – eine verräterisch männliche Metapher – in ihrem Methodenarsenal ist die „quantitative Lockerung“ (Quantitative Easing). Dieses Instrument wird eingesetzt, wenn der Zinssatz nahe null liegt und die gängigen Mittel der Geldpolitik nicht mehr greifen. Durch den Aufkauf von Staats- und Unternehmensanleihen auf den Sekundärmärkten wird der Wirtschaft neues Geld zugeführt, sodass die Banken mit ausreichend Liquidität versorgt werden, um Kredite an Akteurinnen und Akteure der Realwirtschaft zu vergeben.
Von der unkonventionellen Geldpolitik profitieren die bereits Wohlhabenden, zu denen im Durchschnitt mehr Männer zählen.
Ein unbeabsichtigter Nebeneffekt des Quantitative Easing ist ein Anstieg der Vermögenspreise. Diese sind in die Höhe geschnellt und haben die Vermögensungleichheit wahrscheinlich noch verstärkt. Vor dem Hintergrund, dass die Vermögen innerhalb und zwischen Privathaushalten ungleich verteilt sind und einkommensstärkere Haushalte einen überproportionalen Anteil am Gesamtvermögen anhäufen, hat die unkonventionelle Geldpolitik auch Verteilungseffekte. Wenn wir davon ausgehen, dass Reiche mehr Vermögen besitzen als Arme, profitieren von der unkonventionellen Geldpolitik die bereits Wohlhabenden, zu denen im Durchschnitt mehr Männer zählen. Diese Politik geht auf Kosten der ärmeren Schichten, in denen der Frauenanteil im Schnitt höher ist.
Für diese Auswirkungen des Quantitative Easing sollten sich nicht nur die Zentralbanken, sondern auch Feministinnen interessieren. Geld ist einer der wichtigsten Transmissionskanäle zwischen der Geldpolitik und dem Vermögen der privaten Haushalte.
Um die Defizite der klassischen Makroökonomie und der feministischen Studien zu beheben, sprechen sich Wissenschaftlerinnen mit einer stärker ganzheitlichen und systemischen Sicht auf die Weltwirtschaft (Mariana Mazzucato, Maja Göpel, Kate Raworth, Ann Pettifor) dafür aus, die Care-Ökonomie im Gesamtkontext des veränderten globalen Finanzsystems zu analysieren, das zu Lasten der Wertschöpfung in der Realwirtschaft geht.
Feministinnen und Feministen müssen eine konkrete und zugleich ambitionierte Strategie für sozialen und wirtschaftlichen Wohlstand entwickeln.
Die Transmissionskanäle der Geldpolitik, die sich über Veränderungen von Angebot und Nachfrage bei Kreditfinanzierung und Vermögenserwerb strukturell auf die Bilanzen der Finanzintermediäre und auch auf die Unternehmen sowie die privaten Haushalte auswirken, müssen aus einer feministischen Perspektive unter die Lupe genommen werden. Gleichzeitig müssen andere Transmissionskanäle der unkonventionellen Geldpolitik analysiert werden, die die Arbeitslosenquote senken und damit das Arbeitseinkommen der ärmeren Bevölkerungsschichten erhöhen oder – aufgrund der niedrigen Zinsen – den Erwerb von Wohneigentum erschwinglicher machen könnten.
Feministinnen und Feministen müssen eine konkrete und zugleich ambitionierte Strategie für sozialen und wirtschaftlichen Wohlstand entwickeln. Sie müssen Vorschläge machen, wie die großen Ungleichheiten, die im Zuge der unkonventionellen Geldpolitik entstanden sind, abgebaut werden können. Eine solche Strategie könnte mit den VN-Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) und dem Ideal der Social Economy Europe verknüpft werden. Sie könnte durch den Aufschwung nach der Pandemie wichtige Veränderungen herbeiführen – anstatt sich mit einem symbolischen Narrativ des „Genderwashing“ zu begnügen.
Aus dem Englischen von Christine Hardung
Dieser Artikel erschien in der englischen Fassung bei Social Europe.