Amazons Ankündigung, in diesem Monat 10 000 Mitarbeiterinnen zu entlassen, hat in den Medien sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in Europa für Aufruhr gesorgt. Während die Entlassungen vor allem Tech-Mitarbeiter wie die Entwickler von Amazons Software-Assistentin Alexa betreffen, einen Bereich, der in den vergangenen Jahren Verluste gemacht hat, kommen sie nun auch bei den Arbeiterinnen in den Lagerhäusern an. Auch wenn 10 000 Arbeitsplätze für das Unternehmen mit den zweitmeisten Beschäftigten weltweit – 1,6 Millionen – nicht viel erscheinen mögen, ist diese Ankündigung ein weiterer Hinweis auf eine Rentabilitätskrise im Amazon-Imperium. Diese Krise wird sich in den nächsten Monaten stark auf die Kämpfe der Beschäftigten bei Amazon auswirken und könnte neue Möglichkeiten für eine gewerkschaftliche Organisierung bei dem Unternehmen bieten.

Die Entlassung der Tech-Arbeiterinnen war nicht die einzige Entscheidung des Unternehmens in Bezug auf die Zahl der Beschäftigten. Vor wenigen Wochen – kurz vor dem stressigen Weihnachtsgeschäft – kündigte Amazon auf seiner Webseite einen Einstellungsstopp an. Dies geschah, nachdem das Unternehmen die Zahl seiner Mitarbeiterinnen seit Beginn von Covid-19 verdoppelt hatte. Der Stopp bedeutet in Wirklichkeit einen Rückgang der Mitarbeiterzahl in den nächsten Monaten, was vor allem auf die sehr hohe Fluktuationsrate bei Amazon, insbesondere in den USA, zurückzuführen ist. Der Guardian berichtete, dass Amazon vor der Pandemie wöchentlich etwa drei Prozent seiner Belegschaft oder 150 Prozent pro Jahr verlor, da viele Arbeiterinnen das Unternehmen nach kurzer Zeit verlassen. Und jetzt will Amazon sie auch nicht mehr ersetzen.

Die Ankündigung von Entlassungen sind ein weiterer Hinweis auf eine Rentabilitätskrise im Amazon-Imperium.

Außerdem wird Amazon die Arbeitskosten nicht nur durch den Abbau von Personal, sondern auch durch Lohnkürzungen senken. Im Sommer 2022 verärgerte Amazon die Arbeiter weltweit noch mehr als sonst, als es „Lohnerhöhungen“ zwischen drei und vier Prozent ankündigte. Wohlgemerkt  zu einer Zeit, in der die Inflationsraten in ganz Europa und Nordamerika um die zehn Prozent lagen. Diese sogenannte Lohnerhöhung ist gleichbedeutend mit einer Lohnkürzung.

Die Entscheidung symbolisiert einen Wandel im Arbeitsregime von Amazon. In den vergangenen zehn Jahren hat das Unternehmen, zumindest in Westeuropa, die Löhne jährlich an die Inflation angepasst und zu Beginn der Pandemie sogar einen Covid-19-Zuschlag von zwei Euro gezahlt. Die Zahlung von für die Branche relativ hohen und ständig steigenden Löhnen sollte es Amazon ermöglichen, neue Arbeitskräfte zu finden und Unzufriedenheit sowie Streiks unter den Arbeitern zu verhindern. Der Lohn war als eine Art Entschädigung für den Stress gedacht, den ein System der Kontrolle durch digitale Anwendungen, lästige Vorgesetzte, mangelnden Respekt für die Arbeiterinnen und ungesunde Arbeitsbedingungen verursacht. Der Bruch von Amazon mit diesem Arbeitsregime hat zu den jüngsten Entwicklungen der Kämpfe in seinem Imperium geführt.

Nach der Ankündigung, dass das Unternehmen die Löhne nur um drei Prozent anheben wird, begannen die Beschäftigten in Großbritannien in mindestens elf Lagerhäusern wilde Streiks. Die Ankündigung der sogenannten Lohnerhöhung war nicht nur respektlos gegenüber den Arbeitern, die in den „goldenen Jahren“ der Pandemie ihr Leben riskiert und gearbeitet hatten, während der Rest der Welt zu Hause in Quarantäne war, sondern gefährdet auch ihre Fähigkeit, ihre Rechnungen zu bezahlen.

Die lächerlichen Lohnerhöhungen in Zeiten der Inflation waren auch das Hauptthema bei den jüngsten Streiks in Frankreich und Deutschland. Hierzulande berichten Beschäftigte aus verschiedenen Standorten, dass die Zahl der Streikteilnehmerinnen in den letzten Monaten stark angestiegen ist. In den Betrieben in Bad Hersfeld und Leipzig, wo die Streikbewegung 2013 begonnen hat, traten erstmals über 50 Prozent der Belegschaft in den Ausstand. Man darf gespannt sein, was bei den traditionellen Weihnachtsstreiks passieren wird.

Die lächerlichen Lohnerhöhungen in Zeiten der Inflation waren das Hauptthema bei den jüngsten Streiks in Frankreich und Deutschland.

Amazon hat auch noch eine weitere Strategie, Arbeitskosten zu sparen und Arbeitsunruhen zu externalisieren. Das Unternehmen setzt in seinen Logistikketten immer häufiger „Schattenlager“ ein. Diese Lager werden von Logistikdienstleistern wie DHL, Kühne & Nagel oder Ceva Logistics betrieben. Soweit wir wissen, funktionieren sie aber wie normale Amazon-Lager. Sie unterscheiden sich lediglich durch die Namen an den Außenwänden. Amazon ist ein Auftragnehmer, der seine Dienstleistungspartner für den Umschlag der Waren bezahlt. Letztendlich weiß der Kunde nicht, ob sein neues Videospiel oder sein Handventilator aus einem von Amazon oder einem Servicepartner betriebenen Lager stammt. Aber die Arbeiterinnen und Arbeiter haben verstanden, dass sie Teil des Amazon-Imperiums sind, wie man an den aktuellen Kämpfen in der Türkei sehen kann.

Darüber hinaus setzt Amazon zumindest in Europa im arbeitsintensiven Geschäft auf den letzten Kilometern „Servicepartner“ ein, um Kosten zu sparen. Diese Servicepartner bringen die Pakete von den Lagerhäusern zum Verbraucher nach Hause. Keiner der Fahrerinnen und Fahrer hat einen direkten Vertrag mit Amazon. Die Servicepartner sind daran interessiert, so billig wie möglich zu arbeiten, motiviert durch Gewinne und unter Druck von Amazon. Die Arbeiter leiden so unter dem enormem Zeitdruck bei der Paketzustellung.

Neben der Senkung der Arbeitskosten gibt es auch andere Anzeichen dafür, dass sich Amazon in einer Krise befindet. In Frankreich und Deutschland hat Amazon bereits gebaute Lager nicht eröffnet und neue Projekte gestoppt. Ein Beispiel dafür ist die Vergrößerung der Anlage am Flughafen Leipzig, wo das Unternehmen sein Luftfrachtdrehkreuz für das europäische Festland hat.

Amazon wächst nicht so schnell, wie es erwartet wurde.

Dies ist ein klares Indiz dafür, dass Amazon nicht so schnell wächst, wie es erwartet wurde. Während der Covid-19-Pandemie verzeichnete Amazon Rekordeinnahmen, als die Geschäfte geschlossen waren und die Verbraucher ihre Waren online bestellten. Da die Nachfrage gestiegen war, investierte das Unternehmen die Gewinne in Arbeitskräfte und neue Infrastrukturen. Ein Ende dieses außergewöhnlichen Booms hatte es nicht vorausgesehen.

Das Problem von Amazon ist jedoch nicht, dass das Unternehmen Verluste macht, sondern dass die Einnahmen weniger hoch sind als in den vergangenen zwei Jahren. Die Rentabilitätsrate schrumpft. Amazon ist stark von den Investoren auf dem Finanzmarkt abhängig. Diese Investoren erwarten einen Anstieg der Einnahmen im Vergleich zum Vorjahr. Während der frühere CEO und Big-Tech-Guru Jeff Bezos die Investoren noch mit seinem Gerede vom „Tag eins“ begeistern konnte – eine Anspielung auf die Idee, dass Amazon so innovativ sei wie am ersten Tag und, wenn es den zweiten Tag erreiche, es mit dem Unternehmen bergab gehe –, muss sein Nachfolger Andy Jassy realistische Konzepte liefern, um die Aktionäre zu beruhigen. Dies ist besonders wichtig, wenn man bedenkt, dass sich die Welt am Vorabend einer Rezession befindet, die durch die aktuellen Inflationsraten verursacht wird.

Amazon will Unsicherheit schaffen.

Dennoch sollte die „Krise“ von Amazon nicht überbewertet werden. Öffentliche Ankündigungen wie die Entlassung von 10 000 Arbeiterinnen sind an ein Publikum gerichtet. Zunächst an die Investorinnen, aber auch an die Beschäftigten, die in den vergangenen Jahren in Gewerkschaften eingetreten sind oder einen Beitritt planen. Es ist gut für das Amazon-Management, wenn die Beschäftigten Angst haben, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Amazon will Unsicherheit schaffen. Aber es bleibt abzuwarten, wie die Kunden ihr Verhalten unter dem Einfluss der Inflation ändern und ob sich die Entwicklung der Umsätze in den nächsten Monaten für Amazon rächen wird.

Amazon wird höchstwahrscheinlich weitere Maßnahmen ergreifen, um seine Einnahmen auf dem Rücken der Beschäftigten zu steigern, um die Aktionäre zu beruhigen. Aber die Arbeiterinnen werden die Bedingungen in den Lagern nicht mehr so akzeptieren wie bisher. Diese Situation wird die kämpferischen Arbeiter und Gewerkschaften in den Lagern stärken. Im kommenden Winter wird es viele Konflikte bei Amazon geben. Der Ausgang ist offen. Aber eines ist klar: Amazon wird erst nach sehr starkem Druck von unten anfangen, mit seinen Beschäftigten und deren Vertreterinnen zu verhandeln.

Aus dem Englischen von Lucie Kretschmer